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14. Jahrgang

Kabinettsumbildung in Oesterreich  :

Donnerstag, 12. Juli 1934

Dollfuẞ   spielt den starken Mann

Sicherheitsdienst und Verteidigung in seiner Hand Offensive gegen die Nazi angekündigt I aber der Nazifreund Tauschitz Staatssekretär für Aeußeres

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Wien  , 11. Juli. Zur Ueberraschung auch der politisch sonst gut unterrichteten Kreise wurde heute eine Regierungsumbildung vorgenommen, in deren Gefolge außer den Minister Dr. Ender und Schmit, die für andere Posten in Anssicht genommen sind, auch der monarchistische Heeresminister Generaloberst a. D. Fürst Schönburg- Harten­ stein   ausscheidet. Das Ressort der Landesverteidigung geht ebenso wie das Sicherheitsressort auf Dollfuß   über, der nach der übereinstimmenden Meinung der Bresse jest zu einem Generalangriff gegen die Hakenkreuzler ausholen will.

Formell hatte gestern das gesamte Kabinett die Demission gegeben. Miklas   nahm jedoch nur den Rücktritt einzelner Minister an. Das nenc Kabinett wird folgende Zusam­menschung haben:

Bundeskanzler Dr. Dollfuß, Bundeskanzleramt( auswärtige Angelegenheiten und Sicher­heitswesen), ferner Land- und Forstwirtschaft und Landesverteidigung);

Bizekanzler Starhemberg;

Bundesminister Fey;

Unterrichtsminister Schuschnigg  ;

Sozialminister Neustädter- Stürmer  ;

Finanzminister Buresch;

Handelsminister Stockinger;

Justizminister Egon Berger- Waldeneggs

Staatssekretär für Sicherheitswesen Karwinsty;

Staatssekretär für Aeußeres Ingenieur Stefan Tauschig,

und bevollmächtigter Minister in Berlin  .

Bundeskanzler Dr. Dollfuß   hat diese Refonstruktion des Ministeriums vorgenommen, um auf diese Weise die konzentrierte Staatsgewalt in die Hand zu bekommen. Der Bundespräsi= dent hat diese Liste bereits genehmigt. Die Ernennung des Bundesministers für die Ange­legenheiten der inneren Berwaltung sowie der beiden Staatssekretäre für Landesverteidigung

bunde 3, jenes Landbundes, dessen Obmann Ing. Wintler wenige Wochen vor den Feber tagen Herrn Starhemberg in öffentlicher Rede als aus buben bezeichnet hat. Die Tatsache allein, daß dieser Mann nun in ein Sta­binett eintritt, dessen Vizekanzler Starhemberg   ist. gibt ein Bild von der Gefestigtheit der neuen Re­gierung.

Nr. 160

Was wird in Defterreich? Don einem öfterreichischen Genollen

In den letzten Monaten verging fast kein Tag ohne Nachricht von Attentaten in Desterreich). feine Sitzung des Ministerrates ging vorüber, in der nicht neue Verordnungen zur Bekämpfung des Terrors" beschlossen wurden. Allen, die im Besitz von Waffen oder Sprengmaterial betroffen werden, droht der Galgen. Unglaublich hohe Be­lohnungen werden für Denunziationen ausge jetzt, die Gemeinden aufgefordert und durch eine Verordnung ermächtigt, überall aus Gemeinde­mitgliedern Schutzkorps aufzustellen, die das Recht des Waffengebrauches haben, also das Recht, einen ihnen Verdächtigen, der nicht sofort auf einen bloßen Anruf reagiert, abzuknallen. Langsam aber mit unheimlicher Sicherheit geht Desterreich einem von der Regierung selbst orga. nisierten latenten Bürgerkrieg Aller gegen Alle entgegen.

