Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

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( einschließlich 5 Heller Porto)

14. Jahrgang

Anläßlich der Weihnachtsfeiertage wird unser Blatt bereits am Dienstag, den 25. Dezember, zeitlich früh, als Weih­nachtsnummer in verstärktem Umfange in allen Orten sein, und können unsere Kol porteure die Zeitungen schon um 6 Uhr früh von der Bahn abholen.

Die Ausgaben von Mittwoch, den 26., und Donnerstag, den 27. Dezember, entfalle n. Unser Blatt erscheint erst Freitag, den 28. Dezember, wieder normal.

Am Dienstag, den 1. Jänner 1935, erscheint unser Blatt als Neujahrsnummer im verstärkten Umfang, die Mittwoch­ausgabe vom 2. Jänner entfällt, da am Neujahrstag nicht gearbeitet wird.

Die Verwaltung.

Sonntag, 23. Dezember 1934

Nr. 300

Rätsel um den Kirow- Mord Ein Blick zurück

Offizielle Behauptung: Verschwörung der Opposition Massenschlachten unter Oppositionellen vorbereitet

Es wird immer so sein, daß die Menschen in den letzten Tagen eines jeden Jahres einen flüch= tigen Blick zurückwerfen auf das, was war, und dann alle ihre Hoffnungen dem kommenden neuen

Moskau . Zu der Angelegenheit der Ermor-| Nu mian sew, Mandelstam m, Jahr zuwenden. Und nicht nur die Hoffnungen. dung Kirows und der Voruntersuchung, die am Miasnikow, Kewin, Sofitzki Der Teil unserer Arbeiterschaft, der in jahrzehnte­12. Dezember abgeschlossen wurde, meldet die und Nikolajew gehörten, alles frühere langem Mühen und Kämpfen die großen gewerk­Telegraphenagentur der Sowjetunion : Mitglieder der Sinowjew - Opposition. In der vor- schaftlichen und politischen Klassenorganisationen liegenden Angelegenheit wurden außer den Ob- geschaffen hat, weiß, daß nicht das Hoffen auf das genannten noch Sokolow, Swesdo w, Walten ökonomischer Geseze genügt, sondern daß Iustin, Antonow, Chanik und die Klasse des Proletariats zum organisierten und Tol masow verhaftet, die entsprechend den bewußten Eingreifen in die Entwicklung kommen muß, wenn sich die letzten Hoffnungen der Armen Bestimmungen des Zentralexekutivkomitees der und Unterdrückten erfüllen sollen. Sowjetunion dem Gericht des Militärkollegiums Wenn in einzelnen Ländern unter den Aus­des Obersten Gerichtshofes der Sowjetunion über­geben werden. Alle diese Personen waren zu ver- wirkungen der Weltkrise der kapitalistischen Wirt­schiedener Zeit wegen ihrer Zugehörigkeit zu der schaft die gewerkschaftlichen Verbände und die so­ehemaligen sowjetfeindlichen SinowjewOpposition zialistischen Barteien im Jahre 1934 zurüdge­aus der Partei ausgeschlossen worden, die mei- drängt, oder, wie in Desterreich und zuletzt in Spa­ nien zerschlagen werden konnten, so kann man von ſten von ihnen wurden nach ihrer offiziellen Er­Klärung über ihre vollständige Solidarität mit diesen Instrumenten der Arbeiterklasse in unse= der Politik der Partei der Sowjetregierung wie- rem Lande sagen: sie sind intakt und in boller Schärfe erhalten geblie= ben. der aufgenommen. Nikolajew , der anfangs 1934 wegen Nebertretung der Parteidiszilin aus der Bartei ausgeschlossen worden war, wurde nach feine Tat berene, wieder aufgenommen.

