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Donnerstag, 8. November 1931
Nr. 282
Kredit- und Arbeitsbeschaffung Aus den Eiposcc-Dcbattcn
dienen darf. Im Grunde ist auch das eine Art „Feudalkapitalismus", wie dir Wirtschaft in den europäischen„Stände-Staaten". Aber auch von diesen unterscheidet sich Roosevelts Regime durch sehr wesentliche Merkmale. Während Mussolini , Hitler und die Angestellten Mussolinis im Wiener Bundeskanzleramt bie- Gewerkschaften vernichtet und die"staatliche Wirtschaftsführung den Unternehmern ausgeliefert haben, versucht Roose« velt, mit den Gewerkschaften und milden Kapitalisten auszukom« men. Dieses Kompromiß ist auf die Dauer unmöglich. Auch aus der Rooseveltschen Versöhnungspolitik wird der Entscheidungskampf zwischen sozialistischer Planwirtschaft und feudalkapitalistischem FascismuS erwachsen. Eben darum aber hat die Tatsache, daß ein Sozialist wie Sinclair heute schon 48 Prozent der Stimmen in einem obendrein bisher von der sozialistischen Propaganda kaum erfassten Staat auf sich vereinen kann, für die Zukunft eine große Bedeutung. Wir wollen alles andere behaupten, als daß Roosevelts Sieg ein Sieg des Sozialismus sei. Aber er ist ein Sieg des planwirtschaftlichen Prinzips, deS Gedankens der" wirtschaftlichen Neuordnung, der Ueberwindung des Liberalismus in der Wirtschaft und der Mitbestimmung der Gewerkschaften in der Wirtschaft. Ein fortschrittliches, in seinen Konsequenzen zu sozialistischen Ideen führendes Wirtschaftsprinzip setzt sich in einem Lande durch, das bis in die jüngste Zeit die unumstrit« tcue Domäne des schrankenlosen Kapitalismus gewesen ist. Das ist es, was alle Sozialisten ohne Illusionen, aber mit größter Genugtuung angesichts der amerikanischen Wahlentscheidung feststellen dürfen.
Unter der Führung deS Genoffen Tand sprachen gestern die Genoffen Schüfer, Häusler, Kögler, Jakschn. Genossin B l a t n y beim Fürsorgeminister Dr. Meissner im Sinne der am Dienstag gefassten Parteibeschlüsse vor. Dieser Abordnung schloß sich eine ebenfalls im Ministerium eingetroffene Deputation aus dem Gebiete Böhmisch-Kamnitz-Stetnschöna« an, die den ganzen Verhandlungen beiwohnte. Die vom Genossen Taub vorgetragenen und von den einzelnen Teilnehmern ergänzten Forderungen bewegten sich in folgender Richtung: Beseitigung der bürokratischen Beschränkung der E r n ä h- rungsaktion, Zuweisung der LrnährungS- kartcnandireinzelnenBe» zirkenachdenAnträgen der BrzirkSsozialkommisionen in jenem Ausmasse, welche- zur Befriedigung aller alS bezugsberechtigt anerkannten verheirateten und ledigen Personen notwendig ist? Erlassung deS dreimonatliche« Arbeitsnachweises für juoendliche Arbeitslos« und Heimarbeiter, Gewährung einer Gonderbei- hilse an die am schwerst« betroffen« Rotstandsbezirke noch vor Weihnachten ;
