Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XH., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFONI 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

14. Jahrgang

Vier Sozialdemokraten

vom Grazer Schwurgericht freigesprochen

Graz, 23. Juni. Das hiesige Schwurgericht

Sonntag, 24. Juni 1934

Einzelpreis 70 Wolfer

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 146

60.000 Wiener   Mieter Diklaturen perärfen

in den Gemeindehäusern

hat nach sechstägiger Verhandlung die ehemaligen Rote Fahnen und Pendreks sozialdemokratischen Parteimitglieder und Beam­ten der steiermärkischen Landesregierung chitsch, Leichin, Pongrazzitsch und Nappitsch, die des Verbrechens des Hochverrates angeklagt waren, freigesprochen. Acht weitere Mitangeklagte wurden wegen des Verbrechens des Aufruhrs zu schwerem Kerker in der Dauer von zwei bis acht Monaten verurteilt.

Wiener   Polizeioffizier

durch explodierende Bombe schwer verletzt.

Wien  , 23. Juni. Heute nachts wurde im VI. Bezirk eine Bombe gefunden, die nicht ex­plodierte. Sie wurde der Polizei übergeben und auf das Polizeikommissariat des Bezirkes ge= bracht. Als sich heute früh der Polizeihaupt­mann Nosto der Bombe näherte, explodierte diese plötzlich ohne daß sie der Polizeihaupt­mann berührt hatte. Dem Polizeioffizier wurde durch die Explosion die linke Hand abgeriffen. Außerdem erlitt Nosto schwere innere Verlekun­gen.

Weiter wird mitgeteilt, daß gestern nachts vor einem Hause auf dem Bauernmarkt eine und in der Durchfahrt eines Houses in der Kurrent. gaffe 10 Petarden explodiert sind. Bei der zweiten Explosion wurde der gerade vorbeige­hende Bankbeamte Heinrich Nagler verletzt. In beiden Fällen wurde großer Material­schaden angerichtet.

Vor dem Haufe des Bürgermeisters von Ernstbrunn   in Niederösterreich   explodierte heute nachts eine Bombe. In Tweng   in Kärnten  wurde gegen die dortige Pfarre eine Betarde ge­worfen, die Materialschaden anrichtete.

Dum- dum- Geschosse!

im Zinsstreik

Wien  , 23. Juni.  ( Eigenbericht.) Die Erregung über die gewaltige Erhöhung der Wohnzinse in den Gemeindehäusern, die die neuen Herren von Wien   angeordnet haben, steigt in der Wiener   Bevölkerung von Tag zu Tag. Mittwoch und Donnerstag wurden fast in allen Gemeindebauten große Protestversammlungen der Mieter unter freiem Himmel abgehalten, bei welchen große rote Fahnen und Standarten mit der Aufschrift Nieder mit Schmit! Hoch unser Bürgermeister Seit!" entfaltet wur den. In allen Versammlungen wurde mit stürmischem Beifall die Zinsstreifparole des ille­galen sozialdemokratischen Komitees angenommen, welche die Mieter auffordert, am 1. Juli jede Zinszahlung einzustellen. Auch die Kommunisten haben sich dieser Parole angeschlossen.

Die Polizei hatte alle verfügbaren Ueberfallautos aufgeboten und schickte sie von Ge­meindehaus zu Gemeindehaus, um die Bersammlungen auseinandertreiben zu lassen. Im Marr Hof ging die Polizei mit besonderer Brutalität vor und schlug auf die dort versammel­ten Frauen so blindwütig mit dem Gummitnüttel ein, daß zwei Genofsinnen ernste Verwundungen davontrugen. Daraufhin ging die empörte Menge noch erbitterter gegen die Polizei los und es kam zu einem Handgemenge, in welchem ein Polizist durch einen Messerst i ch, ein anderer durch Schläge mit Holzlatten verlegt wurde.

