Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI
IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
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14. Jahrgang
Dienstag, 20. März 1934
Einzelpreis 70 Hoffer
( einschließlich 5 Heller Porto)
Nr. 66
Eine Brandrede Mussolinis ROMANUM
Für die ungarischen Revisionspläne und die Aufrüstung Deutschlands Gegen den Völkerbund - Fascistische Expansion nach Afrika und Asien des Abgrundes gebracht hat, indem er ihm alle
Prag , 19. März. Gestern hielt Mussolini in Rom vor 5000 fascistischen Führern in der Oper eine anßenpolitische Rede, in der er n. a. die territorialen Ansprüche Ungarns und die Anfrüstung Dentschlands offen billigte und die Expansion Italiens nach Afien und Afrika als nächstes Ziel ankündigte.
Die Rede hat, wie man jest schon ans Zeitungsstimmen feststellen kann, in Frank reich nud in Kreisen der Kleinen Entente große Befremdung hervorgerufen. Es hat den Anschein, als ob durch diese Rede die eben erst von Musolini eingeleitete Annäherung awischen Italien und den genannten Staaten, die auf einer gemeinsamen Front gegen die deutschen Bestrebungen nach Gleichschaltung Cesterreichs basieren sollte, arg in Mitleidenschaft gezogen sei, bevor noch konkrete bandlu ngen in dieser Richtung vorlagen.
Unter diesen Umständen kann man auf das angekündigte Exposee des Außenministers Dr. Beneš am Mittwoch doppelt gespannt sein.
Nachdem Mussolini die Prinzipien des letzten Jahrhunderis, Demokratie, Sozialismus, Liberalis mus , Freidenfertum etc. als„ tot" und erledigt" bezeichnet hatte, ging er auf außenpolitische Fragen
iber.
leber Oesterreich erflärte er, es tiffe, daß es bei dem Schube ſeiner Unabhängigteit als souve räner Staat auf Italienrechnen könne und bab Italien alles tun werde, was in seinen Kräften Fiege, uni die Lebensbedingungen seiner Bevölkerung
Berleichtern.
und Jugoslavien würden einer Revision der tera ritorialen Bestimmungen des Vertrages von Tria
non nicht zustimmen und
Mussolini sei es sicher nicht unbekanntfügt das Blatt ausdrücklich hinzu, daß eine Revision den Krieg bedeuten würde. Es ist zu befürchten schließt„ Temp3" schließt„ Temps" feinen Artikel- daß der Wille zur Zusammenarbeit, der in dem italienisch österreichischen Protokoll zum Ausdrud kommt, nunmehr durch die sonntägige Rede Mussolinis, die bei den Staaten der Kleinen Entente Mißtrauen hervorrufen muß, ernstlich bedroht ist.
