Donnerstag, 22. November 1934 Nr. 274 14. Jahrgang Einzelpreis 70 Heller (einschlioBlich 5 Hallar Porto) ZENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEM ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii.. fochova«2. telefon$3077. Administration Telefon$307«. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG . Fritz Kreisler auf freiem Fuß Kein Widerspruch Italiens gegen das Vorgehen Jugoslawiens Kesseltreiben gegen den Chef der Reichswehr 1 Wettern! R« ndstädt feilt, den noch Pap en er­nannt dat. Nach einer Meldung des Tfch. P.-B. spricht alles dafür, daß zwischen den beiden Staatsmän­nern vollständige Meinungsgleich­heit über die wichtigsten politischen Probleme herrscht, welche die beiden Staaten direkt betreffen. Den Hauptgegenstand dieser Beratungen bildeten die Fragen des O st Paktes und die weitere Vertiefung der f r a n z ö s i s ch-rn s fi­schen Beziehungen, Japanische Intriguen beim Handel um die Ostchinabahn den der Großmächte sein. Nicht von Recht und Unrecht ist die Rede, sondern von den Machtver- hältnissen in Europa und im Völkerbund. Frank­ reich steht an der Seite Jugoslawiens , England zögert und zeigt sich desinteressiert. Und Italien ? Mussolini hat vor dem Attentat die Schwenkung in Italiens Außenpolitik vorbereitet. Annäherung an Frankreich und an die Kleine Entente , sogar an Jugoslawien , Abrücken von der»revisionistischen" Front, die doch infolge des Zerwürfnisses zwischen Italien und Deutschland sowieso im Zerfall war. Jedem war klar, daß Italien seine Vasallen, Un- Der Chaco-Konflikt vor dem Völkerbund 'm L7 t rl ,..| nlucyi oie,er yoyen«orperimasr Nur dort bestehe die I f en Jahren genüg ost sichtbar u..b emen Vorposten"^ europäischen brauchbares Instrument kann er nur in den Hän- sitzende dem Präsidium einer Handelskammer ent­nommen werde, die im internationalen Rufe der Solidität stehe, und schlägt einen englischen oder amerikanischen (USA ) Handelskammer-Präsiden­ten vor. Japan verlangt, daß der B 0r- sitzende ein Japaner sein soll, also An­gehöriger einer Macht, die doch Mandschukuo gegenüber nicht neutral ist! Endlich w e i g e r n s ich die Japaner, die bereits vereinbarten Abfindungs­gel d 0 r für die entlassenen russischen Beamten und Angestellten der Bahn a« sz:rzahlen. Es scheint demnach, daß die Japaner es dar­auf angelegt haben, den Abschluß des Kaufver­trages hinauszuziehen und aus der Materie immer neue Konfliktsstoffe zu gewinnen, vis sich zu einem ihnen genehmen Zeitpunkt der Krieg daran ent­zündet. Genf . In der außerordentlichen Völkerbund­versammlung erstattete der Berichterstatter, der 7 tschechoslowakische Gesandte in Paris Doktor . O s u s k h, den Bericht über die Frage des Chaco- Gebietes in Südamerika . Er konstatierte? daß die kriegführenden Parteien den Artikel 12 des Böl- kerbundpaktes verletzt haben, der die Anwendung von Gewalt zur Lösung von Streitfragen v e r- . bietet. Die Verletzung des Völkerbundpaktes berührt den Bestand der internationalen Gesell­schaft und damit auch aller Mitglioder des Völker­bundes und aller Staaten. Es ist Ausgabe der Versammlung, dem VölkerbMdgakjL den Respekt zu e r'z w i n g e n. Der schwedische Delegierte U n d e n legte na­mens der skandinavischen Staaten, Spaniens und der Schweiz einen Antrag vor, in welchem gefor­dert wird, daß der Haager Jnternatio- Litwinow erklärte, daß. diese Zusammen­kunftnützlich«nd herzlich" gewe­sen sei. I sär für Aeußeres Litwinow konferierten am ! Mittwoch zwef Stunden lang über alle Frank- ! reich«nd den Sowjetverband interessierenden ! Probleme. vie österreichischen Lauern gegen den Fascismus Wien. (Tsch. P.