Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

14. Jahrgang

Freitag,

16. Feber 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 39

Eine Schlacht beendet-

der Kampf geht weiter!

Die Meldungen aus Wien   lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Heldenkampf der Wiener   Arbeiter gegen die zahlenmäßige und qualitative Uebermacht der faszistischen Truppen zu Ende geht. Der Einsatz von Artil­lerie nicht nur gewöhnlicher Feldartillerie, sondern der mittelschweren Hau­bitzen, die Anwendung verheerender Sprengmunition, bei den Schutzbündlern der deutlich fühlbare Munitionsmangel wie auch der Mangel an Lebensmitteln, hatten die Situation seit vorgestern mehr und mehr hoffnungslos gestaltet. So­lange man mit einem Eingreifen der Wiener- Neustädter Schutzbündler oder mit einer Entlastung aus dem Marchfeld rechnen konnte, brauchte man die Schlacht um Wien   nicht verloren zu geben. Seit gestern nachts bestand diese Hoffnung nicht mehr.

Mit einer Ausdauer, die ihresgleichen auch in den größten Material­schlachten des Weltkrieges nicht hat, mit einer Todesbereitschaft, deren Nah­rung nur eine große und unsterbliche Idee sein kann, haben die tapferen Solda­ten der Revolution, als keine Hoffnung auf Sieg mehr bestand, die Ehre des So­zialismus verteidigt und Hunderte haben es vorgezogen, zu sterben, ehe sie die angebotene Gnade des christlichen Kartätschenkanzlers annahmen. Die Wiener  Revolutionäre haben das größte Beispiel proletarischen Heldenmutes gegeben, das die Geschichte kennt. Sie haben aber auch durch ihren heldenmütigen Wi­derstand die Voraussetzungen für den Wiederaufstieg der europäischen   Sozial­demokratie geschaffen. Von dieser Niederlage wird eine große Revo­lution ausgehen.

Eine Schlacht wurde verloren, aber die Sieger hatten es nicht leicht. Der Kampf geht weiter. Diese Gewißheit gibt uns Wien  . Mit Kämpfern wie den Wiener   Genossen kann der Sozialismus nicht verloren sein. Aus ihrem Blut wächst uns die Kraft weiterzukämpfen, sie zu rächen und zu siegen!

Der Widerstand läßt nach

Wien  , 15. Feber.( Eigenbericht.) An der tschechoslowakisch österreichischen Grenze in Lundenburg   war die Situation hente früh noch so, daß man nicht wußte, ob man überhaupt per Bahn nach Wien   gelangen könnte. Gestern waren die tschechischen Wagen noch zurückgegangen und der Verkehr auf der gesamten Nordbahn hatte gestockt. Nach länge­rem Warten erfährt man, daß die Züge doch fahrplanmäßig abgefertigt werden. Immerhin ist bemerkenswert, daß der Zug schr vorsichtig fährt, anscheinend stets gewärtig, von neuem beschossen zu werden. Besonders langjam passiert der Zug die Donaubrüde. Sobald man das Stadtgebiet erreicht, merkt man, daß die Straßenbahn bereits verkehrt. Allerdings sind die Wagen fast leer und diese schwache Frequenz hielt bis in die Nachmittagstunden an.

Die Stadt selbst bietet noch immer das Bild, wie seit Tagen, die öffentlichen Ge­bände sind teilweise von Militär, größtenteils von Polizei und Heimwehr bewacht und be jest. Am stärksten ist das militärische Aufgebot um das Rathans. Wer irgendein öffent­liches Gebände betreten will, wird einer strengen Kontrolie unterworfen. Die innere Stadt ist mit Stacheldraht gegen die äußeren Bezirke abgesperrt, der tschechoslowakische Pa aber öffnet einem die Sperre.

Am Nachmittag war unverkennbar, daß der Widerstand der Arbeiter ich wächer wird. Gekämpft wird noch in Kaisermühl, Sagran und anf dem Laaer Berg.

Der Karl Marx   Sofist furchtbar zerschossen. Besonders von der Donanjeite her bietet er ein entsetzliches Bild der Zerstörung. Die Einschläge der 15 Zentimeter- Gra­naten find weithin sichtbar, die Beschießung, die von der Hohen Warte aus erfolgte hat jenstergroße Einschußöffnungen und die Zerstörung großer Teile von Mauerwerk bewirkt. Hier wie in Floridsdorf   beweisen die Spuren der Artilleriebeschießung und die dicht beieinander liegenden Einschüsse der Infanterie- und M.- G- Projektile, daß um jeden Fuß­breit Boden erbittertgefämpft wurde und die Arbeiter erst unter dem fonzen trischen Massenfener der kombinierten Waffen zurückgegangen sind. Der große Gebäudekom­plex war leer, als er von den Bundestruppen besetzt wurde. Die Frauen und Kinder und die überlebenden Stämpfer waren durch die Kanäle und anscheinend in das Gelände jeu­seits der Donan geflüchtet.

