Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Jeftić klagt an

Samstag, 8. Dezember 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 288

Das Ringen um die

Marseille   vor dem Genfer   Rat Arbeitersccle

hie und da versprochen, daß sie die Tätigkeit der Terroristen im Auge behalten werde.

Genf.( Tsch.P.B.) Nach einer kurzen nicht öffentlichen Sibung des Bölferbundsrates, in wel­Vom 26. April 1934 an gab die ungarische cher die Frage des Vorgehens des Rates in der Angelegenheit der jugoslawischen Beschwerde er- Regierung ein besseres Verständnis für ihre Vers ledigt wurde, fand eine öffentliche Ratssißung pflichtungen fund und daher kam es bald zu einem statt. Bei dieser Gelegenheit wird Ungarn   durch Abkommen zwischen beiden Staaten, das am 21. Eckhardt, die Tschechoslowakei   durch Minister Juli unterzeichnet wurde und in welchem die un­Beneš, Rumänien   durch Minister Titule- garische Regierung ihre Verpflichtung erneuerte, seu und Jugoslawien   durch Minister Jeftič die Tätigkeit der Emigranten- Terroristen zu ver­vertreten, die alle am Ratstische Plaz nahmen. folgen. Das schreckliche Marseiller Verbrechen ist Sodann erinnerte der Vorsißende Vasconcel- ein blutiges Dementi dieser Versprechungen. Das Ios an Artikel XI des Völkerbundspaktes, dem­zufolge jeder Mitgliedsstaat auf die Gefahr einer Friedensstörung aufmerksam machen kann, worauf der jugoslawische Außenminister Jeftic das Wort ergriff.

In der Begründung der Beschwerde der ju­goslawischen Regierung betreffend die Verant­wortlichkeit der ungarischen Behörden und deren Mitschuld an den Vorbereitungen zum Marseiller Anschlage führte der jugoslawische Außenminister

u. a. an:

Terroristenlager wurde von Janka Puszta anders­wohin übertragen. Den Verbrechern wurde es er­leichtert, mit ungarischen Pässen Ungarn   in Grup­pen frei zu verlassen und in Lausanne   ihre un­garischen Pässe für falsche tschechoslowakische aus­zutauschen.

Minister Jeftič machte sodann darauf anf­merksam, daß viele Beweise über die Tätigkeit der Terroristen in Ungarn   nur deshalb nicht beschafft werden konnten, weil die ungarischen Behörden jedes Ansuchen Jugoslawiens   sabo­tierten.

Wenn die jugoslawische Regierung gezwun­gen war, die ungarischen Behörden direkt zu be= Am Schlusse seiner Darlegungen faßte Mi­fchuldigen und es nicht bloß bei einer allgemeinen nister Jeftič die Verantwortung der ungarischen Debatte über die Bekämpfung des internationa- Behörden in folgenden neun Punkten zusammen: len Terrorismus bewenden zu lassen, so hat sie 1. Während sechs Jahren wurden 20 ter­dies aus folgenden Gründen getan: roristische Anschläge in Jugoslawien   ausge= führt, und zwar

Die terroristische Tätigkeit, auf die Jugosla wien   aufmerksam macht, hatte eine präzise und fonkrete Form. Sie war der Ausdruck einer in Ungarn   gegen die Einheit und Sicherheit Jugo­ slawiens   organisierten und unterstützten Verschwö­rung. Es ist heute nicht zum ersten Male, daß die jugoslawische Regierung auf die Nachsich­tigkeit der ungarischen Behörden gegenüber der gegen Jugoslawien   gerichteten terroristischen Tätig­teit aufmerksam macht. Die jugoslawische Ge sandtschaft in Budapest   hat die ungarische Regie­rung viele Male auf die terroristische Tätigkeit hingewiesen und ersucht, die durch die internatio­nalen grundlegenden Verpflichtungen diktierten Maßnahmen zu treffen.

2. an Orten nahe der ungarischen Grenze. 3. Nach Aussage von Terroristen wurden alle diese Anschläge in Ungarn   mit Waffen und Explosivstoffen, die aus Ungarn   gebracht wurden, ausgeführt.

