«Sette 2
DienStag, 13. November 1934
Nr. 288
Politik der KPD den Interessen der Arbeiterklasse entspricht. Gerade das, was Aufhäuser verhindert und vermieden wissen wollte, daß man aus der Einheitsfront eine Prestige- oder Agitationssache mache, stellt Walter bewußt an die Spitze seiner Polemik, um darzutun, daß die KPD auch heute noch, nach allen Erfahrungen und allen taktischen Schwenkungen der Komintern keineswegs gewillt ist, ihren alleinigen Machtanspruch auf die. Beherrschung der deutschen Arbeiterklasse aufzugeben. Pathetisch fragt er:„WaS hat bisher die Einheitsfront in Deutschland verhindert?", um alsbald die Antwort darauf zu finden: natürlich nur der Verrat der SPD . Die KPD habe wiederholt Einheitsfrontangebote gemacht: am 20. Juli 1932, im Jänner 1933 und beim Reichstagsbrand. Er erinnert auch an den Streik der Ber liner Berkehrsgesellschast, den die Kommunisten gemeinsam mit den Nazi führten und der, wie Walter selbst sagt,„den Sturz der Papenregie- rung zur Folge hatte", allerdings mit keinem anderen Ergebnis, als daß damit der Weg zum Machtantritt Hitlers frei wurde. Wie verblendet die Kommunisten auch heute noch sind, erweist gerade dieser Hinweis Walters, der die von Nazis herbeigeführte Unruhestiftung als„Kampf" der Arbeiterschaft betrachtet, während eS doch nichts anderes als ein wohlberechnetes Manöver war, um dem Bürgertum die Notwendigkeit einer„starken Regierung", eben der Regierung Hitler aufzuzeigen. Daß vorher die Kommunisten mit den Nazi zusammen das Volksbegehren für die Auflösung des preußischen Landtages und wenig später für jene des sächsischen Landtages durchführten, daran hat Walter offenbar«vergessen", da sich vielleicht wenigstens im Nachhinein die kommuni stischen Drahtzieher dieser offenen Unterstützung der fascistischen Reaktion schämen. Doch hören wir weiter, zu welchen Ergebnissen das prominente Mitglied des Zentralkomitees der KPD kommt: die Einheitsfront kann nicht von oben, ste kann nur von unten gemacht werden. Es müssen die l o k a l e n Organisationen sein, die sie verwirklichen. Warum das so und nicht anders sein soll, warum die Kommunisten keine zentralen, bindenden Vereinbarungen über den gemeinsamen Kampf eingehen wollen, wird nur allzu bald klar, wenn man weiter liest, daß„die Aktionseinheit bald zeigen wird, welche sozialdemokratischen Gruppen auf dem Wege des revolutionären Klaffenkampfes vorwärtsschreiten, und wer sich in Worten für die Einheitsfront erklärt, aber in der Tat die Politik der Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie fortsetzt." Das wagt Walter in einem Zeitpunkt zu sagen, wo die deutschen Konzentrationslager und die Gefängnisse ebenso von Sozialdemokraten wie von Kommunisten bevölkert werden, wo der gemeinsame Klassenfeind die Angehörigen der Arbeiterparteien an der Gurgel sitzt! Damit man aber ja nicht mißversteht, wie sich Walter die Schaffung der Einheitsfront vorstellt, so verweist er einerseits auf die Verwirklichung der kommunistischen Grundsätze»auf einem Sechstel des Erdballs", welcher er den Zusammenbruch der demokratischen Politik, der«Verherrlichung des kapitalistischen Staates" und der „Wirtschaftsdemokratie" gegenüberstellt, um dann sehr eindeutig zu erklären:„Wir Kommunisten haben an der Theorie des Marxismus-Leninismus nichts zu ändern." Sie sind.nach wie vor unfehlbar und während die Sozialdemokraten„den Sozialismus diskreditierten" und während die „sozialdemokratischen Theorien Bankrott erlitten", habdn die Kommunisten alles richtig getan und
vorausgesehen und deshalb kann es nur eine Konsequenz geben: daß „die sozialdemokratischen Mitglieder und Gruppen, die diese Politik durchschaut haben und die Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie und die bürgerliche„Demokratie" ablehnen und den Kampf für die Diktatur des Proletariates wollen, Mitglieder der Kommunistischen Partei werden und sich, wie Marx und Engels es getan haben, Kommunisten nennen müsse n." Dasl-also ist des Pudels Kern! Die Kommunisten sind„vorbehaltlos und uneingeschränkt zum gemeinsamen Kampf mit den sozialdemokratischen Klaffengenossen bereit", aber n u r d a n n.
