Freitag, 28. Dezember 1934 14. Jahrgang Nr. 302 IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK 1 Ä Einzelpreis 70 Heller (einschließlich 5 Heller Porto) ERSCHEIN{ MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova«r. telefon 53077. Administration Telefon 5307«. HERAUSGEBER) SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  . Wir machen nochmals alle Kolpor­teure und Abonnenten darauf aufmerk­sam, daß unsere Ausgabe am2. Jän­ner entfällt, da am Neujahrstag nicht gearbeitet wird. Die Verwaltung. General Körner in Freiheit Wien.  (Havas) General Körner, der militärische Leiter des ehemaligen sozialdemokra­tischen repnblikanischen Schutzbundes, der wäh­rend der Februarereignisse verhaftet worden war, ist nunmehr aus der Haft entlassen worden. * An dieser Meldung ist unrichtig, daß Gene­ral Körner der militärische Leiter des Schutzbun­des war. Körner bekleidete im Schutzbund über­haupt kein Amt und seine Verhaftung war ein reiner Willkürakt der katholischen Fascisten. Sie denkt nicht daran, ihm und den anderen Funktio­nären der Partei den Hochverratsprozeß zu ma- chen, weil sie sich darüber im Klaren ist, daß sie dabei den Kürzeren zöge. , General Körner hat die vielen Monate, sei­ner Hast tapfer getragen. Er Hafnach seiner Ein­lieferung Sträflingskleider verlangt und wei­gerte sich überhaupt, eine andere Behandlung zu dulden als sie den anderen Häftlingen wider­fuhr. Als er den ersten Besuch empfing, mit dem ihm eine Unterredung von fünf Minuten gestat­tet war, sagte ihm der rote General:Sagt draußen, sie mögen tapfer bleiben. Wir haben ge­kämpft und sind unterlegen. Aber das Recht wird siegen.   Auf die anderen vier Minuten der Unterredung verzichte ich!" General Kör­ner tröstete seine Mitgefangenen und sprach ihnen immer neuen Mut zu. Am stärksten aber wirke er durch sein Beispiel. Danziger Richter als Rechtsbrecher Sie bestätigen einen Vermögensraub Der steche Diebstahl des Vermögens der freien Gewerkschaften ist jetzt auf Danziger Terri­torium durch ein Urteil der ersten Zivilkammer des Landgerichtes bestätigt worden. Es handelte sich um den langwierigen Streit zwischen der Na­ tionalsozialistischen   Betriebszrllrnorganisation und den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern. Das Urteil spricht der R.S.B.O. die Besitzrechte an dem Gewerkschaftsvermögen zu und behauptet, daß die Gewerkschaftsführer nicht mehr berechtigt seien, ihre Funktion auszuüben oder Beiträge ein­zukassieren. Für das Urteil waren, wie kühn behauptet wird, ausschließlich zivilrechtliche Gründe maßge­bend. Da nachgewiefen wurde, daß die Danziger Gewerkschaften von der Zentrale im Reich abhän­gig waren, habe Staatsrat Schuhmann das Recht gehabt, auch die örtlichen Danziger Gewerkschafts­funktionäre ihrer Posten z« entheben. Es ist daö Recht der Diebe und Räuber, das hier unter den Augen eines Bölkerbundskommiffars, dessen ein­zige Tätigkeit im Schweigen z« bestehe« scheint, gesprochen wird. Ausweisung Trotzkis aus Frankreich  ? Auf Betreiben der rassischen Regierung Paris  . Nach Meldungen einer privaten Agentur aus Warschau   beabsichtigt Stalin  , dir ftanzösische Regierung um die A u s w e i f ung Trotzkis aus Frankreich   zu ersuchen, weil er in das Attentat auf Kirow miwerwickelt st». in- Bilanz der letzten Cliquen-Kämpft nur * Ein Opfer des zweiten 30. Juni Wie aus zuverlässiger Quelle verlautbart, be­findet sich unter den im Dezember Erschossenen der SA  -Führer Hauenstein  , einer der ältesten Nationalsozialisten. Er machte schon gleich nach dem Kriege als Freikorpsführer von sich reden, war unter dem Namen Heinz in