Mr. 89

Freitag, 16. Feber 1934

Scite

Es febe der Schutzbund!

Gruss und Gelöbnis der sudetendeutschen Arbeiterscfiaft

In der gestrigen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gab im Namen der deutschen sozialdemokratischen Fraktion Abgeordneter Genosse Schäfer folgende Erklärung über Defter­reich ab:

Die deutsche sozialdemokratische Arbeiterschaft der Sudetenländer sendet von dieser Tribüne aus den heldenmütigen Freiheitskämpfern des österreichischen Proletariats brüder­liche Grüße. Wir grüßen die todesmutigen Männer des republikanischen Schußbundes, wir grüßen die Arbeiter von Wien , wir grüßen alle Männer und Frauen der alpenländischen Arbeiterbewegung, die in welthistorischen Tagen ihr Herzblut und ihr Leben eingesetzt haben für die Verteidigung der verfassungsmäßigen Freiheiten, für die Sache der Demokratic, des Sozialismus und des europäischen Friedens. Wir neigen nns in tiefer Ehr­furcht vor den toten Blutzengen der Freiheit. Wir senken unsere Fahnen vor der Wahre der Schutzbündler Münnichreiter und Weise 1, die von einer verjas­sungsbrecherischen Gewalt mit Hilfe eines, allen zivilisierten Rechtsbegriffen Hohn sprechen­den Standgerichtsverfahrens an den Galgen geschleppt wurden.

Erfüllt von namenlosem Abschen wenden wir nns gegen die Schuldigen an dem ent­jeßlichen Blutvergießen und gegen ihre Helfer, die den Schmut niedriger Verleumdung über die Kämpfer und Opfer des österreichischen Bürgerkrieges auszugießen versuchen. Vor der ganzen demokratischen Oeffentlichkeit dieses Landes und vor dem Forum der zivilisierten Welt legen wir Zengnis ab für die kämpfenden Sozialdemokraten Desterreichs, daß sie nur in gerechter Notwehr gegen die gehäuften Verfassungsbrüche einer von fascistischen Banden terrorisierten Regierung zu den Waffen gegriffen haben. Niemals wäre Oesterreich in diesenbrudermörderischen Bürgerkrieg gestürzt, wenn die von den Staatslenkern geschworenen Verfassungseide nicht schmählich gebrochen worden, wenn die in der Verfassung verankerten Menschen- und Bürgerrechte der republikanischen Bevölkerung und das seit Jahrzehnten un­

angefochtene, Koalitionsrecht der Arbeiterschaft nicht von frevlerischen Händen abgewürgt lüor­den wären. Wir beladen die fascistischen Heimwehrführer Desterreichs, die schon einige Tage vor Ausbruch des Kampfes in einer Reihe von Bundesländern den Weg des Staatsstreiches beschritten haben, ausdrücklich mit der ungeteilten Schuld und Verantwortung für das ver­gossene Blut und für die Toten des Bürgerkrieges.

Arbeiter von WiennndOesterreich! Jahrzehntelang haben wir Schul­ter an Schulter für End, für Demokratie und Sozialismns gekämpft. Niemals aber waren die deutschen Arbeiter der Sudetenländer mit Ench in heißerer Liebe und höherer Bewunde­rung verbunden, als in diesen Tagen Eueres Heldenkampfes, der in der Geschichte ohne Bei­spiel dasteht. Wir sind in gnten Tagen mit Euch über die Wiener Ringstraße gezogen, wir stehen zu Ench auch in schwersten Stunden. Wir rufen Ench über die Grenzen zu: Enerc Opfer waren nicht umsonst gebracht, Euer Blut ist nicht vergebens geflossen, das strahlende Andenken der Toten wird die Schmach ihrer Henker überleben! Ihre Namen bleiben einge­schreint in die Herzen der judetendeutschen Arbeiter und sie werden mit goldenen Lettern ver­zeichnet sein in die Geschichte des internationalen proletarischen Freiheitskampfes. Enerc Sache ist unsere Sache. Darum wollen wir unsere Freiheit bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, nm an der Wiedereroberung Enerer Freiheit fämpferischen Anteil nehmen zu können. Wenn anf dem Wiener Rathans, auf den Gemeindebanten, auf den Arbeiterheimen von ganz Desterreich wieder siegreich die roten Fahnen wehen, wollen wir stolz vor Ench hin treten und sagen können, daß wir tätige Solidarität geübt haben.

