Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Donnerstag, 11. Jänner 1934

Van der Lubbe hingerichtet

Der Hauptzeuge schweigt für immer

Vor der Hinrichtung für geistig gesund" erklärt

Leipzig , 10. Jänner. Die durch das Urteil des vierten Straffenates des Reichs­gerichtes vom 23. Dezember 1933 gegen Marins van der Lubbe aus Leyden erkannte To­desstrafe ist, da der Reichspräsident von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, heute morgens um halb acht Uhr in einem Hofe des Landgerichtsgebändes zu Leipzig mittels Fallbeil vollstreckt worden.

Der Reichsgerichtsdienst des" dub" erfähri zur Hinrichtung noch nachstehende Einzelheiten:

Oberreichsanivalt Dr. Werner verlas das Urteil und gab dann die Entschließung des Reichs­Dem Deliquenten wurde die Mitteilung von präsidenten bekannt, wonach er sich dafür entschie der bevorstehenden Enthauptung am Dienstag den habe, von seinem Begnadigungsrecht feinen nachmittags durch den obersten Anklagevertreter, Gebrauch zu machen. Darauf übergab der An­Oberreichsanwalt Dr. Werner, in der Gefängslageverireter van der Lubbe dem Scharfrichter. niszelle gemacht. Van der Lubbe nahm die Mittei- Van der Lubbe gab keine Erklärung vor seinem lung entgegen und lehnte auf Befragen geistlichen Ende ab. Die Hinrichtung wurde von dem Scharf­Zuspruch ab. Auch machte er feinen Gebrauch von richter Engelhardt- Schmölln durch Fallveil voll dem Anerbieten, Briefe an seine Angehörigen zu zogen und verlief ohne jeden Zwischenfall. Nach schreiben, und äußerte teinen weiteren Wunsch. vollzogener Hinrichtung stellte der Gerichtsarzt den Tod fest.

Hinrichtung

gungstäterschaft". Selbstverständlich ist", wird von der NSDAP hinzugefügt, daß es sich bei der Auswahl der Todesart um teinerlei Strafmilderung gehandelt hat."

Der deutsche Bürger, den das Entgegenfom men der NSDAP gegenüber Lubbe zutiefst ent­rüstete, wird durch den letzten Saz wieder be­ruhigt: dem Verurteilten wurde der Kopf nicht eiwa nur zum Scheine abgeschlagen, sondern wirtlich. Von Strafmilderung tann also, Gott sei Dank, feine Rede sein.

Hingegen läßt diese Veröffentlichung darauf schließen, wer in Deutschland verurteilt und Ir teilsprüche vollziehen läßt: die NSDAP . Weil sie gewünscht hat, daß van der Lubbe nicht ge= hängt, sondern geföpft werde, wurde er geföpft. und sie hat die Stirn, dies noch zu erklären und zu begründen. So ertennt wenigstens die Welt noch deutlicher, wer an der raschen Beseitigung des Hauptzeugen für die Brandstiftung im Reichstag das größte Interesse hatte.

Holland ,, sehr unliebsam berührt"

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Nr. 8

,, Van der Lubbe schweigt...

- das waren die stereotypen Worte, die viele Wochen lang in den Prozeßberichten wie­derkehrten. Es ging um das Leben von vier unschuldigen Männern, es ging um die geschicht liche Wahrheit, um die Verantwortung für eines der größten Provotationsverbrechen- van der Lubbe ich wie g. Und dieses Schwei gen war für die großen Anstister seiner kleinen Tat von unermeßlichem Wert. Hinter dem Vor hang dieses Schweigens verbarg sie, was zu ber bergen nötig schien, den Blicken eines Gerichts­jaalpublikums, das jenseits der Schranken und Mauern von Leipzig oder Berlin Hunderte Millionen Menschen umfaßte. Wie dieses Schweigen erzielt wurde, ob durch eine greif bare förperliche Vergiftung, ob durch Sugge stion oder nur durch Versprechungen, das wird die Welt nun, da des Zeugen Mund auf ewig sich geschlossen hat, vielleicht nie erfahren. Run haben sie das Werk vollendet, nun haben sie den Mann, der um das Geheimnis des 27. Feber 1933 mehr wissen mußte, als er vor den Schranken des Gerichts aussagte, auf immer stumm gemacht.

Ein Kopf fällt in den Sand und v ander Lubbe schweigt: auf ewig?

