Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53877. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

14. Jahrgang

Der gefährliche Wallisch

Die Rebellenleiche soll verbrannt werden

Wie uns aus Steiermart berichtet wird, scheint unter den christlichen Henkern eine pani­f the Angst zu herrschen, daß Wallisch aus dem Grabe auferstehen und sie zur Rechenschaft zie hen könnte. Das Grab des proletarischen Märth­rers wird Tag und Nacht bewacht. Ein Wiener   Besucher traf auf dem Friedhof nicht we­niger als 15 Gendarmen an. Die Wächter haben es bereits aufgegeben, die massenhaft einlaufenden Blumenspenden zu beseitigen. Das Grab ist täg lich mit neuen Blumen geschmückt.

Die unglückliche Paula Wallisch   bes findet sich noch immer in einem Sanatorium und leidet schwer an dem überstandenen Grauen. Ohne Pulver kann sie keine Minute schlafen. Die fer Tag sprach ein Gendarm bei ihr vor und fragte sie a m t Ii ch, ob sie zustimme, daß der Leichnam ihres Gatten nachträglich ver brannt werde. Frau Wallisch lehnte, wie wir authentisch erfahren haben, entschieden ab.

Samstag, 19. Mai 1934

Litwinow   in Genf  

Zusammenkunft mit Barthou

Genj, 18. Mai. Heute früh ist hier der Sowjetfommissar für answärtige Angelegen­heiten Litwino w eingetroffen. Ueber die Ursache des plöslichen Eintreffens Litwinows in Genf   gerade zur Zeit, da der Völkerbund tagt, ist bisher nichts Bestimmtes bekannt. An einigen Stellen in Genf   glaubt man, Litwinow   habe die Absicht, das formelle Ansuchen der Sowjetunion   um den Eintritt in den Völkerbund zu überreichen. Im Völkerbundsekretariat ist aber diesbezüglich bisher nichts bekannt.

In Genf   wird behauptet, daß dort auch Leo Trofi weilt. Ecin Beinch wird mit der Anwesenheit Litwinows in Zusammenhang gebracht.

Litwinow   hatte um 3 1hr nachmittags eine Zusammenkunft mit Barthon, der vorher mit dem tschechoslowakischen Gesandten Dr. Di nikh zn Mittag gespeist hatte.

Litwinow   hat heute Genf   wieder verlassen. Er wird gegen Ende der kommenden Woche wieder hier erwartet. In der Zwischenzeit wird sich Litwinow   voranssichtlich in der Nähe von Genf   aufhalten.

Morgen trifft der rumänische Anßenminister Titulesen, der derzeitige Vorsitzende des Ständigen Rates der Kleinen Entente, in Genf   ein. Er wird mit Litwinow   gleichfalls Beratungen abhalten.

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Nr. 116

Kein Stillstand

in der Sozialpolitik

Reformen für die Angestellten

Im Abgeordnetenhause wurde eine Regie­rungsvorlage unterbreitet, die eine neue Reform der Pensionsversicherung bedeutet. Diese Ber sicherung, die im Jahre 1929 auf neue Grund­lagen gestellt wurde, hat bereits einmal eine wesentliche Verbesserung erfahren, nämlich durch Einrechnung der halben nichtversicherten Dienst. zeit; nun wird sie durch die Einführung einer wertvollen neuen Institution bereichert, durch die soziale Rente. Bisher fonnte ein An­gestellter, wenn er nicht invalid war, erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhe­stand treten, die Novelle erkennt ihm, wenn er nach Erreichung des 55. Lebensjahres ein Jahr lang arbeitslos war, also frühestens mit dem 56. Lebensjahr, die Altersrente ohne Nachweis der Berufsunfähigkeit zu. Für Frauen gilt diese Be­günstigung bei Vollendung des 53 bzw. 54. Lebensjahres. Diese Maßnahme wird sofort eine

Dabei ist interessant, daß die katholische Das Pariser Le Journal" bezeichnet die union, sondern auch auf den Eintritt Sowjetruß­Kirche im allgemeinen gegen Feuerbestattungen Zusammenkunft Barthous mit Litwinow   als histo- lands in den Völkerbund und auf die fünftige Zu­mit aller Behemenz ankämpft. Mit den Gebeinen risch bedeutungsvoll. Das Blatt ist der Anjicht, sammenarbeit Sowjetrußlands nicht nur mit dem wohltätige Wirkung haben, da sie vielen Ange­Wallisch's scheinen die österreichischen Hängechri- daß dieses Zusammentreffen nicht nur auf die Völkerbund, sondern auch in den Abrüſtungsange­ften eine Ausnahme machen zu wollen, denn fie Annäherung zwischen Frankreich   und der Sowjet- legenheiten großen Einfluß haben wird. möchten der steirischen Arbeitersaft damit ihren einzigen Wallfahrtsort rauben. An ihnen wird sich noch das Wort bewahrheiten:

And unseren Gebeinen wird ein Rächer er. ftchen!

