Nr. 242Dienstag, 16. Oktober 1934Seite 3Der Flüchtlingvon Fontainebleau verhaftetFontainebleau. Montag nach-mittags wurde in der Stadt M e l u n, unweitvon Fontaincb.'eau, ein junger Mann verhaftet,in dem einwandfrei Silvester Malny, derKomplice des Marseiller Mörders, festgestelltwurde. Er hatte sich bekanntlich am Mittwoch aufdem Bahnhof von Fontainebleau seiner Verhaftung durch die Flucht entzogen und war seitherin den Wäldern der Umgebung hernmgeirrt.Malny wurde in einer Schankwirtschaft verhaftet, gerade als er etwas essen wollte, da ernach fünftägigem Hungern sehr erschöpft war. Inder Stadt hatte er sich vorher einen neuen Ueber-zirher und eine neue Mütze gekauft, um die Aufmerksamkeit der Polizei von der bekannten Beschreibung abzulenkrn. Auf der Gendarmeriestation gab er seine Identität zu. Es wurden bei ihm700 Franks gefunden.Er lehnt es ab, nähere Erklärungen zumachen, und wird wahrscheinlich noch in der Nachtnach Paris gebracht werde».„Der Delegierte"von der Genfer Polizei gesuchtGenf. Die Schweizer Polizei sucht angestrengt einen gewissen Eugen Kvaternik,von dem bei den Verhören in Angelegenheit desMarseiller Verbrechens als„Delegierten"dir Redif ist. Er ist ein Student der Rechte auSAgram, der den Attentätern in Marseille die Waffen geliefert haben soll. Er war der Führer derHauptgruppe der Terroristen in Jugoslawien.Er berief u. a. vor dem Attentat Zusammen künfte nach Zürich ein,«nd zwar mit verschiedenen Terroristen, die auS Ungarn und Deutschland nach Zürich kamen.Man hofft, daß Kvaternik bald verhaftetwerden wird, da ihm die Polizei auf der Spur ist.Direkt aus Münchenund BudapestLausanne. Die Sicherheitspolizei imKanton Waadt stellte mit Bestimmtheit fest, daßvier Komplizen deS Marseiller Attentäters am25.«nd 26. September in Lausanne weilten, darunter Rajtik(Benes), Pospisil(Novak)und M a l n y.Durch die Ermittlungen wurde festgestellt,daß von den vier Terroristen zwei ausMünchen, die anderen beiden direkt ausBudapest nach Lausanne gekommen waren.Der Menn, der denMord filmteplötzlich gestorbenParis. Der Operateur D a c o m b s, derdie Ermordung des Königs'Alexander aufzuneh-men vermochte, ist in PariS eines plötzlichen Todesgestorben. Er war den Kugeln der Mörder inMarseille entkommen. In PariS traf er völlig gesund ei« und am Samstag wurde er wegen einesplötzlichen Schwächeanfalles ins Krankenhaus inNeuilly eingeliefert, wo er an den Folgen einerGehirnblutung verstarb.Kelemen—Mazedonier Georgijew?Eine ViertelmilliardeExportüberschuß Im SeptemberPrag. Nach den Erhebungen des Statistischen Staatsamtes weist der Außenhandel derTschechoslowakei im Monat September 1934 folgende Daten auf:Sept. 1934 Sept. 1933in MillionenEinfuhr.. 501,7 491,1Ausfuhr.. 752,8 549,4Die Hauptposten der Ausfuhr sind Fertigwaren; ihre Ausfuhr ist gegenüber dem September deS Vorjahres von 392,3 auf 541,5 Millionen gestiegen.Die Handelsbilanz des reinen Warenverkehrs war also im September mit dem Betrag von251,1 Millionen aktiv; im September 1933betrug das Aktivum nur 58,2 Millionen.Für die ersten neun Monate des Jahres1934 ergibt sich folgendes Bild:Jänner-Sept. 1934 Jänuer-Sept. 1933in MillionenEinfuhr.. 4.607,3 4.113,3Ausfuhr.. 5.113,8 4.125,3In den ersten neun Monaten des Jahres1934 hat die Tschechoftowakei also ein Wttvumin der Handelsbilanz von 506,5 Millionen auf-zuweisen, während in der entsprechenden Zett desVorjahres daS Wttvum nur 11,9 Millionen betrug.Stichwahlen in FrankreichParis. Am Sonntag fanden die Stichwahlen für die BezirkSrätr und die Bezirkvertretungen statt. Insgesamt waren durch die engere Wahl noch je 317 Mmidate zu verteilen.Das Ergebnis ist bis auf sechs Mandate aus den Kolonien bereits bekannt.In der ersten Spalte der nachfolgenden Tabelle sind die Gewinne bzw. Verluste au- derengeren Wahl verzeichnet. Aus den weiteren Spalten ist das Gesamtresultat aus dmbeiden Wahlgängen zu ersehm:GesamtergebnisStichwahlgewähltbisherGewinn bzw.Verlust•Konservative Rechte..