Die Vollstreckung des Urteils wurde Mittwoch morgen halb acht Uhr im umschlossenen Licht­hof des Landgerichtes in der Harforistraße in Leipzig in Anwesenheit des Oberreichsanwaltes Dr. Werner und des Sachbearbeiters Landge= Eines Tages werden die Toten reden. richtsdirektors Parisius vollzogen. Bom von NSDAP bestimmt Eines Tages werden sich die Lüden schlic Reichsgericht war Senaispräsident Dr. Bünger sowie drei weitere Mitglieder des erkennenden Das Deutsche Nachrichtenbüro veröffentlicht Haag, 10. Jänner. ( Reuter.) Der Reuter- Ben, die van der Lubbes Schweigen in der Be. vierten Straffenates anwesend. Ferner wohnten zur Hinrichtung des unglücklichen van der Lubbe Berichterstatter informierte sich in holländischen weiskette offen ließ. Wenn die nicht mehr rich. 12 vom Rat der Stadt Leipzig abgeordnete Ge- die Aeußerung einer maßgebenden Stelle der omtlichen Kreisen über den Eindruck, den die ten, und herrschen werden in Deutschland , denen meindemitglieder der Hinrichtung bei, sowie der NSDAP ", in der es heißt, daß van der Lubbe Nachricht über die heute erfolgte Hinrichtung van Lubbes Schweigen mehr als einen Zememord Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt eigentlich den Tod durch den Strang erleiden der Lubbes gemacht hat. Diesen Informationen wert gewesen wäre, dann wird man mögen Scuffert, der holländische Dolmetscher sollte. Bei den maßgebenden Stellen zufolge war die holländische Regierung, die alles auch Duyende Zeugen längst vermodert sein, Meyer Collings, Kreishauptmann Döder Partei" stehe man jedoch auf dem Stand- unternommen hatte, um eine Umwandlung der die Wahrheit leicht erfahren. Die Wahrheit dar nide, der Gefängnisdirektor, der Gefängnis- puntte, daß diese besonders schimpfliche Strafart Todesstrafe in lebenslänglichen Sterker zu erzie über, wie die sonderbaren Ereignisse der Geber geistliche und zwei Gerichtsärzte. Pressevertreter gemeinen Verbrechern vorbehalten ſei. Bei Lubbe len, durch die Ausführung der Hinrichtung ſehr und Märztage in Deutschland zusammen waren nicht anwesend. Handle es sich aber eigentlich um eine ,, lleberzeu- unliebsam berührt". hingen.

Oesterreich vor dem Chaos?

Heimwehraufmärsche

-

Bombenanschläge Schießereien

boten wird, geht aus einem Standal hervor, der heute in dem sogenannten freiwilligen Arbeits­dienstlager aufgeflogen ist. Fast die gesamte

Was wissen wir von dem foten Mann?

Im Feber 1933 fam er nach Deutschland , jah sich ein wenig um, nicht wie ein Verschwö­rer und Afteur großen Stils, sondern sehr dilet tantisch. Er versucht Brände zu stiften, aber Führung, die durchwegs aus angeblich verläßli weder im Königlichen Schloß noch an der Holz­chen Heimwehroffizieren bestand, mußte plöglich baracke eines Wohlfahrtsamtes vermag er mit abgesetzt und verhaftet werden, seinen primitiven Kohlenanzündern nennens weil sie in nationalsozialistische Verschwörungen werten Schaden anzurichten. Er spricht mit aller­verwickelt waren. Einer der Teilnehmer, der hand Leuten, erzählt ihnen von seiner politi Oberstleutnant Chamrat, ist geflüchtet. schen Theorie, die ein Gemisch aus Syndikalis Schon die ersten Ergebnisse der Untersuchung mus und Anarchismus ist, absurd wie der ganze zeigten, daß das größte Wiener Arbeitsdienst Sterl, der halb ein Abenteurer, halb ein irrer lager vollständig nationalsozialistisch durschicht Fanatiker, sicher fein normaljinniger Mensch ist. lager vollständig nationalsozialiſtiſch durſchſet Bis zum 26. Feber hat der Prozeß beinahe jede Wie unverläßlich die Heimatschutztruppe ist. Im Laufe des Nachmittags wurden 500 Mit­ist, die von der Regierung gegen die Nazis aufgeglieder dieses Lagers verhaftet.

Arbeitsdienstlager naziverseucht

Wien , 10. Jänner. ( Eigenbericht.) Die Echießerei, bei der ein Nazi getötet Unruhe in ganz Desterreich, der die Regierung und ziei andere schwer verletzt wurden. Dollfus völlig ohnmächtig gegenübersteht, hat heute wieder einen neuen Höhepunkt erreicht. In der Nacht wurden die einberufenen Heimwehr­schutkorps bewaffnet und in provisorische Kaser­nen cinquartiert. Den ganzen Tag über sah man in den Straßen Wiens und der anderen Landes­hauptstädte bewaffnete Heimwehr­abteilungen unter der Führung von Offi­zieren Demonstrationsmärsche veranstalten. Durch alle Bezirke Wiens fuhren ständig Ueber­fallsautos, Kraftwagen mit aufmontierten Ma­schinengewehren und motorisierte Geschütze.

