Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
14. Jahrgang
Eine kapitalistische
Weihnachtsbotschaft
Den Anschlag der Grubenbesizer im Kladnoer Revier, die 2000 Arbeiter, die sie als überflüssig geworden bezeichnen, entlassen und im übri gen eine 20prozentige Lohnherabsetzung durchführen wollen, setzen die Gewerkschaften den entschiedensten Widerstand entgegen. Dieses Vorgehen der Grubendirektoren muß, da es unmittelbar nach den Erklärungen des Arbeitsministers über die Rationalisierung und die notwendige Kontrolle des Staates erfolgte, geradezu als eine Provokation angesehen werden. Die 2000 Bergarbeiter follen wieder das Opfer der planlosen Rationalifierung werden. In seinem letzten Erposé vor dem Senats- Budgetausschuß hat sich der Arbeitsminifter Dr. Czech noch einmal über das Tempo der Rationalisierung im Kladnoer Revier geäußert und u. a. ausgeführt:
,, Das Kladnoer Revier war nach den amtlichen Daten im Jahre 1926 nur bis zu 0.3 Prozent mechanisiert, also auf manuelle Produktion eingerichtet. Im Jahre 1928 war es bereits im Ausmaß von 15 Prozent mechanisiert und im Jahre 1933 ist die maschinelle Gewinnung von Kohle auf 28.8 Prozent gebracht worden. Also in taum fieben Jahren ein Rationalisierungsaufstieg vom manuellen Betrieb bis zu einem Drittel maschinelTer Gewinnung der Förderung. Ich glaube, daß diese Tatsache für sich selbst spricht."
Die Rationalisierungsmaßnahmen find offen bar auch 1934 noch weiter fortgesetzt worden. Und nun sollen 2000 Arbeiter mit Arbeits- und Erwerbslosigkeit dafür büßen. Ein großer Teil des Betrages, der durch die Entlassung dieser Arbeis ter an Lohn eingespart werden soll, wäre sicher hereinzubekommen, wenn einige der zu viel vorhandenen Direktoren abgebaut und für die anderen die noch außerordentlich hohen Bezüge herab
gesetzt würden.
Wien . Zu der Spionageaffäre Niederhofer wird amtlich mitgeteilt, daß Niederhofer eine ganze nationalsozialistische Geheimpropaganda organisiert und u. a. auch Beziehungen zu Riegler, einem Bediensteten des Bundeskanzleramtes, unterhalten hat, der die Abschriften verschiedener Dokumente besorgte und sie einem nationalsozialistischen Spion lieferte. Riegler hat gestanden. Außer Niederhofer und Riegler befinden fich im Zusammenhang mit dieser Spionageaffäre noch drei weitere Personen in Haft.
Amerikanischer Journalist in Wien verhaftet
Wegen eines Besuches bei Otto Bauer
Wien . Der Vertreter des Hearst- Konzerns Flid Steger, der sich in der letzten Zeit in Wien aufhielt und von hier nach Brünn zum Besuche Otto Bauers gefahren war, wurde gestern nach seiner Rückkehr nach Wien im Hotel ,, Hamerand" Hotel„ Hamerand" verhaftet und zwecks Vor nahme eines Verhörs auf die Polizei gebracht. Während des Verhörs fand in seiner Wohnung einer Durchsuchung statt. Nach 13stündigem Aufenthalt in der Polizeidirektion wurde der Journalist wieder entlassen. Der amerifanische Gesandte hat in dieser Angelegenheit bei der österreichischen Regierung eine Beschwerde eingebracht.