Die gestern vollzogene Kabinettsumbildung bedeutet freilich erst ein vorsichtiges Tasten in der Richtung einer Versöhnung mit den Nazi. Ihnen zuliebe wurde vorerst der nationale Landbundfüh­rer, der sich übrigens sehr guter Beziehungen zum Reichskanzlerpalais erfreut, aufgenommen. Man Daneben hält der Bundeskanzler Doll. spricht allerdings auch schon von einer Beseßung fuß und seine Regierungsmitglieder Reden von des Berliner   Gesandtenpostens mit dem bisheris einer Versöhnung und dem Reichen der Bruder. gen österreichischen Gesandten in Rom  , Herrn hand", immer wieder betonend, daß dieses Ent. Rintelen, jenes räntevollen ehemaligen gegenkommen" beileibe nicht als Schwäche der Landeshauptmannes von Steiermark  , der der Regierung ausgelegt werden dürfe. Die Herren Deffentlichkeit unseres Landes vor allem durch wundern sich auch darüber, daß Arbeiter und An­feine Affäre mit der Fälschung tschechischer Bank- gestellte diese Bruderhand  " nicht ergreifen wol noten befannt ist. Sollte sich diese Vorhersage er­

füllen, dann würde sie einen offenen Versuch des len, die in den Febertagen die Kanonen diri. Anschluffes an das Naziregime bedeuten, da Ringierte, die in den Straßen Wiens auf kurze Ent. telen der Mann ist, der seit jeher unverblümt für fernung, ohne Möglichkeit Frauen und Kinder die Zusammenarbeit mit den in Sicherheit zu bringen, Tot   und Verderben in Nazi und die Aufnahme von Hakenkreuzfunk- die Wohnhäuser speite, Arbeiter, die kein anderes tionären in die Regierung eingetreten ist. Die Be- Verbrechen begangen haben, als die damals be. trauung Rintelens mit dem Berliner   Gesandten stehende Verfassung zu verteidigen, brutal dem posten wäre ein nicht mißzuverstehendes Signal, Senter übergab. Dieselbe Bruderhand  " hat alle daß der Anschlußsei es der offene oder von Arbeitern und Angestellten begründeten Dr der getarnte unmittelbar vor der Türe steht. ganisationen aufgelöst, Vermögen, die aus der Aus dem Kabinett Dr. Dollfuß sind daher Familienrüdfichfen" wird der Nüdtritt des Ge- Die Aufnahme des Herrn Eg on Ber  folgende Mitglieder ausgeschieden: Dr. Ender, neralobersten Schönburg- Hartenstein   begründet. geraldegg in die Regierung bedeutet Beitragsleistung resultierten, konfisziert, ihre Schmitz, Generaloberst a. D. Schönburg- Harten- Sämtliche Mittags- und Abendblätter weisen in eine Verstärkung des Heimwehr  - wirtschaftlichen Kampfesorganisationen, und stein, Dr. Sterber und Staatssekretär Dr. Glaß. großer Aufmachung auf die besondere Bedeutung flügels, da, Berger- Waldegg, ehemaliger alles, was sich die Arbeiterschaft in jahrzehnte. Bei dem Rücktritt des Landesverteidigungsmini- der Konzentration der gesamten Exekutive in der Berufsoffizier, einer der prominenten Männer der langem Ringen erfämpfte, vernichtet. sters Fürsten Schönburg- Hartenstein sollen, so Hand des Bundeskanzlers hin und betonen, daß steirischen Heimwehren ist, und als solcher auch Es gehört mehr als bloße Naivität dazu, heißt es, die bekannten Ereignisse in Gra 3, wo nun der Endtampf gegen den nach den Febertagen zum Landeshauptmannstell- der Arbeiterschaft zuzumuten, die Rolle der größ­es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen An- Terror" beginne, der in kürzester Zeit diesem vertreter in der Steiermark   ernannt wurde. ten Kälber zu spielen, die sich ihren Metzger ſel. Andererseits könnte aber auch diese Ernennung ber wählen. gehörigen des Bundesheeres und der Heimwehr Sput  " ein Ende bereiten werde. gefommen ist, eine bedeutungsvolle Rolle spielen. Neben dem Bundeskanzler soll die Aktion als Versöhnungswint nach dem Nazilager hin ge- Wohl, in keinem Lande Europas   wurde in Neu sind der bisherige Landeshauptmann- gegen die Nationalsozialisten der ehemalige Bize- deutet werden, da Waldegg   der national­den Arbeiter- und Angestelltenorganisationen an fanzler und Sicherheitsminister Fey in seiner sten Richtung der Heimw chr Stellvertreter von Steiermark   Egon Berger= Walden egg- als Justizminister, Staatssetretär neuen Funktion als Generalstabskommiffär für angehört und seinerzeit hervorragend an dem fultureller und geistiger Aufbauarbeit mehr ge. Narwinsky als Stellvertretung des Bundes- außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen führen. Pfrie merputsch jenes..Steirischen Hei- leistet als in Oesterreich  . Es ist durchaus nicht fanzlers im Gesamtressort des Sicherheitswesens Diese neue Funktion Feys wird mit weitgehen- matschußbes" beteiligt war, der im vorigen Jahr übertrieben zu sagen, daß der Bildungsstand der und der bisherige österreichische Gesandte in Ber  - den Bollmachten in seinem Reffort verbunden fein. offen und korporativ zu den Nazi übergangen ist. österreichischen Arbeiterschaft auf allen Gebieten. Der Rücktritt des bisherigen Staatssekretärs auch der Wirtschaftslehre, weitaus über das fin Ing. Stefan Tauschib, ein ehemaliger Besitz von Sprengstoff für abesverteidigung Fürst Schönburg Durchschnittsmaß des Mittelstandes hinausgeht. Sartenstein ist auf die Zusammenstöße Für Dollfus, den Bauernsohn, Fey, den zwischen Bundesheer und Heimwehr, die sich vor furzem in Graz ereignet haben, zurückzuführen, Nurmilitär und Starhemberg, der nur seine vielleicht auch darauf, daß das neue Kabinett landwirtschaftlichen Arbeitssflaven kannte, scheint Dollfuß  , das mit dem Anschluß zu kokettieren be- dieser kulturelle und geistige Aufstieg der Arbei­ginnt, sich nicht mehr mit dem starren schwarz- terschaft unbekannt geblieben zu sein. Für sie blieb nach wie vor der Arbeitsmensch die Krea. gelben Habsburgermonarchisten belasten will. Alles in allem: das getreuliche Bild einer tur, die nach Diktat schweigt und fuscht, die sich ,, autoritären" Regierung, die wie Herr Doll- niemals zum selbständigen Denken und Handeln fuß erst vorige Woche verkündete mit starker aufschwingen kann. Jene Bürgerlichen, die die and und ohne zu schwanfen, den vorgezeichneten innere Festigkeit und Willensstärke der österrei.