Es lebe der Schutzbund! Es lebe das rote Wien ! Es lebe die herrliche, unvergleichliche Arbeiterschaft Desterreichs! Es lebe die Freiheit und der Sozialismus!

Eine in ähnlichem Sinne gehaltene Erklärung gab für die tschechischen Sozialdemokraten Abgeordneter Genosse Winter ab.

Im Senat gab Genosse Dr. Seller folgende Erklärung ab:

Die furchtbaren Ereignisse in Desterreich haben den stärksten Widerhall unter den dentschen Arbeitern unseres Landes gefunden.

Seit Jahr und Tag ununterbrochen gereizt, hat die Arbeiterschaft Desterreichs eine wahrhaft bewundernswerte Geduld bewiesen. Die völlig unbegründete Ausschaltung des Parlaments, eine stetige Kette von Eingriffen in die persönliche und politische Freiheit, in die Vereins- und Versammlungsfreiheit, der Versuch, durch finanzielle Maßnahmen die Stadt Wien in ihrer sozialen Tätigkeit zu hindern, polizeiliche Durchsuchungen der Woh­nungen und der Parteilokale, die Verhaftung zahlloser Vertranensmänner, der widerrecht­liche Abban der sozialen Errungenschaften, die Anfhebung der Koalitionsfreiheit, schließlich die von den maßgebenden Personen angekündigte Aufhebung der bestehenden und Oktron­ierung einer neuen plutokratischen Verfassung, damit die Beseitigung aller demokratischen Rechte, haben die Arbeiterschaft zum Schuße der Republik , der Demokratie und ihrer sozialen Rechte gezwungen.

Die fascistische Reaktion hat mit Kanonen und mit dem Galgen geantwortet.

Die fascistische Reaktion hat die stolzen Hänser der Stadt Wien , in denen Arbeiter und Angestellte menschenwürdig wohnten, in Trümmer gelegt. Sie hat zerstört, was die Ar­beiterschaft in jahrelanger, mühsamer Arbeit aufbaute.

Der erste Aft der unverhüllten fascistischen Reaktion ist die Niederwerfung der Arbei­terbewegung, ist die Ermordung von hunderten Männern, Frauen und Kindern!

Und das alles, weil sich die Arbeiterschaft dem Joche nicht bengen, weil sie die von allen beschworene Verfassung schüßen wollte.

Dr. Krofta im Außenausschuß:

Gefahr internationaler Konflikte Gegen jede einseitige Aktion

Prag , 15. Feber. Im Außenausschuß des Abgeordnetenhauses gab heute der Stellvertreter des Außenministers, Dr. Krofta, eine Erklä­rung zu den Ereignissen in Desterreich ab, in der bei aller Reserviertheit, die sich ein Diplomat in solchen Fällen auferlegen muß, doch zwischen den Zeilen allerhand zu lesen ist, in der aber auch mit großer Offenheit erklärt wird, daß Oester= reich nicht zu einer Kolonie dieses oder jenes Nachbarstaates werden darf, sondern seine Unabhängigkeit bewahren muß, und daß sich die Dinge wahrscheinlich über­haupt nicht ohne eine Völkerbund= aktion werden lösen lassen.

kaum beruhigen werden und daß ständig die Gefahr besteht, es könnte in dieser Situation zu etwas kommen, das die Unabhängigkeit Dester reichs bedrohen könnte.

Desterreich ist nach dem Genser Protokoll vom Jahre 1922, das auch wir unterschrieben haben, verpflichtet, feine unabhän gigkeit zu wahren und feiner fremden Macht einen überragenden Einfluß in seinem Lande zuzugestehen. Wenn von irgendeiner Seite der Versuch unternommen würde, diese Unabhän­gigkeit zu ändern, dann hätten alle, die dieses Protokoll unterschrieben haben unter ihnen auch die Großmächte die Möglichkeit einzu schreiten. Unzweifelhaft würde dies durch Ver­mittlung des Völkerbundes geschehen, oder wenigstens durch Vereinbarung aller Signa­tare des Genfer Protokolls, und man müßte dann einen Weg suchen, wie dem zu begegnen wäre.

