Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

14. Jahrgang

Donnerstag, 29. März 1934

Einzelpreis 70 Heffer

( einschließlich 5.Heller Forto)

Nr. 74

Schützet die Grenzen

Urteil gegen die Kasernenstürmer ch Arbeit und Brot!

gewaltig verschärft

Gajda erhält sechs Monate schweren Kerkers

Brinn, 28. März. Der Oberste Gerichtshof   als Kajsationshof hat heute nach öffentlicher Berufungsverhandlung gegen das Urteil des Staatsgerichtshofes vom 26. Juni 1933 gegen Stobsinek und Genossen das Urteil zn einem beträchtlichen Teil aufgehoben, die ausgesprochenen Strafen empfindlich verschärft und Gajda, der seinerzeit freigesprochen wurde, zu sechs Monaten Sterker verurteilt.

Der Berufung des öffentlichen Anklägers bezüglich obsinets und der weiteren Ange­flagten MIčet, Suslik und Nedvědicty wird teilweise entsprochen und das angefochtene Urteil hinsichtlich des Freispruches nach§ 1 des Schubgesezes, bziv. Verurteilung nach verschiede­nen§§ des Strafgeseßes annulliert.

Die Strafe wird daher für St obsinet von sechs auf zwölf Jahre schweren Sterkers, verschärft durch vierteljähriges Fasten und Dun­felhaft am Jahrestage der Tat erhöht und außer dem auf eine Geldstrafe von 20.000, im Nichteinbringungsfalle umgewandelt in weitere sechs Monate schweren Kerkers, erkannt;

schuldens stehen müssen, wenn der Wille des demo­tratischen Staates zur rüdjichtslosen Abwehr strupelloser Gewalimethoden von Umstürzlern aller Art mit ganzer Klarheit zum Ausdruck kom­men soll, wie es die Zeitverhältnisse gebieterisch erfordern. Unter diesem Gesichtspunkt wird man

Wir haben niemals ein Hehl daraus ge macht, daß die demokratische Republik   auf unsere Unterstützung rechnen kann, sobald sie in die Lage tommt, einen fascistischen Uebergriff ab wehren zu müssen. Das berechtigt uns auch, zu fagen, was wir zur Verteidigung des Staates für notwendig halten, was wir zum Schuße feiner Grenzen zu fordern haben. Offene Worte aus offenem Bekenntnis!

Stein Zweifel: Sitler hat da und dort in der Tschechoslowakei   nicht nur seine gut bezahl­ten Kundschafter und Spitzel, die seinen außen­politischen Gewaltplänen dienen, er fut auch im reichsdeutschen Grenzgebiet, soweit es ums be­nachbart ist, alles, um die sudetendeutsche Rand­Dieses Uricil des Staatsgerichtes ist seiner- bevölkerung unter agitatorischen Druck einer

sagen können, daß, das Urteil des Obersten Ge richtes den Umständen konsequent Rechnung trägt, jedenfalls weit mehr, als das Urteil des Staats­

sen habe, dies unverzüglich den Behörden bekanntzugeben. Er wird deshalb zu schwerem Kerker in der Höhe von sechs Monaten unbedingt, verschärft mit einer Faste gerichtes. monatlich, verurteilt.

In allen anderen Punkten wird die Beseit viel diskutiert worden und hat Anlaß zu schwerde des öffentlichen Antlägers verivorsen. verschiedenen Betrachtungen über das Wesen die­Die Berufung Kobfineks wird teilweise verworfen, tenweise einer weiteren Entscheidung zugewiesen.

