Rr. 27SFreitag, 23. November 1934«eile»Tschechoslowakisch-deutsches AbkommenDas 27v-MiMonen-Kronen-Guthabenwird in elf Monate» durch deutsche Wareulieferungeu abgetragenSieben blinde Passagiere. An Bord eines imHafen von Vancouver(Kanada) eingelaufenenbritischen Schiffes wurden siebenJugosla«wen entdeckt, die als blinde Passagiere in Algieran Bord gegangen waren. Die Polizei von Vancouver verdächtigte sie, in das Attentat gegenKönig Alexander verwickelt zu sein. Zweien der; Jugoslawen gelang es, vom Schiffe zu entkommen,so daß die Polizei bloß die übrigen fünf anhaltenkonnte.Ist es der Mörder Pierackis? Die Gendarmerie der Ortschaft Zeliezovce in der Slowakei,im gleichnamigen politischen Bezirke, hielt amMontag, den 19. November d. I. einen Mann an,der polnisch, teilweise slowakisch und deutsch sprach.Er behauptet, Marcinkowski zu heißen, aus Mähren zu stammen und Bettelei zu treiben. Die Bezirksbehörde Zeliezovce strafte ihn wegen Vagabundage mit zehn Tagen Arrest. Da jedoch der> Verdacht entstand, daß der Angehaltene vielleichtmit dem gesuchten Mörder des polnischen Innenministers Pieracki, Grzegarz Macijko, identisch sei, wurde er zwecks Ueberprüfung seiner!Jdenität daktyloskopiert.Moskau sucht kulturelle Verbindung mit demWesten. Der Vorsitzende der Gesellschaft für Kul»turbeziehungen mit dem Auslande, Arosew, wirdeine Reise nach Westeuropa antreten, um über eineReihe von Fragen zu entscheiden, die mit der Entfaltung der kulturellen Beziehungen zwischen derSowjetunion und dem AuSlande Zusammenhängen.Arosew beabsichtigt, mit Organisationen und Persönlichkeiten Fühlung zu nehmen, die eine kulturelle Zusammenarbeit mit der USSR anstreben.Japanische Ministermörder— lebenslängliches Zuchthaus. Dieser Tage hatten sich mehrereFührer und Mitglieder des radikalen national!«stischen Geheimbundes„Getsumeidan" vor demGerichte wegen Ermordung des früheren Finanzministers Jnouye im Feber d. I. und wegen Er»mordung des Finanzmannes Baron Dan Maerzim Jahre 1982 zu verantworten. Am Donnerstagwurde das Urteil gefällt. Einige Führer und Mtt«glieder Les Geheimbundes wurden zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Ein weiterer Teil derAngeklagten erhielt 16 Jahre Zuchthaus. DerStaatsanwalt hatte die Todesstrafe beantragt.Polnisch-skandinavischer Flugverkehr. Impolnischen Hafen Gdingen wird ein großer Flugplatz errichtet werden, der den Ausgangspunkt fiirdie Flugverbindung nach Skandinavien bildenwird.Kulturelle Verständigung Rumänien-Jugo-llawien. Au» Bukarest wird uns geschrieben;Die rumänische und die jugoslawische Regierunghaben sich geeinigt, gemäß dem Reziprozitätsprinzip den Mtttelschulunterricht der rumänischenMinderheiten in Jugoslawien und.Len lttbMenUnterricht"kier serbischen Minderheit in'Rumänienzu gewährleisten. Im jugoslawischen Barset wurdean einer Mittelschule bereits eine Klaffe mitrumänischer Unterrichtssprache ins Leben gerufen.In ihr sind Lehrer, die teilweise aus Rumänienentsandt wurden, tättg. Den rumänischen Unterricht werden in ganz Jugoslawien ungefähr 100rumänische Lehrkräfte besorgen, von denen 40iugoslawische Staatsangehörige sind, die inRumänien studiert haben. Der Rest stammt