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Bosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFONI 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Offene Auflehnung gegen Versailles ?

Blomberg drängt auf Klarheit

Paris . Das Organ der nationalen Front ,, Echo de Paris" und das Linksorgan ,,' Oeuvre" wollen aus zuverlässiger Ber­ liner Quelle erfahren haben, daß die oberste Lei­tung der deutschen Reichswehr in die Regierung dringe, in offizieller Weise die Militärklauseln des Versail= ler Friedensvertrages abzut= lehnen, denn es sei bereits nicht möglich, das Anwachsen der Effektivstände und die Erzeugung des Kriegsmaterials, insbesondere der Tanks, zu

verheimlichen.

,, Echo de Paris" erklärt, daß General Blomberg, der Reichskriegsminister, den 1. Ofto­ber als das äußerste Datum festgesetzt habe, bis zu welchem die Ablehnung der Militärklauseln des Versailler Vertrages seitens Deutschland durch­geführt sein sollte. Reichsaußenminister von Neu­ rath hätte sich dagegen gestellt. Die ganze Angele­genheit sei deshalb vertagt worden.

Die Labour- Party

gegen Krieg, Todesstrafe und Macdonald

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Die Jahresfonferenz der englischen Labour­Barth in Southport billigte das Manifest Hender sons für Sozialismus und Frieden" und bes schloß, daß eine fünftige Labour- Regierung fich berpflichten werde, alle außenpolitischen Konflifte Englands ohne friegerische Mittel auf dem Wege der Verhandlung zu lösen. In Fällen internationaler Gefahren, in denen der Völker­ bund ein bewaffnetes Vorgehen beschließt, werde aber die Labour- Regierung ihre Hilfe nicht berjagen.

Weiter beschloß der Parteitag, die Forderung auf probeweise Abschaffung der Todesstrafe für den Zeitraum von fünf Jahren zu erheben und unverändert für die Selbstverwaltung in Indien einzutreten.

Sonntag, 7. Oktober 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Hellen Porto)

Nr. 235

Auf des Messers Schneide

Hiobsnachrichten für Lerroux :

Katalonien sagt sich los

Zentrale Gegenregierung Azana

Im ganzen Land erbitterte Kämpfe

Der von den Rechtskreisen provozierte spanische Bürgerkrieg ist im Laufe des Samstag zu voller Schärfe entflammt und hat seinen Höhepunkt in der Lostrennung der Ka­talanischen Republik gefunden, deren Führer mit dem fascistisch- monarchistischen Klüngel in Madrid nichts mehr zu tun haben wollen.

Der katalanische Generalrat hat alle Vorkehrungen zur Verteidigung Barcelonos gegen die anrückenden Truppen der Madrider Zentralregierung getroffen, die über das ganze Land den Kriegszustand verhängt hat.

In Barcelona hat sich ferner eine zentrale spanische Gegenregierung gegen Lerrong ge­bildet, die unter Leitung des früheren Ministerpräsidenten Azana steht.

Die Madrider Zentralregierung hat zwar im Laufe des Freitag immer wieder verlant­baren lassen, daß sie Herrin der Lage und der Aufruhr schon im Abflauen begriffen sei, doch strafen nentrale Quellen diese Meldungen Lügen. Namentlich durch das Eingreifen der kata­lanischen Regierung, die ebenfalls über militärische Kräfte verfügt, ist die Situation der Re­gierung Lerrong außerordentlich verschlechtert worden.

Nicht nurKatalanien, sondern auch Asturien , Teile Südspaniens und der baskischen Provinzen stehen im offenen Kampf gegen die nene Regierung. Allem Anscheine nach sind auf beiden Seiten bereits Hunderte von Opfern zu verzeichnen.

Zur Niederwerfung des Aufstandes im asturischen Kohlengebiet hat die Regierung Ler­ roux von Valladolid , Astorga und Leon Artillerieabteilungen und Maschinenge= wehrkompagnien in Marsch gesetzt. Die Truppen haben einige Dörfer eingenommen, stoßen jedoch überall auf erbitterten Widerstand.

Die heißen Sympathien der Arbeiter der ganzen Welt sind in diesem schweren Ringen auf Seiten der heldenmütigen spanischen Sozialisten und der Katalanier, die in diesen Stun­den der fascistischen Reaktion einen heroischen Kampf liefern, in dem es auf beiden Seiten um Sein oder Nichtsein geht.

Madrid . In Katalonien hat der Präsi= Eine vielbeachtete Rede hielt der Gewerk- dent der General- Junta in den Abendstunden des schaftsführer Clynes, der die Partei der un Samstag die Selbständigkeit der Katalanischen verbrüchlichen Treue der Gewerkschaften ver- Republik ausgerufen und erklärt, daß sich Kata­sicherte und sich scharf gegen die reaktionäre Poli- lonien vollständig vom übrigen Spanien tit des Ministerpräsidenten Macdonald wandte. trennt. Der Plan der Regierung, die Agitationsfreiheit und die politische Betätigung innerhalb der Armee gesetzlich zu beschränken, wurde einmütig ab­gelehnt.

Neue Verhandlungen

über das österreichische Problem

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Um 20 Uhr 17 erschien Präsident Companys auf dem Balkon des Pa­lais der Generalität und verlas unter dem Beifall der Menge einen Aufruf, in dem es heißt:

Katalonier! Die monarchistischen und fasci­stischen Kräfte haben die Regierung übernommen,

gegen die bewaffneten Angriffe der Polizei vor sich stellten.