Prag . In beiden Häusern der Rationaiver- sammlung wurde am Mittwoch über die Regierungserklärungen debattiert, wobei im Abgeordnetenhaus namentlich di« Rede deS tschechischen Genossen Dr. Marek über die Frage der Erweiterung der Kreditbasis durch Operationen der Nationalbank viel Beachtung fand. Im Senat war es der tschechische Genosse M o d r a L e k, der verlangte, daß nach der Schaffung des GctreidemonopolS für die Landwirtschaft nunmehr die Frage der Arbeitsbeschaffung für die hunderttausenden Arbeitslosen aus der Industrie mit aller Energie einer Lösung zugeführt werde, die nur in einer grosszügigen Jnvestitionspolitik der öffentlichen Hand bestehen könne. Bride Kammern werden Donnerstag früh die Debatte sortsetzen und im Laufe deS Tages voraussichtlich beenden. Im Abgeordnetenhaus sind nicht weniger als 14 Redner noch angemeldet. Als erster Redner wird Genosse Kaufmann zu Wort kommen; später soll auch noch Genosse de Witte sprechen. AlS Redner unserer Senatsfraktion ist Genosse Dr. Heller vorgesehen. Onderöo(Slow. Volksp.) betont, daß seine Partei der offiziellen Außenpolitik niemals Schwierigkeiten bereitet habe und dies auch nicht tun werde; daS ergebe sich schon aus ihrer positiven Ein-
Durchführuug einer Kält«- fchubaktion und einer«mfassende« KindcraussPeis«ng in den Kris engebieten. Im»erlauf der AuSsprache wurde vom Genossen Schäfer auch Abhilfe verlangt gegen die ungesetzlichen Dchikaniernngen von gewerkschaftlichen UnterstützungSbeziehern durch einzelne BezirkS- brhörden. Genosse Dr. Meissner zeigte für di« geäußerte« Wünsche inniges Verständnis. Wie er in seine« Darlegungen betonte, hat er in seinem Amtsbereich schon vor Monaten darauf aufmerksam gemacht, dass der fünfte Krisenwinter auch die staatliche ArbeitSlosenfürforge vor außerordentlich« Aufgab«» stelle. In einig« der aufgerolll« Fragen hat der Fürsorgeminister schm aus eigener Initiative die entsprechend« Vorkehrungen getroffen. Andere erheisch« noch eine Fühlungnahme und Vereinbarung mit den ander« RessortS der Staatsverwaltung und unterliegen der Beschlussfassung der Gesamtregiemng. In dieser Richtung soll« unverzüglich die entsprechenden Schritte ein- geleitet werden. Bei dieser Gelegmheit gab der Fürsorgeminister auch seiner Bereitschaft Ausdruck, im Klub der deutsch « sozialdemokratischen Abgeordneten und Senator« über sein nächstes Arbeits- programm zu referier« und die begonnene Er- örtcrung über dir dringendsten KrisenhilfSmatz- nahmen fortzusetz«.
st e l l u n g zum Staat. An die Adresse Polen - richtet er die Warnung, sich nicht zu viel mit Unga« einzulassen; da- Wort Revision sei auch für Polen sehr gefährlich. Bergmann(Rat. Soz.) hält Dtiibrnh vor, daß er jetzt um die Stimmen der Staatsangestellten werbe, als Minister aber habe er das Reftrinktions- gesetz mit aller Entschiedenheit durchgekämpft und habe sogar allen Staatsangestellten das Wahlrecht nehmen wollen.— Dem Kommunisten Zapotoekh war der Ton des BeneS-Exposös gegenüber Rußland noch viel zu kühl. Der tschechische Genosse Dr. Marek beschäftigt sich vor einem zahlreichen Publikum mit grundsätzlichen Fragen des öffentlichen Kreditwesens. Das ärgste Zeichen unserer Zeit ist die Arbeitslosigkeit, das einzige Heilmittel dagegen gut bezahlte Arbeit. Für diese muß man Geld auftreiben. Die ösfentlich« Körperschaften müssen instand gesetzt werden, auf dem Binnenmarkt als Käufer in großem Maßstab aufzutret«. Als einzig« Ausweg aus der Kreditnot bezeichnet Macek die sogenannten Operationen««? dem