Ueberflüssise Arbeit In den StaatsSmtem Prag . Aus der Rede deS Genossen Hackenberg in der Generaldebatte im Budgetausschuß sei inssondere die sachliche Kritik gewisser Mißstände in dem bürokratischen Apparat der Staatsverwaltung hervorgehoben. Wir hören, erklärte Hackenberg u. a., einerseits von einem bedeutenden Mangel an Staatsangestellten in manchen Aemtern und insbesondere bei der Steuereinhebung; andererseits müssen wir«ine ganz überflüssige Belastung der Beamte nundderAemter feststellen, weil bisher mit einer entsprechenden Verwaltungsreform und mit der Abgrenzung der Kompetenzen nicht Ernst gemacht wurde. In den Aemtern wird ungeheuer viel überflüssige Arbeit verrichtet. Man braucht nur zu erwägen, welche Wege ein Akt in materiell ganz belanglosen Dingen bis zu seiner Erledigung machen muß. Oft sind die Kosten der aktenmäßigen Erledigung einer Sache h ö b e r, als der Wert des Gegenstandes, um den es sich handelt. Richt nur untergeordnete Stellen, sondern auch einige Ministerien müssen sich ost mit einem Akt befassen und die Parteien leiden nicht nur unter der Langwierigkeit des Amtsweges, sondern auch die Aemter selbst werden dadurch überlastet. Wir brauchen daher dringend ein Gesetz zur Abgrenzung der Kompetenzen vor allem der einzelnen Ministerien. Als Beispiel für diese überflüssige Belastung der Aemter führt Hackenberg u- a. auch die Starrköpfigkeit des Finanzministeriums an, das sich gleichlautenden Entscheidungen des Obersten Verwaltungsgerichtshofes, wornach bei Aerzten, welche in der Krankenversicherung Dienste leisten, die Vorfchreibung der Erwerbsteuer gesetzwidrig ist, absolut nicht fügen will. So wird das Oberste Verwaltungsgericht überflüssig belastet und andere Beschwerden bleiben liegen. Das alles könnte vermieden werden, wenn die Verwaltungsorgane auf die Erkenntnisse des Obersten LerwaltungsgerichtS Rücksicht nehmen wollten. Glaubt daS Finanzministerium, daß diese Entscheidung deS Obersten Verwaltungsgerichtes untragbar ist, dann soll es im Wege der Gesetzgebung für ein« Aenderung deS Gesetzes sorgen, nicht aber hartnäckig auf seinem Widerstand gegen diese Entscheidung festhalten! Später stellte sich Gen. Hackenberg auf den Standpunkt, daß die Beschlüsse der Sparkpunnission, die oft für keine Partei sehr angenehm sind, auch kollektiv verwirklicht werden müssen, d. h. in ihrer Gesamtheit oder gar nicht. Es geht aber nicht an, einzelne Dinge aus diesen Beschlüssen herauszugreifen, wie sich dies Herr Dr. H o d a<5 vorstellt. Wenn man sich z. B. einigt, daß im Mittelschulwcsen eine Ersparung erzielt werden soll, indem man Gymnasien aufläßt und einen einheitlichen Typ der Real-! gymnasien schafft, so muß das auch für den Bereich der anderen als der deutschen Rationalität gelten. Ebenso ist es mit den Vorschlägen für di« Drosselung im Hochschulwesen. Auch hier darfman dann nicht bloß
wenn alle Sozialdemokraten zu Kommunisten werden:„Die Einheit der Arbeiterklasse unter dem Bannerder Kommunistischen Internationale wird die Voraussetzung schaffen für das Ende der bürgerlichen Klassenherrschaft in Deutschland , für den Sieg des deutschen Proletariates!" Wer nach diesen bornierten Auslassungen noch Lust hat, mit den Kommunisten über die Schaffung der Einheitsfront zu diskutieren, der diskutiere. Aber er wird sich dessen bewußt sein müssen, daß er damit schon sich und seine Partei den Kommunisten mit Haut und Haaren verschrieben hat!