Immer noch Opfer
des 30. Juni gemeldet Wie die Wiener Blätter melden, ist der Linzer Walter Meich elbet am 30. Juni in Wiessee am Tegernsee ( Bayern ) mit anderen SA - Leuten erschossen worden. Meichelbet ist der Sohn eines verstorbenen hohen Beamten der Finanzdirektion. Er war ursprünglich Heeresschüler, wurde im Jahre 1930 Verwalter des Park- Bades und wanderte im Vorjahre nach Deutschland aus, wo er
Samstag, 15. Dezember 1934
Dr. Beneš vor seinen Wählern:
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Wir wollen den Frieden"
Eine großzügige Analyse der Nachkriegsentwicklung und des heutigen Europa
Freitag, den 14. Dezember, abends fand im Großen Saale der Prager , Lucerna" eine von der tschechischen nationalsozialistischen Partei einberufene große öffentliche Versammlung statt, in der Minister des Aeußeren Dr. Beneš über das Thema„ Frieden oder Krieg" und Postminister Dr. E. Fran ke unter der Parole ,, Für Arbeit, Brot und inneren Frieden" sprachen.
Vizepräsident des Senates Klofá č erinnerte in seiner Eröffnungsansprache daran, daß es dieser Tage 20 Jahre werden, daß Professor Masaryk , der damals alles riskierte, sich ins Ausland begab. Bei den Worten des Redners, daß die Partei in gleicher Weise von den Gefühlen der Anerkennung und Ergebenheit für Masaryk und Beneš beherrscht sei, erheben sich die Versammelten von den Sitzen. Senator Klo fáč widmete dann den Opfern der öster reichischen Persekution ein warmes Andenken, das die Versammlung ebenfalls durch Erheben von den Sitzen ehrte. In Besprechung des erfolgreichen Auftretens des Ministers Doktor Beneš in Genf erinnerte Redner daran, daß noch nicht alle unsere Sorgen vorbei seien und daß wir eine solche Disziplin und Moral haben müssen, wie sie bei der Armee im Felde notwendig ist.
Dr. Beneš gab nicht nur eine Uebersicht der lebten ungewöhnlich bedeutungsvollen Ereigniffe in Genf , sondern verwies auch in den Hauptzügen auf die allgemeine En twidlung der europäischen Politik seit der Friedenskonferenz und namentlich auf die neuen Sonstellationen der politischen Kräfte in den letzten Jahren. Er schilderte, wie sich die Bage nach der Friedenskonferens allmählich entwickelte und wie sich auf der Seite der Geschlagenen besonders Deutschland und Ungarn systematisch der ihnen durch die Friedensverträge auferlegten Verpflichtungen zu entledigen began nen. Seit dem Jahre 1920 begann ein erbitterter Kampf um diese Verpflichtungen, die in drei Stategorien geteilt werden können: Die Reparati onen, die Verpflichtungen der Abrüstung und schließlich die territorialen Ver= pflichtungen oder die Frage der gegenwär tigen neuen Grenzen, vor allem in Mitteleuropa
-
Der Kampf um die Reparationen wurde im Jahre 1932 auf der Konferenz in Lausanne mit der Gesamterlassung dieser Verpflichtungen beendet. Das Reparationsproblem in seinen früheren Formen wird nicht mehr wiedererstehen.
Was die zweite Kategorie betrifft, so wäre es nötig, die ganze lange Geschichte der Abrüstungskonferenz zu schildern, die im Feber des Jahres 1932 begonnen hat. Sie begann mit einem Angriff auf tonzentrischen Frankreich und seine Freunde. England und Italien waren der Ansicht, daß diese Gruppe zum Mindesten geschwächt werden
müſſe.
