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Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEIN MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

Einzelpreis 70 Helfer

( einschließlich 5 Heller Porto)

14. Jahrgang

Mittwoch, 7. Feber 1934

Paris in Aufruhr

Tote und Verwundete in den Straßen

Revolverkämpfe

und Brandstiftungen Daladier siegt in der Kammer

Paris , 6. Feber. Die heutige Tagung der Kammer fand unter außerordentlichen Ver­hältnissen statt. Berschiedene Rechts- Organisationen und die Pariser Sektion des Zentralverban= des der Frontkämpfer hatten zu Kundgebungen gegen die Regierung und die Kammer aufgeru­fen. Unter diesen Rechts- Organisationen befindet sich auch eine neugebildete Gruppe von Fasci­sten, die auf den Boulevards in blanen Hemden demonstrieren. Die Regierung hot umfang reiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Die Demonstrationen der Rechts- Gruppen wurd. durch ein offenes Schreiben von dreizehn Deputierten unterstützt, die in einem offenen Schreiben dem Innenminister Frot vorwarfen, die Wirren in Paris durch die ungerechte Abberufung beider Präfekten verschärft zu haben. Die Szenen auf den Straßen nahmen stürmischen Charakter an. Interessant ist, daß die sogenannte ,, Universitätsfront" unter den demonstrierenden Rechts­gruppen ist. Sie fordert alle Studenten anf, sich an die Spitze der großen nationalen Bewe= gung" zu stellen, die im Werden sei. Die Stavisty- Wirren haben also dazu geführt, daß die französische Demokratie durch den Beginn einer fascistischen Bewegung gefährdet erscheint. Hin­ter den fascistischen Gruppen verbergen sich allerdings kapitalistische Bestrebungen, die die Gele­genheit ergreifen, um den Versuch zu machen, mit den wirtschaftlichen Krisenerscheinungen auf ihre Weife fertig zu werden.

Die französischen Arbeiter wiffen sehr wohl, worum es im Augenblicke geht und haben Serum ihre Kräfte zur Berteidigung der Demokratie mobilisiert. Sozialisten und Reosozialisten stellen sich in bisher nic geänferter Deutlichkeit hinter die Regierung. Die Sozialisten und die Gewerkschaften haben die Arbeiter von Baris aufgerufen, sich zur Abwehr der Demonstrationen der Rechten bereitzuhalten.

Die Erklärung, mit der Daladier vor die Stammer trat, fällt ebenso durch ihre Kürze wie durch ihre Klarheit und Eindringlichkeit auf. Die Regierung gibt in ihr zu erkennen, daß sie sich auf die Linksgruppen stüken, mit ihrer Hilfe Ordnung in die öffentliche Verwaltung bringen und die demokratischen Freiheiten des Landes sichern will. Der Sieg, den Daladier bei der Abstim­mung über die Geschäftsordnung errungen hat, läßt den Schluß zu, daß er sich behaupten wird. Man darf nach dem heutigen Tage eine Beruhigung im öffentlichen Leben Frankreichs erwar ten und vor allem mit Genugtuung konstatieren, daß die beiden sozialistischen Gruppen in dieser gefährlichen Zeit in vollkommener Geschlossenheit vorgehen.

Paris , 6. Fever. Die Spannung in den Pa­ riser Straßen, die den ganzen Nachmittag über anhielt, kam um 19 Uhr abends zum Ausdruc. Die patriotische Jugend, die in der Umgebung des Rathauses ihren Sammelpunkt hatte, wurde von berittener republikanischer Garde und von der Polizei zwar zerstreut, doch begaben sich die Ma­nifestanten in kleinen Gruppen und einzeln auf die Place de la Concorde und die Umgebung der Kammer. Gegen Abend zogen auch Kommunisten zum Rathaus und wurden von der Polizei eben falls zerstreut. Die Polizei vertrieb auch Gruppen von Kommunisten, die sich aus den Vorstädten entweder zu Fuß oder mit den Zügen nach Paris begeben hatten.

