N IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova«r. telefon non. Administration Telefon 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS. PRAG . Einzelpreis 70 Keller (einschließlich 5 Heller Porto) 14. Jahrgang Sonntag, 2. Dezember 1934 Nr. 283 politischer Mord in Moskau Ein engster Mitarbeiter Stalins das Opfer Moskau . Der Sekretär der Leningrader Sicherheit im heutigen Lavals Rede an die Adresse Hitlers Europa? Parteiorganisation Kirow wurde am Samstag nachmittags im Gebäude des Leningrader Sowjet von einem Terroristen erschossen. Kirow war Mitglied des Vollzugsausschusses der Sowjet- nnion und ein besonderer Vertranter Stalins . Der Täter wurde nach kurzem Kampf festgenommen. Man fand bei ihm eine Waffe und mehrere Patronen. Er hat noch keine Aussage darüber gemacht, ob er Mitwisser oder Helfershelfer hatte. In Leningrad wurden zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Der Schulminister zur Universitätsaffäre Am Schluß der Debatte gab Schulminister Dr. K r r m ä k die angekündigte Erklärung über den Universitätskonftikt ab, ohne sich überhaupt in Erörterungen über die Straßendemonstrationrn »inz» lassen. ■ a.. M W eu Ministerium die Absicht hab«, über den Universiwts. künfltti vom historischen und juridischen Standpunkt «ine informativeBroschür« herauszugeben. die auch dem Ausland zugänglich sein soll. lieber die Durchführung des Gesetzes 185/20 wurde bere.its seit dem Frühjahre verhandelt und schließlich die Form eines Mini- sterialerlaffes gewählt. Der Minister schildert nun die bekannte Vorgeschichte von dem mündlichen Protest des Rektors und Prorektors, die er dabei auf den Weg einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gewiesen habe, die Pressemeldungen über die Permanenzerklärung des Senats, die sich dann lediglich als Verpflichtung der Senatsmitglieder herausstellte, Prag nicht zu verlassen. Bedenklicher sei bereits die Besetzung der Räumlichkeiten, in denen die Insignien verwahrt'wurden, durch deutsche Studenten gewesen. Die Haltung der tschechischen Studenten legt der Minister als einen Versuch aus, die erwähnte Haltung der deutschen Studenten zu paralysieren oder abwehrbereit neben die Staatsmacht oder gar a n ihre Stelle zu treten. Auf Details über die Demonstrationen und chre Ausnützung durch die Herren Stribrrch. Hodak und Konsorten läßt sich der Minister aber nicht ein— da sei der Innenminister zuständig. Als Montag nach 10 Uhr früh, also sieben Stunden vor dem festgesetzten Termin der Uebergabe an die Karlsuniversität. die Funktionäre der deutschen Universität zu ihm mit dem Ansinnen kamen, binnen einer halben Stunde in die Hände der Ressortbeamten die Insignien abzuliefern, und dafür ernste Gründe anführten, darunter auch die Sicherheit deri Insignien, habe der Minister dieses Angebot angenommen. Dabei habe der Minister niemandes i Rechte tangiert, niemandem Unrecht getan. Er fühle keine Vorwürfe in seinem Gewissen, weder als Mensch noch als Politiker und Jurist, daß er so und nicht anders gehandelt habe. Der französische Außenminister Pierre L a v a l hat in seiner mit Spannung erwarteten I Rede vor der Kammer den Anspruch Deutschlands. ! dem übrigen Europa Bedingungen zu diktieren, sehr energisch zurückgewiesen. Mr. Laval hat aber nach der negativen Formulierung seines Programms auch die Richtlinien aufgezeigt, in denen sich die Politik Frankreichs bewegen soll. Er stellt als einen unerschütterlichen Grundsatz der französischen Außenpolitik die Unverletzlichkeit der französischen Grenzen hin. Allerdings sagt er an