freien Markt. Die Notenbank soll die Ermächtigung erhalten, auf dem frei« Markt erstklassige Obligationen zu kaufen. Dadurch wird von ihr Bargeld in Umlauf gesetzt, d. h. der Geldumlaufs vermehrt, ohne daß von einer Inflation die Rede sein könnt«. Die Notenbank kann so den Stand des Bargelde- auf dem Geldmarkt regulieren, indem sie Obligation« nur dann kauft, wenn auf dem Markt große Not an Bargeld ist und die Obligationen somit niedrig im Kurs steh«, und zu einer Zeit verkauft, wo sie als Hüterin der Währung beobachtet, daß sich in der Volkswirtschaft eine allzu üppige Spekulation breit macht. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Notenbank dadurch Verluste erleidet, ist sehr gering. Durch die Sättigung de- Markte- mit Bargeld (durch Ankauf von Obligationen), bzw. durch da- Abziehen de- Bargelde- vom Markt(durch Absto- ßen der Obligationen) kann die Notenbank viel intensiver, al- die- sonst durch Aende«ng der Diskontsätze gescheh« kann,«ine Verbilligung, bzw. Verteuerung des Kredite- Hervorrufen. Durch die Operationen auf dem frei« Markt würden auch die Kurse der Staatspapiere stabilisiert und«ine eventuelle Konvertierung vorbereitet werden. Da- Beispiel des Reeskontinstitutes, das von den angekauften Staat-Papier««inen großen Teil wieder ohne Schwierigkeit« absetzen konnte, zeigt, daß die Befürchtungen unbegründet sind, daß sich in den Treflor- der Nationalbank dann sämtliche Anleihen zu Bergen aufhäuf« würden. Die Besitzer von Staat-papieren müssen bloß die Gewißheit haben, daß sie die Papiere zu annehmbaren Kursen verkaufen können, wenn sie das Geld brauchen. Macek spricht sich ferner gegen die Fusion der beiden Landesgeldinstitute(der Landesbank und der Hypothekenbank) au-, Mlkoch(tsch. Gew.-P.) plädiert für«ine Veräußerung der staatlich« Unternehmungen, da sich ter bürokratische Apparat zu ihrer Führung al» unfähig erwiesen habe, ohne sich klar auszudrücken, wie er sich die Sache konkret vorstellt. Die öffentlichen Lasten und vor allem die sozialen Lasten sind ihm zu hoch; rationalisierte Betrieb« sollte man entsprechend besteuern. Ohne Seitenhieb auf die Konsumverein« t Beseitigung der Steuerbegünstigungen von Korporationen) geht e- natürlich auch die-mal nicht ab. Dr. Nosek(tsch. Dolk-p.) sieht in dem Getreidemonopol den Anfang einer allgemeinen Wirtschaftsregulierung. von der er nur befürchtet, daß sie sich zu einem Staat-soziali-mu- entwik- keln könnte. Der Gedanke, mit seinen Produkten nicht auf den Markt gehen und dort warten zu müssen, bis sich ein Käufer sindet, sondern di« Abnahme zu einem bestimmten Preis gesichert zu haben, habe
auch für die anderen Stände etwas Verlockendes. Man sollte jedoch nur die Anbotspitzen durch«ine kapitalskräftige Gesellschaft auf dem Getreidemarkt aufkaufen, dann wäre auch kein großer Apparat dazu nötig. Die Einführung der Sozialversiche«ng für di« landwirtschaftlichen Arbeiter paßt dem Redner nicht. Die frühere Naturalversorgung der alten Leute auf dem Land durch die christliche Nächstenliebe— d. h. da- Bettelngehen von Hof zu Hof— scheint ihm auch jetzt noch als Ideal vorzuschweben I Nosek warnt zum Schluß vor der