zahlreiche Feme­affären verwickelt und spielte in den Anfängen der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin   eine Rolle. Eine Zeitlang ging er eigene Wege, wurde ausgeschlossen und gründete eine eigene Gruppe »Unabhängiger Nationalsozialisten", fand jedoch bald wieder den Anschluß an die Pgrfei. Mit ihm hat eine typische Abenteuernatur des Nachkriegs- deutschland ihr Ende gefunden. Was war In der BendlerstraBe los? Zu den geheimnisvollen nächtlichen Vorgän­gen in der Bendlerstraße wird gemeldet, daß in der Tat von SS  -Leuten ein Anschlag auf das Reichs­wehrministerium geplant war. Die Gestapo   erfuhr jedoch von dem geplanten Putsch und kam der Aktion durch Massenverhaftungen von SS  -Leuten zuvor. Paris  . Die Berliner   Berichterstatter der Pariser   Blätter berichten ausführlich über die neueReinigung" in der nationalsozialisti­schen Partei und über die neuen Verhaftungen, die sie mit jenen des 30. Juni vergleichen. Rach dem Berichterstatter des BlattesLe Journal" werden die Verhaftungen diesmal von dem ge­fürchteten Chef der Geheimpolizei H i m m l. r geleitet, der etwa 300.000 SS  -Leute befehligt, die seinen Befehlen blind gehorchen. Die Gesamt­anzahl der Verhafteten ist noch nicht genau be­kannt, wird aber auf 4000 geschätzt. Die Verhaftungen nahmen ihren Anfang mit der Verhaftung des Oberpräsidenten von Schlesien Brückner und 50 seiner Anhänger. Rach der amtlichen Darstellung erfolgten die Ver­haftungenaus Gründen der Moral", doch scheint es, daß die wahren Gründe anderswo liegen. Fer­ner wird behauptet, daß 12 Revolutionäre der Gruppe Otto Strasser  , die in Prag   lebten, nach Deutschland   zurückgrkehrt seien, wo sie eine klein Kampf' zensuriert? Hitler   will Angriffe gegen Frankreich  widerrufen Paris  . Einer Information des Berliner  Korrespondenten desJournal" zufolge wird Hit ­ler aus seinem BucheMein Kampf  " den Absatz streichen, in welchem Frankreich   scharf angegrif ­fen wird. Dieser Entschluß sei eines der Ergeb ­nisse der Berliner   Reise der ehemaligen franzö ­sischen Frontkämpfer und ihrer Unterredung mit Hitler  . Kurz nach dem Plebiszit im Saargebiet soll, Hitler die Absicht haben, eine große politische Rede zu halten und damit praktisch die geplanten fran ­zösisch-deutschen diplomatischen Verhandlungen rinzuleiten. In dieser Rede werde er erklären, daß er sein Buch in den Jahren 1923-24 geschrieben habe, zu einer Zeit, als er interniert war, demnach sich in einer seelischen Depression be ­funden habe, und zu einer Zeit, wo das Ruhr-! gebiet okkupiert war.   Hitler werde ausdrücklich erklären, daß er sein damaliges Urteil über< Frankreich   widerrufe. Daß Frankreich   vom Jahrei 1935 sei nicht das Frankreich   vom Jahre 1923.1,, Mit diesem neuen Frankreich   könne sich das neue des deutschen   Proletariats verhängnisvoll, zu ver- Deutschland   einigen und mit ihm in Frieden leben. I tiefen; der Sozialdemokratie den Garaus zu Erklärung unterzeichneten, welche die' geheimen Beziehungen Strassers zu verschiedenen Angehöri­gen der nationalsozialistischen Partei aufdecke. Auf Betreiben G o e r i n g s und des In­nenministers Frick soll eine Reorganisa­tion der Pol izei in Deutschland   bevor­stehen. Die Staatspolizei werde 100.000 Mann zählen, die mit schweren Waffen ausgerüstet sein werden, während die Schutzpolizei über 60.000 Mann mit leichten Waffen verfügen soll. Die Gendarmerie und die Gemeindepolizei werden 40.000 Mann zählen, desgleichen die national­sozialistischenFeldjäger  ". Himmler se' ll Nach den Informationen desEcho de Pa­ris" soll Himmler   als Chef der Reichspolizei durch den Polizeigeneral D a l u e g e, einen timen Freund Goerings, ersetzt werden. , Berlin  .