Landbündler, als Staatssekretär für Auswärtiges.

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Todesstrafe

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Wie die offizielle Politische   Korrefpondens ron maßgebender Seite erfährt, soll die politische Es wird ohne Berzug eine Reihe von Man­Tendenz der Rekonstruktion vor allem in der Tat- nahmen beantragt und durchgeführt, die im beson­fache zu suchen sein, daß damit die für die In- deren eine Erweiterung der die Sprengstoffatten­nen- und Außenpolitik der Bundesregierung be- tate bekämpfenden Gefeße und Vorschriften be­sonders wichtigen Refforts beim Bundeskanzler inhalten. So wird insbesondere bereits auf den Dr. Dollfuß konzentriert und durch ihn persönlich Befik von Sprengstoff die geführt werden, um so die Ichten Neste(??) Todesstrafe geſcht werden, falls nicht taatsfeindlicher Bewegungen in Desterreich end- innerhalb einer furz bemeſſenen Friſt, innerhalb deren dem unbefugten Besitzer Straflosigkeit zu= Daneben bedeutet die Rekonstruktion eine gesichert wird, die restlose Ablieferung der noch Stärkung der Heimwehrpofition vorhandenen Sprengstoffvorräte erfolgt. in der Regierung, denn der neue Justiz­minister Berger Waldenegg   ist ein bekannter Auf den Tag genau fünf Monate nach ihrer ungewöhnlich energischer Führer der fteirischen Geburt im Kanonendonner muß sich die autori  - Reaktion in Oesterreich   gramm werben, er hatte immerhin vor seiner

gültig(??) zu beseitigen.