Nachdem der Tag in Madrid verhältnis­mäßig ruhig verlaufen war, setzte am Samstag abends gegen 20 Uhr im Zentrum der Stadt fowic in den Außenvierteln außerordentlich heftiges Bistolen- und Gewehrfeuer ein. Polizei und Mili­tär erwiderten die Schüsse der Angreifer, die bei der mangelhaften Beleuchtung einiger Straßen­züge reichlich Verstecke fanden. Die Straßen waren im Nu leer, die Menschen suchten in den Hausein­gängen und Läden Zuflucht. Man spricht von zahlreichen Verwundeten.

Auch aus Nordspanien wird ein neues Auf­flammen des Aufstandes gemeldet. Ein Soziali= stenführer wurde dort im Kampf erschossen.

In den baskischen Provinzen werden viele Tote und Verletzte gezählt. In Valencia funk­tioniert weder das Gas- noch das Elektrizitäts­werk und es herrscht bereits jetzt Lebensmittel­mangel. In Asturien sollen alle Kafernen der Zivilgarde von Aufständischen besetzt sein. Die Bo­lizei hat sich vor den Aufrührern zurückziehen müssen.

Kriegszustand proklamiert

Um 23 Uhr 20 MEZ. hat der Präsident Zamorra den Kriegszustand über das gesamte Gebiet- also auch über Katalanien Außerdem wurde in Katalonien eine provi- verhängt. Damit geht die Gewalt in ganz Spa­sorische spanische Zentralregie- nien von den Zivilbehörden an die Armeebefehls­rung gebildet, die die Umbildung Spaniens in haber über. Katalanien ist vollständig vom übri­eine Föderativrepublik vornehmen soll. Die Ver- gen Spanien abgeschnitten. bindungen mit Katalonien wurden in den Abend­stunden unterbrochen.

Ministerpräsident errour gibt durch Rundfunk bekannt, daß die umstürzlerische Be­Die Madrider Regierung hat sich im hic- wegung nunmehr mit der Ausrufung des kata­lanischen Staates" ihren Höhepunkt erreicht habe. ſigen Innenministerium versammelt und versucht, Die Regierung sei entschlossen, mit allen ihr zur mittels Fernschreiber Verbindung mit Barcelona Verfügung stehenden Mitteln die Staatsautori zu bekommen. tät wieder herzustellen und Front gegen den ,, katalanischen Verrat" zu machen.

Die Schießereien in Madrid dauern mit

Von den um Madrid liegenden Garniso­Die Nachrichten von Samstag morgen be= nen find Kavallerie- und Maschinengewehrabtei­um die Republik zu zerstören. Alle guten Repu- sagten, daß der Streik fast überall andauert. Paris . Der österreichische Gesandte in blikaner sind aufgestanden, um die Zerstörung der In einigen Gemeinden des Kohlenbeckens lungen in Marsch gesetzt worden. Paris Egger wurde Freitag abends vom Republik zu verhindern. Katalonien kann dem von A st u rien sind die Revolutionäre Herren französischen Außenminister Barthon ganzen spanischen Volk, das für seine Freiheit der Lage. Insbesondere ernst ist die Situation wechselnder Stärke weiter an. Auf einen Mini­empfangen, mit dem er eine längere Unterredung fämpft, feine Solidarität nicht verweigern. Ka- in der Gemeinde Mi e re 6, wo es den Streifen- fter wurde beim Berlaffen eines Hauses ein über aktuelle österreichische Fragen hatte. Die talonien bricht alle Beziehungen zu den spani - den gelang, eine größere Anzahl von Zivil- blieb unverletzt. Vermutlich werden noch in dieser Bombenanschlag verübt. Der Minister Unterredung bezog sich, wie die Blätter erklären, ichen Regierungsstellen ab. gardisten festzunehmen, die sie dann als Schuß Nacht Kriegsschiffe nach Barcelona be­

auf die Frage, der Unabhängigkeit Desterreich 3.

Nach dem I o urna l" soll es sich um mehr als um einen der üblichen diplomatischen Besuche gehandelt haben. Die von England, Frankreich und Italien unterzeichnete Genfer Entschließung vom 27. September sei keineswegs ein Schlußpunkt gewesen, sondern im Gegenteil der Auftakt zu neuen Verhand­Iungen, durch die die Garantie für die Unabhängigkeit Desterreichs festgelegt werden folle.

Papen

im Wiener Außenamt

Wien . Der deutsche Gesandte in Wien von Bapen erschien Samstag gegen Mittag im Außen­amt und hatte eine längere Konferenz mit dem österreichischen Minister für auswärtige Angele­genheiten Berger- Waldenegg.

Ein Dementi

Rom. ( Stefani.) In den ausländischen Blättern erschien die Nachricht, daß die italienische Regierung in Frankreich über eine Drei- Milliar­den Anleihe verhandle. Diese Nachricht wird amt

lich dementiert.

Lerroux , Spaniens Ministerpräsident

ordert werden.

Die Opfer

Der Madrider Sonderberichterstatter des " Journal" bringt eine Bilanz der blutigen Er­cigniffe vom Freitag. Die Zahl der Toten betrage 100, davon allein 80 im Kohlenbecken von Asturien . Der Korrespondent des ,, Matin" meldet nur 50 Tote, während der Havasberichterstatter von einigen 20 Toten spricht.

Amtlich wird zugegeben, daß bis 3 Uhr früh des 6. Oktober 31 Personen getötet und 46 ver= Tetzt sind.

Brudergruß

der Internationale

Brüssel. Anläßlich der Ereignisse in Spanien fandte die Verwaltungskommiffion der Sozialistischen Arbeiter- Internationale nach Ma­ drid eine Depesche, in welcher fie der spanischen fozialistischen Partei und den spanischen Arbeitern in ihrem gegenwärtigen Kampfe brüderlichen Gruß" sendet und mit den Worten schließt, daß ,, die Sympathien des Weltsozialismus mit ihnen seien".