Schatten rosig, alle Gefahren als nicht vorhan den, jeden trügerischen Schimmer, den eine Laterna magica aus dem Propagandabüro des Fascismus an den umwölften Sorizont warf, als den Sonnenaufgang eines neuen Tages in Frieden und Wohlstand vortäuschte, dieser dreimal verfluchte Optimismus, der den europäischen Demokratien jede Kraft zum Handeln, jede Entschlußfähigkeit und damit jede Chance zum Ge genzug genommen hat, stirbt nicht, da wir am Abgrund halten und unser Schicksal deutlich vor uns steht. Er fühlt sich bemüßigt, nun erst recht rege zu werden, uns gut zuzureden, wir follten ruhig weitergehen, denn was sich vor uns aufint und uns zu verschlingen droht, das sei kein Die Rede Mussolinis rief auch in Genf einen Abgrund, was uns bevorsteht, jei nie und nim ungünstigen Eindruck hervor. In Böller mer die Katastrophe eines neuen Weltfriegs, Auf allgemeine Probleme übergehend, befaßte bundstreifen findet die Ansicht des italieniſchen was schon geschehen sei, könne man, richtig be er sich wieder mit seinem Lieblingsthema, der Re Ministerpräsidenten, daß die meisten Staaten eine sehen, als eine ganz harmlose Geschichte nehmen. form des Bölkerbundes, deren Notwendig Reform des Völkerbundes wünschen, keine ZuWir sind in ein Vipernnest gefallen, aber die feit angeblich fast allgemein anerkannt worden sei. ſtimmung. Außerdem wurde auch die Erklärung An die Reform lönne man erst nach dem Abschluß über das Rüstungsproblem mit leberra Stimmungsmacher einer ſorglos ſchönfärbenden der Abrüstungskonferenz Herangehen, denn wenn schung und Verwunderung aufgenommen. Die Politif wollen uns weismachen, daß wir schlimm diese Konferens scheitere, dann werde man einfach Borte über die Abrüstung und den Völlerbund stenfalls unter Regenwärmern leben, die sich bei den Lob des Bölferbundes font werden mit Rücksicht auf die Lage auf der Ab- entsprechend gutem Willen unsererseits vielleicht züftungsfonferenz als berfrüht angesehen. jogar als Goldfische zu erkennen geben. Europa erstidt in der Umarmung des giftgeschwollenen
eine ſtarfe Nation, die eine bessere Zukunft verdient. Sie wird sie auch haben."
tieren...
Wenn nicht abrüsten,
Rom , 19. März. Der deutsche Botschafter es retten und befreien sollten und könnten, reden beim Quirinal von asse I wurde nach seiner ihm freundlich zu, das Ungeheuer nur herzhaft Unterredungen mit Dr. Dollfuß und Gömbös zu küssen, es werde sich dann gleich als ver nach Berlin berufen, um der Reichsregierung zauberter Märchenprinz entpuppen. Bericht zu erstatten.
Zu Jugoslawien seien die Beziehungen nor ma 1, b. h. diplomatisch forrett. Es ſei möglio, dije en bie gerieten Schatten Der Zum Referat nach Berlin Drachen Fascismus, aber die Georgsritter, die dann könnten sich„ logischerweise" Berwirt Beziehungen zu verbessern, aber dieses Problem tönnelidjung jener Rechtsgleichheit, die Deutscherst dann ins Auge gefaßt werden, wenn die für seine Lösung unerläßlichen und erforderland im Dezember 1982( also noch unter Schleicher!) lichen Vorausschungen genau determiniert auerkannt wurde, angeblich nicht widersetzen. Es sei eine pure Illusion zu glauben, daß es für sein werden. Die Beziehungen zu Frankreich hätten sich allge- ewige Beiten möglich sei, ein Boll wie das deutsche mein gebessert, doch sei noch kein einziges der großen im Zustand der Abrüstung zu erhalten. Diese Juund fleinen Probleme, die seit 15 Jahren zwischenfion könne von den Tatsachen selbst zerstört werden, den beiden Staaten saveben, befriedigend gelöst wor es wäre denn, daß man die Absicht hätte, eine den. Troßdem laffe fich u. a. in gewissen sehr wich etwaige schriinociſe Aufrüstung Deutschlands mit tigen allgemein europäischen Fragen eine gewisse Gewalt zu verhindern. Ein solches Spiel hätte aber Annäherung beobachten. Das bedeute bereits einen sehr hohen Einfak, nämlich den Krieg. einen günstigen Anfang, der hoffentlich zu einer tvei teren gedeihlichen Entwidlung führen tönne.
Gana besonders offen setzte sich Mussolini jedoch für die Pläne der ungarischen Revisionisten ein:
„ Ungarn ist isoliert und um Länder beraubt, die absolut magyarifah find. Ungarn hat bei Italien Berständnis und Solidarität gefunden, die nicht von gestern batieren. Ungarn wünscht,
daß ihm Gerechtigkeit widerfahre und daß die Ber: sprechungen eingehalten werben, die ihm während
Die historischen Ziele Italiens , deſſen Nord grenze bardh die Alpen gegeben fei, heißen nach Mussolini Asien und Afrika .
