Seite 2 Mittwoch, 10. Oktober 1934 Nr. 237 Tugend? Wundert man sich, daß die Namenlosen morden, da die Diktatoren den Mord sanktioniert haben? Steht nicht an der Spitze des größten europäischen   Staates ein Mann, der die bestiali- schen Mörder von Potempa als Kameraden be­grüßt hat? In dieser Zeit, tn diesen Reichen mag eine so grauenhafte Nachricht wie die von dem Amok­lauf des Kroaten K e l e m a n uns erschüttern, aber sie ändert nicht das Bild, das der Denkende sich von unserer historischen Situation gemacht hat, sie bestätigt nur seine furchttiarsten Züge. Auf der Bahre liegt Alexander Kara- georgeviä, ein König, der mit der Diktatur spielte, vielleicht weil er seinem Lande damit zu helfen, die südslawischen Stämme zu einigen hoffte. Der Mörder, der die Tat selbst mit dem Tod unter den Stiefeln der Polizisten bezahlt hat, reißt einen Mann wie Louis Barthou   mtt in den Tod. Der demokratische Minister eines demokratischen Staates, ein Mann, der mit sei­nen 72 Jahren noch Energie und Mut genug besaß, den europäischen   Frieden auf neue Grund­lagen zu stellen, ein Mann, der schwerer ersetz­bar sein wird, als der König, neben dem er fiel, muß als zufälliges Opfer eines Rasenden, das Schicksal des Mannes teilen, dem die Schüsse galten. Andere Menschen sind zu Tode verwundet, fast zwei Dutzend von den Kugeln getroffen. Was erschüttert uns mehr der Schrecken über diese Tat oder die bange Gewißheit, daß wir deren noch vie^e und gräßlichere erleben werden, wenn die Welt so bleibt, wie sie heute ist. Ueber die betroffenen Länder werden neu« schwere Krise n hereinbrechen. In Jugoslawien   werden Cliquen um die Macht ringen, die zum Schein ein Ittiabe besitzt. In Frankreich   wird die Lück« zu füllen sein, die Barthous Tod reißt. Aber mag dies oder jenes gelingen oder mißglücken das Grundübel bleibt, die Todeskrankheit unserer Äulhir wütet weiter, wenn die Menschen selbst, die es angeht, nicht bald erkennen, worum, es geht und wie sie sich retten können. Bor 20 Jahren begann das Unheil mit einem Attentat. Ein Serbe, ein fanattscher Jüngling, der sein Blut für das Haus Karageorgeviä zu opfern bereit war, feuerte die Schüsie von Sara­ jewo   ab sinnlose Schüsse, gerichtet gegen einen Mann, der flawophll und für die Unterdrückung gerade der Südsiawen nicht verantwortlich war. Eine mystische Geschichtsauffassung, die an Ne- mesiis und tragische Ironie glaubt, könnte den Tag von Marseille   so deuten, als habe der ge­mordete Este aus dem Grabe gelangt, als habe sein blutiger Schatten sich über die Cansbftre ge­breitet, als Petr Keleman auf Alexander Kara- georgeviä schoß, der Kroate auf den König, der Serben und Kroaten   versöhnen wollte... So ist es nicht.. Mer in tieferem Sinn besteht ein Zusammenhang zwischen dem Bidovdan 1914 und dem 9. Oktober 1984: damals begann die Auf­lösung des allen Europa  , gestern fand der Prozeß seiner Todesktankhett weithin sichtbaren Ausdruck in einer Wahnsinnstat, die deshalb so entsetzlich ist, weil dieser Irrsinn sich zwanglos dem Bild der Zett einfügt. Wendet diese Zett zum Guten! A e n d e r t die Welt, die dem Hunger, dem Krieg, dem FascismuS verfallen istl Gebt den Menschen Brot, Arbeit, Heimat, Frieden und wir werden nicht Taten erleben wie diese, furchtbar und sinnlos und bestimmt, neues Unheil endlos zu