4. Die Terroristen wurden für die leich­tere Ausführung der terorristischen Handlungen einer methodischen Ausbildung in Ungarn   un­terworfen.

5. Aus den Untersuchungen der anständi­schen Polizeibehörden ist ersichtlich, daß drei Verbrecher auf ungarischem Gebiet ausgewählt wurden, um an dem Attentat gegen König Alexander teilzunehmen und daß sie mit un­garischen Pässen versehen, Ungarn   frei verlaffen konnten.

6. Die ungarische Regierung wurde amt­lich davon benachrichtigt, daß

a) in Ungarn   Terroristen- Emigranten sich aufhalten, b) in Janka Puszta der Sitz einer großen Zahl von Terroristen war, die nach der Durchführung des Attentates in Jugo­flawien verhaftet wurden, c) von der Tat­sache, daß einige ungarische Behörden von den Terroristen ,, irregeführt" wurden, d) von der Tatsache, daß zwei Mitschuldige am Mar­feiller Attentat sich unter falschen Namen bis zur Durchführung des Marseiller Attentates in Ungarn   aufhielten.

7. Daß der Aufenthalt der Terroristen im Auslande dadurch erleichtert wurde, daß sie un­garische Bäffe hatten.

8. Daß die terroristischen Organisationen über reichliche finanzielle Mittel verfügten, viele Waffen und Explosivstoffe besitzen, die sie sich nicht ohne Wissen und Kom­promittierung der ungarischen Behörden be­schaffen konnten.

9. Daß nach dem Marseiller Attentat die ungarischen Behörden die aktive Mitwir­kung bei den Nachforschungen nach den Ter­roristen und ihrer Tätigkeit abgelehnt ha­ben.

Schließlich erklärte Minister Jeftic, daß die jugoslawische Regierung jetzt ihre Pflicht tue, in­dem sie sich an den Rat des Völkerbundes wende und daß sie kein politisches Ziel verfolgt. Er wolle auf die Gefahr, die dem Frieden und dem guten Einbernehmen der Völker drohe, hin­weisen. Das ganze jugoslavische Volk hat seinen Blick auf den Völkerbund in der Ueberzeugung gerichtet, daß der Rat einen gerechten Spruch fäl len, seine Pflicht erfüllen und seine ganze An­strengung auf die Erhaltung des Friedens kon­zentrieren wird. Das jugoslawische Volt hofft, daß sein Vertrauen in die Wirksamkeit der Inter­bention beim höchsten Organ der internationalen Gemeinschaft nicht enttäuscht werden wird.

Die Rede des Ministers Jeftic wurde sehr sympathisch aufgenommen.

Links und rechts von Hitler  

Das Chaos im Nationalsozialismus und die neueste Reinigungsaktion

Das werktätige Volk sucht den Ausweg aus der Krise. Der Kapitalismus hat die Welt in eine Hölle verwandelt. Das nackte Dasein von Millio= nen Menschen ist nach fünf fürchterlichen Krisen­jahren täglich und stündlich in schwerster Gefahr. In der krisengeschützten Zone der Wirtschaft, dort wo es noch Arbeit gibt, wenn auch zu Hunger­löhnen, herrscht die panische Furcht vor der Ar­beitslosigkeit. Neben den großen Auseinanderset­zungen der Klassen tobt ein verschärfter Existenz­kampf innerhalb jeder Klasse. Die Unternehmer konkurrieren einander in wildem Rationalisie­rungswahn nieder. In der Handelssphäre beschleu­nigen tägliche Neugründungen den Niedergang der alten Existenzen. Im Schuhgewerbe ringen die Kleinmeister mit dem Großunternehmer um die Reparaturarbeiten. Unter den Angestellten und Beamten ein mörderischer Kampf um jede Sprosse der sozialen Stufenleiter, eine wilde Flucht von den verhängnisvollen Listen der Abbau- Kandida­ten. Und unter der Arbeiterschaft selbst, in jener Klasse mit der größten Gleichförmigkeit des Schick­sals, ist die seelische aber auch die materielle Diffe= renzierung zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen unmöglich zu übersehen.