Neber die Tragweite dieses Jahrhunderte alten Bieles, das den italienischen Generationen von heute wie von morgen zugewiesen sei, möge sich niemand einer Täuschung hingeben. Es handle sich nicht um territoriale Eroberungen, sondern um eine natürliche
19 Mitschuldige Staviskys in Untersuchungshaft
Italien , Ungarn und Oesterreich haben, unmittelbar nach der Blutarveit von Wien , die in Budapest und Rom bestelli worden war, drei Protokolle unterzeid) Paris , 19. März. Die Gesamtzahl der Bernet, die in ihrem offiziellen Tert und auf den sonen, die sich wegen Teilnahme an den Stavisty- ersten Blick harmlos erscheinen. Nur wer den betrügereien im Gefängnis befinden, beträgt 19. Stil von Staatsverträgen nicht fennt, wird jid; Darunter sind zwei Abgeordnete, zivei Advolaten, zwei Journalisten sowie vier Bantdirefioren. Außerdem befinden sich zwei verdäch tige Personen vorläufig auf freiem Fuß und fünf weitere Personen werden gerichtlich verfolgt.
fäuschen lassen. Hinter so gallertig fubſtanzloſen Phrasen haben sich seit den Zeiten des alten Rom und über die anderthalb Jahrtausende umfassende Praxis der päpstlichen Kurie bis zu den Staatsverträgen des 19. und 20. Jahrhunderts immer die gröbsten und substanzbeständigen An
Expansion. Italien wolle, daß„ zufriedengestellte und Sozialistischer Wahlsieg ſchläge auf Gut und Blut der Menschheit verkonservative Leute, die ihre Ziele erreicht zu haben in Argentinien
den Friedensverhandlungen feierlich gemacht wur- glauben, nicht versuchen sollen, die geistige, politische den. Italien hat diese Forderungen unterstüßt und und wirtschaftliche Expansion des fascistischen Jiaunterstützt sie weiter. Die ungarische Ration ift liens in jeder Richtung zu hemmen".
Die Nebe Mussolinis hat offenbar auch an Prager verantwortlichen Stellen vor allem wegen des Bassus über Ungarn starke Berstim mung verursacht. Wenigstens erklärt die offizielle Prager Preffe" hiezu an leitender Stelle:
"
Die Kundgebung war leider nicht geeignet, einen eventuellen günstigen Einbrnd der römischen Beratungen zu fördern, im Gegenteil, sie hat ihn zweifellos getrübt. Selbstverständlich ist dadurch auch die in den römischen Abkommen augebentete Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit anderen Staaten in starkem Maße herabgemindert wurden."
Der tschechoslowakische Gesandte in Nom Dr. Chvalkovský hatte Montag rine längere Unterredung mit dem Kabinettschef Mussolinis, dem Botschafter Baron Aloisi.