Tandler enthaftet

Und tatsächlich: wer die Lebensverhältnisse des überwiegenden Teils unserer Grenzbewohner genauer kennt, wird zugeben müssen, daß der Einsatzpunkt dieses Abschnittes der imperialisti schen Politik Hitlers   nicht übel gewählt wurde. Herrscht doch gerade in den Grenzbezirken ein unerträglicher Notstand, aus dem so rasch als möglich herauszukommen die einzige und größte Sehnsucht der Menschen ist.

scheinbar besser ausgebauten Fürsorge des Drit ten Reiches für die Krisenopfer zu setzen. Und Die vier genannten Angeklagten werden tatsächlich sagen uns vertrauenswürdige Meldun vom Obersten Gerichtshof vielmehr schuldig erkannt, daß jie bei dem Schimißer Kasernensturm gen aus dem Grenzgebiet, daß jenseits der tiche Ueberblickt man die vom Obersten Gericht in der Nacht auf den 22. Jänner 1983 den Ver choslowakischen Grenze Straßenbauten im Gange such unternommen haben, die Verfassung der Re- als letzter und höchster Instanz gefällten Urteile, sind, daß unkultivierter Voden gerodet und die Unter dem Druck der Weltmeinung Bevölkerung bald aus dieser, bald aus jener publik, soweit es sich um die demokratisch- repu- bziv. die Korrekturen, die dieses oberste Tribunal blitanische Staatsform handelt, gewaltsam zu an dem Urteil des Staatsgerichtes vorgenommen Wien  , 28. März.( Eigenbericht.) Genoffe Aftion befeilt wird. Hitler   läßt sich diese Art der ändern, wodurch sie das Verbrechen von An= hat, so ergeben sich schon bei flüchtiger Betrach Professor Tandler, der sich seit seiner Rückkehr Grenzlandpropaganda eben nicht weniger fosten, fchlägen gegen die Republik   nach ung zwei bemerkenswerte Tenden aus $ 1 des Schutzgesees begangenen. Einmal eine dem Ernſt dieſer faſciſtiſchen worden. Die Untersuchung soll ergeben haben, daß aufgewandte Stapital soll sich ihm dadurch ver jucjung ist heute frei gelaiſen als er großzügig ſeine Spione entlohnt. Das ſo haben. Putschaffäre angemessene Strenge bei Beurteilung die Verdachtsmomente vollständig grundlos waren. zinjen, daß er die deutsche Randbevölkerung durch) des Verschuldens der Angeklagten, die sich in der In Wirklichkeit scheint die Enthaftung auf das die soziale Tarnung seiner imperialistischen bauer für die Hauptschuldigen ausdrüdi und fuchungskommission zurückzuführen bedeutend erhöhten Straf Eingreifen der internationalen Unter Pläne der demokratischen Republik   innerlich ent Urheberschaft bzw. Witwisserschaft durch die Ver- infolge der Verhaftung des weltberühmten Ge­zweitens das Erfassen der intellektuellen sein und nicht zuletzt auf die Erregung, die fremdet, um mit größeren Erfolgaussichten seine Pläne gegen die Tschechoslowakei   verwirklichen zu urteilung des vor dent Staatsgericht freigesproche fehrten in der Deffentlichkeit Plats gegriffen hatte. Tönnen. nen Führers". Das Staatsgericht hat Gaida seinerzeit ein hohes Maß von gutem Glauben und positiven Charaktereigenschaften zugebilligt und even durch Anwendung dieses günstigen May stabes nicht die dirette Verbindung zwischen dem Zentrum der fascistischen Bewegung und dem blus tigen Erzeß von Sch i mit gesehen. Das Oberste Gericht hat sich in dieser Hinsicht ein anderes Ür teil gebildet. In