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Heimwehr und intimer Mitarbeiter Starhem- täre" Regierung bereits zur Auffrischung ihrer bergs. Ob Tauischi in seiner neuen Funktion ramponierten Autorität umgruppieren. So sehr imstande sein wird, seine bisherigen Versöhist das Ansehen dieser Regierung der Ruhe und nungsversuche zwischen Wien   und Berlin   Ordnung", die es nicht verhindern konnte, daß an fortzufchen, hängt nicht so sehr von ihm ab wie allen Eden und Enden des Landes täglich die von der weiteren Entwidlung der Angelegenhei- Bomben und Böller trachen, in die Brüche gegan ten in Deutschland  . gen, daß Dollfuß   jetzt versucht, es durch eine Um­Die Demiffion der Bundesminister Dr. En bildung seines Kabinetts wieder herzustellen. Es ber und Schmit ergibt sich aus der neuen Bun- besteht tein Zweifel, daß es der Sinn dieser Regie Desverfassung, die insbesondere die Imkompatibi- rungsumbildung ist, jene Bevölkerungsschichten, lität der Funktionäre eines Landeshauptmannes die in amtlichen Aussendungen ,, nationale Kreise" und eines aktiven Bundesministers feſtſeht. Die genannt werden und in Wirklichkeit nichts anderes Berufung des bisherigen österreichischen   Ge- find als die österreichischen Nazi, zu lödern. Die fandten in Berlin  , Stephan Taufchik, zum sem Ziel dient vor allem die Aufnahme des bis­Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten herigen österreichischen Gesandten in Berlin  , Ing. foll teinerlei Aenderung in der Zielsetzung des Tausch is in das Kabinett Dollfuß  . Tauschiß österreichischen Außenpolitit bedeuten. Mit ist einer der Führer des österreichischen   and

Weg geht".

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aber auch anders kann.

Sozialpolitische

chischen Arbeiterschaft kannten, schwiegen feige oder konnten sich gegenüber den robusteren Ge­waltmenschen nicht durchsetzen.

Hitler   mußte in Deutschland   für sein Pro.

Wien  , 11. Juli. Seit den Feber- Ereig- Machtergreifung die Mehrheit des deutschen   Vol­nissen wurden von seiten der Unternehmer in tes hinter sich. Doll fuß mit seinem Anhang Wien   rund 100 Stollektivverträge gekündigt, in war aber der Meinung, daß die Gewalt allein denen Erleichterungen für die Unternehmer ange- genüge, sich auch gegen die übergroße Mehrheit strebt wurden. In den Bundesländern sind Stün- des österreichischen Volkes durchzusetzen. Und ge­digungen nur vereinzelt zu verzeichnen gewesen. rade diese falsche Spefulation, daß die Gewalt In den vorerst, und zwar bis 1. Juli, von den alles ist, die Ueberzeugung und Denkart der Arbeiterkammern als Treuhändern und dann Menschen auch im zwanzigsten Jahrhundert nicht später vom Gewerkschaftsbund geführten Ver­handlungen tonnten in dem Großteil der Källe in Frage komunt, hat ihn veranlaßt, frühere An­gebote einer friedlichen Lösung auszuschlagen, der status quo aufrecht erhalten werden. In an den gewaltsamen Kampf gegen zwei Fronten, den deren Fällen erfolgten Stürzungen der Lohnhöhe den gewaltsamen Stampf gegen zwei Fronten, den von zwei bis zehn Prozent, so z. B. im Bau- Sozialdemokraten und Nationalsozialisten zu gewerbe um zehn Prozent, in der Textilindustrie führen. um drei bis fünf Prozent und in der Lebensmit telindustrie um zwei bis drei Prozent.

Er hat den gewaltsamen Kampf, der von seiner Seite provoziert wurde mit einer Brutali.