Im Laufe der Nacht wurden in allen Gemeindebauten große rote plakate ange­bracht, in welchen die Zinsstreit parole verkündet wird.

Am Vormittag des Donnerstag trat eine eilige Beratung der Wiener Stadtver waltung zusammen, die sich mit den Maßnahmen gegen diesen Zinsstreit befaßte. Da in den 60.000 Gemeindewohnungen mehr als fünfzehn Prozent der Wiener   Bevölkerung leben, bedeutet diese Parole eine unabfehbare Gefahr für die Gemeinde. Vizebürgermeister Winter schlug vor, mit den Mietern in Verhandlungen zu treten. Dies wurde abgelehnt; es wurde ihm aber freigestellt, inoffiziell mit den Mietern Fühlung zu nehmen.

Daraufhin begab sich Winter Donnerstag abends in eine Waffenversammlung der Mieter im Mary Hof und erklärte dort, er wolle über die Mietzinsfrage mit den Mic­tern diskutieren, es dürfe jeder seine Meinung äußern, er habe der Polizei Weisung gegeben, nicht einzuschreiten.

Nun kam es zu unbeschreiblichen Szenen. Der Einberufer der Versammlung, der sozialdemokratische Vertrauensmann Ruf chita hielt über eine Stunde lang eine er­bitterte Anklagerede gegen das System und wies darauf hin, daß die neuen Herren den Mietzins für die Aermsten um 70 bis 100 Prozent gesteigert haben, während die Zinse der Großwohnungen der Reichen um 20 bis 50 Schilling monatlich herabgesetzt wurden. Er schloß mit den Worten: Im Namen Ihres Gottes fordere ich Sie auf: Geben Sie uns unseren Bürgermeister Seit wieder, auf daß er uns erlöse von diesem Uebel. Amen!"

Unbeschreiblicher Jubel und minutenlange Hoch Seitz!"- Nufe folgten feiner Rede. Die Rede Winters, der die Arbeiter zu beruhigen versuchte und ihnen versicherte, er werde sich da­für einsehen, daß man mit ihnen über ihre Lebensfragen verhandle, wurde immer wieder mit Zwischenrufen Rattenfänger!", Mörberregierung" unterbrochen.

In einem in Wien   aufgefundenen national- er sozialistischen Waffen- und Sprengstofflager, das sich in einer Tischlerei in Ottakring   befand, wur­den u. a. auch Dumdum- Geschoße gefunden. Unter den Badungsumhüllungen befand sich als Absender eine reichsdeutsche Firma und als Empfänger eine Wiener   Buchhandlung.

Zu fünf Monaten Kerker braucht man ein Standgericht!

Das Wiener   Standgericht verurteilte heute den Nationalsozialisten Franz Holzinger und sechs seiner Komplizen, die in der Umgebung von Gaming 40 Telephon- und Telegraphenleitungen zerschnitten hatten, zu je fünf Monaten schweren Sterfers.

, Rückfall

in wilde Barbaret" Salzburger Erzbischof gegen die Nazi

Dies alles ging unter den Augen der Polizei, die den ganzen Bersamm­lungsplatz umstellt hatte, vor sich. Schließlich steigerte sich der Tumult so sehr, daß Winter feine Rede unvollendet abbrechen mußte.

Die Wiener Bürgerschaft" wurde für Dienstag einberufen, um zu der durch den Zins­streit entstandenen gefahrvollen Lage für die Gemeinde Stellung zu nehmen.

Nur eine Resolution Arbeitszeitproblem auf 1935

vertagt

Unter den in den Verwaltungsrat gewählten acht Staaten befindet sich auch die Tschechoslowalei, die 53 von 62 Stimmen erhielt. Dadurch ist der direkte Einfluß der Tschechoslowakei   auf die Lösung der wichtigsten Fragen im Internationalen Arbeits­amt für drei Jahre gesichert. Für die tschechoslowa tischen Arbeitgeber wurde Dr. Vaněk, für die Arbei­tergruppe Němeček in den Verwaltungsrat gewählt.