(A. B.) Die augenblickliche Lage in Deutschland   wird dadurch so unübersichtlich ge­macht. daß zur. Zeit eine Reibe.Attstmest.UKim« einandcrlaufen oder sich überschneidest. Was geht zur Zeü vor? 1. Haben wir eine Mion, die sich gegen die Spitzen richtet und von Schacht und seinen, dem alten System angehörenden Vertrauensleuten, wie Goerdeler   und Trendelenburg, ge­tragen wird. Sie richtet sich gegen die Demagogie der Schein-Linken, wie Ley, Goebbels   und Darre, gegen die Wirtschafts-Experimentatoren wie v. d. Goltz, Feder, Rentelen und auch gegen eine bestimmte Gruppe großindustrieller Opponenten, die an den wirtschaftlichen Maßnah­men(Fragen der Arbeitsbeschaffung, des Exports und der Währung) Kritik üben, wie Siemens, Krupp und die Hanseaten. Hier ist Schacht bis jetzt auf der ganzen Linie Sieger. Hand in Hand damit gehen die Vorstöße Neuraths und der alten Diplomatie gegen die Rosenberg-Gruppe sowie des Berufsbeamtentums gegen die Kommissare und Parteibuchbeamten(Frank II). 2. Davon zu stennen ist die Aktion der Par­tei, bzw. ihres rechten, sozial-konservativen Flügels (  Göring) gegen die Alten Kämpfer  (SA) und Alten Garden(Partei), die sich teilweise gegen die Anhänger von Röhm(im Zusammenhang mit den Attentaten) und von Ernst(im Zusammen­hang mit den ins Ausland gelangten und im Weißbuch" abgedruckten Ernst-Dokumenten), insbesondere aber gegen den Brückner-Kreis in Schlesien  , zum Unterschied von 1 aber sowohl gegen oben wie gegen unten richten. 3. Damit nur zum Teil identisch ist die Aktion der Reichswehr  , die sich sowohl gegen die Reste   der SA und gegen die SS als auch gegen die Kriegsabenteurer richtet. Der Stoß gegen die SS erfolgte aus den verschiedensten Gründen. Einmal, weil die Gelder, die auch für das Arbeits­beschaffungsprogramm knapp werden, nicht mehr bewilligt werden, dann, weil die Reichswehr   keine bewaffnete Macht neben sich zu dulden gewillt ist, zumal die Zersetzung   der SS(in die schon zu Röhms Zeiten zahlreiche unzufriedene   SA-Leute gesteckt wurden) fortgeschritten ist, schließlich, weil die SS, um den finanziellen Abbaumatznahmen zu entgehen, stürmisch den Einbau in die Reichswehr  verlangte, und weil man, aus der Npt eine Tugend machend, diese Entwaffnungsaktion auch noch außenpolitisch als Zeichen guten Willens auSzu- schlachten gedachte. Im übrigen richtet sich aber der Stoß der Reichswehr   nicht nur gegen die Ro­se n b e r g-Gruppe, sondern, trotz mancher innen­politischer Uebereinstimmungen, auch gegen   Gö­ring, der, nicht ohne Zusammenhang mit seiner Funktion als Reichsluftfahrtminister, eine andere außenpolitische Konzeption hat. Auf der anderen Seite haben wir: 4. die Aktion der Alten Kämpfer gegen Schacht und Vie neuesteReinigung" Heber 4000 Verhaltungen durch die SS 5. den Widerstand der SS, die nicht über Gewehre, sondern auch über schwere Maschi- Ntngewehre, Flammenwerfer und Flugzeuge ver­fügt, gegessih"Esikiväffnung. Ts wäre also ver­fehlt, nur die eine Seite zu sehen und schon jetzt von einem Sieg des. konservativen Flügels zu sprechen. Sinowjew  der Spalter der Arbeiterbewegung Vor wenigen Tagen haben in   Moskauer­regte Bolksmaffen" dieser Apparat der Dikta­turen funktioniert auch in Rußland   wie geölt- die Straßen durchzogen mit den RufenTod den VerräternI",Tod S i n o w j e'w u n d Kä­me n e wl" Neben den mehr als hundert Perso­nen, die nach der Ermordung Kirows zur Ab­schreckung ohne Verfahren hingerichtet wurden, sind auch viele, die als verdächtig angesehen wer­den, in die