Die Untersuchung hat festgestellt, daß Ni­ kolajew , der am 1. Dezember sein Verbrechen vollbracht hat, Mitglied der terroristischen ille­galen sowjet feindlichen Gruppe war, die sich aus Teilnehmern der früheren Sinowiew- Opposition in Leningrad zusammensetzt. Es wurde festge­stellt, daß Nikolajew die Ermordung Ki­rows im Auftrage des terroristischen illegalen Leningrader Zentrums" vollbrachte, den er von dem Mitglied und Leiter dieses Zentrums Ro­tolino w erhielt. Die Untersuchung ergab, Konflikt Reichswehr - SS? daß das Motiv der Ermordung Kirows das Bestreben dieser Gruppe war, die Leitung der Paris . Der Berliner Korrespon- Sowjetregierung durch gegen die Hauptführer der dent des Journal" meldet, daß das Sowjetmacht gerichtete Terrorakte zu desorgani­Gebäude des Reichswehrministeriums fieren und dadurch eine Aenderung der jetzigen O gewiß, unsere Gegner haben auch hier ge­während der ganzen Nacht auf Freitag Politik im Sinne der sogenannten Sinowiew­hofft, den Einfluß der Gewerkschaften und der und des Freitag- Vormittag von einer Troskij- Plattform zu erzielen. Was die Ermor- 3wei Monaten auf Grund der Erklärung, daß er Sozialdemokratie zu brechen, haben auf die zer außerordentlichen Militärbereitschaft Militärbereitschaft dung Kirows anlangt, gab der Angeklagte wei­mürbenden Wirkungen der Massenarbeitslosigkeit und des Rustandes des Dauerhungers gebaut. Sie bewacht wurde und daß auch in der ters als Motiv Rache gegen Kirow an, der die Leningrader Gruppe der ehemaligen Sinowiew= Dieser amtlichen Mitteilung widerspricht waren nie mit dem ganzen Herzen dabei, wenn Umgebung des Ministeriums bewaff- Anhänger ideologisch und politisch zertrümmerte. die seinerzeit verbreitete Nachricht, der Stirow- es in den dem zu Ende gehenden Jahre galt, alle nete Soldaten in Autos patrouillierten. Nikolajen sagte aus, die frühere Oppofition Attentäter sei den ihm bei seiner Festnahme zu Kräfte einzuseßen, um die Schwere der Krise für In Berlin ging gestern ein Gerücht fei auf Kirow wegen des Kampfes, den er gefügten Verlegungen erlegen. Sollte er jedoch die betroffenen Opfer zu mildern, oder Mittel zu über eine Zuspitzung des Konfliktes gegen die 2eningrader Oppositionellen noch leben, so beweist sein Geständnis angesichts finden, die geeignet sein konnten, ihre weitere zwischen der Reichswehr und der natio- organisierte, besonders schlecht zu sprechen der Foltermethoden der GPU gar nichts. Das Ausdehnung einzudämmen. Denn sie wissen, jeder nalsozialistischen Partei. Die Differen- gewesen. Die Untersuchung stellte fest, daß diese Geständnis" paßt den Stalinisten im Stampfe Arbeitslose weniger, jede wirkliche Hilfe gegen zen betreffen die Neuregelung der Mi- sowjetfeindliche Gruppe eine abgeschloffene Grup- gegen die Opposition so ausgezeichnet in den Not und Elend vermindert ihre Aussichten, nach litärmiliz der Hitlerpartei. In den letz- be darstellte, die jede Hoffnung auf Unterstützung Kram, daß es mehr als verdächtig wirkt. Sind dem Beispiel in anderen Ländern die Arbeiterbe­ten zwei Tagen seien sehr viele Perso- feitens der Maffen verloren hatte, dem Unter- doch sogar kurz nach dem Attentat Massenhinrich weauna niederzuwerfen, ein Terrorregime auf­gang geweiht war und infolge der Hoffnungs- tungen an ,, Reaktionären" vorgenommen worden, zurichten und die Wirtschaft, wie überhaupt das nen aus allen Bevölkerungskreisen losigkeit der Verwirklichung ihrer Ziele den Weg die in Beziehung zum Attentat gebracht wurden. gesamte gesellschaftliche Leben im Staate einsei­verhaftet worden. des Terrors einschlug. Weiters wurde festgestellt, Wie reimt sich das mit einer ,, Verschwörung der tig nach ihrem Profit- und Herrschaftsinteresse daß zu dem illegalen terroristischen Leningrader Sinotjew- Opposition?" Anscheinend nicht besser auszurichten. Zentrum Kotplinow, Schatzki k, als die Vorgänge um den Reichstagsbrand.

See- Wettrüsten

zwischen Frankreich und Italien ?