+17074— 4Repnblik.-demokrat. Union..e e+7258+1GChristliche Demokraten......+63625+11Republikanische Linke...»..+6268263+ 5Unabhängige Radikale....Radikalsozialisten.......-15113166—23..—1948ß503—17Republikan. Sozialisten.....—106268— 6Neosozialisten........— 123230Sozialisten......... 4- 7il7115+ 2Kommunisten........+183317+16PariS. Rach Meldungm aus Belgrad,wurde dort im Laufe des Sonntags in dem Mörder König Alexanders nach dm in den Zettungmveröffentlichten Bildern der bekannte mazedonischeTerrorist Blada Georgijew, bekannt unterdem Spitznamm„Eernozemski" erkannt.Auch aus Sofia wird bestättgt, daß der als„Kelemen" bezeichnete Mörder nach den Photographienunt dem 37jährigen Georgijew identisch ist,der im Jahre 1924 den bulgarischen AbgeordnetenHadschi Dimow und im Jahre 1930 den mazedonische» Abgeordneten im Sofioter Sobranje Tomale w f k i ermordet hat.Rach dem Morde an Tomalewfti war Georgijewein Jahr im Gefängnis, wurde aber im J<chre1931in Freiheit gesetzt. Er trat sodann als Chauffeurin die Dienste des Führers der revolutionären Organisation Ivan M i ch a i l o w ein und versahöfters Kurierdienste ins Ausland, insbesondere nachUngarn.Nach anderen Berichten wurde Georgijew imJahre 1932 Gehilfe Kyrlll DrangowS, deS Vertreters der mazedonischen revoluttonären OrganisationinBudapest, und als Drangow in Budapestnach Sofia äbberufen wurde, trat an seine Budapester Funktion Georgijew. In Budapest arbeitet«Georgijew gemeinsam mü den Terroristen der kroatischen Organisation st a s ch a", an derm Spitzedie bekannten Personen Pavelic und Peräei stehen,von den Peräei seinen ständigen Sitz in Ungarnhat. Georgijew war auch Instruktor der kroatischenTerroristen in Ungarn.Um die absolute Richtigkeit dieser Angabenüber die Person des Mörders sicherzustellen, arbeiten die jugoslawischen und die bulgarischen Behörden gemeinsam. Die Polizei von Sofia hatDie Wahlm haben also einerseits der Rechtm, andererseits der sozialistisch-kommunistischmFront einen Gewinn gebrächt. Die Sozialistm und Kommunisten hattm sich überall im zwettmWahlgang zu einem Block zusammengeschlossm und gewannm dadurch hauptsächlich in dm Bergwerk-»«nd Jndustriebezirkm RordfronkreichS. aber auch in der Pariser Umgebung. Bon einergrundlegenden Acnderung kann aber weder auf der Linkm noch auf der Rechtm die Rede sein.Die Stärke der Regierungskoalition bleibt«n verändert.Bei den Wahlm kam eS vielfach zu vereinzelten Ausschrettungm, namentlich im nördlichenFrankreich, so in Lille und Roubaix. Auch ans Lyon werden kleinere Reibungm gemeldet.die Fingerabdrücke Georgijews nach Belgrad undMarseille übermittelt.Der Leichnam des Mörderssoll angeblich exhumiert werden, damit die Fingerabdrücke verglichen werden können.Georgijew, Michajlow und Drangow waren mitsieben gefährlichen mazedonischm Terroristen bereits im September d. I. als geächtet erklärtworden. Nach dem neuen bulgarischen Gesetz überdie Sicherheit des Staates kann sie jeder Bürgerder Polizei übergeben oder sie im Falle des Widerstandes töten.DaS Gesamtbild der Kantonalwahlen ist ebendurch den Eindruck von Stabilität, den es erweckt,überraschend. Man rechnete in Frankreich ganzallgemein mit starken Verschiebungen. DieRechte hoffte unter den Nachwirkungen desStavisky-Skandals und der Zurückweichens derRadikalen