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Die Zersehung der kapitalistischen   Wirtschaft wird zur Zersetzung der menschlichen Gesellschaft. Dieser Prozeß unterhöhlt überall Wohlstand, Kul­tur und Eristenzsicherheit, greift ans Mark des menschlichen Daseins schlechthin. Alte Gemein­schaften sind in Auflösung begriffen. Jugend rebel­liert gegen das Alter. Alle Parteien versinken, neue kommen auf. Selbst die älteste Organisation der Menschheit, die katholische Kirche  , entgeht die­ser Krise nicht. Sie ist unsicher und zaghaft ge= worden in unsicherer Gegenwart. Ihr sozialrefor matorischer Anlauf ist im Sumpf des Stände­fascismus erstickt. Sie macht defensive Besikstands­politik mit dem blutigsten Jedermann. Der sitts liche Elan, der in den Tagen des Weltkrieges die Friedensaufrufe des Papstes erfüllte, ist dahin. Angesichts der reichsdeutschen und österreichischen Konzentrationslager fabriziert der Natholizismus Schauermärchen über die heldenhaft besiegten spa­nischen Revolutionäre. Auch der bürgerliche Libe= ralismus versteht es nicht, in Schönheit zu sterben. Das was er der Welt gebracht, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, des Konstitualismus und ein gutes Stück Durchsetzung der Menschenrechte, fönnte sich neben dem frechen Betrug der fascisti­schen Tyrannen sehen lassen. Aber der entfesselte Klasseninstinkt rottet die Menschlichkeit auch aus den Herzen der gebildeten Bürger aus. Klein ist das Häuflein der Intellektuellen in den vom Fascismus vergewaltigten Nationen, die das harte Dasein des Freiheitskämpfers den silbernen Set­ten des Herrendienstes vorziehen.

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Zivei feste Punkte überragen im Bereich der

Minister Jeftič verwies sodann auf die zahlreichen Noten der jugoslawischen Regierung an die ungarische Regierung betreffend den Ter rorismus und die Tätigkeit der Terroristen auf dem Gute Janta Puszta. In einer dieser Noten vom 10. Juli 1933 ersuchte die jugosla­wische Regierung die ungarische Regierung, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, um der auf ungarischem Boden gegen die Sicherheit Ju­ goslawiens   entwickelten Tätigkeit Einhalt zu tun, Berlin.  ( AP) Der Sieg der Rechten über fen, während diese dann stets den Angriff durch insbesondere, um neue Terroratte zu verhindern. Hiebei wurden die ungarischen Behörden über den die Linken, der sich bei den Studenten auch in der den Vorwurf des Rückfalls in den Marrismus Charakter und die Tätigkeit der Emigranten, um Ersetzung von Feickert durch Derichsweiler zeigte, parieren. Das genannte Blatt wendet sich scharf die es sich handelte, informiert. In einer anderen iſt zunächst einmal vollkommen und einheitlich auf gegen die Tendenz, der NSBO Eingriffe in die Note vom 13. April 1934 ersuchte die jugoslawi- der ganzen Linie. Das kommt nicht nur in den Wirtschaft vorzuwerfen. Es handele sich um europäischen Krisenzone den Wellengang dieser sche Regierung, das ungarische Ministerium für Absetzungen der letzten Tage( Brückner, v. d. Außenseiter, die die Volksgemeinschaft ſabotieren bewegten Zeit. Der eine ist der zähe Behauptungs­auswärtige Angelegenheiten um Intervention bei Golz, Feder, v. Renteln), in der Beseitigung des und sich gegen das nationalistische Wollen stemm- wille der kapitalistischen   Führungsschichten. Der den zuständigen Behörden in der Richtung der ge- Dualismus in der Reichswirtschaftsführung und ten. Ihnen fei einmal ein" kommunistischer andere ist die Elementarkraft der sozialistischen  gen Jugoslawien   gerichteten Tätigkeit der Ter- in dem Gesetz vom 1. Dezember über den Aufbau Probemonat" zu wünschen. Was so alles unter Bewegung. Was die kapitalistischen   Führungs­roristen auf ungarischem Gebiete Einhalt zu tun. der Wirtschaft zum Ausdruck. Es ist auch wich- der Decke des Nationalsozialismus Platz findet schichten angeht, kann man wohl sagen: ihre poli­Die ungarische Regierung hat nämlich von tig, sich die Namen näher anzusehen. Der Be- und sich auf ihn beruft: Die einen wettern gegen tischen Künste überleben ihren wirtschaftlichen richt über die Bankenreform, die ein Begräbnis den Liberalismus, die anderen gegen den Marris­aus gegen Jugoslawien   organisiert und geleitet erster Klasse erhalten hat, trägt die Namen von mus, beide berufen sie sich aber auf Hiter. Raffiniertheit aufwenden, um die sozialrevolutio der terroristischen Tätigkeit, die von Ungarn  hat Bürgermeister ist dieſe ganze Aktion nur unter Mitschuld der un- burg, Prof.& ü e r- Frankfurt a. M., Keppler, garischen Behörden geführt werden konnte, dem Wirtschaftsberater des Führers, und Staats: gestellt, wobei den ungarischen Vehörden die Vertreter des rechten Flügels beisammen. Aehnlich Spizen( Brückner, Feder u. a.) ist auch unten maligen Anstreicher als ihren Staatsführer gelten denn es wurden den Terroristen Pässe aus- sekretärs Reinhardt. Hier haben wir die verbrecherische Tätigkeit der Inhaber dieser ist es mit den Leitern der Reichswirtschaftskam prozeß im Gange, der mit der Säuberung gesellschaftlichen Positionen für eine Galgenfrist

