Seite 4 Donnerstag, 3. Jänner 1935 Nr. 2 Ein geheimnisvolles Flugzeug in-en nordeuropäischen Gebiete» Drahtlose Signale einer militärischen Zentrale? Aus Oslo wird berichtet: In der letzten Zeit und bereits vor einem Jahre wurden alarmierende Meldungen, die teils aus S t o ckch o l m, teils aus Oslo stammten, verbreitet, daß über den nördlichenGe- bieten oder über dem Meere ein Flugzeug unbekannten Ursprunges gesichtet wurde, das drahtlose Signale aussandte.- Die Vermutungen über^die Herkunft dieses unbekannten Flugzeuges mehrten sich, vielfach mit p a rt"i» schem Schrecken, daß das geheimnisvolle Flugzeug, dort wo es auf kurze Zeit auftauche, nichts Gutes hedeute. Einmal wurde behauptet, daß es sich um ein haken kreuzlerisches Flugzeug handle, ein anderes Mal wieder verbreitete sich das Gerücht, daß es sich um geheimnisvolle Forschungen eines sowjetrussischen Flugzeuges über den nördlichen Gebieten handle. In dieser Angelegenheit meldet nun das Blatt„Tidens Tegn" in Oslo : Mitglieder der Redaktion des Blattes und- Fachleute der drahtlosen Telegraphie konnten nach langen Nachforschungen geheimnisvolle Zeichen auffangen, von denen man voraussetzte, daß sie von dem geheimnisvollen Flugzeug mit irgend einer drahtlosenStation irgendwo im Auslande ausgetauscht wurden. Alles deutet darauf hin, so führt das Blatt in seinen Vermutungen weiter fort, daß die drahtlosen Zeichen aus Karelien in Sowjetrußland, nordwestlich vom Ladoga-See ausgesendet wurden und daß das geheimnisvolle Flugzeug von irgendeiner dortigen militärischen Zentrale gelenkt wird. Die weitere Behauptung des Blattes entbehrt nicht der Sensation, daß die geheimnisvollen drahtlosen Zeichen oftvomoffe- n e n M e e r an der norwegischen Küste stammen und daß sie von irgend einem Schiffe gesendet werden. Das geheimnisvolle Flugzeug wurde in der vergangenen Woche über dem nördlichen Norwegen als auch über Nord- Schweden einige Male gesehen. Norwegische militärische Kreise glauben „Aftenposten" zufolge nicht, daß diese drahtlosen Mitteilungen Meldungen enthalten, die von direkter militärischer Bedeutung wären. Andererseits aber wurde bisher noch nicht sichergestellt, ob die drahtlosen Signale tatsächlich in irgend einer Beziehung zu dem geheimnisvollen Flugzeuge j stehen. Die Nachforschungen haben bis jetzt noch zu keinen genauen Ergebnissen geführt und wenn sich in der nächsten Zeit nichts besonderes ereignet, werden die Nachforschungen eingestellt werden. Tagcsnculgkcitcii Fernübertragung von Zeitungen Aus Moskau wird berichtet: Das Institut für das Studium der öffentlichen Verkehrsfragen, im engeren Sinne zum Studium der Radiotelegraphie und-Telephonie, teilte mit, daß ein neuer Apparat für Fernübertragung von Bildern erfunden wurde, der bedeutend besser sei, als die bisherigen Apparate. Es handelt sich um Uebertragung von Zeitungen. Eine Zeitungsseitc wird in vier Abschnitte geteilt und, auf besondere elektrophotographische Weise mittels Draht oder auch drahtlos auf jede beliebige Entfernung übertragen. In der Empfangsstation kann von diesen übertragenen Seiten ein Klichee für Zeitungsdruck hergestellt werden. Verzweifelte Ber leute seit sieben Tagen in einer ersoffenen Grube Kattowitz . Vor einer Woche hatte die Bergbehörde die Stillegung der Baska-Grube bei Sos- nowitz angeordnet, da sie durch einen Wassereinbruch größten Ausmaßes stark gefährdet und inzwischen fast völlig ersoffen ist. 60 von den 110 Bergleuten der Grube traten, als die Stillegung des Betriebes bekannt wurde untertags in den Ausstand, um die Weiterführung der Arbeit zu erzwingen. Alle Bemühungen der Behörden, die Bergleute zum Verlassen des Schachtes zu bewegen, waren bisher ergebnislos. Seit sieben Tagen sind die Bergleute in der Grube, ständig auf der Flucht vor den eindringenden Wassermassen, die mit großer Schnelligkeit die Strecke überfluten. Seit Montag ist die Lage der streikenden Bergleute geradezu