au»Rumänien.Unfall auf dem Flugplatz. Wie die AgenturJndopacifique meldet, überschlug sich auf demFlugplatz lltaradito(Indien) beim Startein Militärflugzeug, wobei fünf Personen getötet und 19 verletzt wurden.Die„Luftbrücke" Amerika—Europa. Nachrichten aus Neufundland zufolge sind dortselbstVertreter britischer Luftfabrtlinien eingetroffen,Mn die Möglichkeit der Errichtung von Zwischen-Durch die nationalsozialistische Wirtschafts-,Devisen- und HandelSpolttik war es zu einemZahlungskonflikt zwischen Deutschland und derTschechoflowakei gekommen, der nun nach nahezuzweimonatigen Verhandlungen eine Lösung gefunden hat.Der Konflikt entstand, weil Deutschland seiteinigen Monaten ganz planmäßig auf Rohstoff-und Halbfertigwarenhamsterei im Ausland a«S-ging, obwohl es weder seinen Warenexport entsprechend zu steigern vermochte, noch bereit war,das Ausland für die von ihm bezogene« Warenin Devisen zu bezahlen.Dadurch sind im Laufe von einigen Monaten über270 Millionen Kronen allein für Warenlieferungen in Deutschland eingefroren. Mit der Tschechoslowakei haben noch mehr al» ein Dutzend andereStaaten das gleiche Nachsehen. Darunter befindensich solche, die wirtschaftlich und finanziell vielschwächer sind, als Deutschland, das noch immerMilliardenbeträge für seine Aufrüstung zur Verfügung hat.Nachdem die tschechoflowakische Exportindustrie so von Hitlerdeutschland angeschmiert undzahlreiche Unternehmen wegen der Nichtbezahlunggelieferter Waren in neue Schwierigkeiten geratenwaren, schlugen die Unterhändler des Herrn Dr.Schacht zu Beginn der Verhandlungen eine Lösungvor, die einen Warenaustausch von 128:100 zuungunsten der Tschechoflowakei vorsah.Dieser 25prozentige Einfuhrüberschuß Deutschlands sollte aber nicht zur Abtragung des eingefrorenen tschechoflowaktschen Guthabens inDeutschland benützt werden, sondern von derTschechoslowakei in Devisen an Deutschland bezahlt werden.Selbstverständlich konnten unsere Unterhändlerauf die kaum glaubliche deutsche Forderung nichteingehen.Jetzt ist nun ein Abkommen paragraphiertworden, das am 1. Dezember in Kraft treten soll.Es bringt eine RegelungdesZahlungs-verkehrs und des Warenaustausches. Die Warenlieferungen erfolgen weiterüber Claering(Verrechnung). Sie sollen so reguliert werden, daß Deutschland monatlich etwa für28 Millionen Kronen mehr Waren in die Tschechoflowakei ausführt, als umgekehrt aus der Tschechoslowakei nach Deutschland gehen.Mit diesen 2b Millionen Krone« sollen die eingefrorenen 270 Millionen Kronen monatlichabactragcnwerden..Unter der PoraMetzung,daß da» Abkommen durch die nationalsozialistische Politik nicht sabottert wird, würden diestationen zu studieren, die die Flugzeuge auf derkommenden Fluglinie Europa—Amerika in derHauptsache mtt Benzin zu versorgen hätten.Wegen Sabotage hingerichtet wurden nacheiner Havas-Meldung in der zentralasiatischenRepublik Usbekistan fünf Kolchosen, die wegenSabotage bei der Baumwollernte vom OberstenGericht zum Tode verurteilt worden waren.Wahrscheinliches Wetter Freitag: Nordwestliche Teile der Republik: Vorwiegend bi» wechselnd bewöllt, wärmer, vielfach neblig, keine odernur unwesentliche Niederschläge, Wind westlicherRichtung. Südosten de» Staates: Stärkere Bewölkung, leichte Niederschläge WetterauS-sichtenfürSamstag: Milde, unbeständig,Westwind.ttchechoflowakischen Expoteure in etwa elf Monaten die Schulden von Deutschland bezahlt er-halten haben.