den Urteilsgründen wird be­merit, daß die Gestalt Gajdas, wenn seine ganze bisherige Tätigkeit ins Auge gefaßt( der leber Wie erschreckend traurig unsere Grenzbevöl fall von Sazawa und ähnliche Affären), in we kerung daran ist, hat der Schreiber dieser Zei­Auch das Urteil des Staatsgerichtes gegen sentlich anderem Lichte erscheint. Natürlich liegen len erst wieder dieser Tage auf einer sozialen Durch die definitive Entscheidung in der Wanderung durch die Elendsdörfer des Bischof­die Fäden nicht offen zutage. Immerhin hat das eine weitere Gruppe von 39 Angeklagten wird auf Grund der Berufung des Staatsanwaltes Oberſte Gericht in der Handlungsweise Gajdas Schimizer Putſchaffäre wird eine ganze Reihe teinitzer Waldviertels erfahren. Ueberall uner annulliert, soweit es sich um die Straf- um mindeſten zweifellos den Tatbestand des von Strafprozessen gegen Gajdafaſciſten wieder meßliche Not, zu deren Linderung die Strijen erfenntnis und Strafbemessung nach Absatz 2 des Verbrechens nach§ 12 Schußgeſch feststellen kön- ins Rollen kommen, die direkt oder indirett mit opfer fast ausschließlich auf die staatliche Er § 71 des Strafgesetzes handelt, und es werden nen, nämlich der Verabsäumung der der Schimizer Sache in Zusammenhang siehen und ihnen, da sie bei der Revolte den Widerstand Pflichtgemäßen Anzeige staats- bis zu deren rechtsfräftigen Entscheidung ruhten. nährungsaktion angewiesen sind. Diese ist jedoch gegen die Wachen, welche zur Bekämpfung der bedrohender Anschläge, also zum min- In Pilsen  , Brünn  , Prag   und bei anderen Kreis- dank der arbeiterfeindlichen Haltung der bür ilnruhen herbeigecilt waren, fortsekten, neuestra- deſten eine passive Teilnahme an der umstürz- gerichten werden verschiedene Fälle dieser Art zur gerlichen Parteien in fühlbarer Weise gekürzt lerischen Aktion. Verhandlung tommen. Die demotratische Justiz morden. Die gewerkschaftlich organisierten Ar­fen gemäߧ 70, Absatz 1, auferlegt, die gleich­falls eine empfindliche Verschärfung Nicht bedeutungslos erscheint auch die zuerst hat es in diesem Falle bewiesen und wird weiter beitslosen sind infolge der jahrelangen Ausschal­erivähnte namhafte Verschärfung der hin Gelegenheit haben, zu beweisen, daß sie den tung aus dem Arbeitsverhältnis fast ausnahms Strafen für die übrigen Hauptangeklagten. Staat und die Demokratie zu schüßen und An los ausgesteuert und die Heimarbeit-- Spitzen­Diese neuen Strafen betragen bei dem Hebt sich doch der Schimizer Putsch, der Blut- schläge gegen sie zu ahnden weiß, ohne Rücksicht klöppeleiträgt bei einer Arbeitszeit von bis Angeklagten Iošek zweieinhalb und ein Todesopfer gekostet hat, so sehr von son darauf, ob deren Initiatoren zum Hakenkreuz Jahre( früher 11 Monate), bei den Angeftigen Hochverratsprozessen ab, daß auch die verschwören, oder zum tschechischen integralen 3 14 Stunden im Tage bestenfalls zwei bis drei tlagten Holasek( früher ein Jahr) und hängten Strafen in einem entsprechenden Ver- Nationalismus", oder sonst zu einer Spielart Kronen ein. Wer ein Häuschen und ein Stück. Snap( früher 10 Monate) 3 wei Jahre; hältnis zu der Art und der Schivere des Ver- des internationalen Fascismus.