Hypotheken auf die Wiener   Gemeindehäuser

Arbeiterwaffen gesichert!

Eine Glanzleistung der Ottakringer  : Waffen aus dem Arbeiterheim entführt

stellten zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr, die sich vergeblich um eine Eristenz bemühen, ein festes Einkommen sichert. Aber auch über die unmittelbare Strifennot hinaus hat diese Reform große Bedeutung. Wird es doch den älteren An­gestellten immer schwerer, eine Beschäftigung zu finden, so daß die Möglichkeit, einige Jahre früher in den Rentenbezug zu treten, jedem An­gestellten die Sorge um sein Alter wesentlich erleichtert. Freilich mußte dieser sehr begrüßens werte Fortschritt mit der Beseitigung der unbe Breitnersteuern abgebaut, Die Ottakringer Arbeiterschaft muß seit den täuschung unter dem Bürgerium war allerdings dingten Altersrente erfauft werden: es soll nach Feber Kämpfen zuschauen, wie ihre stolze Schöp sehr groß. der Novelle in Hinkunft nicht mehr möglich sein, Mietzinse erhöht fung, das Arbeiterheim, von der Heimwehr als Nach Brud waren die Italiener mit unzäh- nach Vollendung des 65. Lebensjahres die Rente Wien   18. Mai: Im Rahmen der Wiener   Kaserne benützt wird. In den letzten Monaten ligen Reparaturen an den Motorrädern gefom- neben einem Dienſteinkommen zu beziehen. Aber haben die Dollfußleute in dem großen Gebäude men. Die Nägel, die überall auf den Straßen abgesehen davon, daß der Rentenbezug neben Steuerreform, über die in der gestrigen zweiten immer wieder versucht, die dort versteckten Waf- lagen, hatten ihr Wert vollbracht. Von Bruck dem Dienſteinkommen dem Prinzip der Ver­Sigung der Wiener   Bürgerschaft bereits verhan- fen des Schußbundes zu finden. In den Keller fuhren jie, entgegen den österreichischen Fahrt sicherung nicht entspricht, hat die unbedingte delt wurde, wird die Progression der Wohnbau- räumen wurde gegraben, in den Zimmern und vorschriften, auf der rechten statt auf der linken Altersrente den Arbeitgebern ermöglicht, die Steuer stark gemildert. Sie wird in eine mit Auf im Dachgeschoß wurden die Fußböden aufgeris- Straßenseite. Aber auch das hat ihnen nichts ge­wandstener bezeichnete Steuer umgewandelt werfen, aber alles ohne Erfolg. nüßt. So hat weder italienischen, noch österrei- Bezüge ihrer alten Angestellten zu drücken und den. Die Fürsorgeabgabe wird durch Pauschalie- In diesen Tagen erschien vor dem Arbeiter- chischen Fascisten die Propagandafahrt geholfen. so auf Kosten der nachwachsenden Generation 31 rung herabgesetzt. Die Nahrungs- und Genußmit heim ein Lastauto mit Arbeitern. Der Führer der In Bruck verabschiedeten sie sich wenig herzlich beschäftigen. Die Beseitigung der unbedingten telabgabe, die Hausgehilfinnenabgabe und die Gruppe wies sich dem Heimwehrkommandanten voneinander. Pferdeabgabe werden vorläufig aufgegeben. Diese mit einem Befehl des obersten Heimwehrkomman Steuerermäßigungen werden einen Entgang der bos aus, wonach eine neue Waffenfuche durchge Einnahmen in der Höhe von neun Millionen führt werden sollte. In furzer Zeit hatten fie an Schilling verursachen. einer bestimmten Stelle 200 Gewehre gefunden, die mit dem Lastanto weggeführt wurden.

Im Finanzplan der Stadt Wien   ist auch eine Anleihe vorgesehen. Als Pfand dieser Anleihe die nen einzelne große Wohnhausbauten der Ge­meinde Wien  . Um das Kapital zur Verzinsung der Anleihe herbeizuschaffen, werden die Zinse in den Gemeindehäusern erhöht. Vor allem denkt man daran, die starken Unterschiede im Zins der Ge­meindewohnungen auszugleichen".

Zu spät merkte die Heimwehr  , daß sie ge­täuscht worden war. Die angeblichen Heimwehrler waren Sozialdemokraten, die sich ihre Gewehre aus dem Arbeiterheim geholt hatten. Kolonie Oesterreich

Im Murtal pickte ein Italiener gerade sein Rad und sagte zu einem Steirer: Ich nicht ver­stehen, hier alles Nazi, bei uns Italia alles Doll­fuß!"

Ein Todesopfer

der Petarde im Café ,, Bittoria".

verletzt wurde.

Altersrente dient also der Entlastung des Ar. beitsmarktes.