vor der Pariser Gasse, nicht zuletzt auchinfolge der allgemeinen europäischen Tendenzenauf einen ausgesprochenen Sieg, vor allem ausKoste» der bürgerlichen. Linken. Der ist auSge-blieben...Die R'a dikalen verlieren zwar.17Sitze, sie sind aber mit ihren 486 Mandaten nochimmer die weitaus stärkste Partei der französischen Provinz. Ihre Position ist kaum ernsthafterschüttert. Auch von links her konnte sie nichtdurchbrochen werden. Die sozialistisch-kommunistische Einheitsfront hatzwar verhindert, daß die Rechte durch Wahlbündnisse die Linke schädigt, sie hat den Kommunisteneinen nennenswerten Mandatsgewinn— beinahedie Verdoppelung ihrer Sitze— gebracht, aber derauch hier erhoffte Einbruch in das radikale Lagerist nicht gelungen. Wenn man ermißt, unterwelchen Verhältnissen sich der französische Sozialismus zu schlagen hatte, wenn man erwägt, daßihm gerade in der letzten Woche neben dem Bündnis mit den Bolschewiken auch die spanischen Ereignisse und das Unglück von Marseille vorgehaltenwurden, so muß man zugeben, daß er sich gutgeschlagen hat und durch die Behauptungseiner Position im Grunde einen Sieg verzeichnet.Novak-PosplillBenei-RajliZwei Mittäter des Mörders von MarseilleTodesemte unter den Minnem von 1914Poincar6 gestorbenParis.(Havas.) Der frühere französischeMinisterpräsident und Staatspräsident RaymondP o i n c a r t ist am Montag um 3 Uhr 30 Minuten in seiner Pariser Wohnung plötzlich gestorben.Mit Raymond Poincart tritt einer der letztenaus der Reihe von Politikern ab. die 1914 dasSchicksal der Well in der Hand hielten und er. ausSchwäche die einen, mit vollem Bewußtsein andere,zum Bösen lenkten.Poincart war am 20. August 1860 in Bar-le-Duc geboren, im Departement Meuse.. Die reizloseLandschaft— die„Läuse-Champagne", wie sie derVollsmund nennt— hat Frankreich schon einen anderen großen Bolkstribunen geschenkt: von dort warGeorges Danwn gekommen, der Ueberwinder desKönigtums, der Schöpfer der radikalen Republik von1792.^ Mit zehn Jahren erllbte Poinare den deutschfranzösischen Krieg, die Okkupation seiner Heimat, mitelf Jahren war er Zettgenosse des Franffurter Friedens und der Zerreißung Lothringens durch dieAnnexion von Metz. Der Haß, der damals Besitz vonihm ergriff, ist nie mehr auSgekühlt. Poincars bliebzuerst Lothringer, dann Franzose. Die verlorenenProvinzen für Frankreich zurückzugewinnen, das erschien ihm als das einzige würdige Ziel ftanzösischerPolitik.Raymond Poincarö wurde Jurist, Advokat und wie alle erfolgreichen Pariser Advokaten baldPolitiker. Was ihn als Politiker auszeichneteund von Stufe zu Stufe steigen ließ, war seine übermenschliche Arbeitskraft. PoincarL war vorallem ein fleißiger Mensch und ein zäher MenschNichts von dem war bei ihm zu finden, was anderefranzösische Politiker anziehend und populär machte.Er sprach trocken; von dem Gluthauch, den BriandsRede, ein Lavastrom, verbreitete, fehlle da jede Spur.Poincark war auch nicht gemütlich, leutselig, vielgewandt wie Herriot. kein Schöngeist und.kein Staatsmann von großen Meen. Aber er behe+schte in jungen Jahren die ganze komplizierte Materie seinesHandwerks, er war nie müde, immer zur Stelle, erbesiegte die Kammern nicht durch seine Rhetorik, sondern durch zähes Ausharren und buchstäbliches Besserwissen- Er arbeitete und vor dieser Arbeit beugte sichdaS französische Parlament, das diesen Typus sonstnicht gerade goutiert. Es gibt über ihn eine ausgezeichnete Süwie von Theodor Herzl. geschrieben inden neunziger Jahren. Damals jagte der Begründerdes Zionismus, der ein Menschenkenner war. demunscheinbaren Poinrars die große Karriere voraus,die er dann gemacht