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Nr. 293
Gath
=
Dr. Schuschnigg und sein Außenminister Berger Walden egg sind in Budas pe ft eingetroffen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man diesen Besuch, der unmittelbar auf den Genfer Spruch folgt, und die freundschaftlichen Reden, die von den Herren ausgetauscht wurden, als eine Demonstration Schuschniggs für tie italienisch- ungarische Orientierung auslegt. Allerdings lebt die Regierung Schuschnigg zur selben Zeit von dem Geld, das ihr die Gegenseite der europäischen Politik aufzunehmen ermöglicht hat. Denn nahezu die Hälfte der neuen Anleihe wird von Frankreich und der Tschechoslowakei garantiert, nur nur ein Fünftel von Italien ( dessen Garantie übrigens bei der Erschöpfung seiner Reserven und dem Agoniezustand der Lira fragwürdig genug ist). Aber Schuschnigg sagt sich wohl mit Recht, daß es Sache seiner Gläubiger ist, für ihre Interessen zu sorgen. Warum soll er nicht mit französi schem Geld die Politik Mussolinis machen, wenn Frankreich für diese Politik Geld übrig hat?!
14 Todesopier
gefchloffen
Die geschlossenen Schranken wurden von
Verden an der Aller.( Hannover .) Amordnungsmäßig Freitag abends gegen 17 Uhr ereignete sich zwi- waren. schen Langwedel und Kirchlinteln unweit Berden dem Autobus mitten durch brochen. Die an der Aller ein schweres Autobusunglück, bei dem Zugsführung und das Blockpersonal trifft keiner14 Personen ums Leben kamen. Ein Autobus lei Schuld. Nachdem alle Toten und Verleisten mit Anhänger, der eine Theater gefell- geborgen waren, konnte der Zug mit großer Verschaft nach Verden an der Allerbringen wollte, spätung seine Fahrt fortsetzen.
überfuhr bei nebligem Wetter am Block 61a gefchloffene Eisenbahn
bie
Autobus von einem Schnellzug er=
Paris . Der Havas- Korrespondent meldet ich rante. Im gleichen Augenblick wurde der aus Berlin : Die deutschen Behörden bewahren das strengste Stillschweigen über die Gerüchte, die faßt und zur Seite geschleudert. Der Autobus heute in Berlin verbreitet waren, doch scheint es wurde vollkommen zertrümmert. Von den 20 In- wahrscheinlich zu sein, daß in dem Schnellfaffen waren 14 sofort tot. Vier wurden zuge, der unweit Verden einen Autobus zertrümschwer verletzt, während 3, die auf der merte, wobei 14 Personen den Tod fanden, Reichs= letzten Bank des Autobuffes gefeffen hatten, mit kanzler Hitler mit den Mitglie= leichten Verletzungen davon kamen. Der Zugern der Regierung saßen, die sich auf der Rückfahrt nach Berlin von Bremen befanden, konnte auf kurzer Strecke zum Halten gebracht werden. Die Insassen des Zuges, unter denen wo sie sich an dem feierlichen Stapellauf des sich auch ein Arzt befand, leisteten sofort die erste Dampfers Scharnhorst" beteiligt hatten. Ob auch Hilfe. Nach kurzer Zeit trafen Feuerwehren und iemand von den Fahrgästen des Schnellzuges verSanitätskolonnen umliegender Ortschaften mit letzt wurde, wird nicht gefagt. Reichsbahn . Der Oberstaatsanwalt aus Verden Aerzten ein, gleich darauf ein Hilfszug der Hitier unverletzt begab sich ebenfalls unverzüglich an die UnfallNach Mitternacht wird amtlich aus Berlin stelle, um die ersten Vernehmungen durchzufüh- gemeldet, daß Hitler tatsächlich in dem Sonderzug ren. Aus den verschiedenen Zeugenaussagen ergibt faß. Dieser blieb unbeschädigt, nur die Lokosich einwandfrei, daß die Schranken bereits motive erlitt einigen Schaden. Hitler und seine fünf Minuten vor dem Passieren des Zuges Begleitung trafen unverletzt in Berlin ein.