Es wird von vielen Angestellten als Härte empfunden werden, daß sie in Hinkunft nicht mehr die Möglichkeit haben sollen, im Falle des Austrittes aus der Beschäftigung ihre Ansprüche an die Pensionsversicherung durch Zahlung der Wien  , 18. Mai. Heute starb im Stranten Anerkennungsgebühr zu wahren. Aber diese haus die 26järgige Frau des Bantbeamten Johann Maßnahme wird aufgewogen durch die Ver. Faltiček, welche fürzlich bei der Explosion einer längerung der Schuß frist, die Petarde im Gartencafé Vittoria", Schottentor, nun ein Viertel der Beitragszeit betragen soll, also bei längerer Dauer des Versicherungsver. Nach der politischen Reaktion sezi nunmehr Liquidierung des Landbundes bältnisjes viele Jahre dauern fann, und die im Falle der Arbeitslosigkeit ohne Rücksicht auf die auch auf finanz- und sozialpolitischem Gebiet in Wien   die schwärzeste Reaktion ein. Die verhaßten Die Brucker Bürger erwarteten freudig Wien  , 18. Mai. Die Reichsparteileitung des Versicherungsdauer mit fünf Jahren festgesetzt Breitnerſteuern, die die Mittel für die großartigen erregt die fascistischen Brüder aus Italien  . Unter Landbundes hielt heute eine aus allen Bundes- wird. Ueberdies wird die freiwillige Fortsetzung sozialpolitischen Leistungen des Roten Wien be- den ausgehängten Fahnen prangten auch atvei ländern befchickte Sibung ab, in der u. a. der Be- der Versicherung wesentlich erleichtert. Die Ben schafften, werden schleunigst abgebaut, und in den schwarz- rot- goldene. Kaum hatten die Italiener schluß des Abgeordnetenverbandes vom 29. April, fionsnovelle fann also in ihrer Gesamtheit zwei. Wiener   Lurustofalen wird man wieder Schampus sie gesehen, als sie auch schon ihre Entfernung die Klubtätigkeit für beendet zu erklären, zur trinken und Austern essen können, ohne dafür befahlen. Mitten im fremden Land ordneten sie Stenntnis genommen wurde. Weiter erklärt die fellos als wertvolle Verbesserung einen Tribut in der Form der Nahrungsmittel- an, als ob sie in der italienischen Kolonie Tripo- Reichsparteileitung ihre Tätigkeit für beendet und charakterisiert werden. und Genußabgabe entrichten zu müssen, der einst lis wären. Und die Oesterreicher   gehorchten. Em ermächtigt den Parteivorstand, die Liquidie­Kinderheimen und Krankenhäusern zugute fam. pört, aber ohne Widerrede zu leisten. Die Ent- rung einzuleiten.

Auch der Herr Rothschild wird sich wieder Haus­personal und Luruspferde nach Belieben halten können, ohne dafür extra besteuert zu werden.

Dafür dürfen die proletarischen Mieter in den Wiener   Gemeindebauten einen entsprechend erhöhten Zins bezahlen...

Die Rückfehr zu der. berüchtigten Anleihe­wirtschaft aus den Lueger Zeiten entspricht ja völlig den Grundsäten christlicher Finanzpolitit, aber daß gerade die von den Sozialdemokraten geschaffenen Gemeindebauten als Pfand herhalten en Herren scheinen follen, ist zu grotest. Die neuen nicht zu begreifen, wie sehr sie damit sich und ihre Finangtunst bloßstellen!

Jetzt werden einige neue Einzelheiten über die Reise der italienischen Motorradfahrer nach Wien   befannt. Aus Bruc erfahren wir:

Dynamitexplosion im Salzburger Festspielhaus

Großer Sachschaden

Mehrere Verletzte el

Wien, 18. Mai. Im Vorsaal des Salzburger  . Festspielhanses egpladierte heute um 18 Uhr eine Dynamit- Bombe, die an dem dort befindlichen Springbrannen verborgen war. Mehrere Marmorsänlen, kostbare Masaitfenster und alle Fenster des Gebäudes wie

auch der gegenüberliegenden Gebäude gingen in Trümmer.

Zur Zeit der Explosion waren mehrere Personen in der Kanzlei beschäftigt, die alle mehr oder weniger erhebliche Verlekungen erlitten. Der entstandene Sach schaden ist außerordentlich groй.

Gleichzeitig hat aber das Parlament eine andere wichtige Reform des Angestelltenrechtes in Angriff genommen. Der Verfassungsausschu des Abgeordnetenhauses hat ein besonderes Sub­fomitee eingesetzt, das den Entwurf eines neuen Angestelltengesetes, der von einer Fachkommission ausgearbeitet wurde, für die parlamentarische Verhandlung reif machen soll. Es handelt sich um ein Kompromis zwischen den Organisationen der Dienstgeber und der Angestellten, also keineswegs um eine Revo. lution auf dem Gebiete des Angestelltenrechtes, aber doch um eine begrüßenswerte Reform. Der Entwurf der Fachkommission übernimmt im Wesen die Konstruktion des gel.