gebären!! König Alexander KarageorgeviC König Alexander, der im Dezember 46 Jahre alt geworden wäre, war der zweite Sohn des Königs Peter I.   aus dem Hause Karageor- geviL. Der älteste Sohn Peters, der Kronprinz Georg, begann um 1907 selbständig Polittt zu machen. Er tat sich als wüster Kriegshetzer hervor, zeigte Maßlosigkeit in allen keinen Aeußerungen. Als er 1909 seinen Kammerdiener zu Tode trat und zur gleichen Zeit Oesterreich-Ungarn   auf seine Absetzung drängte, mußte er auf die Thronfolge verzichten. Er verschwand in einem Sanatorium. So wurde der zweiteSohn PeterS, Alexander, Thronfolger. Im Ballan­krieg gewann der Thronfolger Popularität. 1914 übernahm er für den kranken König die Regent­schaft. In diese Periode fällt der Mord von Sara­ jewo  . Er war von der serbischen Regierung nicht geplant und kam dem alten Pasiä wie auch dem Prinzregenten sehr ungelegen. Ob sie von den Vorbereitungen gewußt, ob sie nur geahnt hatten, waS Draguttn Dimitrijeviä, ge­nannt Apis, der Führer der Schwarzen Hand und der Organisator der Verschwörungen von 1903 und 1914, plante, ist bis heute nicht restlos geklärt. Im Krieg kommandierte Alexander die Armee Serbiens  , die sich tapfer und ruhmvoll schlug. 1917 soll die Schwarze Hand die Besei« tigung deS Prinzregenten betrieben haben. Ihre Führer, Dimitrijeviä voran, wurden des Hochverrats angellagt, eines Attentats auf Ale­xander bezichtigt und standrechtlich erschossen. Der Zusammenbruch Oesterreichs   verwirk­lichte alle Träume der grohserbischen Patrioten in einem ungeahnten Maße. Zwar eignete sich das mächtigere Italien   südslawisches Land zu, raubte auch Fiume  , aber die kroatischen, slowenischen, bosnischen und montenegrinischen Stämme waren nun mit den Serben vereint. In dem neuen Staate dominierte zunächst das Großserbe n- t u m. Sein Druck wandte sich besonders gegen dieKroaten. Es kam zu Unruhen, zu Mord­anschlägen in der Skupschtina. Da entschloß sich Alexander, inzwischen selbst König, zum Staatsstreich. Am Dreikönigstag 1928 sistierte er die Verfassung und führte die Militärdiktatur ein. Der General Zivkoviä, Führer der Weißen Hand, der konservativen Gegner der Schwarzen Hand, wurde der Diktator. Die Dtttatur hat niemals die Formen des fascistischen Terrors angenommen. Sie hat manche Eintragung in ihrem Schuldbuch, aber gemessen am deutschen   oder italienischen Fascismus war sie beinahe human. Sie hatte auch einen ge­wissen hi st arischen Sinn. Sie ver­suchte, die nationale Einigung der Südslawen zu vollenden, die StammeSgegensatze aüSzugleichen. Der König persönlich war bemüht, langsam zu verfassungsmäßigen Zuständen zurückzukehren. Jugoslawien   war von allen neuen Staaten derjenige, der die größten Sch wie- rigkeiten zu überwinden hatte. Alexander war stets bemüht, die Probleme seines Staates nach Kräften zu meistern. Man darf ihm glau­ben, daß er es mit der Versöhnung der Stämme im Innern, mtt der Versöhnung seine- Landes mit den ballanischen Nachbarn ernst meinte. Um sich gegen Italien   und Ungarn   zu sichern, hielt der König am Bunde mit der Tschechoslowakei  , Rumänien   und Frankreich   fest. Die jüngste Ent­wicklung, die Verständigung Frankreichs   mit Ita­ lien  , brachte neue Gorgen für Jugoslawien  . Sei­ner Sicherung auch in dem neuen System von Juden und ihre Helfer, den