dieser Stelle nichts über die Ostgrenze Deutschlands . Man könnte aber das feierliche Bekenntnis zu den Bundesgenossen, das an anderer Stelle steht, zugleich als eine Einbeziehung auch ihrer Grenzen in den Sicherheitsgcdanken an- sprechen. Laval betont dann die guten Beziehungen Frankreichs zu Sowjetrußland. Ueber den Allianzplan, von dem kürzlich in der Kammer die Rede war, äußert er sich sehr vorsichtig, er spricht von einem„zweiseitigen" Abkommen, das beide Mächte eingehen würden. Die französische und die russische Politik haben die Festigung des Friedens in Osteuropa zusn Ziele,. Hje^ Ordert. 8_apgI.Hjjler^um In-, schluß an di« französisch-russische Politik auf. Die französische Politik strebe nach dem Ausbau des Systems von Pakten, das der Balkanbund und die- Kleine Entente akzeptiert haben. Diese Pakte verringern die Reibungsflächen, erschweren den Ausbruch eines Krieges und helfen die Sicherheit Vas Budget angenommen Samstag vormittags sprachen in der Bud- getdebatte im Abgeordnetenhaus noch vier Redner, darunter der tschechische Genosse P i k, der sich mit der Sanierung der Selbstverwaltungskörper beschäftigte. Dann folgte das Schlußwort des Generalberichterstatters R e m e 6, der das ungewöhnlich Hohr Niveau der Debatte rühmte. Allerdings sollten die Redner mehr aneinanderan- sagt Laval , wirklich nur die Sicherheit Deutsch lands in seinen Grenzen wolle, so könne er doch dem von Frankreich vorgeschlagenen Vertragssystem beitreten. Laval betont, daß es zwischen Deutschland und Frankreich keinen territorialen Konflikt gebe. Die Entscheidung über die Saar fälle einzig die Bevölkerung selbst. Frankreich werde sie in jedem Fall respektieren. Aber Frank reich werde an der Erneuerung Europas nur im Rahmen des Völkerbundes arbeiten. Wenn Deutschland sich von ihm ausschließe, belaste es sein Konto mit neuer Verantwortung. » Laval begibt sich mit seiner Politik auf ein gefährliches Geleise, das eine weite Strecke parallel zu dem Baldwins läuft. In Lon don und Paris lockt man Hitler in den Völkerbund zurück mit der Verheißung, er könne dann legal rüsten. Paris fordert noch den Beitritt zum Ostpakt als Zugabe. Hitler wird nicht zögern, seine Aufrüstung legalisieren zu lassen, er wird auch jedem geforderten Pakt beitreten, aber all.'es nur, um die Frist zu gewinnen, die er braucht, um sich kriegsferrig zu machen. Laval geht von der grundfalschen Voraussetzung aus, daß die Sicherheit, Frankreichs altes Ideal, in einem . vutraasmästia beraestelll werden^ann, in dem Mussolini und Hitler im Grunde die Poll- ük"der Andern diktieren. Herr von Ribbentrop hörte aus der Diplomatenloge Lavals Rede mit an. Er ist nach Berlin zurnckgekehrt, wird aber im Dezember mit Hetz neuerlich nach Paris kommen. Die französischen„Frontkämpfer"(ein fascistischer Bund) mit Herrn G o h an der Spitze gaben Ribbentrop ein F e st m a h l und bezeichnen ihn allgemein als ihren G a st. Ein Zeichen, wie gefährlich stark auch in Frankreich die unter dem Mantel des Nationalismus den Landesverrat agierende fasci- stische Bewegung geworden ist! knüpfen, damit die Verhandlungen die Form einer wirklichen Debatte und nicht nur einer bloßen Bekanntgabe der gegenseitigen Standpunkte hätten. Die Kammer nahm sodann über seinen Antrag das Budget für 1835 in der Ausschußfassung an. Bon den Resolutionen wurden die im Ausschußbericht abgedruckten angenommen, die übrigen teils abgelehnt» teils dem Budgetausschuß zur Verhandlung zugewiesen. Nächste Sitzung Mittwoch, den 5. Dezember um 15 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen bereits die drei Vorlagen militärischen Charakters. Ititlerlahaien als Hüter von wissenschaftlicher Ehre und historischen Rechten! Unerhörte Frechheiten hitlerdentscher Rektoren begründen, in der Frankreich eine Voraussetzung für die Einschränkung der Rüstungen sieht. Indem Laval hierauf aus Baldwins Rede jenen Passus zitiert, da Baldwin von der Verletzung der Verträge durch die deutschen Rüstungen spricht, geht er geschickt zur Offensive gegen HUler über. Wenn der deutsche Reichskanzler, Neue Insignien Der Minister erklärte weiter, daß Maßnahmen getroffen wurden, um Ersatzinsignien herzustellen. Er hoffe, daß niemand darin ein Unrecht erblicken werde, wenn deutsche Künstler, die Angehörige dieses Staates sind, an dieser Aufgabe Anteil erhalten werden. Was geschieht mit Salamanca ? Eine Reutermeldung auS Santiago de Chile sogt, daß der bolivianische Präsident Salamanca demissioniert habe. Rach anderen Meldungen soll er in Haft sein und mit Flugzeug nach Santa Cruz befördert werdm, wo seiner ein kriegsgerichtliches Verfahren wartet. Die Nie- derlage der bolivianischen Armee scheint sich zur Katastrophe auSznweiten. Die Paraguayer folgen den flüchtenden Truppen auf allen Rückzugslinien«nd setzen ihnen durch heftige Angriffe zu. Es scheint, daß sich das deutsche , von R ö h m sei- nerzeit in Bolivien eingefübrte System schlecht be- währt hat. Berlin ,(DNB) An allen deutschen Hochschulen wurden Samstag vormittag Protestkundgebungen gegen die Borgänge in Prag veranstaltet. Die Kundgebung in der Aula der Ber liner Universität wurde über alle deutsche Sender verbreittt. Es beteiligten sich an ihr die Rektoren aller Hochschulen, zahlreiche Professoren und die Studenten aus dem Reiche und aus dem Auslande. Ansprachen hielten der Rektor der Fried- rich-Wilhelnr-Universität in Berlin nnd der Reichsführer der deutschen Studentenschaft. Die Kundgebung fand mit der Jntonierung des Liedes „Deutschland über alles" und des„Horst Wessel -Liedes" ihren Abschluß.... * Die Kundgebung des Berliner Rektors F i- s ch e r strotzt von frechen Airpöbelungen der Tschechoslowakei um des tschechischen Bolles. Ausdrücke wie Raub,. Rechtsb tu ch, Neid, Ha ß, Beleidigung, Demütigung, Entehrung jagen einander. Die Durchführung des Universitätsgesetzes wird als Belei digung der deutschen Wissenschaft, als Angriff auf> den deutschen Geist, als Herausforderung Euro pas , bezeichnet. Aus„A b s ch e u und Trauer"| ruhen an den deutschen Hochschulen die Arbeit«nd der Unterricht. Man muß hier vor allem einwenden, daß an den deutschen Hochschulen Arbeit und Unterricht im Grunde seit dem März 1933 ruhen, weil ganz etwas anderes dort blüht und gedeiht. Den gleich- geschalteten Lakaien des Dritten Reiches , die a u s der deutschen Wissenschaft eine Hure des Nationalsadismus gemacht haben, ziemt es im übrigen nicht, zu protestieren. Ihr Auftreten und ihre ganze Existenz sind eine Beleidigung des deutschen Geistes, nicht die Auslieferung der Insignien! Ein besonderes Stück leistet sich noch der Breslauer Rektor. Er wird sämtlichen deutschen Rektoren Vorschlägen,, je ein Glied ihrer Rektorkette der deutschen Universität in Prag zu stiften. Es geht uns täglich besser! In Italien Von G. E. Modigliani Die Schrecken des Hitlerreiches, die nicht weniger blutigen Ereignisse in Oesterreick' und das Knattern der Maschinengewehre und das Dröhnen der Kanonen in Barcelona , Gijon , Oviedo und Madrid , erweisen dem italienischen Fascismus einen sehr großen Dienst: sie lenken die Aufmerksamkeit der Well von den Vorgängen, in