busse an. Die Menge, die bisher im ganzen ruhig war, geriet in Wut und greift Polizisten und Gardisten, insbesondere diejenigen, die sich allein befinden, an. Zahlreiche Polizisten und Gardisten, die verwundet worden waren, wurden ins Kammergebäude gebracht, wo in einigen Sä­len rasch ein Notspital eingerichtet wurde. Auf bei den Seiten gibt es sehr viele Verletzte, davon zahl reiche schwer Verlepte. Es geht das Gerücht, day; einige der Verletzten bereits ihren Verwundungen erlegen sind. Es werden fünf bis zwölf Tote ge­nannt. Der amtliche Bericht, der anfangs jedwede Zahl von Toten in Abrede stellte, gibt gegen Mit­ternacht zu, daß eine gewisse Zahl von Personen den Verleitungen erlegen ist.

Nr. 31

Wohin steuert Oesterreich?

Kampi zwischen dem weiß- grünen und dem braunen Fascismus

Es kann kaum einen Zweifel darüber geben, daß in Oesterreich schon die nächsten Tage entscheidungsvoll für seine Zukunft sein wer den. Dollfuß , den das leichtgläubige offiziöse genug als den starken Treuhän

Sturm in der Kammerben Sitlerjaſcismus anzuſchen ge

neigt war, ist drauf und dran, die letzten Refte Die Nervosität, die auf den Pariser Straßen des Bodens, auf dem seine Regierung steht, ab herrschte, war auch in der ganzen Deputierten­fammer zu beobachten. Als die Regierung Da ugraben und die ihm anvertraute christlich­ladier den Sikungssaal betrat, um sich der gesetz- soziale Partei zu verwirtſchaften. Mit den Mit gebenden Körperschaft vorzustellen, wurde sie auf tein einer den bewährtesten politischen Gauklern der Linken mit Bleistift und auf der Rech abgeguckten marktschreierischen Reklame und mit ten mit stürmischen Zurufen des Widerspruchs Volkskundgebungen, deren Teilnehmerzahl von empfangen. Ministerpräsident Daladier betrat der zur vaterländischen" Gesinnung gepreß­fofort die Redneriribüne und verlas die Regie ten Presse willig auf das Mehrfache hinaufge rungserklärung. Siebei wurde er häufig durch schwindelt werden, sucht er noch immer den Ein Zwischenrufe von rechts unterbrochen, während brud vorzutäuschen, als fäße er fest im Sattel, die Linke mit anhaltendem Beifall antwortete. In dem lärmenden Durcheinander, das Daladier gestützt vom Vertrauen riesiger Massen. Die häufig zwang, mit dem Berlesen einzuhalten, fam Wahrheit ist, daß seine politische Bedeutung fajt es schließlich zu einem erregien Woriwechsel zivis schon restlos feiner förperlichen Erscheinung schen Sozialisten und so m muniste n, gleicht: ein kleines Männchen, das noch agiert, die in Tätlichkeiten auszuarien drohten. Der dessen Händen aber die Macht, die ihm seine Kammerpräsident sah sich gezivungen, die Partei anvertraut hatte, entglitten ist. Sigung aufzuheben, ehe noch der Ministerpräsi In der Tat: ohne ein Eingreifen dura) dent die Verlesung seiner Erflärung beendet einen außerhalb der um die Herrschaft in Defter hatte. Nach Wiederaufnahme der Sibung konnte reich ringenden fascistischen Klianen stehenden Ministerpräsident Daladier die Regierungs­Daladier die Regierungs- Faktor, dürfte bald entschieden sein, welche der erklärung beenden. beiden Kliquen das Feld behaupten werde. Daß es jene des christlichsozialen Bundeskanzlers ſein fönnte, diese Hoffnung wird er bald selbst nicht nähren können. Ob Dollfuß oder Starhemberg, das ist kaum eine Frage mehr immer voraus­gesetzt, daß es auch noch ganz anders kommen fann. Dollfuß , der aus Desterreich einen, auto­ritären Staat" machen wollte, hat seine eigene Autorität eingebüßt. Er hat dem Fascismus alle Tore weit geöffnet und wenn erst einmal wieder Paris , 6. Feber. Die Kammerfiizung das mit genug inneren Sorgen beschäftigte wurde um 20 Uhr 30 Minuten französischer Zeit Frankreich Muße finden wird, sich nach Defter mit der Abstimmung über die Zurückstellung aller reich) umzusehen, wird es mit Grausen wahr Interpellationen, für die die Regierung die Ver- nehmen, wohin es ſein Schüßling Dolljuß ge trauensfrage gestellt hatte, abgeschlossen. Ein bracht hat. Die Lehren, die Herr Hugenberg in dahingehender Antrag wurde mit 360 gegen Deutschland aus seinem ihm vom Fascismus 220 Stimmen angenommen.

