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Von Hedwig Erd:

Sonntag, 24. Dezember 1988.

Schämen Sie sich nicht?

Der erste Feiertag.

Und der zweite.

Kleiner Zwischenfall zwischen Weihnachten und Neujahr Müde und kraftlos fintt Minna abends auf! ibre falte, schmale Bettstelle. Vorüber! Vorüber das Fest der Liebe", das Fest des Frohsinns". hr hatte es nur Arbeit gebracht. Minna, faf fen Sie mal da an! Minna, die Sterne hän­gen noch nicht! Minna, der Braten! Minna, der Braten! Minna, Minna" so war das den ganzen Tag darf gehen. lang gegangen. Und Minna lief hierhin, lief Karl ist schon ganz durchfroren. Sat dich dorthin, wurde um Rat gefragt, gescholten, bis die Alte wieder mal nich geben laffen?" Aber endlich, endlich alles so weit war... bald darauf lachen sie fröhlich.

Für Minna Arbeit wie sonst, mehr Arbeit sogar. Um fünf Uhr wollte sie sich mit Sarl tref fen: nun ist es schon halb fechs, und die Gnädige will immer noch was. Endlich ist Minna fertig,

Cette 7.

Aber Erna, das junge Fräulein, bleibt bring' dich zu Freunden. Die haben ja auch nicht neugierig. viel, aber es sind Profeten. Die werden dich Minna ist bis jetzt fassungslos dagestanden. ficher aufnehmen für die erste Zeit, und dann Aber wie die Alte nun auch noch anfängt, über werden wir schon weiter sehen. Sind Pro die Unschuld des jungen Fräuleins zu lamen- leten, Winna, die wissen, daß zwei junge, gesunde tieren und sie, Minna, als die Verworfene" Menschen sich auch mal richtig liebhaben müssen, hinzustellen, wird's ihr denn doch zit bunt. Ich denn Proleten sind keine Schweine, die das Na­hab' eben kein Geld für ein Stundenhotel wie türliche immer dann unnatürlich finden, das Fräulein und der Herr Direktor!" plaßt sie wenn sie's nich selber tun!" troßig heraus.

noch frech werden, Sie schamloses Frauenzim Nun geht der Speftafel erst recht los: Auch mer? Das gnädige Fräulein verleumden?! Ins Gefängnis werde ich Sie bringen!"

Und als Minna nun noch zu allem Unglüd hinzufügt, sie habe ja die Briefchen jedesmal selbst an den Herrn Direktor überbringen müf fen, wenn das Fräulein wieder mal zum Mu­fifunterricht" wollte, kennen die vier feinen Leute" feine Grenzen mehr! Erna bekommt Schreifrämvfe, Tante Miezchen winselt hysterisch, Was soll schon gewesen sein? Mutter geht der Herr Rat tobt, Frau Rat fist da, schnappt es nicht gut, und seit ich arbeitslos bin nach Luft und schreit: est sind Sie fristlos Jest Er bricht ab: Na und du?" entlassen! Frist- lo- 0-08!!".

Im Herrenzimmer faßen schon Onkel In einem Kleinen, billigen Kaffeehaus fizen Eduard und Tante Miezchen, im Salon zündete sie und halten sich bei den Händen. Na, wie der Herr Rat die Weihnachtskerzen an, Frau war's zu Haus?" will Minna wissen. Rat lief noch geschäftig hin und her; dann öff­nete das junge Fräulein die Flügeltur. Alle fag ten Aaah", teils aus Bewunderung, teils aus alter Gewohnheit.

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Sie zuckte die Achseln: Gefeiert haben sie. Der Baum strahlte mit seinen bunten Glas- Ein schöner Baum;' ne Schürze hab' ich gefriegt fugeln und vielen Lichtern. Wolf, der Jüngste, und' n Paar Strümpfe." belam cins auf die Finger, weil er Zuderpläs Er lacht hart auf. Riesis angestrengt haben then vom Baum reißen wollte, dann wurde se sich das kann man wohl fagen." Und dabei haben se versprochen, damals, Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen: Tante Miezchen spielte auf dem Klavier, und Onkel wie ich den Lohn ausgemacht hab' und 250 Stro Eduards Baß zitterte vor Rührung: Nur das nen haben wollte: nein 200 und ein Weih­nachtsgeschenk." tra- aute, hochhei- ilige Ba- a- a- ar!"