verzweifelt. Sie haben sich auf die höchstgelegenen Stellen der Grube geflüchtet, wo sie im Dunkel ohne Nahrung in dem eiskalten Wasser ausharren. Die Luft ist fast gänzlich verbraucht und mit Grubengasen geschwängert. Die Erregung unter der Bevölkerung ist sehr groß. Das Grubengelände übertage ist von der Polizei besetzt, da man Unruhen befürchtet. Ein Verkehrs-Wasserflugzeug Marseille — lgier Marignan. Die französische Flugzeuggesell- schast„Air France " wird in den Dienst zwischen Marseifle und Algier zum ersten Male ein Wasserflugzeug des Typs Breguet-Saigon einreihen. Das Flugzeug hat eine Flügelspannweite von 33 Meter und eme Rumpflänge von 20 Meter, während die Höhe des Apparates 7.5 Meter beträgt. Das Flugzeug ist mit drei Motoren von 750 PS im Gesamtgewicht von 13.800 Kilogramm ausgestattet. Es kann außer drei Mann der Besatzung 19 Passagiere aufnehmen. Das neue Flugzeug startete gestern früh nach Algier und wird 100 Flugstunden absolvieren, bevor es zum Transport von Fluggästen benützt wird. Eine Sowjetfabrik für Vitamine Leningrad . Das Forschungsinstitut für die Lebensmittelindustrie hat auf Grund eigener Projekte die erste Sowjetfabrik für Vitamine in Auftrag gegeben. Die Vitamine werden in konzentrierter Form aus Kohl und Tannen- und Fichtennadeln hergesteflt werden. PUot: tot Begleiter: durch Fallschirm gerettet Bühl . Am Neujahrstag stürzte in der Nähe von Bühl in B ad e n ein rumänisches Flugzeug mit dem Erkennungszeichen„DRAGJ" ab, das sich auf einem Flug von Rumänien nach Paris befand. Der Mlot Wasil Di mitr es cu aus Eonstanza wurde unter den Trümmern tot aufgefunden, während sein Be g l e it e r Prim aus Sarap in Rumänien aus 1 2 0 0 Meter Höhe rechtzeitig mit dem Fallschirm abgesprungen war und mit dem Leben davon kam. Das Flugzeug war um 9 Uhr 30 Mm. auf dem Flugplatz Aspern bei Wien gestartet. Die näheren Ursachen des Unglücks bedürfen noch der Aufklärung. Der Lindbergh-Senfationsprozetz New Bork. In der kleinen Stadt Flaminston im Staate New Jersy wurde gestern der Prozeß um die Entführung des Lindbergh-Kindes begonnen. In aller Eile wurde der Gerichtssaal für den Riefenprozeß vorbereitet. 13 2 n e u- gelegte Telefon drahte verbinden ihn mit allen Großstädten Amerikas und selbst mit dem Auslande. Der ständig steigende Zustrom von Neugierigen schafft Verkehrsprobleme, von denen die kleine Stadt bisher völlig frei war. Rund 2 0 0 Z e u g e n werden im Verlaufe des Prozesses vernommen werden. Die 12 Geschworenen werden aus 130 vorgeladenen Bürgern und Bürgerinnen Flemingtons gewählt. Unter den Zeugen sind außer dem Ehepaar Lindbergh und Frau Hauptmann besonders zu nennen, die Pfle- gektkk des LiNdderssh-Uindes, Bstt t h G o. w, sowie der häufig'Lrwähnte C o n d"o n." Die antitschechoslowakische Hetze in Dentsch- land. Eine Leserin schreibt uns: Ein Berliner Freund versprach mir, Weihnachten nach Prag zu kommen. Doch in letzter Minute bekam ich einen absagenden Brief. Es ginge nicht.— Er — der Freund ist Arzt— sei verpflichtet, eine Auslandsreise, ntit Angaben von Gründen sei» nem„Amtsleiter" zu melden.-Außerdem könne man auch beim besten Willen nicht mit 10 Mark in der Tasche nach Prag kommen. Vor allen Dingen aber, so heißt es wörtlich,„herrsche doch in der Tschechoslowakei , verursacht durch die Prager Universitätskrawalle, eine derartig antisemitische Stim- m u n g, daß ei» Jude es wohl kaum wage« könne, gerade jetzt nach Prag zn fahren". Man faßt sich an den Kopf. Da sitzen sie in der Hölle, beschimpft, entehrt, ausgestoßen, rechtlos. Und dennoch glauben Juden im heutigen Deutschlqnd daß es in Prag noch viel viel schlimmer sei. Wie mag also sm Dritten Reich gegen, die Tschecho slowakei gehetzt werden, in Wort rind Schrift, wenn es möglich ist, daß ein Jude äus dem heutigen Berlin derartiges schreibt... Kollektivhaftung der Notare im Falle Patsch ? Die Prager Notariatskammer hat gemeinsmn mit den führenden Notaren