Italien ab, Mussolini hat natürlich nicht verfehlt, diese„psychologische Konjunttur" auszunützen und hat seine geschickte und verlogene, aufdringliche und derbe Reklame im Ausland miss höchste gesteigert. Wenig fehlt— manch- Leute in Frankreich und anderswo sind daran interessiert, Mussolini zu schonen, um alle Kräfte gegen Hitler zu mobilisieren— und im Ausland wird man sich fragen, ob Italien nicht wie einst des Land der süßen Ruhe geworden ist. Ist es das? Es ist bekannt, daß das Ausnahmegericht fest einiger Zest die Methode hat, die Namen der Angeklagten, die zu schweren Strafen verurteilt werden, nicht zu veröffentlichen. Ein Protest dagegen, den die S. A. I. erhoben hat, hat in der ganzen Weltpresse Widerhall gefunden Das Gericht hat sich daher genötigt gesehen, aus diese höchste Steigerung der Knebelung zu verzichten, Vielleicht hat eS aber auch nur die Italien ti vor Eintritt der„saisonbedingten" Steigerung des furchtbaren Elends in Italien in Schrecken versetzen und ihnen beibringen wollen, daß sie sich gehorsam erweisen, sich unterwerfen und ruhig hungern müssen, wenn sie nicht von der fasci - stischen Justiz getroffen werden wollen, d was diese Justiz bedeutet, zeigt die Tatsache, daß in den letzten Wochen bei fünf oder secvs Prozessen mehr als vier Jahrhunderte Gefängnis über fast 100 Angeklagte vom Ausnahmegericht verhängt wurden. Ihr Verbrechen:„antinationale" Propaganda, d. h. antifascistische Propaganda durch Verbreitung von Flugschriften und durch den Versuch der Gruppenbildung, Während man beim Beginn Dieser neuen Tätigkeitsperiode des Ausnahmegerichts glauben konnte, daß der„Tarif" der Urteile gesenkt wurde, enthalten die beiden letzten Urteile Strafen von 20, 16 und 14 Jahren Gefängnis für Propaganda! Hitler mordet vielleicht mehr und tut es auf herausfordernde Art und Weise; Mussolini vernichtet seine Gegner nicht weniger sicher, aber vielleicht geräuschloser. Hitler ist vom Rass' wahn besessen, Mussolini hat Macchiavelli zu seinem Vorbild gewählt. Trotzdem hat er Furcht! Bor der letzten Vorstellung, die Mussolini in Mailand gab, wurden nicht weniger als 5000 Vorsichtsverhaftungen vorgenommen, wobei noch die große Zahl derer hinzuzurechnen ist, du» rechtzeitig Mailand verlassen hatten, um nickt verhaftet zu werden. Anläßlich der Festlichkeiten in Florenz Ende Oftober wurden meyrere Sckulen für eine Woche geschloffen und zu Unterkunftsstätten für Soldaten und Polizei umgewondell» die nach Florenz entsandt worden waren, uw den Duce zu schützen. Abgesehen von enngen kleinen Städten, die durch den zwölf Jahre dauernden Terror wirklich unterworfen sind, wagt Mussolini nirgends sich frei der Menge zu zeigen Mindestens die Hälfte der Massen, die hn, Der hoch oben— immer höher— auf dem Balkon steht, begrüßen, besteht aus Geheimpolizei Wenn er auf eine Dreschmaschine klettert, deren A-bciter- schaft vorher gründlich gesiebt wurde,” kgmmt er mit großem Gefolge, umgeben von Miliz und Polizei. Wenn er in große Städte kommt fährt er durch ein Defilee von Bewaffneten, oder Militär hat den größeren Teil der Straßen, durch die er fährt, besetzt. Ganz wie in Rußland zur Zett des Zarismus. Man muß zugeben, in einem Land wo die Presse im Wettlauf um den Preis in oroßspre- cherischer Servilität steht, wo diel grossen Festlichkeiten kein Ende nehmen, aber die Arbeitslosigkeit steigt und die Löhne fällen, sind solche Vorsichtsmaßnahmen nicht völlig sinnlos.
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14 (2.12.1934) 283
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