Die Folgen der japanischen Vertrags­kündigung

Paris . Zur Erklärung des Marineministers, daß sich Frankreich nach der Kündigung des Washingtoner Abkommens durch Japan ebenfalls frei fühle, meldet ,, Echo de Paris", daß in zwei Jahren, bis der Vertrag abgelaufen sein wird, Frankreich in der Lage sein werde, ohne Beschrän­fung Kriegsschiffe zu bauen. Es ist flar, fügt das Blatt hinzu, daß 3. B. die Absicht Italiens , zwei Kreuzer bon je 35.000 Tonnen zu bauen, die Sicherheit der Verbindung Frankreichs mit Nord­afrita bedrohen würde.

Die amerikanische Regierung ist über das negative Ergebnis der Londoner Flottenpakt­besprechungen sehr enttäuscht, hofft aber dennoch, daß im Laufe des nächsten Jahres sich noch ein Weg zu einer tatsächlichen Verminderung der See­rüstungen finden lassen werde.

Saarnazis pfeifen

"

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Entlassungen aus Wöllersdorf

Die Bilanz einer katholischen Regierung

Man muß dem Jahre 1934 zugestehen, daß es die Wirtschaft der Tschechoslo= wakei von ihrem tiefsten Stand eine ganze St, rede weggeführt hat. Seit 1929 war die Produktion von Jahr zu Jahr gesunken. Im Jahre 1933 betrug sie faum noch 60 Prozent der Menge von vier Jahren vor­her. Der Außenhandel war seit dem gleichen Jahre in rapidem Tempo zusammengeschrumpft und das Zusammensacken der Ausfuhr drohte die Wieder­belebung unserer industriellen Produktionswirt­schaft in weite Ferne zu rücken. Die Arbeitslosig=

Wien . Anläßlich der Weihnachtsfeiertage | 2162 Bundesbeamte, Lehr- und Gemeinde­wurde eine große Zahl der wegen politischer De- angestellte wurden fristlos ohne Pension litte im Zusammenhang mit den Feber- und den entlassen, also zum Hungertod verurteilt. Juli- Ereignissen bestraften oder angehaltenen 2100 Arbeiter, die im Verdacht sozialdemo- feit erreichte einen Stand, der die Tschechosloiva­Juli- Ereignissen bestraften Personen entlassen. Die in Zusammenhang mit tratifcher oder nationalsozialistischer Gesinnung fei in die engste Nachbarschaft der großen kapita­den Feber- Ereignissen polizeilich bestraften oder standen, verloren ihre Arbeits- listischen Industriestaaten der Welt brachte. Alles im Konzentrationslager Wöllersdorf angehalte- ft e II e. in allem: es war eine schwarze Entwicklung, deren nen 2572 Personen wurden mit einigen wenigen 752 Angeklagte wurden in 246 Prozes- Beuge wir noch vor einem Jahre waren. Ausnahmen auf freien Fuß gefekt. Mit Ende die fen vor Gericht gestellt. Es wurden 686 Urteile Der Blick zurück läßt ohne künstliche Beschö ſer Woche werden in Wöllersdorf nurmehr 64 gefällt, davon 31 Todesurteile( 8 begnadigt); 42 nigung erkennen, daß eine Wendung eingetreten Sozialdemokraten und 90 Kommunisten verblet- Urteile lauten auf lebenslänglichen Kerker. Der ist. Eine Rückentwicklung der industriellen Pro­ben, die durchwegs wegen Handlungen, die erst Rest wurde insgesamt zu 2967 Jahren Kerker- duktion in der Tschechoslowakei unter den Index nach dem Feber d. J. begangen wurden, verhaf strafe verurteilt. des Jahres 1933 ist im allgemeinen nicht zu ver= tet, bezw. angehalten wurden. Wegen Beteiligung Wenn man noch in Betracht zieht, daß das zeichnen, dafür aber ist in einzelnen Industrie= am Juliputsch wurden 5609 Personen von den kleine Land Desterreich 32.000 Emigranten hat, zweigen eine stärkere Belebung der Produktion Verwaltungsbehörden bestraft, bezw. als Minder- so kann man wohl sagen: als Land, wo der Gal- festzustellen, so daß ein höherer Gesamt­beteiligte zur Zwangsarbeit in Wöllersdorf anges gen regiert und der Hunger herrscht, als Land, index der industriellen Produk­

halten. Sieben wurden 4800 Bersonen freige- bas seine beſten Elemente aus dem Lande jagt, tion für 1934 fich er ist. Stärker noch laffen. Mit Ende dieser Woche werden nur mehr ist Desterreich in der Welt voran. rund 50 Minderbeteiligte angehalten sein.