Als der Präsident der Kammer die 18 In­terpellationen über die Regierungspolitik antün­digie, antwortete Daladier , daß er nur vier In­terpellationen aus den Reihen der Opposition annehme.

Die Kammer nahut mit 300 gegen 217 Stimmen dieses Ersuchen der Regierung an.

Sieg Daladiers

Daladiers Erklärung

bereiteten Schicksal zu ziehen in der Lage war Die Kammer vertagte sich auf Donnerstag und die zu überdenken er jetzt ausgiebig Gele­vormittag. genheit hat, sind an Dollfuß und der Mehrheit jeiner Partei spurlos vorübergegangen. Was Sugenberg gründlichst erfahren, daß wer vom Fascismus ißt, daran stirbt, das leuchtet dem Eleinen Stanzler auch heute noch nicht ein und er geht mit der Sturheit eines Didhäuters in teitsverträgen beruhe. Man werde wieder antimarristischer" Verblendung seinem Verder­auf die Grundlage des alten Steuerben entgegen. Dem mit Papierböllern und systems aurückgreifen und die veralteten Revolverschüssen für den Anschluß Desterreichs und komplizierten Verwaltungsmethoden durch einen einfachen und modernen Mechanis mus erſeßen müſſen.

Alle Straßen im Quartier Latin und um das Kammergebäude sowie vom Rathaus über die großen Boulevards zum Place de la Concorde find von Menschenmengen angefüllt, in denen viel­fach die nationalsozialistischen Manifestanten von den Stommunisten und von den Neugierigen nicht zur Stavisky Affäre erklärte Daladier unterschieden werden können. Polizei zu Fuß und u. a.: zu Pferde treibt jeden Augenblick die Manifestan- Seit einem Monat hat der Standal, der aus ten auseinander, wobei sie auch die Gehsteige zu einigen individuellen Schwächen entstanden ist, die an Deutschland werbenden Nationalsozialismus säubern trachtet, doch sammelt sich die Menge Arbent der Kammer gelähmt, die Parteien gegen entgegenzuwirken, das war die Dollfuß von immer wieder von neuem. Immer wieder kommt einander gestellt, das Land demoralisiert und den seinen Auslandsschützlingen zugewiesene Auf­es zu Zusammenstößen, die Menge beschimpft die Gegnern der Regierung Gelegenheit gegeben, An­Außenpolitisch beionie Daladier aufs gabe; er unterzog sich ihr dadurch, daß er ganz Polizei und greift Polizisten, die von ihren Stol- griffe wiederaufzunehmen, die die Wachsamkeit neue den Friedens- und Sicherheitswillen Frant- im Stile und Geiste des angeblichen Feindes legen abgeschnitten sind, an. Auf beiden Seiten, der Republikaner in der Bergangenheit zunichte reichs, deffen gesamte Politik fich in zwei Begriffe redete und handelte, an die Stelle von Barla­bei den Manifestanten und bei der Polizei, gibt machte. Wir kommen aus dieser" mosphäre, in zusammenfassen lasse: internationale Zusammen- mentarismus und Demokratie die Willkür setzte es zahlreiche Verletzte, doch sind die Verlegungen der man nicht atmen kann, nur heraus, wenn wir meistenteils leichteren Charakters. Um 20 Uhr mit Mut und Energie volle Klarheit schaffen. Die über dem Völkerbund und den erprobten Freund­arbeit und nationale Verteidigung, Treue gegen was in der fascistischen Terminologie Auto­durchbrachen die Manifestanten den vom Place Regierung, die vor Ihnen steht, hat ihre Aufgabe schaften. Die Regierung werde weder aus Blind- rität" bedeutet der natürliche Effekt