Bässe bekannt war.

mer.

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Bankrott um eine geraume Weile. Was sie an

schieben, muß auch dem Todfeind Respekt abzwin­gen. Es grenzt ans Wunderbare, wenn z. B. Gleichzeitig mit den Absehungen in den reichsdeutsche Junker und Schlotbarone einen ehe­innerhalb der NSDAP   ein Reinigungs- lassen, um wenigstens ihre wirtschaftlichen und der SA   vergleichbar ist. Die Parteigerichte und zu verlängern. Was an Vernebelung der sozialen die Sondergerichte der SA arbeiten fieberhaft. Lebensfragen der Völker auf dem Gebiete der

Minister Jeftič sprach sodann über den und Präsidenten der Handelskammer Hannover  , Die unter General Daluege arbeitenden Feld- Literatur, der Wissenschaft, des Kinos und des

wichtigsten Teil der Beschuldigungen der ungaris schen Behörden an der Mitschuld betreffende Terroristenlager in Janka Puszta und betonte, daß einige Angaben der ungarischen Regierung betreffs dieses Gutes, feiner Eristenz und seiner Auflösung einander widersprechen. Die Verant

Dort finden wir Hermann Hecker, den Aufsichtsratsvorsitzenden der Ilse", der Hütte" ferner den obengenannten Profeſſor& üer, Lei­ter der Reichsgruppe Handel, und schließlich den Reichshandwerksführer Schmidt, der also die

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Goslaver Fronde" wieder verlassen hat.

jäger, die nach den Direktiven des gefürchteten Rundfunks geleistet wird, gehört ebenfalls zu den Major Buch handeln, liefern als Partei- Polizei Gipfelleiſtungen menschlicher Verruchtheit. Die die Unterlagen. Die Nationalsozialisten mit den Kriegsrüstungen, die von den Direktionszimmern niedrigen Mitgliedsnummern werden in großen der Rüstungsindustrie aus gelenkt und mit faſci­Auf der anderen Seite fehlt es aber noch Mengen aus der Partei geworfen. Ebenso flie- stischem Pathos garniert werden, sind eine Dro­Auf und eine ungarischen Regierung ist insbesichtet die Breng gegen der Linken" So gen sie aus den Beamtenstellen, eine Erscheinung. hung mehr, daß die Kapitaliſtenklasse ihren Un­wortlichkeit bei bem tergang zum Weltuntergang gestalten will. welchem das jugoslawische Memorandum spricht. tigen Angriff gegen die liberalistischen" Ele- beschränkt. Auch die Treuhänder der Arbeit wer Auf alle diplomatischen Interventionen hat die un- mente. Dies Schlagwort kommt immer vor, wenn den gesiebt. In die freigewordenen Stellen rücken

geantwortet und es gilt, die|

Der Gegenpol dieses organisierten Verder­bens ist die sozialistische Gesinnung der arbeiten­