Baris, 19. März. Die franzöfifche Regie-| Willen zur Erhaltung des Friedens, der wirtschaft. rung hat bisher zu der Rebe Mussolinis noch nicht lichen Zusammenarbeit und der Organisierung der offiziell Stellung genommen, an amtlichen Stel- mitteleuropäischen Staaten und läßt die Türen zu len verhehlt man jedoch keineswegs, baß man über aussichtsreichen Verhandlungen mit der Kleinen den Ton der Rede Muffolinis überrascht ist. Entente offen. Der Temp3" spricht seine BefrieDer gleiche Eindruck herrscht auch in politischen und digung darüber aus, daß das Protokoll von Rom parlamentarischen Streifen sowie in der Presse vor. jede Anspielung auf die Revision der FriedensverTemps" wirft die Frage auf, ob die Rede träge vermeidet, während sich Mussolini in seiner Mussolinis als zusäßliche Auslegung zu dem ita- Nebe zum Lauten Fürsprecher des lienisch- ungarisch- österreichischen Protokoll aufzu- magharischen Revisionismus auffaffen ist. Das Blatt sträubt fich gegen diese Maß- wirfi. Temps" würde gerne wissen, auf nahme, da es zwischen dem Zert des politischen| to elche llngarn gemachten Verspre=
In Argentinien fanden Wahlen statt, bei denen die Hälfte der Deputierten des Bundesparlaments und des Stadtrats der Bundeshauptstadt Buenos Aires erneuert wurden. Diese, alle zwei Jahre erfolgende Erneuerung der Hälfte der Bollsvertretung, die in der Berfassung vorgesehen ist, wurde durch den Staatsstreich vom September 1931, der mit der Regierung auch die Kammer wegfcgte, unterbrochen, so daß bei den letzten Wahlen vom 8. November 1931 das ganze Parlament erneuert wurde. Das Los hat nun die 79 Abgeordneten bestimmt, deren Mandat abgelaufen ist. Es findet Listenwahl statt mit Minderheitsvertretung: 55 Site tommen auf die Mehrheit, 24 auf die Minderheit. Wahlberechtigt ist jeder argenti nische Bürger männlichen Geschlechts, der das 18. Lebensjahr erreicht hat.
Die Sozialistische Partei hat nun bei den jetzigen Wahlen einen großen Wahlsieg errungen. Wie aus Buenos Aires , der Hauptstadt Ar gentiniens , gemeldet wird, haben bei diesen Wah len die Sozialisten in Buenos Aires eine starke Mehrheit erzielt. Sie erhielten mehr Stimmen, als alle andern Parteien zusammen. Auch in vielen andern Gemeinden konnte sie die Mehrheit erobern.
Bei den Gemeindewahlen in Winterthur ergegen 6515 im Jahre 1981. Sie nahmen den Protokolls und den Worten Mussolinis auf fal- ungen Mussolini in in Beribres bieten bie Sozialdemokraten 7407 Stimmen lende Widersprüche findet. Das politische an spielt und sagt, daß solche Bersprechungen Kommunisten das einzige Mandai ab, über das stojat emps"- bekräftigt den nicht bestehen. Die Tschechoslovakei, Rumänien diese verfügt hatten.
borgen. Abgesehen davon, daß zum Protokoll I von Rom wahrscheinlich geheime Zusat abkommen bestehen und daß es gar keinem Zweifel unterliegen kann, daß vor allem die in den Protokollen nicht berührten militäri schen Fragen Gegenstand besonderer Abma chungen waren oder sein werden, vermag man durch die Lüge des Tertes selbst den Tatbestand eines politischen Bündnisses von greifbarer Form zu erkennen. Die Lüge von der Selbständigkeit" der Vertragspartner ist zu dumm, als daß sie fommentiert werden müßte. Wenn sich eine Großmacht von dem politischen Format Italiens , deffen Außenpolitik von 1848, also von Piemont, an bis in die jüngste Zeit eine Stette von aggrej siven, strupellosen und einzig durch den„ sacro egoismo" bestimmten Eroberungsaktionen gewesen ist, eine Macht, die durch den Uebergang von der liberalen zur fascistischen Staatsform wahrlich nicht harmloser geworden ist, mit zwei fleinen, abgerüsteten( und im geheimen riftenden) Staaten verbündet, so bedeutet das auf jeden Fall das Ende der Unabhängig feit der klein staaten. Dieselben Diplo maten, die in der Zollunion zwischen den demotratischen Republiken Deutschland und Dester reich eine Gefährdung der Unabhängigkeit
Desterreichs, wenn nicht schon ihr Ende sahen,
dürften uns jetzt denn doch nicht erzählen, daß; Desterreich noch unabhängig sei.
Tatsächlich bedeutet das Protokoll I die Einverleibung Desterreichs und Ungarns in den Machtbereich des italienischenfajcismus. Einzig Rom