Vorteil. Was soll besspielsweise da» nützen, daß eine verrückte alte Jungfer bekundet, die Müllerin von WjeSnttschka habe ihr versichert, seit dem Mord führe ihr Back blutiges Wasser, und des Nachts kämen die Juden, um sich die Hände darin zu waschen. Oder daß em anderer herumerzählt, in der Judenstadt hätten sie den Katzen und Hunden ein Kruzifix an di« Schwänze gebunden? Mit solchen Geschichten bringt man die Sache nicht vorwärts. Auf die rechte Organisation und Information kommt es an, und daß die eine der andern dient. Die Leute müssen aufgeklärt, da» Material muß gesammelt werden, die Aussagen müssen Hand und Fuß haben. Zum Glück ist der Bürgermeister ein brauchbarer Mann, auf Ditek, den Antisemiten­führer de» Ortes, ist Verlaß, und noch ein paar andere sind da, die Verständnis für politische Not­wendigkeiten haben. Man wird«in Komitee grün­den, in welechem alle Arbeit zentralisiert werden muß. Blätter stehen genug zur Verfügung, Geld ist auch da, so wird die Sache schon in Schuß kommen. Di« Parteipreffe beider Sprachen wird mit zweckgemäß verarbeitetem Material versorgt. Täg­lich gibt eS Neuigketten. Die Artttel bekommen KolorU. Man reißt sich um die Berichte. Für die Verlag« ist die Sensation ein gutes Geschäft. Mtt Begeisterung verfolgen die Polnaer, wie ihr Ruhm wächst. Die Journalisten, deren immer mehr werden, machen ihnen erst klar, wie die Einzelheiten Zusammenhängen und welche welt­geschichtliche Rolle die Aussage jedes Zeugen spielt. Denn in dieser Affäre soll die Menschheit über das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte und Gegenwart aufgeklärt werden. Diesmal wird e? den Juden nicht gelingen, die Sache zu vertuschen. Die Leute von Polna sind von ihrer Auf­gabe ganz erfüllt. Jeder und jede kramen sie in Erinnerungen an die Kartage, und alle haben etwa» gesehen oder gehört, was von Bedeutung ist. Die Herren interessiert jede Kleinigkeit; was Ententen sollte der Besuch Alexanders in Frank­ reich   dienen. König Alexander war mit der Prinzessin Maria von Rumänien  , einer Schwester de» Königs Carol II.   vermählt. Aus der Ehe sind einige Söhne bervorgegangen. deren ältester, der nunmehrige König Peter II. aber noch ein Knabe ist. vestünung in Paris  Die Nachricht von der Ermordung König Alexanders verbreitete sich sehr schnell in der französischen.  Hauptstadt. Sie rief«nbeschreibliche Bestürzung hervor. Die Sonderausgaben der Blätter, welche die Trauernachricht verbreiteten, wurden den Verkäufer« förmlich a«S der Hand gerissen. Das Attentat durch Zufall gefilmt? Die letzte Ausgabe desParis Soir" von 9 Uhr abends bringt eine große Photographie des Königs Alexander, die unmittelbar nach dem Attentat ausgenommen wurde. Aus der Photo­graphie ist ersichtlich, daß der König gleich nach seiner Verletzung in Bewußtlosigkeit fiel, aus der er nicht mehr erwachte. Das ganze Attentat soll auch von Filmoperateuren ausgenommen worden sein, die den Zug des Königs gegenüber der Börse erwarteten. Sie Iraner In der Tschechoslowakei Prag.