Gefängnisse gewandert, darunter Si­  nowjew und Kamenew  . Ob die kochende Volksseele ihre Beförderung ins Jenseits durch­setzt, ist noch ungewiß, jedenfalls werden die bei­den ehemaligen Sowjetgrößen von Glück sagen können, wenn sie mit der angeblich geplanten Ver­schickung nach Sibirien   davonkommen. Ob nun an die Mauer gestellt und nach Erschießen verscharrt oder in Sibirien   lebendig begraben, ihre Rolle wird Wohl ausgespielt sein. Diese endgültige Erledigung Sinowjews, des einstmaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale, dessen Figuranten in den west­europäischen Ländern den Sozialdemokraten so ost das An-die-Wand-stellen in Aussicht gestellt hat­ten, weckt Erinnerungen. Es war aus dem Par­teitage der U. S. P. D.(der Unabhängigen So­ zialdemokratischen Partei Deutschlands  ) in Halle im Oktober 1020, auf dem die von der Kommu­nistischen Internationale vorher planmäßig vor­bereitete Spaltung der U. S. P. D. zur Tat wurde, eine Tat, die ureigenstes Werk eben dieses Sinowjew   war, der auf diesem Parteitage per­sönlich erschien. In den Mappen auf den Tischen sanden die Parteidelegierten ein von Sinowjew  an erster Stelle unterschriebenes Flugblatt, ein elendes Pamphlet, in dem die Delegierten der U. S. P. D' alsbewußte Gauner",Schurken" beschimpft wurden, alsVerräter",Sozialver­räter",Diebsbande", ja als Stinktiere, vor denen anständige Menschen sich die Nase zudrük- ken. Zu diesenbewußten Gaunern" undSchur­ken" war der Vorsitzende der Moskauer Interna­tionale gekommen, um vorgeblich mit ihnen über den Beitritt der U. S. P. D. zu dieser Internatio­nale zu unterhandeln. In Wirklichkeit lief sein Auftrag auf die Spaltung der Partei hinaus. Tie kommunistische Illusion von der unmittelbar be­vorstehenden Weltrevolution wurde damals noch als ein Heiligtum gepflegt, aber um sie zur Tat­sache werden zu lassen, das heißt um als taugliches Experimentierwerkzeug in den Händen der Mos­  kauer Diktatoren zu dienen, dazu war die Kom­ munistische Partei Deutschlands   bis dahin allzu schwach. Sie war infolge ihrer mit den Mackt- verhältnissen im Staate im strikten Widerspruch stehenden Politik eine einflußlose Sekte geblieben. Um größere Massen der deutschen   Arbeiterschaft den Bedürfnissen der russischen kommunistischen  Partei dienstbar zu machen, mußte die U. S. P. D. gespalten werden. Mit der Verheißung der nahen Beseitigung der kapitalistischen   Wirtschaftsord­nung war es dem Abgesandten Moskaus   nicht schwer, die Mehrheit der Delegierten auf seine Seite zu bringen, immerhin widmete er der Ver­unedelung der Gehirne eine Rede"im Ausmaße von viereinhalb Stunden und er sparte darin ebenso­wenig mit Lob für die allein seligmachende Kom­ munistische Internationale   wie mit Schmähungen der Sozialdemokratie, wobei er sich folgende Be­schimpfung der gewerkschaftlichen Internationale leistete:Diese Bürgerwehren, diese Orgesche in Deutschland  , diese Weißgardisten, es sind selbst­verständlich keine sehr angenehmen Leute, aber ich mutz sagen, sie sind uns viel weniger gefährlich, als ihre geliebte sogenannte Gewerkschaftliche In-, ternationale." Das wurde zur selben Zeit gespro­chen, so wurde von Sinowjew   die Gewerkschaft­liche Internationale mit den Weißgardistischen Mördern des Proletariats auf eine Stufe gestellt, als sowohl diese Gewerkschaftliche Internationale wie auch die Sozialdemokratie Deutschlands   durch Boykottierung der Munitionstransporte an die weißgardistischen Arnieen in Rußland  , der So­wjetrepublik wirksam beistanden I Der wilden, bedenkenlosen Demagogie Gri- gor Sinewjews gelang cs damals, die Spaltung