Noch eine Weile fizzen sie da. Ihre Körper drängen aneinander. Fremde Menschen setzen sich an den Tisch. Da fommen sie sich beobachtet vor. Sie zahlen und gehen.

Wohin jetzt?

Es ist falt.

Minna legte indes die letzte Sand ans Abendessen. Dann kam das junge Fräulein in die Küche, um sie zu holen. Sie bekam zur Be fcherung eine bunte Schürze und ein Paar wol lene Strümpfe. Ueber beides war ein rosa Bänd dhen mit einem Tannenzweig geknüpft. Für Minna" stand auf einem weiken Stärtchen. Dann einandergeschmiegt. Ganz dunkel ist es jetzt. Sie schlendern durch die Straßen, eng an­holte Frau Rat eine große Mehltüte hervor und schüttete Minna einen Teller voll Nüsse und Ge- Durch Minnas Kopf fagt immer wieder ein Ge­Gedanke: Wohin jetzt? Einmal hat sie ein paar bad hinein. Dabei fagte sie: Sie gehen doch ge Stunden Zeit, und der Mann ist bei ihr, den sic wiß lieber in die Küche, Minna?" Minna dankte der gnädigen Frau in pflicht gern hat und... gemäßer Rührung, und die sagte: Ift schon gut, Minna. Wenn Ihnen die Sachen nur gefallen."

lange.

Im dunklen Hausflur füffen sie sich lange, Da spürt Minna den Schlüssel in ihrer Dann mußte sie schnell noch die Geschenke Tasche sie hat ja hente den Wohnungsschlüs von Fräulein Erna und von Wölfchen bewun fel! Die Herrschaften sind ja zu Besuch bei Onkel dern: ein elegantes Gesellschaftskleid, Perlen, Eduard... sie werden so bald nicht wiederfom­Barfums und sogar 1000 Kronen in einem schömen. Und Wölfchen? Wölfchen schläft feft. nen Sandtäschchen aus Krokodilleder. Und Wölf- Stomm", sagt sie leise, fomm, Start"." Wohin?" chen benutte den von Tante Miezchen höchst Dann versteht er. Umfaßt sie. Sie haften die eigenhändig für die Frau Rat geftidten Kaffee Treppen hinauf. Durch den Korridor, durch die wärmer als Festung für seine Zinnsoldaten... Küche in ihr Kämmerchen, das nun mit Eine Viertelstunde später durfte Minna den einemmal nicht mehr grau ist nicht mehr Tisch decken und das Essen auftragen. fahl nicht mehr häßlich... denn zwei Men­schen erfüllen es mit ihrer Liebe.

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Die Zeit ist aufgehoben.

Jest ist alles vorbei. Müde ist sie, und dann und wann tropft eine Träne über ihre Wangen. Drinnen trinken sie Wein. Ihr Lachen und Plöblich wird draußen ein Schlüssel im Plaudern schallt laut heraus. D Tannenbaum Schloß herumgedreht. Menschen fommen, spre­o Tannenbaum-!" gröhlt Onkel Eduard. chen laut und lachen. Minna wird blaß. Da ist Ueber Minnas Eisenbettstelle in dem win die Gnädige auch schon in der Küche. Das scharfe, zigen Dienstbotentäntmerchen stedt hinter dem schrille Organ zerreißt die Stille: Minna! Spiegel ein grüner Tannenzweig. Wie der duftet Minnaaa!" Und da die Gnädige nicht gleich eine Drüben in ihrem Dorf bei den Eltern Antwort bekommt, flinkt sie die Tür auf. Wie feiern sie jetzt auch. Wenn die Reise nicht so viel von einer Tarantel gestochen, freischt sie im nächs loften würde, wäre sie hingefahren. Wenn die sten Augenblid los: Ein Mann!- Adalbert! Gnädige ihr Urlaub gegeben hätte.... wenn, Komm sofort! Ein fremder Mann!"

wenn...

Und ihr Karl ist zu seiner tranten Mutter gefahren. Der glaubt nicht an Weihnachten und fo Sachen. Das ist' n Fest für die Reichen," hat er gefagt, ich fahre zu meiner Mutter raus. Das einzige Mal, daß ich' n paar Tage nicht zum Stempeln gehen brauche das is mein Fest tagsgeschenk."

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Und dann kommt der Herr Rat. Und Tante Miezchen ist auch dabei. Und Fräulein Erna. und alle schreien und freischen durcheinander: Verlassen Sie sofort dieses Haus! Sie! Sie! Ich zeige Sie an! Schmeißt sie doch raus!" Der Herr Rat befommt einen ganz diden, roten Hals, so plustert er sich auf.