(Amtlich.) Sogleich nach dem Ein­treffen der Nachricht von dem Tode Sr. Majestät des König Alexanders von Jugoslawien   wurde eine Sitzung des Ministerrates für Mittwoch, 10 Uhr vormittags, einberufen und Trauerfahnen gehißt, sowie die Staatsflagge an allen Amts­gebäuden und an den Schulen auf Halbmast ge­setzt. Gleichzeitig sandte die Regierung der Tsche­choslowakischen Republik der verbündeten Regie­rung des Königreiches Jugoflawien Kondolenz­telegramme. ein Interview mit Dr. BeneS 3 um tragischen Tod des Königs Alexander und de» Minister» Barthou   hat Außenminister Dr. Bene» an den Ver­treter der Pariser   Agenoe Havas folgende Kundgebung gerichtet: Sett der Beendigung des Weltkrieges hat mich kein anderes Ereignis so tief betroffen. Der Tod des Königs Alexander ist ein großes Unglück für Jugoslawien   sowie für die Tschechoslowakei  Gr   war eine große Persönlichkeit, er war ein gro» ßet"'Skaäksmädns« wak ein größek^onig. Er' war"«in bewährter Freund der Tschechoslowakei  und mein persönlicher Freund, mit welchem ich 16 Jahre lang eng zusammen gearbeitet habe. .Die Tschechosiowakei empfindet über seinen Tod einen ebenso tiefen Schmerz wie Jugoflawien. Und zu diesem Unglück gesellt sich der Ver­lust eines zweiten großen Freundes der Tsche- choflowakei, des Ministers Barthou  . Zu gleicher Zeit verliert unser Boll zwei große ergeben« Freunde, beide Schöpfer der französisch-tschecho« slowakisch-jugoslawischen Freundschaft. Die gesamte, tschechoslowakische Nation ist von tiefer Trauer ergriffen und fühlt das Be­dürfnis, in diesem kritischen Augenblick die tieft und unerschütterliche Freundschaft unserer drei Länder noch stärker zu betonen. einem selber zuerst nur möglich, verdächtig oder wahrscheinlich schien, wird bald zur Tatsache, zur Gewißheit. Und nicht viel später kann jeder Leine Handwerker seinen Namen gedruckt lesen. Mtt einem Schlage tritt er aus dem Dunkel der Pri­vatatmosphäre in das blendende Licht der Welt- öffentlichkeit. Begreiflich, daß der Nachbar, der Kollege, der Stammtischfreund nicht in den Hin«/ tergrund geraten wollen. Es regnet Mitteilungen DieVekerni Listy" in Prag   haben auch schon einen Vertreter in Polna  . Er liefert einen sachkundigen Artttel, der in der Frage gipfelt' Wo ist das Blut des ermordeten christlichen Mäd­chens? Im Tonfall des Fachmanns wird ztvin- gend nachgewiesen, daß das Blut der Toten auf mysteriöse Weise verschwunden sei. Sieben Liter hätten au» der Halswunde auSströmen müssen, und nur ganz wenig habe man an der Leiche gc- funden. Wolle man das Geheimnis lüften, so müsse man sich der allgemeinen Ansicht anschlie­ßen, wonach das Opfer schon vorher auserkoren worden sei und mindesten» zwei Personen den Mord vollbracht hätten; eine habe man gefaßt, die andere sei mit dem Blut entkommen. Dieser Artttel wird in der Morgenausgabe des.Deut­schen Volksblatts" vom 14. Aprtt wörtlich wieder­gegeben, in der Abendnummer derselben TageS wird das Verbrechen noch eingehender und derart geschildert, daß an seinem Motiv kein Zweifel bc» stehen kann. Am nächsten Morgen stellt die Zei­tung wiederum die Frage: Wo ist das Blut ge­blieben? Die Leiche, heißt eS nunmehr, sei völlig ausgeblutet gewesen, eS bleibe in der Tat nur die größte Wahrscheinlichkeit übrig, daß mindestens sechs Liter in einem Gefäß aufgefangen und weg» gebracht worden seien. Und wieder zwei Tag« später schreibt das Blatt: Blutspuren seien fast gar keine gefunden worden. Daß der Mord nicht mit einem gewöhnlichen Messer verübt worden fest« könne, hätten beide Gerichtsärzte ftstgestellt. Um den Schnitt in der konstatierten Weise