die eine deutsche Technik herauSgreifen. Herr Dr. Hodaä möge zur Kenntnis nehmen, daß das ganz ausgeschlossen ist! Den Hauptantell seiner Ausführungen widmete Hackenberg unseren wirtschaftlichen Forderungen und der Milderung der Notlage in den Hungergebieten. AuS einer Statistik über die in nächster Zeit möglichen öffentlichen Arbeiten in Böhmen geht hervor, daß gerade die ärgsten Notstandsgebiete für Investitionen fast' kaum in Betracht kommen, da die Gemeinden der betreffenden Gebiete eben keine Mittel haben, um irgendeine Arbeit zu beginnen. Hier muß Abhilfe geschaffen werden!
Hacker wirbt für Henlein Auf einer mit großem Lärm angekündigten landständischen Tagung in Brüx sprach am Sonntag Herr Hacker, seines Zeichens amtierender Parteivorsitzender-Stellvertreter des Bundes der Landwirte. Hacker hat sich schon in früherer Ze't für Henlein sehr weitgehend exponiert; er sagte auch in Brüx von sich, er hecke die„Konzeption Spina—Henlein" eifrig gefördert. Während die demokratische Oeffentlichkeit die Böhmisch-Leipaer Kundgebung Henleins sehr kritisch betrachtet und Henlein vor allem vorwirst, daß sein Verhältnis zu Hitler nicht geklärt ist und es unmöglich ist, bei Billigung der hitlerischen Außenpolitik loyale Staatspolitik zu treiben, fand Herr Hacker, der' Exponent einer Regierungspartei, keinen Anstand, über die Be- dcnflichkeiten der Kundgebung von Böhmisch-Leipa hinwegzusehen. Es handelt sich aber für den aufmerksamen Beobachter nicht nur um Bedenklichkei- ten, sondern um den klaren Beweis, daß sich Hen lein zu Hitler bekennt. Hacker aber findet, daß die Henleinfront„aufbauend" wirft— sie sammelt mit Erfolg alles in ihren Reihen, was hit- leristisch war, ohne den Hitlerismus abzulehnen und zu bekämpfen— und meint, es sei nicht nur „sudetendeutsches Recht", sondern sogar„sudetendeutsche Verpflichtung", das V e r st ä n d n i s für Henlein zu pflegen. Die neue Kundgebung Hackers zeigt, daß beim B. d. L. keine Geneigtheit zu bestehen scheint, das Verhältnis zur SHF zu klären. Sie beweist uns sogar, daß der B. d. L. durch die ihm aus der landständischen Jugendbewegung aufgenötigten Führer zum Gefangenen der SHF gemacht wurde. Wie er das als Partei erwägt, ist seine Sache. Uns dünft aber, daß die ganze Angelegenheit auch eine koalitions- p"o l i t i s ch e Seite hat. Die Koalition dürfte nicht geneigt sein, die durch Henlein geübte freundschaftliche Tolerierung des Hitlerismus dadurch zu unterstützen, daß sie sich gegenüber der Verbrüderung des B. d. L. mit der SHF blind zeigt.