Karl zieht seinen Rod an und sagt ruhig: dh ach ja schon; baben Se sich nich so." Durch die Polizei sollte man Sie abführen lassen! Diese Person! Diese unverschämte

Und sie, die Minna? Was hat sie denn schon bon ihrem Leben? Nun sitzt sie hier, ganz allein. Ihre Blicke schweifen durch die fahle, graue Rammer mit der niederen Dede... nichts! Nichts hat jie! Arbeit für die Herrschaft ein Leben Person!" geifert die Frau Rat.

für die Herrschaft! Sie schlucht fassungslos. Ver- Und Tante Miezchen setzt hinzu: Da hast gräbt ihren Stopf in die Stiffen. Uebermüdet du nun den Dank für deine Gutmütigfeit." schläft sie ein.

,, Schla- a- af in himmlischer Ruuuuh'- !" Im Salon fingen sie bis tief in die Nacht bincin.

Weihnachten

im Konzentrationslager

Die Gnädige fann sich immer noch nicht beruhigen: In meinem Haus muß sowas pas fieren!" freischt sie ,,, bor meinem Stinde, meinem unschuldigen Kinde Erna, geh' raus!"

Pfeife raucht und zuschaute, wie die Genossen den schwersten Stampf um ihre Freiheit und Rechte zu bestehen hatten.

Schweigend packt das Mädchen seine Sieben­fachen. Schweigend schnürt Karl seine Schuhe zu und nimmt Minnas Nöfferchen. Dann gehen sie. Aufrecht und ohne Verlegenheit. So, daß selbst| Tante Miezchen das Wort schamlos" in dem langen, dünnen Hals stecken bleibt...

Und als sie unten vor der Haustüre stehen, und Karl das fassungslose Gesicht seines Mädels sieht, streichelt er ihm tröstend über das Haar: Kopf hoch, Mädel!" sagt er, wird noch alles gut werden... na, nu fomm nur... ich

Weihnachtsglocken

Vom Kirchturm hoch oben Tönen die Glocken. Sie preifen und loben Gott, mit Frohloden. In luftiger Höh', Der Welt entrüdt, Erreicht sie das Weh' Nicht, das uns bedrüdt. Das menschliche Leid, Frost, Hunger und Schmerz, Die Not der Zeit Fühlt fein Glockenerz. Drum können die Glocken Jm Kirchturm droben Gar leicht frohloden, Und den Herrgott Yoben! Heinrich SoleL

Der braune Weihnaditsengel.

Ich schwöre, daß ich das guai stin yam niemals gesdirieben habe!"

Land.