- Im handelspolitischen Teilwurde für die deutsche Einfuhr ein Warenwert vonmonatlich 100 Millionen Kronen angenommen; erkann aber erweitert werden. Bei 100 Millionendürfte unsere Warenausfuhr nach Deutschlandnach dem Zahlungsabkommen 78 Millionen Kronen betragen. Ist das bisherige tschechoflowakischeGuthaben auf diesem Wege gelöscht worden, dannsoll für den Warenaustausch daS Verhältnis 1:1gellen. Es wird ein tschechoslowakisch»deutsches Komitee errichtet, das denWarenverkehr überwacht und die Einhaltung derAbmachungen gewährleisten soll.Für unsere Exportindustrie bringt dieses W-kommen eine bedeutende Einschränkung der bisherigen Ausfuhr nach Deutschland. Im Jahre 1934betrug die durchschnittliche Monatsausfuhr nachDeutschland 180 Millionen Kronen. Künftig wirdsie wahrscheinlich nur 76 Millionen Kronen betragen, so daß eine Einschränkung um 88 MillionenKronen im Monat notwendig wird. Außerdemmuß berücksichtigt werden, daß Deutschland auchweiterhin Rohstoffe und Halbfertigwaren bei derEinfuhr bevorzugen wird.Aber—«nd das sei mit aller Schärfe hervorgehoben— der Verlust, den die Exportindustrieerleidet, ist nicht durch die Handelspolittk unserer Regierung, sondern durch die Zahlnngsun-willigkeit Deutschlands hcrvorgerufen worden.Die Schuld liegt an der Polittk der Hitler undSchacht, nicht bei unserer Regierung!Schließlich ist es, auf die Dauer gesehen, besser, dieExportindustrie erhält die geringere Warenausfuhr bezahlt, als daß sie ins Blaue hinaus ausführt und kein Geld dafür erhält, so daß dann derStaat aus öffentlichen Mitteln die Schulden desnationalsozialistischen Deutschlands bezahlen mußoder die Exportunternehmen zusammenbrechen.Gerade darauf haben wir Beranlaffung, mitumso größerem Nachdruck hinzuweisen, als dieFührer der Industrie in der letzten Zeit in ihrenReden gern die Schuld für die bestehenden Schwierigkeiten auf die Regierung, das Parlament, dieSozialdemokratie, die Gewerkschaften und auf dieLöhne abschieben und meist kein Wort darübersagen, daß gerade die tschechoflowakische Wirtschaftdurch di« Politik der gegenwärtigen Reichsregierung außerordentlich schwer getroffen wird... Das Abkommen ist ein Versuch, einige vonden erlittenen schweren Schädigüngest für unsereWirtschaft zu mildern.Bom heroische» Lebe«„Und werde auf meinem Platze furchtlosausharren, solange Gott eS will..."(Aus Hitlers ungesammelten Reden.)Jedes Staatssystem entwickelt eigene Ehrauffassungen. Es gilt für den Staatsmann derDemokratie verächtlich, Attentate zu fürchten. Eindemokratischer Politiker, der sich scheut, ohne besonderen Schutz in Maffenversammlungen zu gehen,erscheint mindestens als komisch. Für diese politischen Ehrauffassungen hat die deutsche Republikallerhand Opfer gebracht. Eisner wurde gemeu»chelt, Hugo Haase erschossen, Erzberger und Ra»i t(jenem wurden abgeknallt, Scheidemann mit90.000 haben am 4. November Mir uns demonstriert. Doppelt soviel werden es sein, wenn