Die ehemaligen besiegten Staaten forderten Gleichberechtigung in den Rüstungen. Das Ergebnis dieses dreijährigen Kampfes ist bekannt. Die Konflikte zwischen den ehemaligen Verbündeten, die anwachsenden gegensäßlichen Interessen der einen und der anderen riefen den Zustand hervor, dahin verstärken, was man heute den Friedens-| verhindern und zum alten Vorkriegsstand zurüddaß die ehemals besiegten Staaten blod nennen kann: England, Frankreich , die zukehren. einfach i bia facti illegal zurüsten Kleine Entente , die Balkan- Entente und Sowjete begannen und heute ist die Machtgewalt der rußland. Dieser Block ist gegen niemanden gericheuropäischen Staaten in hohem Maße verschoben tet, namentlich nicht gegen Deutschland , da die bemgegenüber, was in den ersten Jahren nach dem weiteren Verhandlungen über den Ostpakt diese Kriege bestand. Deutschland und auch einige andere Front sogar noch um Deutschland erweitern können. Der Kampf um die Grenzen schließt sich eng haben neue Militärkräfte gewonnen. an alle diese Probleme an.
I
Der Friedensblock
werden.
Die Ereignisse in Genf bereiten den Weg zu weiteren Verhandlungen vor. Sie öffnen recht weit die Tore zum Paktieren und zeigen, daß es genügend moralische Kräfte in der Welt und genigend guten Willen gibt, der ganz Europa zu einer dauerhafteren Ruhe und zu einem dauerhafteren Die wachsende militärische Kraft Deutschlands , Frieden führen kann. Die Lösung des SaarItaliens und Japans hat automatisch Befürch- problems öffnet den Weg vor allem zu weitungen hervorgerufen, ob nicht schon heute oder teren Verhandlungen über den sogenannten Ostmorgen die Grenzfragen werden aufgerollt patt. Der Friedensblock Frankreich - Kleine Entente und hier geht Beneš zu dem tiefen politischen Sinn auch jener Politit, die in der Form des Ostpaktes Balkanstaaten- Sowjetunion ist der Ausdruck des Marseiller Attentates über. Der Terro- zwischen Frankreich , Deutschland , Polen , der ri 3 mu s ist nur ein besonderer Ausdruck des Tschechoslowakei , den Baltischen Staaten und der rismus Revisionismus als mitteleuropäischer politischer Sowjetunion eine Friedensgemeinschaft bilden Doktrin. Dort, wo ihm die ideellen Kräfte und die will, in der diese Staaten einander gemeinsam Schlagkraft der Argumente nicht ausreichen, dort gegen den Angriff von welcher Seite immer bergreift er zur Gewalt. Dr. Beneš glaubt nicht teidigen würden. daran, wenn man in Mitteleuropa von einer Revision mit friedlichen Mitteln spricht. Alle, die so sprechen, verfolgen als erstes und Hauptziel, den Die Verschiebung der Kräfte und die Ent- neuen bisherigen Stand der Dinge in Mittel
V.
Damit ändert sich die politische und diplomatische Konstellation Europas . Die fleineren mitteleuropäischen Staaten schließen sich umso mehr an Frankreich an und verbinden sich auch in Gruppen. Unter dem Einfluß der Ereignisse in Deutsch land , China und Japan sucht Sowjetruß and Verbündete und Helfer und gewährt auch felbft anderen seine Hilfe. Mit dem Eintritt in den Völkerbund nähert es sich Frankreich und seinen Freunden an und beginnt in der europäischen Politik mitzuentscheiden Es bildet mit Frankreich , der Kleinen Entente und der Balkan- Entente einen großen Friedensblock.
bald eine Rolle unter den führenden SA- Leuten wicklung der neuen Konstellationen ist nicht been- europa umzustürzen, rechtzeitig die Einigung der
spielte.
Damit der Friede auch für den Fall, daß es nicht zu dem Ostpakt käme, nicht bedroht sei, kommt es heute zur Annäherung Frankreichs und des übrigen Europa an die Sowjetunion . Aber die Genfer Entscheidung zeigt auch, daß
det, sie werden sich logischer Weise in Zukunft neuen mitteleuropäischen Staaten und Völker zu die Rechte, die Interessen und die Lage der Staa