hat.Mt 33 Jahren war Poincarä das erstemalMinister, und zwar im UnterrichtSressort im Kabinett Dupuv. Er wurde dann als gemäßigter RechtS-politiker wiederholt Finanzminister und war in derSteuerpolittk zwei Jahrzehnte der Gegenspieler vonJosephe Calllaux(den er dann im Kriege zuFall brachte und der wiederkehrte, als PoincarösStern sank). Poincart ist Bi?.Präsident der Kammer,wird Senator. Nach der Marokkokrise bildet er dasKabinett, als Nachfolger von Eaillaur. Ein schärfererKurs der ftanzösischen Außenpolitik setzt ein. Sie warunter Caillaux und De Selves ausgesprochen friedlichgewesen. Nun, da Poincare am Quai d'Orsay gebietet, wagt Rußland den Ballankrieg. Als er sich aberzum Weltkrieg weiten soll, pfeift Poincars doch dieRussen zurück.Im Jänner 1913 wähll die Rechte mtt 483 von870 Poincare zum Präsidenten der Republik. DieSozialisten apostrophieren ihn;„Poincare laguerre"— Poincare— das ist der Krieg! Siebehiellen recht. Als es Ende 1913 zwischen Deutsch-land und Rußland wegen der deutschen Militärmission in Stambul zum Konflikt kam, versichertePoincars die Russen seiner unverbrüchlichen Bundestreue. Um ein Haar kam man am Krieg« vorbei. Nachdem Attentat von Sarajewo fuhr Poincare nachPetersburg. Die europäische Situation war zumReißen gespannt. An der Zarentafel trank man offi-ziell auf die russisch-französische Freundschaft, insgeheim stießen die Großfürstinnen— Palcologue hateS später erzählt und niedergeschrieben— auf denKrieg an. Auf der„France" tritt Poincars die Rückreise an, da schon schwere Schatten über Europaliegen. Am 31. Juli wird Iaurts erschossen— derMörder wird fteigesprochen, erhält später«in Amt.Die ungeschickte Polittk Berlins erspart Poincars alleUmstände. Deutschland erklärt den Krieg an Frankreich, den Poincare zu führen entschlossen war vondem Augenblick an. da der Zar die Mobflifierung befohlen hatte.Im Sommer 1914 weist Poincars den TigerClemenceau ab:„Sie sind verrückt. Sie sindschlechthin verrückt". 1917 beruft er ihn. damit Frankreich die Krise des Krieges durchkämpfe. Sie tretenungefähr zur gleichen Zett ab. Poincarö als Präsident. Clemenceau als Premier. Wer während sich decTiger, den Frankreich nicht zum Präsidenten wählt,in selbstgewählte Einsamkeit zurückzieht, kommt Poin-care wieder. Er führt den R u h r k r i e g. Er gewinnt ihn außenpolitisch, wenn er auch den Annexionisten das linke Rheinufer nicht bringen kann, aberer verliert 1924 die Wahlschlacht gegen Herriot undBlum- Und nochmals kommt er wieder. In der KrisedeS Franc setzt das Vertrauen des FinanzkapitalsPoincare wieder an die Spitze des Staates. Bis 1929bleibt er an der Spitze der französischen Politik, freilich nicht mehr mächtig genug, die AußenpolitikBriandS zu verhindern. Er war tättg bis in diejüngste Zeit, obwohl ein Nierenleiden ihn plagte. Zuletzt schrieb er an seiner Selbstbiographie, er hat sienicht vollendet.Unter allen ftanzösischen Politikern, aber auchin der größeren Reihe der Männer von 1914 war ecder am wenigsten biegsame, wandelbare, faszinierende. Er blieb, was er immer gewesen:«in Sachwalter der französischenBesitz-klasse, einfranzösischerPatriot imbürgerlichen Sinn«, ein fanatischer Lothringer. der seinen Deutschenhaß nicht los wurde unddessen größter Triumph vielleicht war, daß er durchHitler die Rechffertiaung für diesen Haß erhiell. obwohl er auch genug Burger war. um sich dem Deutschland der Thyssen und Schacht näher zu fühlen alsdem Deuttchland der Haase und Scheidemann, daser 1918 niederwarf.*Das Nationalbegräbnis Poincarös findetam Samstag statt. Bis dahin werden seine sterblichen Ueberreste im Pantheon aufgebahrt werde«.