hungerten Leiber mißhandeln, nun auch noch zur linken Hand dehnt sich weit das winterliche die Sälte. ,, Verflucht", sagte mittags ciner, wie soll Bald ist Weihnachten. Wie sagt man doch, das nur werden. Frost, nicht genügend Decken. was es für ein Fest ist?" Karl dreht sich herumi, Stein warmes Zeug. Dabei dieses fleine Heiman weiß nicht genan, hat er gefragt oder redet Es war im letzten Sommer. Eigentlich hatte Hermann Grote und der junge Start schliefen sich kaum etwas in ihrer Zeltstadt verändert. Nur zungsrohr, das kaum eine Hundehütte warm er mit sich selbst. Aber da jagt er schon: reit der Liebe" ja, so nennen sie es. Und wie oft schon nun schon lange Monate nebeneinander. In viejo eigentümlich still war es jetzt überall geworden. friegt. Da trepieren wir ja alle!" Sag mal Karl?" meinte eines Tages Her haben sie erzählt, daß Frieden auf Erden und len Nächten, wenn die Schreie der Verhörten sie Franz Schubert , ihr Zeltstadtobmann, war schon gowedt und den Schlaf vertrieben hatten, war hr Flüstern zu hören gewesen. Sie hatten sich ordent lange fort. Viele Wochen hatten sie nicht gewußt, mann Grote, bald ist doch Weihnachten, da den Menschen ein Wohlgefallen" werden soll. wo er stedte, bis eines Tages in den Berliner önnen die Angehörigen besondere Bakete schiden, zum wieviel tausendsten Wale schon-", er hält lich aneinander gewöhnt. Beitungen ſtand: Beim Fluchtversuch aus dem mit Lebensmitteln und Zeug. Das war doch inne. Draußen im Gang nähert sich der Schritt der SS- Wache. In die dunkle Fläche der Tür Paß auf, da fann es doch noch sein, daß sie fällt ein Loch, ein schmaler Lichtstreifen steht für Früher, im Sommer 1932 noch, als sie ihre Stonzentrationslager Oranienburg wurde der Ar- immer so, was? Belte am Müggelsee wieder bezogen hatten, gings beiter Franz Schubert erschossen! Ja, da wußten meine Schwester, bei der meine Sachen jetzt sind, Die Tage gehen hin. Immer wieder ist die oft schwer mit der Verſtändigung. Hermann sie wieder, wo ihr Franz immer zu finden fein uns was Richtiges einpacken. Was die Minna iſt, Minuten inte die denkt gewiß daran. Ja, bestimmt wird sie Soffnung auf den Weihnachtstag mit Paket­Grote, schon hoch in den Sechzigern, lebte zurüt wird.... Bei einer erneuten Reinigungsaltion der mir das dice" Unterzeug mitschicken. Und auch empfang Gesprächsstoff gewesen, zumal die Kälte gezogen und interessierte sich nicht viel für Politik. Seine Frau war schon lange tot, Stinder hatte er SA zur Säuberung der Zeltstädie von marriſtis etwas Gutes zum Effen. Was meinſt Du Nar!?" schärfer geworden ist. feine mehr, seit sie den einzigen Sohn im letzten schen Elementen, die dort noch immer ihr Un Aber niemand antwortet. Wieder ist es still Am Weihnachtsmorgen stehen beim Früh Strieg irgendwo in Frankreich verscharrt hatten. wesen treiben", wurden auch Hermann Grote in dem Raum. Mehr als dreißig Männer hän gen ihren Gedanken nach. Die meisten hoden auf appell die Gefangenen in langer Front auf dem Als er auch den Weg in die AEG nicht mehr zu und der junge Karl verhaftet. So fam es, daß sie viele Monate nebenein- den Pritschen. Hin und wieder steht jemand auf Sof. Der Lagerfommandant beginnt mit der un­machen brauchte, der durch Jahrzehnte zu ihm und geht ein paar Schritte. vermeidlichen Morgenansprache heute so: Das gehört hatte wie ein lieber Mensch, war er noch ander lagen. Start steht in der Nähe des Fensters, dem nationalsozialistische Deutschland hat mit aller stiller geworden. einzigen in dem Loch, das mehr eine Dachluke Natürlich hatte er nie einen Hehl daraus Inzwischen ist es Winter geworden. Uner- Herausschauen ist zwar verboten und Zuwider- Dumanitätsdufelei ein für allemal Schluß ge­macht. Jebt wird Strafe wieder Strafe sein. Id) gemacht, immer rot gewählt zu haben. Auch am im 1. Mai und bei mancher Demonstration fehlte er wartet früh hat er sich an einem Morgen mit handeln mit Erschießen bedroht, seit im Serbit macht. Jest wird Strafe wieder Strafe sein. Ich schneidend in uf diesjährigen Weihnachtsfeit dürfen den Gefan­schne bend faltem stwind beim Rundgang im der Leichenwagen von vielen Gefangenen im Sof babe deshalb folgende Verfügung vorzulesen: Zum An manchem Abend aber saß Sarl bei ihm.' Hof des Konzentrationslagers angekündigt. Und gesehen worden war. Aber manchmal muß man genen in Deutschland feine Weihnachtspalete mit bann diskutierten sie, oft bis in die Nacht. Wehr als zwei Tage drauf gleich nach dem Weden vier hinausschauen. Die Dächer des nahen Dorfes sind weiß, und Lebensmitteln und sonstigen Dingen überfandt als einmal war Starl. der schon seit Jahren aft Mann zum Schneefegen heraus mußten, da wußte ber Funktionär der Arbeiterbewegung war, wii- es jeder: jetzt ist der Winter da. Jetzt quält uns dahinten steigt weißer Rauch einer Lokomotive in nd losgerannt, weil er nicht begreifen fonnte, nicht nur der Sunger, und nicht nur Stahlrute den grauen Winterhimmel. Mechts ragt der Stirch. Hermann Grote Stunde um Stunde seine und Peitsche werden unsere zerschundenen, ausg:-turm aus dem Geäft kahler, schneebedeckter Bäume.

nicht.

werden!"...

,, Abtreten!"...

Klaus Platter.