unserWort und unsere Idee weitergetragen werden.Sorgt für zeitgemäße Propaganda!Kauft und verbreitet dasArbeiter-Jahrbuch 19351Blausäure attackiert. Jeder erlebte die Ermordungseiner Vorgänger, keiner ließ sich deshalb durcheine Gestapo von der Außenwelt abschließen. AlsErzberger'auf einem Spaziergang erschaffen worden war, fuhr Rathenau noch immer und trotzaller hakenkreuzlerischen Attentatshetze mit seinemAuto unbewaffnet durch die Berliner Straßen. Erahnte den Tod und sprach daS Freunden gegenüber mich auS, aber an seinen demokrattschen Lebensgepflogenheiten änderte sich nichts. Ebert undStresemann dachten trotz aller nationalistischenDrohungen nicht daran, der Oeffentlichkeit ander»al» ungeschützt gegenüberzutreten. So haben eö dierepublikanischen Führer gehalten bis zu Severingund Otto Braun, die bei der Reaktion aller Spielarten bestgehaßtesten Männer Preußen». Sie lebten trotz zunehmender Hetze wie immer, zeigte«sich Parlamenten und öffentlichen Bolksversamm-lungen, wie in den Zeiten ihrer Abgeordneten-tättgkeit, und Severing konnte man täglich alleinin einem bekannten Berliner Bolksrestaurant effensehen. Es fehlte nur noch das Schild an seinemStuhle:„Hier werden Attentate entgegengenommen l"Keiner der modernen„starken Männer" istso inmitten de» Volke», inmitten ungehemmtesterOeffentlichkeit zu sehen, keiner wagt e». Mussolini wagt sich nicht mehr in» Ausland, und wieHitler heute mit Vorliebe und möglichst überraschend durch Nebenstraßen fährt, darüber berichtete die deutsche Presse bereits. Als er jüngst inder Krolloper die Winterhilfe eröffnete, mußteeine lange Mauer geliebter SS dafür sorgen, datzdie Begeisterung des Bolle» sich in gehöriger Entfernung entlud.„Die Straße frei...." sie warftei, kein Untertan konnte heran! Einst organisierten sie Maffenovationen, wenn die Oberbon»zerie irgendwo versammelt war, am Samstagaber meldete der deutsche Rundfunk, daß die Polizei in der Wilhelmstraße eine Menschenansammlung, die sich vor dem Regierungsgebäude gebildethatte, zerstreuen mußte,„weil die Ovationen zustörend auf die Kabinettssitzung wirkten"! Einstappellierten sie an die Strotze und heute fiirchtensie nichts so sehr wie diese Straße, als deren Oberdemagogen sie zur Macht filmen. Wie sie immergern von dem quätschen, was sie nicht sind undnicht haben, nennen sie sich Erwählte des Volkesund Werkzeuge Gottes— aber die Straße meidensie lieber, well sie sich dort zu sehr in Gotte»Hand fühlen. Man denke sich das Hohngclächterdieser Helden» wenn sich je die Männer der Demo*'kratie so tapfer vom Bolle abgesperrt hätten! Die.entsprechende Schlagzeile de»„Völkischen Beobachters" ist in ihrer Dicke und Breite gar nichtauszudenken.Eines Tages wird das verrückte Märchengeschrieben werden von dem Selbstherrscher, derkalkig wurde, wenn ein Autoreifen in seiner Näh«zerknallte, den ein Heer von Türhütern, Oberkostern, Bettwächtern» als Publikum verkleideteLeibstatisten und Schwerbewaffnete da» teure, fürda» Boll zu teure Leben schützen mußte und dernichtsdestotrotz ununterbrochen über eine dickeMauer hinweg Heroisches redet und von derSchönheit des gefährlichen Lebens quasselt. FerneGeschlechter werden das