Gefahr, daß die Parolen der„Nationalen Front", die sehr ungleichartige Elemente umfaßt, sich zu weit Verbresten. Eckert(d. Gew»P) bricht eine Lanze für den gewerblich« und kaufmännischen Mittelstand, für den er u. a. eine Entschuldung»- und Kreditaktion fordert. Dr. Andina(tsch. Agr.) unterstreicht die Notwendigkeit der Organisierung der Wirtschaft unter Mitwirkung des Staates, wie sie der Ministerpräsident angedeutet hat. Es stellte sich aber bald heraus, daß er dabei ausschließlich agrarische Interessen im Auge hat. Da? Getteidemonopol sei gut ausgefallen, jetzt kommt ein weiterer großer Wunsch- zettel daran: Regelung der Milch- und Fettwirtschast, Organisierung der Biehproduktion durch Schaffung einer Handelsgesellschaft, die die Bieheinfuhr zu regulieren, den Markt durch Jnterventionskäufe zu regulieren und den Export der überschüssigen Ware durchzuführen hätte. Nebenbei soll auch die Quote der SpirituSbeimischung zum Betriebsstoff erhöht werden. Auch die Entschuldung der Landwirtschaft . könne nicht mehr länger hinauSgeschoben werd«. G Lenst Im Senat beschäftigte sich in der AuSsprache über die Regierungserklärungen der tschechische Genosse Modraäek ausführlich mit der Frage der Arbeitsbeschaffung. Er machte u. a. darauf aufmerksam, daß die Zahl der Beschäftigten trotz der Wirtschaftsbesserung nur unwesentlich gestiegen ist, was darauf zurückzuführen ist, daß bei einer Besserung der Beschäftigung zunächst nur di« Kurzarbeiter profttteren, die nun mehr Stund« in der Woche arbeit« können alS früher. Nach Einfüh«ng des Getreidemonopols find di« agrarischen Beschwerden, daß der Index der industriell« Produkte viel höher ist als j«er der landwirtschaftlich«, nicht mehr berechtigt. Jetzt muss sich die gesamte Wirtschaft-- und Sozialpolitik daraus konzentrier«, da- Problem der Judnstriekrisr und der Arbeitslosigkeit energisch anzugehen. Die 40-Stun« denwoche ist sicher notwendig; Redner vergleicht sie aber mit einer Brotschnitte, die man zwischen Hungernde in mehr Teile aufteilt. Um mehr Arbeitsgelegenheit zu schaff«, müsse man öffentliche Arbeiten im groß« Sttle organisieren. Straßenbauten etc. sind kein Experiment, son- dem sind unbedingt notwendig. Wenn der Staat die notwendigen Gelder nicht beschaff« kann, so muß eS die Notenbank tun, auch wenn dies den Theorien des Gouverneurs(Dr. EngliZ I) nicht entspricht. »■ Eröffnet hatte die, Debatte der Gewerbepar- teiler S l ä m a, der u. a. erklärte, das Expose« MalypetrS unterscheid« sich fast in nichts von seiner letzten Erklä«ng. Er verlangt u. a., daß die Finanz- wirtschaft der Selbstverwaltungskörper auf eine andere G«ndlage gestellt und das System der Zuschläge' abgeschafft und durch eine progressive umlagenpflichtige Einkommensteuer ersetzt werde. Nach den weitere» Red« des"slowakischen Volksparteilers Dr. K o v a l i k und de» Kommunisten Pilz, der unter d« gewohnt« Angriffen auf unsere Partei nochmals die Einheitsfront aufs Tapet bringt obwohl ihn doch der 4. November schon hätte überzeugen soll«, in welchem Lager die Einheit-« i front der deuffchen Arbeiter bereits verwirklicht ist, wird die Debatte auf Donnerstag% 10 Uhr I vertagt.