-B.) Dienstag fand eine Beratung sämtlicher Bauernbundobmänner'statt. Nach einer sehr eingehenden-Debatte wurde eine Resolution beschlossenem welcher die Bauernbund- rbmänner erklären, die Bauernschaft Oesterreichs sei unterkeinen U m st ä n d e n g e w i l l t, ihre wirtschaftlichen und politischen Organisatio­nen, die B au ernbünde u n d dieLand- wirtschafkskammern auflösen zu lassen. Die Bauernbünde seien gewillt, in der Vaterländischen Front mitzuarbeiten, ihre Frei­heit müsse aber gewahrt werden. Neue Beratungen der Kleinen Entente Genf . Die Staatsmänner der Kleine« Entente hielten am Mittwoch abermals Beratun- Dr. Fritz Kreisler ist aus der Siche­rungshast des Prager Landesgerichtes ent­lassen worden. Damit Haven unsere Behörden und Gerichte nicht nur bewiesen, daß sie das Ansehen der Re­ publik gegen die Zumutungen habsburgischer Feldwebel zu schützen wissen, sondern auch ge­zeigt, daß sie imstande sind, unter Vermeidung bürokratischer Umwege einen Fall nach rechtlichen und menschlichen Grundsätzen in kurzem Ver­fahren z« Ende zu führe«. Mussolinis Wiederannäherung an Hitler Genf.(Halms.) Informationen aus matz-1 gebenden italienischen Kreisen zufolge wird Italien dem Einschreiten Jugoflawiens beim Völkerbünde keine Hindernisse in den Weg legen, da dasselbe dem strik­ten«nd unbestreitbaren Rechte entspricht. Die italienischen diplomatischen Interventionen wa­ren bloß darauf gerichtet, die Komplizierung der schwierigen Lage durch eine Pressekam- pa g n e zu verhüten. Auf die Frage des Vertreters des Havas- büros über die ferneren Absichten des jugoflawi- schen Delegierten antwortete Jevtik einfach: Ich werde meine Pflicht tun. Das Ersuchen Jugoflawiens, die Angelegen­heit des Marseiller Attentates auf die Tages- 1 ordnung des Völkerbundes zu setzen, wird wahr- scheinlich am Donnerstag überreicht werden.' Hierauf wird die jugoflawische Delegation ihr Memorandum und alles Belegmaterial hiez«' veröffentlichen. 1 Hintergründe von Marseille Was wird In Genf geschehen? In einem irre gewordenen Europa , dessen Hauptkrankheit ein siechendes und doch furchtbar zähes Gesellschafts- und Produktionssystem ist, gewinnt der Fascismus eben als Hauptsymp­tom dieses Jrrseins immer mehr die Oberhand. Dies zeigt das Attentat von Marseille viel krasser und brutaler, als die noch denkende europäische Oeffentlichkeit, desto klarer sieht man die Fäden, Oeffentlichkeit es in den ersten Tagen nach- gen mit dem französischen Autzenminister L a v a l j geglaubt hat. Je mehr Zeit verstreicht, ab. Bormittags empfing Laval den Minister> desto klarer sieht man die Fäden» I e v t i L«nd nachmittags traf Dr. Benes mit Minister Laval eine Stunde vor dem gemeinsamen Abendessen der Minister der Kleinen Entente zu­sammen. Den Gegenstand dieser Beratungen bildeten einerseits die Beschwerde der jugoflawische« Re­gierung in Angelegenheit des Marseiller Atten­tates«nd andererseits verschiedene politische Fra ­gen, über die noch in Genf verhandelt werden wird. Außenminister Laval wird Donnerstag nach Paris abreisen und erst zur Ratstagung wieder «ach Genf zurückkehren. laval-litwinow Nützliche und herzliche" Aussprache In Genf Vor der Uebergabe des Memorandums Die japanische«nd die