Gegen Terror und Krieg

Wirtschaftskrise

Sowohl den besitzenden Klassen als auch- was für die Gegenwart von besonderer Bedeu­tung ist den Mittelschichten erschien lange Zeit eine politische Diktatur als der Ausweg aus der ökonomischen Krise unserer Zeit. Die parlamen tarische Demokratie mit ihren Kompromissen und Koalitionen, der parlamentarische Kuhhandel" galt diesen Schichten als unfähig, den Weg aus den ökonomischen Wirrnissen des Kapitalismus, der auch die Mittelklassen verelendete, zu weisen.. Der fascistische Diktator, die Führerpersönlich. teit war ihnen der Messias, der ihre Welt er. lösen sollte.

Wie der Glaube an den fascistischen Füh. rer, der Krise und Arbeitslosigkeit beseitigen und ein neues goldenes Zeitalter für den kleinen Mann herbeiführen sollte, sich immer mehr als Illusion und Täuschung erweist, lehrt die Tat. sache, daß gerade in den fascistischen Sauptländern die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Tag zu Tag steigen, während in einer Reihe demokratischer Länder deutliche Anzeichen einer Konjunktur. belebung auftreten.

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In den letzten Wochen steigen immer düstere Wolfen am Wirtschaftshimmel Italiens  auf. Das Land lebt seit Jahren über seine Ver. hältnisse. Seit 1914 ist mit Ausnahme der Jahre 1921-25 und 1929.30- sein Budget passiv, der Söldnerapparat des Fascismus ver. schlingt jährlich Hunderte von Millionen Lire. Im Jänner dieses Jahres wurde eine neue An­leihe ausgeschrieben, im Feber wurde eine Kon­version( Zinsfußherabsetzung) früherer Anlei hen durchgeführt und die Staatsgläubiger mur. den gezwungen, das niedriger verzinsliche Pavier anzunehmen. Wer nicht konvertieren wollte, mußte drei Gesuche überreichen und zwar der politischen Behörde, dem Finanzamt und der fascistischen Partei. Der Volfswizz erzählte dazu, daß man noch ein viertes Gesuch überreichen mußte, nämlich dem Gefängnisdirektor, dami dieser wisse, wer in den Kerker hineinkommt. Nur noch mit Terror und Gewalt kann sich der italienische Fascismus bei seinen Staatsbürgern Stredit verschaffen.

Um sich die notwendigsten Einnahmen zu sichern, hat Mussolini   zum bewährten Mittel aller Volksfeinde gegriffen, er hat die indirekten Steuern erhöht, so daß heute in Italien   ein Kilogramm Zuder 6 Zire 30( 13), cin Kilo. gramm Salz 4 2ire( 8) kostet. Bei derari hohen Preisen werden die Löhne noch immer ab. gebaut, erst am 26. Mai hat der Duce in einer Rede gesagt, der Arbeiter muß sich... mit einem niedereren Lohn begnügen", damit die Preise gesenkt werden und die Ausfuhr belebt werden kann. Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Wirtschaft bei dauernder Verelendung der Ar. beiterklasse ein anderes Rezept weiß Mussolini   nicht.