Erhöhte Vorsorge für den fünften Krisenwinter tut not! Eine Abordnung der Partei beim FUrsorgemlnlster
42 BRUNO ADLER: IFAMPF um POLNA ll^= BIN TATSACHENROMAN Copyright 1934 by Michal Kacha Verlas, Prut XIX
Mit einer hochinteressanten Bekundung meldet sich der Schuster Beöera, PeSäks Freund, bei Bitek: an jenem 17. Juli 1898 hat er gegen Mittag vor seinem Haus an der Straße nach Dobroutov den Hilsner mit der Klima innig umschlungen gesehen. Er kannte das Mädel zwar nicht, aber ein paar Stunden vorher war er zufällig dabei gewesen, als sich der Müller Burda mit ihr am Oberen Tor unterhielt; nun erkannte er sie wieder. Er ging dem Pärchen nach, und als Hilsner ihn sah, ließ er das Mädel los.Doch BeLera stellte ihn:„Schau einer dcn Juden an, will sich der an so einem Mädel abwischen l" Und Hilsner gab lachend zurück:„Warum soll ich nicht mit so einem Mädel auf die Wallfahrt gehen?" Nach einigen Minuten umfaßte er sie wieder, und wer kam denn da hinter ihnen? Ein krummer, schmutziger, häßlicher, hinkender Jude, der offenbar dazu gehörte. Der Hinkende hatte einen wilden Bart, ungekämmtes Haar, große Augen und eine krumme Nase, einen langen, dreckigen, verschlissenen Rock, und auch er lächelte spöttisch. Am Abend aber begegnete Veäera auf dem Ringplatz noch einem Juden, nämlich dem Kaufmann Reinhalt aus Zhor. Seltsam, daß der Mann an einem Markttag seinen Laden im Stich ließ. VeLera fragte ihn, war er hier mach«, erhielt aber nur zur Antwort, daß ihn das nichts angehe. Bitek bringt den Zeugen zum Wachtmeister, und dieser vor den Bezirksrichter. Der Aussage steht die des Burda gegenüber: er habe mit der Klima gar nicht gesprochen; demnach konnte Beäera sie schwerlich wiedererkannt hab«. Da
gegen unterstützt der Ausgedinger Jaros dessen Darstellung: er sah an jenem Nachmittag aus dem Laden des Reinhalt einen Mann heraus« kommen, und auf seine Frage, wer das sei, nannte ihm der Kaufmann den Namen Hilsner. Dem Landwirt Jelinek wiederum hat eine Frau Supka erzählt, damals sei bei Reinhalt- ein Jude zu Gast gewesen. Man fragt die Supka, aber sie kann sich nicht erinnern. Erst als Jelinek sie vornimmt, bestätigt sie ihn und fügt hinzu: Reinhall sei mit dem Gast nach Polna gegangen. Die Eheleute Reinhalt behaupten, den Hilsner überhaupt nicht zu kennen, keinen Gast gehabt zu haben und an allen Marfttagen immer zu Hause gewesen zu sein. Immer Neues kommt an den Tag. Man hat den Hilsner mit der Klima von 1 bis 8 Uhr auf der Kirchweih gesehen. Aber wo sind di« beiden dann geblieben? Karoline Brychta und ihre Kusine Aloisia, auch die Franziska Svoboda hatt« an dem Ausflug des Arbeiterverein- in die Bre- sina teilgenommen; und dort sahen sie gegen 0 Uhr Polda mit seiner Freundin ankommen. Sie beschreiben die beiden ganz genau. Hilsner lag bei der Musik im Gras, Marie hieü sich bei den Mädchen aus Ober-WjeSnitz auf, und dreimal tanzten sie miteinander. An andere Festbesucher erinnern sie sich nicht, und kein anderer der Teilnehmer kann ihre Wahrnehmung bestätig«. Auch Burda, der einzige, der daS Mädchen kannte, war bei dem Fest, sah sie aber nicht. Sonderbarl Nach dem Verschwinden der Klima im Sommer 1898 hatten dir Elte« und die Gendarmen vergeblich überall herumgefragt. Kein Mensch wußte ihnen auch nur den geringsten Anhaltspunkt zu geben, wohin die Marie geraten sein mochte. Es lag nahe, daß sie zur Kirchweih nach Zhor gegangen war— niemw‘ konnte sich erinnern, sie dort gesehm zu haben, i emand wußte etwas von ihrer Anwesenheit b i dem Arbeitersommerfest. Jetzt, anderthalb Ja) re später, marschiert eine ganze Reihe von Augenzeugen