Die zweite Möglichkeit beſtünde darin, daß Oesterreich den Schuß dieser Staaten anruft. Es lönnte sicher nicht so vorgehen, daß es den Schutz

eines einziger Staates anruft, es fönnie Unabhängigkeit garantieren.

aber den Schutz aller Staaten anrufen, die seine

Die deutsche Arbeiterschaft dieses Staates steht mit ihrem ganzen Herzen an der Seite der österreichischen, sie zollt ihrem heroischen, in der Geschichte einzig dastehenden Kampje ihre tiefste Bewunderung und sendet den Brüdern und Schwestern in Desterreich ihre hei festen Grüße.

Die deutsche Arbeiterschaft dieses Staates sentt in innigster Verbundenheit, in herz­lichster Anteilnahme und in tiefster Traner ihre Fahnen an den Gräbern der Opfer der fascistischen Reaktion!

Aber nicht nur die Errungenschaften der Arbeiterschaft sind bedroht; wir erblicken in den Ereignissen dieser Tage eine schwere Gefährdung des Friedens! Mit wachsendem Erstaunen und mit wachsender Entrüstung verfolgt die Arbeiterschaft die Stellungnahme der tschechischen und deutschen bürgerlichen Presse!

Schon folgt der sozialen Verfolgung die nationale Hetze, die sich in Desterreich gegen die Tschechen richtet. Mag sich der Fascismus hakenkreuzlerisch oder christlich drapieren, immer ist er nationalistisch! Mag das Ziel die Gleichschaltung oder die Restaurierung der Habs­ burger sein, in beiden Fällen bedroht der Sieg des Fascismus den demokratischen Chafter, die Selbständigkeit und den Bestand unserer Republik ! Wer den Fascismus in Desterreich stübt, wer die Kämpfe der Arbeiter Desterreichs verhöhnt und verurteilt, der ist ein Sold­fuecht der Kapitals, niemals aber ein Verfechter der Jusassen unseres Landes!

In dieser schicksalsschweren Stunde, in dieser Stunde des Stolzes und der Traner zu­gleich, erklären wir Vertreter der deutschen Arbeiter dieses Landes, daß wir alles, Gut und Blnt, einseßen für die Demokratic, für die sozialen Rechte, für die Selbständigkeit und den Bestand unserer Republik !

drückte die Sympathie feiner Partei mit den fämp fenden österreichischen Arbeitern aus und lenkte die Aufmerksamkeit darauf, daß die Dollfußregierung gegen die Arbeiter schwere Geschütze ein­setze, die Desterreich nach dem Friedensvertrag gar nicht besigen dürfe. Der Kommunist Stern fonnte auch diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne die Sozialdemokraten in der rideſten Weise an­zugreifen. Er erhielt jedoch vom Genossen Schä fer, der die an anderer Stelle veröffentlichte Kund­gebung für die österreichischen Genoffen abgab, die entsprechende Antwori! Stopecky( Stom.) stellte fid) gegen jebe Intervention der Mächte in Dester­reich, weil dadurch die Striegsgefahr vergrößert werde.

Die deutschen Klerikalen zogen es vor, sich zu den Bluttaien ihres Dollfuß auszuschweigen, während der Sprecher der tschechischen Stleritalen Světlit, borsichtig seiner., Ueberraschung" über die blutigen Buſammenſtöße Ausdrud gab und meinie, die Ent­ivicklung sei einfach beiden Teilen plötzlich über den Stopf gewachsen. So einfach wird die alleinige Blutschuld des Dollfuß aber nicht abzuwaschen und auch nicht zu vermindern sein!

Zum Schluß erklärte noch Dr. Krosta auf eine Anspielung Dr. Sterns, die Meldung über Vorbereitungen von unserer Seite zu einer Mobi­Tisierung sei so unsinnig, daß er es für überflüssig halte, sie zu dementieren!