lesen und lachen wie beiAndersens Geschichte vom König mit den neuenKleidern und werden nicht wissen, daß diese ver-blasene Groteske im Zeitalter des Radios pureWirklichkeit gewesen ist.Bruno Brandy.Gze«e« aus dem AlltagBon Ludwig Spitzer(Prag).Der LokomotivführerTin Zug fährt mtt Volldampf seinem Zieleentgegen. Die Reisenden haben sich ihm ohneSorge anvertraut. Wovor auch sollten sie Sorgehaben? Der Mann, der die Maschine bedient,der Lokomotivführer, wird sie schon sicher an ihrenBestimmungsort führen. Und— der Mann dortvorn, der da mit harten, verwilderten, rquch-qcschivärzten Zügen und mit schwieligen Fäustenkeines Amtes waltet, er rechtfertigt auch ihr Ver-ftauen. An ihm wird es nicht liegen, wenn widerErwarten... Seine Augen blicken scharf aufden Weg und mit sicherer, routinierter Hand führter alle die Griffe aus» die die Titanenkraft derBiaschine bändigen— st« in zweckmäßige Bahnenlenken.An ihm wird e» nicht liegen... steht er dochschon seit vielen, vielen Jahren an der Lokomotiv«— immer der großen Verantwortung sich bewußt,die sein schwerer Beruf— die Sicherheit der Reifenden ihm auferlegen. An ihm... doch, was istdas! Der Lokomotivführer greift plötzlich stöhnend sich an» Herz— eine Riesenfaust scheint eSil'm zusammenzupressen... eine Riesenfaust,h ill dem Lokomotivführer das Steuer aus derHand nehmen— der Sensenmann grinst: dieBeute ist sein. Der Mann an der Maschine ringtmit dem Tode. Schon will die letzte Kraft denKörper verlassen— da geschieht das Unfaßliche:wie ein Blitzstrahl zuckt di« Erkenntnis der ungeheueren Gefahr, di« den Reisenden droht, durchdas Bewußtsein des sterbenden Lokomotivführers.Und eS gelingt ihm mit ungeheurem Heroismusjene Tat, von der die Zeitungsnotiz in wenigenZeilen berichtete— es gelingt ihm, den Zug ansZiel zu bringen. Dann•— sinkt er entseelt zuBoden. Ein Held der Arbeit.Menschen...Vormittag in einem großen Park. LetzteHerbstsonne schenkt wohlige Wärme. Aus Bänkenund Stühlen gepflegte alte Herren, die geruhsamin das noch immer satte Grün schauen. Dazu dasmuntere Treiben wohlbehüteter Kinder, die vonihren Erzieherinnen betreut werden. In den Gesichtern dieser jungen Menschlein findet sich nichtjener erschütternd frühreife Zug. wie ihn die Notin» Antlitz der Kinder der Armut zu prägen pflegt.Kein häßlicher Tupfen stört das lleine Lebensbild,das der Park an diesem Herbswormittag bietet.Nachts. Der gleiche Park. Dunkel WerBäumen und Büschen und Wiesen. Die geruhigenalten Herren und die munteren Kleinen sind längstzur Ruhe gegangen. Einsamkeit lastet, und ge-spensttsch heben sich die verlassenen, leeren Stühlesilhouettenhaft aus dem Dunkel. Einsamkeit?Ja, die Stühle sind leer, aber iruf dm Bänkenschlafen Menschen. Menschen ohne Obdach, Menschen, die einst wie wir unter dem Herzen einerMutter gelegen— sie versuchen im nächtlichenPark für ein paar Stunden Bergessen und Ruhezu finden— auf den harten Bänken in derrauhen, unwirtlichen Nacht. Da liegen sie infadenscheinigen, zerfetzten Kleidern, durch die derWind bläst, liegen zusammengekrümmt, vor Kälteschauernd. Aber desungeachtet finden sie den" ersehnten Schlaf, weil die Müdigkeit ihre ausgehungerten Körper überwältigt. Gewiß, nicht allehaben ihr Leben ohne Schuld gelebt(wer kannüberhaupt sagen, datz er es tut?!), doch die Mehrzahl dieser Elenden wurden die Opfer jmer Ber-kältniffe, die Millionen von Menschen ins absoluteNicht» stürzte.