war, daß de la Concorde auf die Brücke gezogenen Polizei- bereits begonnen. Abgesehen von den Fehlern, die lordon und drangen bis zu der Umzäunung des Ihr Untersuchungsausschuß aufdecken wird und die heit noch aus Schwäche die Verantwortung dafür er damit erst recht Wasser auf die Mühlen des übernehmen, das Land zusammen mit ganz Euro- Fascismus leitete. Da er partout nur ohne und Kammerpalais vor. Die. Feuerwehrbereitschaft restlos bestraft werden müssen, hat sie in gewissen pa in neue Katastrophen gleiten zu lassen. Der gegen die Sozialdemokraten regieren wollte, richtete ihre Schläuche gegen die Menge. Berit öffentlichen Verwaltungen eine oderung Friede sei ein Ideal; es genüge aber nicht, dieses mußte er sich zur Stärkung ſeiner schwachen Po­tene Gardisten gingen mit gezogenem Säbel der Wachsamkeit und ein Nachlas= gegen die Manifestanten vor. In dem Tumult sen des Verantwortungsgefühls Ideal nur zu wünschen, sondern man müſſe es in ſition mit den Starhembergs und Feys ver bünden, deren bewaffnete Gewaltbanden ihm als waren die Explosionen von Petarden festgestellt, die eine Erneuerung der Beamtenschaft and Revolverschüssen zu hören. Die und der Methoden erforderlich machen. Sie wer taugliche Werkzeuge erschienen. Nur eben, daß dasselbe einst auch das deutschnationale Bürger­Manifestanten bewarfen die Gardisten mit Stei- den uns sagen, ob wir richtig gehandelt haben, in­nen. Die Verlegten werden in die vorbereiteten dem wir die Autorität desrepublika­tum in Deutschland glaubte und daß es dann Ambulanzen getragen. ebenso wie der Maryismus mundtot gemacht nischen Staates wiederherstell wurde!

Der Polizei ist es gelungen, die Manifestanten te n. bom Kammergebäude über die Brücke zurück zur Innerpolitisa fündigte Daladier Maßnahmen Place de la Concorde und bis zum Palais des zum Schutz des Sparfapitals an; das Budget Marineministeriums, das sich auf der entgegenge- müsse vor Ende Mära erledigt werden; dann werbe festen Seite des Blazes befindet, zurückzudrän- man die Arbeit 3lofigfcit betämpfen gen. Die Manifestanten zündeten das und die wirtschaftliche Tätigkeit des Landes beleben for des Minsterial gebäude 3 müssen. Die Handelsbilanz müsse durch eine wirt. an, der Brand wurde aber bald gelöscht. Hierauf lichkeitsnahe" Politik verbessert werden, die auf mbeten sie auf dem Blake brei Auto- Rompensationen und Gegenseitig

ehrlicher Arbeit verwirklichen.

Zum Schluß appellierte Daladier an das Par­lament mit den Worten:

In schwierigsten Zeiten haben unsere großen Vorfahren die Energie besessen, die de­mokratischen Methoden aufrecht zu erhalten. Heute müssen die vereinigten Republikaner ihrem Beispiel folgen, wenn sie das Gedeihen eines der wenigen freiheitlich regierten Länder, die noch in der Welt übriggeblieben sind, sichern wollen. An ihre Einigkeit appellieren wir im Interesse des Baterlandes.

Man geht in der Vermutung nicht fehl, daß der Tiroler Heimwehrputsch mit Wissen des Dollfuß in Szene gesetzt wurde. Heute, eine Woche nach seinem Beginn erkennt man, daß damit Geister beschworen wurden, die Dollfus und seiner Partei selber in äußerstem Maße gefährlich zu werden beginnen. In den Reden

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