Wie in alten Zeiten... Wo wird die sudetendeutsche Politik gemacht? Das Prager Kasino, das baulich nunmehr erneuerte, Deutsche Haus auf dem Graben, ist jahrzehntelang das Zentrum des sudetendculschen Bürgertums und die Garküche seiner politischen Ideen gewesen. Von dort aus haben die Liberalen die privilegierten Kurien« bezirke beherrscht, Landtags- und Reichsratspolitik gemacht. Dort wurden die verschiedenen Punfta« tionen ausgeheckt, an denen jahrzehntelang der nationale Ausgleich scheiterte und die das Voll über die sozialpolitische Untätigkeft und die Zurückgebliebenheit unserer gesellschaftlichen Verhältnisse täuschen sollten. Als die Deutschradikalen cm die Stelle der Liberalen traten, war es nicht besser und so sehr die W o l f und Konsorten gegen die Kasinoten wetterten, im Grunde wurde die deutschböhmische Politik weiter im Kasino, nm im Bierkeller statt in den Klubräumen gemacht. An diesem historischen Ort»hatte sich dieser Tage Konrad Henlein eingefunden. Flankiert von seinen Trabanten Sebekowski und Brand, gefolgt von dem unvermeidliche» Satelliten Dr. S t i e f, war er auf dem Rek- torenkonnnerS der deutschen klerikalen und nationalistischen Sttrdenten erschienen. Die akademischen Würdenträger ließen sich von dem hoffnungsvollen Nachwuchs anstrudeln, besonders San Nicolo und Gesemann waren da. ES gab Studenten in Wichs und Farben, Aufzug der Chargierten und viel Beifall für Henlein . Außerdem, wie die„Deutsche Preffe" zugibt, politische Demonstrationen„naiver radikaler studentischer Teilnehmer". Und ohne Zweifel ist, was weder in der„Bohemia" noch in der „Deutschen Preffe" und schon gar nicht in der „Morgenpost" des Dr. Stief berichtet wird, so zwischen dem dritten und dem vierten Krügel Pilsner Bier wieder ein neues Kapttel sudetendeutscher Volks-, Heimats- und Einheitspolittk aufgeschlagen worden, wobei alle Belange gewahrt und nur die Interessen von 80 Prozent der sudetendeutschen Arbeiter, Bauern und verarmten Kleinbürger übersehen werden, wie fest den Zetten derSchmeykal, Bachmann. Wolf, dann der K a l l i n a und Rosche bis eben zu Nicolo, Henlein und Stie-f.,
Karl Krelbich kneift! Die neueste kommunistische Linie Für Dienstag, den 6. November, hallen die Kommunisten in den Kinosaal von Mährisch- Trüb a u eine öffentliche Versammlung einberufen. Wie die Plakate verkündeten, sollte Karl K r e i'bl ch sprecht».' Die VersammlüngrwSr schont vor 14 Tagen von der Behörde anstandslos bewilligt worde«. Der große Kinosaal war Punkt halb 8 Uhr abends bis auf das letzte Plätzchen gefüllt. Etwa 500 Menschen, darunter der größte Teil unsere Genossen, waren gekommen, um zu hören, was ihnen der große kommunistische Führer Karl Kreibich zu sagen habe. Die Arbeiter waren da, aber der Führer kam nicht. Nicht einmal der Vorsitzende der Versammlung war zu sehen. So verging eine halbe Stunde geduldigen Wartens. Um 8 Uhr erschien der Regierungsvertreter im Saal und fragte laut, wo der Vorsitzende der Versammlung sei. Als sich niemand meldete, erklärte er, die Versammlung könne nicht stattfinden, da sie eine halbe Stunde nach dem ge-