Die antisemitische Welle in Oesterreich .

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als auf dem Gebiete der Produktion tritt die Besserung im tschechoslowaki= schen Außenhandel hervor, dessen Ge­jamtumfang den des vorigen Jahres nicht unbe= trächtlich überschreiten wird.

Diese erkennbaren Besserungser=

auf Verordnungen Saarbrücken. ( Reuter) Die Regierungs­tommission des Saargebietes erließ eine Verord­nung, durch welche beginnend mit, Samstag die Von den in Wöllersdorf internierten Natio­Sissung jeder Art von Fahnen verboten wird. nalsozialisten, die nicht im Zusammenhang mit Die Deutsche Front antwortete auf diese Anord- dem Juliputsch, sondern wegen anderer Handlun nung der Regierungskommission mit der Auf- gen dort angehalten werden, wurden seit dem in letzter Zeit unter wohlwollender Duldung der scheinungen beschränken sich nicht nur auf Troß aller Ablehnung wird in Oesterreich forderung an die Bevölkerung, sie möge zum Höchststand vom 23. September mit 843 Perso­Protest gegen diese Verordnung der Regierungs- nen bisher 720 Personen entlassen. Mit Ende die Regierung eine starke antisemitische Propaganda die tschechoslowakische Wirtschaft, ja, sie sind in fommission unverzüglich die deutsche Flagge hiffen. ser Woche werden von diesen restlichen National- entfaltet. Der österreichische Antisemiten einzelnen Ländern sogar in stärkerer Tendenz zu 6 un d, eine Gründung des ehemaligen öster- beobachten; aber es gibt dennoch auch andere Die Bevölkerung leistete dieser Aufforderung der sozialisten nurmehr 70 in Wöllersdorf zurückblei­Deutschen Front zum Teil Folge und so wehten ben. Das Konzentrationslager Wöllersdorf wird reichischen Abgeordneten er za bet, als Sta- Staaten, in denen sich der durch die Krise beschleu­am Samstag in verschiedenen Straßen Saar - demnach am 23. Dezember gegenüber dem Höchst- daverjerzabet" im alten Parlament bekannt, hält nigte Niedergang der Wirtschaft und des Außen­brückens aus den Fenstern tausende von natio- stande von 5230 Angehaltenen am 26. September eine Hetversammlung nach der anderen ab und handels fortgesetzt hat. erfreut sich dabei der Unterstützung der Sturm- Würden nicht auch in diesem Jahre die inter­nalsozialistischen Flaggen.. 1934 nurmehr einen Stand von rund 740 Ange- scharen, der Wehrformation des Bundestanz- nationale politische Lage und die massenhaften ein­haltenen aufweisen. lers Schusch nigg, die in den Versammlungen zelstaatlichen Maßnahmen den Welthandel und da= des AB den Saalschuß übernommen haben mit indirekt auch die Produktion so außerordent­Der heimatschüßlerische Stadtrat Lichtenegger hat lich gehemmt haben, so wäre die Erholung viel in seiner Eigenschaft als Präsident des Verban- stärker und wir würden sehr wahrscheinlich noch des der Krankenkassen mit 1. November 98 einen erheblichen Teil von Arbeitslosen weniger 30.000 Desterreicher befinden sich in den dische Krankenkassenärzte entlassen und sie durch haben. So aber ist die Arbeitslosigkeit zwar nicht unterschiedlichen Arresten. arische ersetzt. mehr so hoch als vor einem Jahre. Doch sind die

Macek begnadigt

Belgrad . Durch einen Ukas des Regent­schaftsrates wurde der Führer der kroatischen Bauernpartei Dr. Maček, welcher im Früh­jahr 1933 zu drei Jahren Arrest verurteilt wor­den war, begnadigt.

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,, Und den Menschen ein Wohlgefallen!"