In Floridsdorf   herrscht Ruhe. Auch hier sind von weitem die Einschläge der Haubigen an den herrlichen Banten wahrzunehmen. Durch mehrere Volltreffer find anch ganze Dachstühle, die Ziegel samt den Sparren, zertrümmert worden. Die Fenster und das Gemäuer der Hoffront des F. A. C. Hofes sind ebenfalls zerschossen. Dieses Gebäude hat allein 16 Treffer aus den 15 Zentimeter- Haubigen erhalten. An dem Arbeiterheim ist kein Fenster ganz, es ist völlig ausgebrannt und die großen Säle gleich Ruinen.

Die Schutzbündler haben sich von Floridsdorf   gegen Kagranzurückgezo­gen, wo sie noch immer in Stellung liegen. Die. Position der Fascisten ist gegen Florids­ dorf   zu durch starke Maschinengewehr- Posten gesichert. Zum Goethehoffkann man nicht bordringen, die Brücke über die alte Donau   ist gesperrt, Durchlaß wird hier nicht gewährt, die Kämpfe dauern an.

Vormittag hat die fascistische Truppe den Laaer Berg genommen, ein Teil der Besakung wurde gefangen, ein Teil konnte sich gegen die Wienerberger Ziegelei zu­rückziehen. Die Gemeindehänser werden jetzt Nachmittag nach Waffen durchsucht.

Was die politischen Verhältnisse Desterreichs betrifft, so läßt sich keine fichere Prognose stellen. Bon informierter Seite wird darauf hingewiesen, daß sich die Nazi während der Stämpfe neutral und sehr still verhalten haben. Sie scheinen völlig überrascht worden zu sein und holen sich erst jetzt Richtlinien. Es ist kaum anzunehmen, daß sie weiter in Ruhe bleiben werden. Die Folgen der militärischen Schwächung der Bundesregierung

werden nicht ansbleiben. Das bedeutet, daß Desterreich auf jeden Fall mei. teren kritischen Ereignissen entgegengeht.

Von ansländischer Seite wird auf die Regierung eingewirkt, daß Gransamteiten in der Behandlung der Gefangenen und bei Anwendung des Stand­redjtes unterbleiben mögen. Ob diese Schritte Erfolg haben, ist angesichts der Gegen­jätze in der Regierung selbst fraglich. Nach der Schlacht

1100 Tote?

Wien  , 15. Feber. 10 Uhr abds.( Eigenbe­richt.) Es ist nun auch möglich, einen Bericht über bic Situation beim Goethehof in Floridsdorf   zu geben, der von den Schußbändlern mit so uner hörter Bravour verteidigt wurde. Der Gebäude­templex ist größlich verwüstet. Man hat ein wa h

res Schlachtfeld vor sich.

Noch furchtbarer find freilich die Berheerun gen im& arl Marx of. Ein Augenzeuge be­richtet, daß dieser Hof heute mit Explosivgranaten

Die Besatzung des Goethehofes schickte Frau­en und Kinder in die Keller und brachte Maschi= nengewehre auf einem Balkon in Stellung. Das Maschinengewehrfeuer von dem Balton beantwor tete das Bundesheer mit Artilleriefeuer. Der Balkon wurde einfach weggeschossen. Das Gemäner weist dort ein zimmerhohes Loch auf.

Die Wohnungen find völlig de moliert und Hunderte von ihnen sind einfach unbewohnbar geworden. Auch das Kaffeehaus, das sich in dem Bloch befindet, ist samt seiner Einrichtung voll­kommen vernichtet. Die Verteidiger zogen sich un­ter der Wirkung des Geschüßfeners nach Stad lau zurück, wo sie sich verbarrikadierten. Diese Barrikaden wurden vom Bundesheer nach langem Kampfe erſtürmt.

In der Nacht auf Donnerstag fam es auf dem Jafominy Play in Graz zu Schießereien. Auch in den Bezirken Gries   und Lend   wurde an einigen Stellen geschossen.

In der Gemeinde Voitsberg besetzten Angehörige des Republikanischen Schußbundes die dortige Glasfabrit. Der Bezirkshauptmann stellte ihnen ein Ultimatum, das sie aber ablehnten. Da sich die Mitglieder des Schutzbundes nicht ergaben. gingen Militär und Polizei gegen sie vor. Nach turzem Stampfe zogen sich die Schußbündler in der Richtung auf die Storalpe zurüd.

Bürgermeister von Steyr  verhaftet

Zu den Stämpfen in Steyr   wird gemeldet. daß auch hier die Artillerie eingegriffen hat, welche bier Gebäude gegenüber der Waffenfabrik bom bardiert hat. Von 2000 Schutzbündlern, die in Ennsleiten Widerstand geleistet haiten, wurden 600 gefangengenommen. Bei diesen Stämpfen gab es 60 Tote. 80 Schiver und 200 Leichtverletzte. Der sozialdemokratische Bürgermeister von Steyr Sichelrader, wurde nach einem heftigen Stampfe im nahen Walde verhaftet und wird sich vor dem Standgericht zu verantworten haben.