auf, die sie in so auffälliger Gesellschaft sahen, sich ihrer Kleidung, ihrer Gespräche, ihre» Benehmens bis ins einzelne entsinnen. Und wieder steht gegen jede Behauptung ein sie negierendes Zeugnis. Die Polnaer und ihre Vorkämpfer sind in Sorge. Der Gegner operiert mit Erfolg. Au- Wien kommen bedenkliche Nachricht«. Es ist wieder einmal eine neue Regierung am Ruder, die Justtzpflege ist dem Baron SpenS-Booden anvertraut, einem angeblich freisinnigen Mann. Prompt hat der KaffattonShof den Anträgen der Juden nachgegebm und von der Prager medizinischen Fakultät daS Gutachten eingefordert, da» Hilsners Verteidiger bisher vergeblich verlangt hat. Auch der Richter Baudysch arbeitet in dieser Richtung und legt der FakultA eine Reihe von Einwendungen vor, die sich im wesentlichen mit den Ansichten deS ehrlosen Professor» Masaryk decken. Man merkt eS in Polna dm Juden geradezu an, wie sie wieder Oberwasser bekommen. Sie wagen sogar über PeSäk Witze zu machen, wenn er an ihnen vorbeigeht. Aber Peter PeSäk ist nicht der Mann, der den Spott eine» Juden hinnimmt. Er wendet sich zuerst an daS Rechtskomitee. Dort lauf« viele Fäden zusammen, dort studiert man Akten und stellt Erhebung« an ttoh einem Untersuchungsgericht. Dabei entdeckt man. daß die Kirchweih von Zhor in eine Zett fiel, in welcher Hilsner auf der Wanderschaft war. Am 21. Juli ist er damals zurückgekehrt. Die Daten liegen vor... Indes die Schwierigkeit ist nicht unüberwindlich. Es finden sich Zeugen gmug. Und ein Mann wie PeSäk braucht nur sein Gedächtnis ein wenig anzusttengen— hat er nicht dm Polda um jene Zeit mehrmals im HerrschaftS- wald gesehen?— Freilich, daS erstemal am 21. Juli 1898— al» er nach Ober-WjeSnitz ging um Milch zu holen für den Kuchen zum Namenstag seiner Frau. Der Hilsner kam ihm entgegen, sah weg, grüßte nicht und wich ihm au». DaS war ganz in der Näh« deS Platzes, wo man später da»
Skelett fand, und dort sah er ihn im September noch zweimal. Er saß unter einem Lärchenbaum, den Kopf auf den Arm gestützt und schaute zu Boden...- Im Kampf um Polna wird der Vorstoß deS Gegners mtt einem Gegenangriff pariert. Man wird sich den schon einmal errungenen Sieg nicht entwinden lassen! Das ausführliche Gutachten der ffchechischen medizinischen Fakultät in Prag kommt zu dem Schluß, daß dm Mord an Agnes Hruza ein einziger Mensch ausgeführt haben kann. Todesursache ist die Schnittwunde am Halse; sie konnte mit jedem beliebigen Messer, auch mit einem gewöhnlichen Taschenmesser beigebracht werden. Die Möglichkeit, daß Agne» im Wald getötet wurde, ist durchaus gegeben;' wahrscheinlich geschah der Mord in der Vertiefung nächst dem Fundort. Ob die Strangulatton vor oder nach dem Tode geschah, kann nicht erwiesen werden. Daß die Leiche erstarrt in den Wald transporttert wurde, ist auszuschließen. Der Tod trat längstms zwei Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme ein. Warum die Leiche teilweise auSgekleidet, die Kleidungsstücke auseinandergettagen und versteckt, der Körper mtt jungen Fichten bedeckt und die Fäden an den Bäumen aufgehängt wurden, kann nicht erklärt werden. Diese Manipulationen sind möglicherweise ein Ausdruck geschlechtlicher Perversität, die auch als Tatmottv in Erwägung zu ziehen ist. Auf dieses Gutachten gestützt, hebt der k. k. Oberste Gerichts- und Kassationshof mit Erkenntnis vom 28. April 1900 Wahrspruch und Urteil von Kuttenberg auf und verweist ,chie Sache im Anklaaestadium behufs wiederholter Prüfung der UntersuchungSergebniffe durch neue Geschworene zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung in die nächste Schwurgerichtssitzung des k. k. Kreisgerichts in Pisek ". Sowohl gegen die Feststellung einer Mehrheit von Täte« wie gegen die Annahme der Tücke bestehen erhebliche Bedenken. .(Fortsetzung folgt.).