Böhmens — obwohl es sich nicht um einem Fall aus ihrem Kammersprengel handelt— in ihrer außerordentlichen Sitzung vom 2. Jänner 1Ö35 beschlossen, den Justizminister zu ersuchen, daß unter Teilnahme sämtlicher Funktionäre des Notarenstandes aus dem ganzen Staatsgebiete der Fall des Notars Dr. Patsch in Wildenschwert zum Zwecke der Beschaffung eines Ersatzes zur Deckung der durch Dr. Patsch verursachten Schäden durchberaten werde. Die Ersetzung dieser Schäden soll so erfolgen, daß weder der Staat, noch das Publikum Schaden erleiden. Bei dieser Gelegenheit wird auch über Maßnahmen beraten werden, durch welche die Wiederholung ähnlicher Vorfälle in Hinkunft unmöglich gemacht werden soll. Die Budapester Raubmörder verhaftet. Die Budapester Polizei hat die zwei Räuber, die Mon- ' tag den lleberfall auf eine ungarische Bank aus- g^jührt haben, verhaftet. De^ Polizei ist es ge- ÄrnAen,-> auch den dritten Teilnehmer ast dem Raubüberfall zu verhaften, der das Automobil der Bankräuber steuerte. Die Ergreifung der Räuber wurde durch ihre Ermittlung nach den Fingerabdrücken ermöglicht. Beim Rennen um den großen australischen Automobilpreis geriet in einer Kurve einer der Rennwagen bei größter Geschwindigkeit ins Schleudern, wobei der Rennfahrer G r a h a m, der den Wagen steuerte, sowie sein Mechaniker auf der Stelle getötet wurden. Das Bekenntnis zur Einkommensteuer(Besoldungssteuer von höheren Bezügen) für das Steuerjahr 1934 ist bei der nach dem Wohnorte des Steuerträgers zuständigen Steueradministation bis Ende Feber 1935 einzubringen. Das Bekenntnis zur Einkommensteuer ist einzubringen verpflichtet, wer im Jahre 1934 ein steuerpflichtiges Einkommen(zusammen mit dem Einkommen der Gattin oder Lebensgefährtin und der minderjährigen Kinder) t.' mehr als 7000 XL hatte. Familienhäupter mit vier Familienangehörigen(verwitwet mit drei) sind verpflichtet, ein Bekenntnis einzubringen, wenn ihr Einkommen, einschließlich des Einkommens dieser Familienangehörigen 8200 XL übersteigt, Häupter vo. Familien mit fünf Angehörigen(verwitwete mit vier), wenn dieses Einkommen 9200 XL, Häupter von Familien mit sechs Angehörigen(verwitwete mit fünf), wenn dieses Einkommen 11.000 XL überstieg(8 3 zit. ,Ges.)— Die Empfänger von Verband der Gewerbetreibenden und Kaufleute in der Tschechoslowakischen Republik, Sitz Aussig . Sekretariat Saaz , Rikolaigasse 232. Sonntag, den 20. Jänner, vormittags 9 Uhr, in K o m o t a u,„Volkshaus", Sitzung des erweiterten Berbandszentral-Borstandes mit nachstehender Tagesordnung: 1. Bericht des Verbandspräsidiums. Referent: 2. Verbandsvorfitzender Ed. T o b i a s ch. 2. Organisationsangelegenheiten. Referent: 3. Verbandsvorsitzender E. Fischer. 3. Verbandsangelegenheiten. An dieser Sitzung haben teilzunehmen die Mitglieder des Verbandspräsidiums, des Verbandszentralvorstandes, der Verbandskontrollkommissio» und des Verbandsschiedsgerichtes sowie der Obmann oder dessen Stellvertreter jeder Gauvertretung und jeder Ortsgruppe. Der Zutritt zu dieser Sitzung ist nur mir dem ordnungsgemäß gezeichneten Ausweis der delegierenden Organisation gestattet. Berbandspräfidium: Josef G r i m m e. h. Ernst K o t e k e. h. Dienstbezügen, denen die Einkommensteuer ordnungsgemäß im Sinne der 88 30 und 3l abgezogen oder von der Steueradministration gemäß 8 83, Abi 1 und 2, des Ges. bemessen wurde und die(einschließlich dem Einkommen der Familienangehörigen) kein anderweitiges Einkommen über 500 XL haben sind von der Verpflichtung, ein Bekenntnis einzubringen, befreit, außer sie würden hiezu besonders aufgefordert werden. Diesen Empfängern steht das Recht zu, die ordentliche Bemessung der Steuer nach den allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes über die direkten Steuern zu verlangen. Ein solches(stempelfreies) Gesuch, dem ein ordnungsmäßig ausge- fülltes Bekenntnis beizuschließen ist(8 32, Abs. 5, des zit. Ges.), ist längstens bis Ende März 1935 einzubringen. Die bloße Ueberreichung des Bekenntnisses ohne Gesuch würden aber die Steueradministrationen nicht als ein solches Gesuch betrachten.