Miček erhält sechs( früher zwei) Jahre, Šušlik neun( früher vier) Jahre und Nedvědicky acht( früher drei) Jahre schweren Kerkers, verschärft durch vier teljährige Faſten; die drei werden weiters zu ie 2.000 Geldstrafe, bzw. weiteren 20 Ta­gen schweren Kerkers, und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren verurteilt. Die Untersuchungs­haft wird eingerechnet.

bedeuten.

bei fünf weiteren Angeklagten 22 Monate ( früber neun Monate bis zu einem Jahr), bei drei Angeklagten 21 Monate( früher sieben bis zehn Monate), bei 17 Angeklagten 20 Monate( früher sechs bis elf Monate), bei elf Angeklagten je 18 Monate( früher sechs bis neun Monate); alle diese Strafen sind durch je eine Faste monatlich verschärft. Die Untersuchungshaft wird eingerechnet.

Die Strafe gegen die Angeklagten Ducho slav Ge i dl und Josef Ružička, die auf Grund des§ 71 zu je fechs Monaten ver­urteilt worden waren, wird ebenfalls aufge­hoben; sie werden auf Grund des§ 70 zu awei Jahren, bzw. achtzehn Mo= naten schweren Nerfers, verschärft durch eine Faste monatlich, verurteilt.

Endlich wird das freisprechende Urteil gegen Rudolf Gajda  , den bekannten Fascistenführer, aufgehoben und Gajda s ch u l- dig erkannt, daß er im Jänner 1933 in  Prag, indem er auf glaubwürdige Art davon erfuhr, daß ein Verbrechen nach§ 1 des Schutz­gefches vorbereitet werde, es unterlas=

ſer Inſtitution und die Zweckmäßigkeit ihrer der | seitigen Organisation gegeben und schließlich auch zu Reformbestrebungen, die dieses Sondergericht zur restlosen Erfüllung seiner Aufgabe befähigen sollen, nämlich der Aufgabe, den Staat und seine demofratische Form wirkungsvoll zu schützen. Jedenfalls ist die Tatsache zu vermerten, daß ein ordentliches Gericht, der Oberste Gerichts­  hof, sich veranlaßt sab, eine Entscheidung des Spezialgerichtes nicht unbeträchtlich zu ändern, und zwar im Sinne erhöhler Strenge.

Grauenhaftes Brandunglück

in Groß- Hammer

Frau und zwei Kinder tot, der Mann und zwei Söhne schwer verbrannt

In Groß- Hammer bei Tannwald brach in der Nacht vom Montag auf Dienstag im Hause des Landwirtes Wy hlidka ein Brand aus, der so rasch um sich griff, daß die im Dach­geschof: wohnhafte Familie des Maurers P of chepny, erst vom Rauch und Flammen ge­wedt, nicht mehr den Flammen entrinnen konnten. Wohl gelang es dem Maurer Poschepny mit zwei Söhnen unter entsetzlichen Verbrennungen bis auf die Treppe zu kommen, wo sie zusammenbrachen und von beherzten Männern ins Freie gebracht wurden; aber die Frau, eine fünfzehnjährige Tochter und ein dreizehnjähriger Sohn blieben in den Flammen und konnten nur als verkohlte Leichen geborgen werden. Poschepny und seine beiden Söhne, von denen einer von den Flammen um das Augenlicht gebracht worden sein soll, wurden in das Tann­walder Krankenhaus übergeführt.

chen Grund besitzt, bei dem mag es noch halv­wegs gehen, hoffnungslos ist jedoch das Dasein der sogenannten Inwohner, die noch) Wicte be­zahlen müssen, obwohl sie kaum wissen, woher sie einen Bissen Brot für die jammernden Kin der nehmen sollen. Gliederreiche Familien be wohnen gewöhnlich nur eine kleine Stammer, in der sie ihr Nachtlager auf dem Boden bereiten müssen, wenn nicht gar zwei Parteien den ge­meinsamen Wohnraum teilen. Im fünften Stri­fenwinter gesellt sich zu dem quälenden Nah­rungsmangel das Fehlen von Wäsche, Kleidern und Schuhwerk, was die Situation der Menschen vollends verzweifelt gestaltet. Die Jugend, be­sonders die Schulkinder tragen schon weithin sichtbar das Stigma der Unterernährung und gefährlichen Siechtums auf den Gesichtern...

Doch genug damit! Wir wollen ja nicht die Not ausmalen, sondern mit dem Hinweis auf sie nur zeigen, welche seelische Verfassung die sozial getarnte imperialistische Propaganda Sit. lers bei der deutschen Grenzbevölkerung aus. lösen muß, wenn sie erkennt, daß er gewisse