Attentat auf Starhemberg  

Wie die Blätter melden, wurde der Bundes­führer der Heimwehren Starhemberg  , als er wäh rend der gestrigen Stämpfe mit einer Heimwehr Nach viertägigem erbittertem Kampfe ist es autofolonne beim Marr- Hofe in die Heiligenstadt  im Bezirke Döbling   vorbeifuhr, mit einer vom nicht möglich, zu übersehen, welche furchtbaren Opfer der Kampf gefordert hat. Die Schägunen, Mary- Hofe abgefeuerten Salve empfangen. Drei die von 1100 Toten und doppelt soviel Ber. Leute wurden verlegt. Das Automobil Starhem­wundeten sprechen, find aber ohne zweifel nicht bergs wurde an einigen Stellen durchlöchert. übertrieben. Daraus tann die Regierung Dollfus

erfchen, wie heiß die Liebe der Wiener   Arbeiter Otto Bauer   und Julius Deutsch  war, ihre sozialen Errungenschaften zu vertei dementieren Lügen!

zur demokratischen Freiheit, wie stark ihr Willen

digen.

Eine Schredensherrschaft, wie sic

in den Intentionen der Heimwehrfascisten liegt, hält man angesichts der Stimmung der Bevölke­rung nicht für möglich. Die unvergleich­liche Tapferkeit der Schutzbündler findet die Be wunderun weiter Volksfreise und man wehrt sich dagegen, daß diese velden wie Schwerverbrecher abgeurteilt und gerichtet werden.

Von Interesse ist es, daß der Appel Dollfuß zum Friedensschluß nach einem Besuch des englischen   und des französischen  Gesandten im Bundeskanzleramt ergangen

ift.

Augenblicklich wird noch immer an einigen Stellen gefchoffen. Die Polizei und das Heer durch suchen die eroberten und zerschoffenen Wohnbauten nach Waffen.

Deutsch verwundet.

Otto Bauer   und Julius Deutsch  , lez­terer am linken Auge verwundet, sind in Preßburg   angekommen.

Die beiden Genossen wollen in diesem Augenblid mit Rücksicht auf die in den Händen der österreichischen   Regierung befindlichen Ge­nossen noch keine Angaben über ihre Erlebnisse in den Wiener   Kampftagen machen, aber gege: über den unwahren Behauptungen, die die öster­reichische Regierung über sie hat verbreiten lai­sen, stellen die beiden Genossen fest:

Als der Minister Schuschnigg im Rundfunt berbreitete, daß die beiden Genossen geflohen seien und die Arbeiter ,, auf den Barrikaden al­lein gelaffen" hätten, waren sie in einem Wie­ ner   Arbeiterbezirk auf ihrem Posten. Als der Ueber das Schicksaal der verhafteten FühVizekanzler Fen im Rundfunk erzählte, daß sic rer der Sozialdemokratie wird be- in Prag   angekommen seien, waren sie nach wie fannt, daß sie sich in Polizeigewahrsam auf der Rossaerlände befinden.

Noch immer Kämpfe in der Provinz

vor in Wien  . Erst als die Kämpfe in dem gan­zen Gebiet, in dem sich die Genoffen aufhielten, aufgehört hatten und die beiden Genossen völlig isoliert und abgeschnitten waren, haben sic, um der unmittelbar drohenden Gefahr der Verhaf­tung zu entgehen, Wien   verlassen und auf ver­schiedenen Wegen die tschechoslowakische Grenze erreicht.

Einigen Meldungen zufolge, hatten gestern mittags die Sozialisten die ganze Stadt Eben= Schutzbündler in Preßburg see( Oberösterreich  ) fest in ihren Händen. Schutz­büindler haben, wie verlautet, die Arbeiter der ein-| In der Nähe von Bratislava   haben anch zelnen Fabriken genötigt. die Arbeitsstätten zu mehrere Gruppen von Arbeitern, unter ihnen berlassen. Hierauf sollen sie die Ortsgendarmerie 47 Floridsdorfer   Schutzbündler, die sich auf dem entwaffnet und sich der Post bemächtigt haben. Die Müdzug von den Floridsdorfer   Kämpfen, be­Sozialisten hätten auf allen nach Linz   führenden waffnet bis zur tschechoslowakischen Grenze Straßen Steinbarrikaden errichtet. Wie verlautet. Durchgeschlagen haben, tschechoslowatischen Boden sichen Abteilungen von Regierungstruppen gegen betreten. Sie wurden von den tschechoslowakischen Ebensee  . Grenzorganen entwaffnet.