mandschurische also von Japan bezahlte Presse behaupten seit einiger Zeit, daß Rußland beim Vertragsabschluß über die Ostchinabahn Schwierigkeiten mache. Das russische Nachrichtenbüro stellt diese Meldungen dahin richtig, daß die Schwierigkeiten von Japan gemacht werden und konkreti- ! siert seine Angaben durch die Aufzählung der Streitpunkte. Rußland, das die Bahn formell an Man­dschukuo verkauft, von dem jedes Kind weiß, daß es nur eine japanische Provinz ist, fordert von Japan Garant ienfürdieBezahlnng. Japan lehnt diese Garantie ab«nd verspricht lediglich, im Falle Mandschukuo nicht zahlen könne, sich alsVermittler" Mr Verfü­gung zu halten. Hier liegt also offenbar der Ver­such vor, Rußland um die Kaustumme zu prellen. Für die Streitfälle, die sich aus dem Vertrag Iergeben sollten, wird ein Schiedsgericht Der Nachfolger Fritschs würde vermutlich eingesetzt werden. Rußland fordert, daß der Bor- G e n f.(Havas.) Der stanzöfische Außen-, na le G e r i ch t s h 0 f ein Gutachten abgebe,| Minister Laval und der sowjetische Volkskommis- dämit dec Angreifer in den bewaffneten Konflikt| um das Chaco-Gebiet festegestellt werde. * 1 Paris . Der Präsident von Paraguay erklärte dem Havasvertreter in Asuncion , die Vorschläge des Chaco-Ausschusies beruhten auf falschen Voraussetzungen. Es sei unmöglich, die Truppen um 50 Kilometer zurückz«ziehen, denn sie müßten dort stehen bleiben, wo sie Mög ­lichkeiten für ihre Versorgung mit Lebensmitteln und besonders mit Wasser, fänden. Paraguay | habe deshalb auch die Forderungen des Völker- bundes abgelehnt und seinem Vertreter in Genf entsprechende Anweisungen gegeben. .. z___ den Hauptstädten derrevisionistischen" fasci-, stischen Staaten nach Marseille führten. Na-,, türlich waren die offiziellen Kreise dieser Staa-' ten gleich nach dem Attentat über diese Greueltat empört. Die deuischen, italienischen, österreichischen und ungarischen Gesandten und Diplomaten haben kondoliert, aber was ist anderes die Auf­gabe der Diplomaten, als solchen Gelegenheiten Rechnung zu tragen? Die Gesandten und Abge­sandten der fascistischen Regierungen haben ihre verteilten Rollen zu spielen, die Herren Diploma­ten haben eben die Rolle für die Oeffentlichkeit gespielt. Langsam wurden aber auch die diskreteren Rollen bekannt und die Träger dieser Rollen brin­gen den verschiedenen fascistischen Regierungen weniger Ehre gls ihre hochgeschätzten befrackten Diplomaten. Man muß aber sagen, daß auch diese diskreten Gestalten von den Regierungen ebenso geschützt und geschätzt werden. Man hat nie ge ­ahnt, daß die fascistischen Regierungen, welche das Asylrecht ihrer eigenen Staatsbürger nicht beach ­ten, für fremde politische Flüchtlinge dieses Asyl­recht streng behüten. Zur Zeit kann man das Schauspiel beobachten, wie Mussolinis Italien, Feys Oesterreich, Hitlers Deutschland , Gömbös' Ungarn die politische Glaubensfreiheit verteidigen soweit von den Herren Pavelics, PersiL, Sar- kotic, Dr. Frank etc. die Rede ist. Die beste Verteidigung ist der Angriff"; diese militärische Weisheit suchen diese fascistischen Regierungen, die ständig auf Krieg rüsten, in die Tat umzusetzen. Kaum sind die ersten Wochen der, Empörung vorbei, so antworten sie auf die Tat­sachen der Untersuchung mit Angriffen und Be­schuldigungen. Je mehr Beweise über die Hinter­gründe und Hintermänner des Marseiller Kom­plotts aufgedeckt werden, desto nervöser und hef­tiger