Strofia erkläric u. a., daß wir die Ereignisse in Lesterreich und die Schritte der Regierung nicht beurteilen, also weder loben, noch tadeln lönnen, sondern die Dinge nur insoweit erwägen fönnen, als sie uns tangieren. Er wies die Gerüchte von unserem Einrüden in Desterreich in das Gebiet der Fabel, erklärte aber gleichzeitig, daß wir nicht schweigen würden, falls ein anderer Staat die Grenzen überschritte. Das Henker auch in der Provinz bedeute freilich noch nicht, daß wir dann selbst in Desterreich einfallen würden, aber wir müßten Außenminister Dr. Beneš hai sich während Wien , 15. Fever. In St. Pölten wird protestieren und die zuständigen Fat- seines Aufenthaltes in London und Paris in den Be­toren anrufen, damit dem ein Ende gemacht sprechungen mit den dortigen Staasmännern mit sich heute ein Standgericht konstituieren, vor wel diesen Dingen beschäftigt und ihnen erklärt, daß die chem sich 12 Schutzbündler aus dem Drie Auch die Meldungen über Vorbereitungen Tschechoslotoafei zwar absolute Burüdhalilhelmsburg zu verantworten haben werden. Italiens zu einem Einmarsch erklärt der Mitung und Korrektheit bewahren und sich Sie haben der Wache mit der Waffe in der Hand nister für unwahr; ein Schuß der Grenzen gegen in die Verhältnisse feines anderen Staates, also auch das Uebergreifen auf das eigene Gebiet sei natür nicht in die Desterreichs, einmischen will. Wir ver­lich begreiflich. Etwas anderes liege nicht vor und folgen aber die österreichischen Vorgänge sorg tönnte auch nicht geduldet werden. sam und sind uns der Gefahr bewußt, daß sich aus Wir müssen aber, erklärte Krofta mit Nach ihnen ein ernster konflikt cenitvideln könnte, brud, die österreichischen Verhältnisse mit der Wir machen die Großmächte darauf aufmerksam größten Aufmerksamkeit verfolgen, um vorberei und erklären unsere Bereitwilligkeit, gemeinsam mit tet zu fein, wenn sie uns irgendwie tangieren ihnen diese Frage international zu lösen und für follten, damit sie nicht außenpolitischen Charakter die Verhütung jedes Stonflities zu sorgen.

werde.

annehmen.

In der Aussprache im Ausschuß verurteilte der

Widerstand geleistet. Vor dem Standgerichte in Leoben wird sich heute der Arbeiter Andreas Lederhaas zu verantworten haben, der bei einer Schießerei zwischen Schutzbündlern und Gendar­men den Gendarmerieinspektor Mayer erschossen hat.

Die Bluthunde werben Söldner Wien , 15. Feber. Die Heimwehren und die So viel kann man vielleicht schon sagen, tschechische Genosse Mar e 3 die Bluttaten des öster- Oſtmärkischen Sturmscharen nehmen Aſſenti e das sich die Verhältnisse in Oester. reich ohne Eingreifen ber berufe- reichischen Fascismus in Ausdrücken schärfſter Em- rungen Freiwilliger vor, die sofort einer Aus­außenpolitischen Faktoren pörung. Auch Srušovsky( tsch. Nat.- So8.) bildung unterzogen werden.

Selbstmord Anton Sepers

Anton Sever, der Vertrauens mann der Ottakringer Arbeiterschaft, hat gestern Selbstmord verübt. Seine Fran war am Dienstag bei der Verteidigung des Arbeiterheims durch einen Herzschuß getötet worden. Sever selbst leitete die Verteidigung des Ottakringer Arbeiterhei mes bis zum letzten Augenblid. Er war es, der die tapferen Kämpfer von Ottakring zu wahren Wunderleistungen des Helden­muts anspornte. Sever stand in den Sech­zigerjahren. Er war eine der urwüchsigsten stärksten Persönlichkeiten der österreichi­schen Sozialdemokratie und wurde von den Ottakringer Arbeitern vergöttert.

Der zweite Kampf um den Marx- Hof

Wien , 15. Feber. Bis Mittag herrschte in Wien im großen und ganzen, bis auf einzelne bereits gemeldete Schießereien und Geplänkel in Ragran, im 21. Bezirk und Floridsdorf , Ruhe. In Sandleiten, im 16. Vezirt, am Laaerberg. in Favoriten und im 10. Bezirt fam es ebenfalls noch zu Schießereien. Mittags entwickelte sich beim Karl- Mary­Hof in Heiligenstadt eine neue Schießerei. Es wurde von den Tächern des Mary- Hofes mit Maschinengewehren neuerdings auf die Ereku­tive gefeuert. Daraufhin setzte eine große mili­tärische Attion ein. Mit neuen Kräften will man den Karl- Marx- Hof im Sturm nehmen und voll­ständig räumen.

Die Wahrheit darf nicht nach Wien ! Das Zeitungsgeschäft Goldschmiedt in der Wollzeile im 1. Vezirt, das die Stadt mit ausländischen, also auch mit tschechoslowakischen Zeitungen beliefert, wurde militärisch besetzt, um den Verkauf von ausländischen Zeitungen zu kon­

trollieren