vorzuneh­men, habe man die Unglückliche vermutlich an den I.oui8 Barthou wurde am 25. August 1862 in Oloron   in den Nieder-Pyrenäen geboren. Er studierte JuS und widmete sich der Advokatur, wobei er jedoch fündig journalistisch und publizistisch tätig war. Im Jahre 1889 wurde er in seiner Heimat zum Abgeordne­ten gewählt. Er gehörte der Radikalen Partei an. In seinem 32. Lebensjahre wurde«r das erstemal Minister und dann wiederholt in ver­schiedenen Kabinetten Leiter verschiedener Ressorts. Nach dem Sturz des dritten Kabinetts Briand   im j März 1913 betraute der Präsident der Republtt' Poincarö Barthou mit der Bildung der neuen Regierung, in welcher Barthou   das Justizmini­sterium verwallete. Das Kabinett Barthou   setzte das Gesetz betreffend die dreijährige Militärdienst- zeit durch. Im Herbst 1913 wurde das Kabinett Barthou   in der Kammer wegen des Widerstandes der Radikalen gegen die Deckungsvorlagen, vor allem gegen die Anleihe von 1300 Millionen Francs, gestürzt. Das Kabinett Barthou   wurde( vom Kabinett Doumergue   abgelöst. Während des l Krieges war Barthou   im Kabinett Painlevö im, Jahre 1917 Außenminister. Nach dem Kriege| war er im sechsten Kabinett Briand Kriegsminister I und im zweiten Kabinett Poincars Justizminister, r Im Oktober 1922 wurde er Vorsitzender der Re-! Parationskommission und verblieb in diesem Amte f bis zum Juli 1926. Außerdem war er während j des Marokkofeldzuges gegen Md el Krim   franzö- sischer Generalresident in Marokko  . Im Jahr« 1926 trat er neuerlich in das Kabinett Poincmft j als Justizminister und als Minister für Elsaß- 1 Lothringen ein. Diese zwei Ressorts behielt er bis 1 zum Rücktritt des elften Kabinetts Briand   im Jahre 1929. Nach dem Fall deS zweiten Kabi-| net.'S Tardieu im Jahre 1932 bemühte er sich der-| gebens, ein neues Kabinett zu bilden und war dann al» Kriegsminister Mitglied des KabinetteS i Steeg  . Nach dreijähriger Pause trat er i m A l- 1 ter von über 70 Jahren in das Ka- I binett Doumergue am 10. Feber 1934 als j Außenminister ein. Seine erfolgreiche in-! tensive Tätigkeit in diesem Amte ist noch allgemein I in lebhafter Erinnerung. Sie äußerte sich auch I in der Schaffung eines fteundschafüichen Verhält« I n iss es zwischen Frankreich   und S o w- I jetrußland. Im Frühjahr d. I. besuchte I Barthou offiziell auch die Tschechosiowakei, in! deren Hauptstadt er vom 26. bis 28. Aprtt weilte. 1 Regentschaft für den elfjährigen König Peter Der Nachfolger des ermordete« König  », Prinz Peter, befindet sich zur Zeit in einem College in England. Er ist elf Fahre alt. ES wird daher eine Regentschaft eingefttzt werde«» die nach der Verfassung auS dem Vorsitzende« deS StaatSrateS, dem Patriarchen«nd dem Prä­sidenten des Oberste« Gerichtshofes zu be­stehen hat. Die Könlgln-Wltwe im Sonderzug nach Marseille  Die Königin Maria von Jugoslawien traf nach 16 Uhr mit einem Sonderzug aus Basel   in Belfort   ein und setzte sogleich ihre Reise über Lyon   nach Marseille   fort, wo sie Mittwoch früh ein treffen wird. Dem Präfetten von Belfort   fiel die traurige Aufgabe zu, der Königin dft tra­gische Nachricht vcm der Ermordung ihres Gatten zu übermitteln. Füßen aufhängen müssen, wett es nur so mög­lich gewesen sei, das abfließende Blut in ein«» Gefäß aufzufangen. Im nächsten Morgenblatt will ein