Die Anklageschrift, die man ihm in die Zelle dringt, legt er achtlos beiseite. Fragt ihn jemand, hat er nur eine Antwort:„Ich habe es nicht getan." Am Tage des Prozeßbeginns appelliert Masaryk noch einmal an den gesunden Menschenverstand und die Rechtlichkeit seiner Leser» stellt die Hauptbeweffe gegen den Rttualmord und gegen HilSners Schuld zusammen und beruft sich auf die von ihm eingeholten Gutachten der ersten medizinischen Autorität Europas , die in dem Pol- naer Mord ein reines Sexualverbrechen erkennen. „Rärodnt Listy" versichern, ihre Berichte aus Pisek würden„bis zum letzten Wort durch und durch objektiv, weder so noch so gefärbt" sein. Denn die Wahlen stehen vor der Tür und man will sich die jüdischen Stimmen nicht verscherzen. Andere Blätter prophezeien, daß der Prozeß eine überraschende Wendung nehmen, und daß es zur Schlußverhandlung überhaupt nicht kommen werde. Vom ersten Verhandlungstage an ist das Auditorium dicht besetzt, die Damen sind in der Mehrzahl. Hilsner ist nervös, ernst und aufmerksam. Er erklärt sich für nichtschuldig an den Mordtaten und bekennt sich schuldig der Verleumdung. Nochmals widerruft er sein Geständnis. Bor Angst und infolge der Quälereien sei er halb verrückt gewesen. Die Klima habe er gar nicht gekannt. Er schildert seinen Aufenthalt in Jglau, logisch, alle Zweifel energisch zurückweisend, jedem Einwurf gewachsen. Sein Gehaben ist sympathischer als in Kuttenberg . Die Art, wie die Verhandlung geleitet wird, macht ihm Mut. Als man
unter lebhafter Hetterkeit seinen soldattschen Liebesbrief an die Beiresch verliest, zupft er verlegen an den Manschetten. Maria Hruza bricht vor Gericht in Tränen aus.„Aneßko moje!" schluchzt sie und tiefe Bewegung ergreift den Saal. Den Hilsner, erklärt sie, hat die Agnes gekannt.„Sie sah ihn bei der Wallfahrt in Zhor, damals, als die Klüna verschwand."—„Davon haben Sie uns aber bisher gar nichts gesagt!"—„Ich bin auch ni'cht danach gefragt worden." Die Tochter habe ihn Polda genannt, und Vecera sei auch dabei gewesen.„Warum haben Sie das denn nicht früher erzählt?"—„In Kuttenberg war mir so schlecht..." Zwischen ihren und den Aussagen des Vormunds Novak ergeben sich Widersprüche. Als die Verteidigung dies feststellt, macht der Redakteur Husek aus dem Zuhörerraum laute Zwischenrufe. DaS Publttum kommt in Sttmmung. Baxa wiederholl, das Jäckchen der Toten sei jetzt blutiger als in Kuttenberg ; der Staatsanwalt beanttagt, darüber Sachverständige zu beftagen, „damit jene ftechen Lügen, die von gewissen Parteien und unter dem Schutz der Immunität im Parlament vorgebracht wurden, Endlich und gründlich widerlegt werden!" Ein Anttag der Verteidigung auf Vernehmung des Johann Hruza wird abgelehnt. Der Zeugenaufmarsch nimmt viele Tage in Anspruch. Selinger wird aus dem Gefängnis vorgeführt und geht ab, mit neuen Verdachtsmomenten belastet. Alle bewegen sich diesmal erheblich ungenierter und aufgeregter. Marie Huber hat sich, als sie damals die drei Juden sah, gleich gedacht: wohin die nur schächten gehen mögen? Auch sie weiß heute viel mehr als in Kuttenberg , nur daß sie vor Gericht den Fried beschuldigt hat, leugnet sie. Als Hilsner ihr erwidert, schrett sie ihn an: sie sei eine anständige Frau und fürchte sich vor keinem Juden und keinem Advokaten, sie habe ihre Kinder erzogen und niemand könne ihr etwas nachsagen, und sie habe fünf Jahre in Sim