„J'accufe"— ich klage an! Einst hat dergroße französisch« Dichter Zola das Gewissen derWelt wachgetrommelt für einen, dem Unrecht geschehen— für Dreyfu», der durch Fehlurteil dieHölle der Teufelsinsel zu kostm bekam. Auchdiese Menschen ohne Obdach— auch dieses Häuflein Ausgestoßener— sie klagen mit den vielenMillionen, die heute armselig ihr Leben dahin«vegetieren müssen, an und fordern Gerechtigkeit.Doch das Gewissen jener Bielheit, die helfenkönnte, bleibt stumm. So gilt eS zu kämpfen, daßeinmal, endlich einmal unmöglich werde dieSchmach, daß Menschen hungern und frieren müssen und kein Obdach haben...Invalide der ArbeitGewerbegericht. Das Forum, vor dem Prozesse ums tägliche Brot spielen— Forum, wo dieZahl regiert— die Zahl, hinter der... derMensch steht. Ein Mensch oft, der mit verzweifeltem Herzen um ein paar Kronen kämpfen muß.DaS tut auch der stämmige Mann mit demgrauen Kopf und den schwieligen Fäusten, die vonhärter Arbeit erzählen. Er befindet sich in einemAlter, das nach ein wenig Ausruhen, sorgenfreiemAusruhen sich sehnt. Doch dieser Invalide derArbeit darf nicht ruhn. Das Leben, das ihn vonJugend auf gehetzt, ihn in die Fron der Kohlengewinnung unter Tage getrieben, bis ein Unfallihn zwang, diesen schweren Beruf voller Entsagung aufzugeben— das Leben, da» ihn schließlich dem Dämon Arbeitslosigkeit auslieferte...diese» btttere, entbehrungsreiche Lebe« gönnt demarmen Teufel keine Ruhe. Es schwingt seine Hetzpeitsche Wer ihm, wie üb r anderen Proleten...bis an» Ende der Tage. Ja, und nun steht da so«in armer Teufel vor dem Arbeitsgericht und Nagtwider einen Hotelbesitzer, well der ihm zwarArbeit zugesagt, aber sie Hm dann nicht gegeben.„Jawohl, Herr Präsident, höflich bin ich nicht gerade gewesen, wie ich— er war als Hausdieneraushilfsweise angenommen worden— anfangenwollte zu arbeiten und wie dann gesagt wurde,ick> könnte das nicht leisten, das wär zu schwer fürmich,— höflich war ich da nicht. Wenn man solange ohne Arbeit ist und hat eine franke Frauzu Hause und einen Sohn, der auch keine Arbeithat— und wenn man dann froh ist, mal waszu verdienen und dann— ists nichts und alleHoffnung ist futsch, und man hat keine Schulddran, ja also dann kann man schon aufgeregt undverzweifelt werden. Na, und dann sagt manwohl'n kräftiges Wort. Aber, daß das dann einGrund sein soll für fristlose Entlassung... alsodann müßt es ja überhaupt keine Gerechtigkeitmehr geben."Man muß dabei gewesen sein, wie der armeKerl mühsam seine Rede bändigte, weil er jadoch vor Gericht stand— man muß eS mit angehört haben, welche Verzweiflung in seinerStimme mitschwang— die Verzweiflung, weilnun vielleicht weitergehungert werden, die krankeFrau ungelinderte' Schmerzen weiter wird leidenmüssen... um zu verstehen, wie der Invalideder Arbeit aufatmctei als er wenigstens die Hälftedes vereinbarten Lohnes vergleichsweise zugesprochen erhielt.60 Kronen sind schon ein Stück Geld fiireinen Invaliden der Arbeit..