Genf  , 23. Juni. Der Arbeitskonferenz wur­den heute drei Resolutionsentwürfe über die Er­ledigung der Frage der Verkürzung der Arbeits­zeit vorgelegt. 26 Regierungsdelegationen, dar­unter auch die tschechoslowakische, beantragten, in die Resolution außer der Versicherung, daß die Die Stimme der Schriftsteller- Internationale Kürzung der Arbeitszeit weiterhin eine der Wien  , 23. Juni. Der Erzbischof von Salz- Hauptaufgaben der Internationalen Arbeitsorga- Der Edinburgher   Benclub- Stongreß hat mit burg Dr. Rieder, gegen dessen Residenz be- nisation bilden wird, auch die Entschließung auf- allen Stimmen gegen eine die von Ernst Toller  fanntlich vor kurzem ein Bombenanschlag berübt zunehmen, daß diese Frage auf die Tagesordnung eingebrachte Resolution angenommen, die sich ge- Auf dieselbe Art hat die Hitlerregierung in worden war, hat einen Hirtenbrief verfaßt, der der nächst en, im Jahre 1935 stattfindenden gen die Einkerkerung der freiheitlichen und fort- Deutschland   die Wirtschaft anzufurbeln ge­morgen in allen Kirchen der Salzburger Erzdiö- Arbeitskonferenz gesetzt werden wird. In dem schrittlichen Schriftsteller in Deutschland   wendet ſucht. Die deutsche Industrie hat sich die Möglich. Entwurf zweiten des englischen   Regie- und als Protestkundgebung der deutschen Reichs- feit neue Arbeiter aufzunehmen dadurch geschaf­zese verlesen werden wird. In der Einleitung betont der Kirchenfürst, rungsdelegierten Leggett fehlte die Verweisung regierung überfandt werden wird. Dem Kongres liegt außerdem ein Antrag fen, daß sie den alten Arbeitern die Löhne tüch­daß er von seinem Krankenzimmer aus im Namen auf die nächste Konferenz. Emil Ludwigs vor, der Benclub möge als Orga tig herabgesetzt hat, so daß in vielen Fabriken ber Menschlichkeit zum Frieden mahnen müsse. nisation der geistig Schaffenden aller Nationen zwar die Anzahl der Arbeiter etwas größer ist Gs jei völlig un faß bare Unnatur, daß gegen 37 Stimmen die Reſolution der 26 Regie- ſeine Stimme gegen den drohenden Krieg erhe als ein Jahr vorher, aber die gesamte Lohn. Menschen des 20. Jahrhunderts mit ausgesuchten rungsdelegierten angenommen. Die tschechoslowa ben. Die Führer des Klubs sollen sich, wenn der summe fleiner. So wird die Kauffraft im In­und Arbeiter- Delegation Ausbruch eines Krieges in greifbare Nähe rückt, land noch geschwächt. Dazu wird ein Abbau der ben Rüdfall au wilber Barbarei stimmten für: Dr. Ban è l namens der Arbeit versammeln und in einem Manifeſt alle an den Sozialpolitik durchgeführt, der Deutschland  , das Striegsvorbereitungen beteiligten Staaten vor ein einst in den Einrichtungen des Arbeiterschutzes daran sind, schrecklichen Schaden zu stiften, eine geber gegen die Resolution. In seinem Schlußwort erklärte der Konfe- Schiedsgericht fordern. Wenn der Völkerbund   vers an der Spize der industriellen Nationen mar­ganze Generation, besonders die Jugend, der Ver­rohung in die Hände zu treiben, mit den Spreng renzvorsitzende Goddart, die öffentliche Meinung sagen sollte, dann müsse der Penclub die geistigen schierte, heute zu den sozialpolitisch rückständigen mitteln des Mißtrauens und des passes die Volts, erkläre ,,, daß die Konferenz nicht die Hoffnun- Führer der Welt zusammenberufen, damit sie dar­gemeinschaft aufzulösen und die Geister der Zwie- gen derer erfüllt habe, die mit der Annahme des fracht loszulassen auf das Land und viele Gemein- Abkommens über die Kürzung der Arbeitszeit ge­rechnet haben." den, ja selbst auf die Familie.

Nach einer langen Aussprache wurde mit 63

über entscheiden, wer der Angreifer ist, zu dessen Nationen Europas   zählt. In der Kranken- und Bekämpfung sie im Namen des Friedens und der Arbeitslosenunterstützung, in der Wohlfahrts­Gerechtigkeit alle Völker aufrufen sollen. pflege der Gemeinden ist ein radikaler Abbau

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