schreien die offiziellen und halboffiziellen Zeitungen und Presseagenturen der fascistischen J Regierungen. Die Untersuchung trotzdem sie m diesen Ländern gehemmt wurde undkein Resul­tat" zeitigte< hat viel belastendes Material zu­sammengetragen und auf Grund dieses Materials hat sich Jugoslawien an den Völkerbund gewendet, i Seitdem dies bekanntgeworden ist, sind die An-- griffe des revisionistischen Blocks schärfer denn je, er wird dreister, je weiter Marseille zurückliegt und Genf näherrückt. Vorläufig ist nicht genau bekannt, welche Einzelheiten die jugoslawische Beschwerdenote be-^- inhaltet. Sie soll sehr zurückhaltend, sehr gemäßigt sein. Keine direkte Anschuldigung irgendeines Staates, nur Dokumente, die allein für sich spre ­chen. Freilich wird dadurch die Beschwerde doch eine Anklage gegen Ungarn . Was wird Ungarn in 3enf antworten? Wel- , lhes Ergebnis wird überhaupt diese Beschwerde Jugoflawiens dringen? Es besteht keine Veran­lassung, besonders hoffnungsvoll den Untersuchun­gen des Völkerbundes entgegenzusehen. Die Ohn- ! macht dieser hohen Körperschaft wurde in den letz- : und ein wirklich Wir haben kürzlich den interessanten Artikel derTime s" zitiert, in dem sehr klar, wenn auch reichlich spät die Erkenntnis auftaucht, daß die ganze mitteleuropäische Politik der Westmächte scheitern muß, wenn sie nicht imstande sind, den schwer st en Fehler gutzumachen, den sie sich geleistet haben: die Duldung des fascistischen Putsches im Feber, der Oesterreich unter die Botmäßigkeit Mussolinis brachte und in Mitteleuropa eine heillos verwor­rene Situation geschaffen hat. Mit diesem Artikel befaßt sich ausführlich der außenpolitische Redakteur des Brüsseler P e u p l e", Genosse I e x a s in der Ausgabe seines Blattes vom 20. November. Jexas betrachtet die österreichische Situation im Zusammenhang mit der neuen Politik Mussolinis. Es sei immer deutlicher zu erkennen, daß I t a- lien sich wieder Deutschland nähere, wobei G ö m b ö s eine wichtige Vermittlerrolle spiele. Der revisionistische Staa­tenblock Deutschland Polen Ungarn Oesterreich Italien schließe sich fest zusammen und mache jede Politik der demokratischen West­mächte illusorisch. Um diesem Bündnis zu begeg­nen, müßte man es an seiner schwächsten Stelle angreifen, in Oesterreich , Möglichkeit,<'~ Kampfes gegen den Fascismus zu schaffen. In ähnlichen Gedankengängen bewegt sich ein 'Artikel derE m r 0 p ä i s ch e n Heft e", die'ebenfalls auf die neuerliche Festigung des mitteleuropäischen Revisionsblocks Hinweisen und noch berichten, daß die Verständigung-zwischen Deutschland und Italien auf der Grundlage eines auf zehn Jahre festgelegten Verzichts Deutsch­ lands auf den Anschluß Oesterreichs erfolgen soll, , so wie die Verständigung mit Polen durch den auf zehn Jahre befristeten Verzicht auf den Korci- i dor erkauft wurde. DasPrager Tagllatt" berichtet aus Ber-! litt, daß die Hetze der Nationalsozialisten gegen! den General Fritsch akute Formen angenommen hat. Seit längerer Zeit versucht dnr Chef des Ministeramtes, der Nazigeneral Reichenau, den Reichswehrkommandanten Fritsch zu ver­dränge». Fritsch wehrt sich gegen die Ueber- nahme der SA in die Reichswehr (das war schon eine der Ursachen des 30. Juni)«nd hat eine Denkschrift an Hitler gerichtet, in der er seine Bedenken zum Ausdruck bringt. Run| soll es den Gegnern Fritschs gelungen sein, die Stinimung sehr stark gegen ihn einzunehmen.