blutrünstiger Artttel beweisen, daß Ritualmord und Frömmigkett einander durchaus nicht widersprächen. Hat nicht auch der grau­same Torquemada   gottgefällige Opfer durzubrin« gen geglaubt? Gibt es nicht unt«r den Juden eine fanatische talmudgläubige Sette, die heute noch das Menschenopfer kennt? Die jüdische Oef- fentlichkett solle, statt durch bewußte Fälschung der Tatsachen den Beweis, daß ein Jude der Mörder sei, zu erschweren, lieber rücksichtslos diese Be­schuldigung untersuchen, auf die Gefahr hin, daß sie sich bestätigt. Die Nummer wird von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Wo ist das Blut der ermordeten Agnes?" Dft Frage wird zum Feldgeschrei und von der gesamten nationalen Presse der Tschechen, voran von denNärodni Listy", und ebenso von den deutschradttalen Blättern in ganz Oesterreich  , aber auch von den llerikalen Zettungen ausgenommen. Einzelheiten werden von der Polnaer journalisti­schen Zentrale gebrauchsfertig geliefert. Die Phantasie einer urwüchsigen, von zivüisatorischer Skepsis unangettänkclten Bevölkerung blüht auf. Immer noch können neue belastende Tatsachen ge­meldet werden. Einmal will man in der Nähe der Fundstelle einen Stock gefunden haben, m welchen der Buchstabe H eingeschnitten ist. Ein anderes Mal heißt es, Httsner simuliere Wahn­sinn, um sich der Verantwortung zu entziehen. Zu den Lesern dringt kein behördliches Dementt. Der Verhaftete ist nach dem Kreisgericht Kuttenberg   überführt. Man hat ihn sofort nach der Einlieferung ärztlich untersucht, ohne etwa» zu finden, was auf eine bei einer Gewalttat er­haltene Verletzung hindeutet«. In der Hast ver­hält er sich ruhig, fast stumpffinnig und läßt nicht die geringste Aufregung wahrnehmen. Nur mit dem Essen ist er nicht zuftieden. t Fortsetzung folgt.) 17 BRUNO ADLER  : Die bürgerliche Presse beschräntt sich im übrigen darauf, eS unbegreiflich zu finden,daß e» heutzutage in unserem Lande Menschen geben kann, die dem albernen Märchen, als ob die Juden zur Feier deS Passah christlichen Blutes bedürfen. Glauben schenken." Zu einem Berichterstatter der Neuen Freien Press«" äußert sich der Polnaer Bürg rmeister Sadil, er glaube nicht an den Ritualmord, und der tzftrichtSarzt Doktor Pro- kesch hat auf diese Frage nur die Antwort:Wir leben ja doch im 19. Jahrhundert!" Von amt­licher Seite wird mitgetellt, daß der Landes­gerichtsrat Reichenbach weder seinem Glauben noch seiner Abstammung nach Jude ist. Wer für die antisemitischen Zeitungen ist daS kein Grund, nicht weiterhin von dem jüdischen Richter zu sprechen. Die Führung hat das«Deutsche Bolksblatt" Der Kampf um Polna   wird auf breitester Front angesetzt und mit allen Kräften, die verfügbar sind, geführt. Husek aus Prag   ist bereits auf den« Schauplatz. Ihm fo^gt der Sonderberichterstatter des Wiener   Blattes, Hans Schwer. Die beiden Herren lassen sich genau über den Stand der Unter­suchung unterrichten. Sft finden, es sehe nicht gerade hoffnungsvoll aus, und es werde höchst« Zeit, Zug in die Sache zu bringen, ehe e» zu spät sei. Einfältig, wie die Leute von Polna sind, sagen sie vor Gericht entweder zu wenig oder zu viel oder puren Unsinn aus. Auch darf es nicht mehr vorkommen, daß ein Zeuge Angaben macht, die mit denen eines andern nicht in Einklang zu bringen sind. Davon haben nur die andern, die