Bombenregen in Wien

Andererseits veranstalteten heute die Haken­Kreuzler in ganz Wien einen Großkampftag. Seit dem Nachmittag laufen unausgesetzt Mel­dungen über Sprengstoffanſchläge ein. In Ber­

gnügungslokalen, Staffeehäusern, Stadtbahnhö fen und Straßen detonierten ununterbrochen Era plosivkörper, die überall große materielle, aber auch förperliche Schäden anrichteten. Im VII. Bezirk wurde durch eine solche Explosion ein Polizist und ein Passant schwer verletzt.

Schießerei in Klagenfurt

In Klagenfurt zogen Nationalsozia listen vor das Gebäude der dortigen christlich­sozialen Druckerei und warfen eine Bombe, die großen Schaden anrichtete. Es wurden zwan zig Mann Schußkorps aufgeboten. Zwischen den Nazis und dem Schußkorps kam es zu einer

Starhemberg gelobt...

Stunde seines Aufenthalts geklärt. Wo er schlief, , predigte, mit wem er sprach, wer ihn her­bergte und speiste. All das hat eine gewissen­hajte Polizei feststellen und durch) Zeugen er härten können. Mit dem Abend des 26. Feber reißt diese Beweiskette ab. An diesem Dieser Aufruf ist zweifellos als Gegenstoß gegen den Aufruf der Regierung gedacht und soll Abend war Lubbe außerhalb Berlins in einer die Verhandlungen zwischen Dollfus; und den nationalsozialistischen Versamm Heimwehrführern, die für morgen und übermor- lung. Was nach her war, mit wem er dann gen geplant sind, unter den Druck der Heimwehr sprach, wie er die 24 Stunden bis zu seinem jeben. Wiederauftauchen ausfüllte, das verschwei­gen Polizei, Richter und der Hauptzeuge selbst. Am Abend des 27. Feber steigt van der Lubbe in den Reichstag ein, legt einige kleine Brände wieder mit den läppischen Kohlen­anzündern, läuft, nachdem er noch Hemd und Hose verbrannt hat, durch die riesigen Korri dore, wird dann am Portal verhaftet.

Die politische Lage ist jetzt dadurch noch ver­wickelter, daß nun auch im Regierungslager völ­lige Zerfahrenheit herrscht. Noch che die Führer tag des Heimatschutzes und die Verhandlungen mit Dollfuß beendet sind, hat heute Starhemberg einen Aufruf an die Heimwehr er­lassen, in dem er der Regierung sehr merklich mit Austritt und Kampf droht. Er erklärt, der Hei­matſu dürfe nur für die Erreichung ſeines Zie- Verfassungsoktroi fertig

les eingesetzt werden.

faffen.

Wien , 10. Jänner. Heute traf Minister Ich gelobe euch unter allen Umständen, heißt Dr. Ender in Wien ein und legte dem Bundes­es in dem Aufruf, daß ich gegen jeden Widerstand tanzler Dr. Do 11 fuß den fertigen Entwurf dafür sorgen werde, daß ihr nicht für andere der neuen österreichischen Verfassung vor. Mit dem Zwecke und zu anderen Diensten( gemeint ist die Entwurf wird sich in Bälde der Ministerrat be­christlichsoziale Partei) eingesetzt werdet. Ich ge­lobe cuc), vor feiner Konsequenz zurückschrecken, wenn ich zu der Ueber­zeugung komme, daß ihr in diesem Sinne mißtritt eine Stulturkammer", in dem die Vertreter schehen. Der Brand scheint gelöscht, Gefahr keine

braucht werdet und daß wir um unser Ziel betro­gen werden sollen. Unser Ziel ist die uneinge­schränkte Durchführung des Fascismus in Defter­reich und die restlose Niederwerfung der Sozialbe­

mokratie.

Der Entwurf sicht nach den bisherigen Ver­öffentlichungen die Beseitigung des Nationalrates vor. An Stelle desselben

Der Prozeß hat folgenden Tatbestand ein­wandfrei erwiesen: Nach der ersten Meldung vom Brande rückt ein Löschzug und ein Trupp Polizei an. Beide verlassen um 21.20 Uhr den Platz vor dem Reichstag , als wäre nichts ge­

der freien Verufe Sit und Stimme haben sollen. Die Rechte des Bundespräsidenten und der Regie- vorhanden. 15 Minuten später brennt der Ple­rung werden so ausgestaltet, daß der Grundsatz narsaal und die Flammen schlagen aus der Kup. ciner starten Staatsgewalt besonders pel. Nun erst wird Großalarm gegeben, von betont erscheint. Dabei soll aber der föderalistische neuem rüden Polizei und Feuerwehr an. Van Aufbau des Staates erhalten bleiben der Lubbe wird verhaftet.