mering gelebt Sie tritt an Hilsner heran und holt zum Schlag aus:„Der Donner soll dich treffen!" Sie tobt und fuchtelt und flucht, bis sie gewalffam weggeschafft wird. Noch von draußen hört man sie schimpfen und drohen. Auch Cink hat sein Gedächttüs erstaunlich entwickelt. Wenn der Verteidiger auf diese Er- rinnerungszunahme zu sprechen kommt, protestiert das Publikum. Auch die Geschworenenbank murrt. Vesely, die Vytlakil und die Reismann haben das Schachtermesser genau gesehen, und zu ihnen hat Hilsner von seiner Geliebten in Wjesnttschka gesprochen, er soll nur nicht versuchen, ihnen das ab- zuleugen! Stramm, mit aufgezwirbeltem Schnurrbart, zwei Medaillen an der Brust, erscheint Peter Pesäk, schlägt forsch die Haken zusammen und gibt seine Bekundungen weitschweifig und pathetisch ab. Auf Fragen der Verteidiger antwortet er frech, der Präsident muß ihn zurechtweisen. Wenn er von den Polnaer Juden spricht, ahmt er zum Gaudium der Zuhörer den jüdischen Tonfall nach. Zwischen Hilsner und ihm kommt es zu lebhaftem Stteit. Einem Antrag, PeSäks Vorstrafen zu verlesen— er ist u. a. wegen Diebstahls vorbestraft— wird nicht stattgegeben. Piseker Bürger und Geschworene bekommen in Deutschland hergestellte Ritualmordbroschüren zugeschickt. Dr. Aurednicek erhalt' täglich Droh- und Schmähbriefe, zumeist aus Wien.„Närodnk Listy" wissen von einem Räffel. Hilsners Kamerad Leixner habe sich gebrüstet:„Was kann Hilsner, denn aussagen? Nichts! Aber wenn ich sprechen wollte!" Jetzt sei Leixner unauffindbar. Eine katholische Prager Zeitung verbreitet ein Gerücht aus Pisek , wonach ein bei Juden beschäftigtes Dienstmädchen spurlos verschwunden sxin soll. Das Gerücht entstand, wie„Cas" meldet, weil die Piseker Kinder HilSnerprozeß spielen und die Buben dabei den Mädchen mit dem Abschlachten drohen. Die Stadt und die Umgebung sind vom Antisemitismus bereits ganz erfaßt; die so
genannte gute Gesellschaft geht damtt voran. Der Boykott der jüdischen Geschäfte setzt sich durch. Eine viel größere Sensaüon als der Prozeß bringt ein Automobil. Das„Prager Tagblatt" hat es seinen Berichterstattern zur Verfügung gestellt, die nun nicht mehr auf den überlastete» Draht angewiesen sind— Telephon gibt es in Pisek nicht—, sondern ihren Bericht in Budweis aufgeben können und ihrer Zeitung damit eine« Borsprung von ein paar Stunden sichern. Ganz Pisek ist aufgeregt, als der Wagen zum erslenmcä nach dem 50 Kilometer entfernten BudweiS startet. In zwei Stunden wird die abenteuerliche Fahrt bewälttgt. Um das Schicksal der Reisenden ist man ttefer besorgt als um das des Angeklagten. Die Herren des Gerichtshofes, voran der schneidige Staatsanwalt, lassen sich auf jene Fahrt vormerken. Eine Wählerversammlung findet statt, Baxa soll sprechen. Also wird der Fall Hilsner seine politischen Dienste tun müssen. Die Bevöllerung ist den Radikalen noch nicht unruhig genug. Aber die Versammlung ist vornehmlich von Sozialdemokraten und Realisten besucht und Baxa sagt ab. Tie Zeugenvernehmung geht weiter. Amalie Schubert berichtet dramatisch von einem^ssespräch mit Johann Hruza.„Das haben nur diese verfluchten aussätzigen Juden getan!" sagte er. „Die Juden," entgegnete sie:-„kennen die zehn Gebote. Kennen Sie sie auch?" Darauf habe er zitternd erklärt:„Recht ist ihr geschehen, dein Luder!" Die Zeugin, Hermann Aufrecht und andere bekunden, daß Johann beim Begräbnis der Schwester Verletzungen an den Händen und am Hals verborgen habe. Als in einer Pause Aukedniäek mit Hilsner spricht, macht Husek Krach. Das Publikum beteiligt sich ungeniert daran. /Fortsetzung folgt.)