— Das Bekenntnis darf nur auf den amtlichen Drucksorten eingebracht werden. Diese werden nicht mehr kostenlos ausgegeben werden und die Steueradministrationen werden überhaupt keine zur Verfügung haben; sie werden nur in den Tabaktrafiken verkauft. Bon der Centralbank der deutschen Sparkassen . Mit Erlaß des Finanzministeriums vom 29. Dezember wurde das Moratorium für die Centralbank bis 31. März 1935 verlängert. Dir Freie Schule der politischen Wissenschaften in Prag eröffnet am 7. Jänner ihr Wintersemester. Das Studienprogramm enthält unter anderem folgende Vorlesungen: Prof. B. Baxa: Parlament und Parlamentarismus; Prof. I. Macek: Einführung in die Politik; Major I. E j e,m; Heerwesen und WehrpoMk; Dr. Ernst Fränzelt Die Grundlinien der europäischen Geschichte. Berichtigung. In unserer Neujahrsnummer wurde infolge Druckfehlers unter das Bild des Dichters Fis ch e r der Vorname mit Ottokar statt richttg O t o k a r und unter das Bild des Gesandten Krofia Emil statt richtig Kamil gesetzt. Vom Rundfunk empfehlenswertes aus den Programmen: Freitag Prag , Sender L.: 10.05: Deutsche Nachrichten, 11: Schallplatten, 12.36: Jazzorchesterkonzert, 16.45: Tschechischkurs für deutsche Hörer, 17: Konzert des Prager Quartetts, 18.20: Deutsche Sendung: Sporworschau, 18.25: Beschleunigung des zivilgerichtlichen Verfahrens, 18,45: Arbeitensendung: Aktuellezehn Minuten. 19.10: Arien und Lieder, 20: Konzert des Ondricek- Ouartetts, 21.00: Konzert. Sender S.: 14.20: Schallplatten, 14.35: Populäre Kompositionen tschechischer Autoren, 16: Deutsche Sendung: Funksketsch, 18.00: Orchesterkonzert.— Brünn: 18.20: Deutsche Sendung: Dr. Moucha: Ueber öffentliche Bildungspflege.— Mährisch-Ostra«: 18: Deutsche Sendung: Dr. Rafteksberger: Helsinfli, die veiße Stadt des Nordens, 19.30: Tanzmusik. — Preß burg : 21.30: Orchesterkonzert.— Kascha«: 20.15: Orchesterkonzert. Begegnung mit dem Dittdt Wir haben das Schwein gestreichelt. Es war ein noch ganz kleines Schwein, ein Schweinchen. Ein Mann trug es im Korb umher. Rosig, irtit blondem Borstcnflaum zwischen den Ohren, mit blauen Schweinsäuglein, ahnungslos hingekuschelt lag es auf einer Handvoll Heu, anzusehen fast wie ein Kind. Der Mann trug es umher und ließ es streicheln. Er machte ein glückliches.Gesicht, und auch von ihm kann man sagen: fast wie ein Vater trug !er es. Die Leute drängten sich herzu, streichelten dem Schweinchen den Kopf, den schmalen, prallen Rücken und beschworen damit das Glück, von dem sie hoffen, daß das Jahr 1935 es bringen wird. Jedem und jeder. Ein Mann, nicht gleich geistes- gegeuwärtig, streichelte das Schweinchen mit der linken Hand, zog sie aber rasch und betroffen zurück, als. hätte er einen Lapsus begangen, und streichelte es nun auch mit der rechten Hand. Das Schweinchen blinzelte, kniff die Aeuglein zu und hatte keine Ahnung von seiner Silvestermissjon, Glücksbringer für frohgestimmte Menschen zu sein. Dafür, daß der Mann das Schweinchen streicheln ließ, bekam er Geld. Reichlich klingelten die Zwanzig- und Fünfzig-Hellerstücke und oft auch eine Krone in seine Tasche. Und das Ivar Wohl das einzig Verläßliche an der Sache. Nun,'wir haben das Schweinchen auch gestreichelt. Soll es uns Glück bringen... Glück— ihr vergnügten Leute, die ihr euch Hufeisen, aus Goldpappe geprägt, rote Glückspilze, winzige Kaminfeger aus Draht und Chenille als Talisman des Glücks ansteckt und aufgeblasene Gummischweinchen in den Händen tragt — Glück: das bedeutet für uns ungeheuer viel! Ihr, die ihr in gewohnter Freiheit euch der späten, letzten Stunde des alten Jahres und der ersten Stunden des neuen Jahres fteut—. ihr seid trotz allem, was immer zu wünschen übrig bleibt, glücklicher als ihr es wißt. Euch kündet kein Diktator dröhnende Lautsprecherphrasen, nicht mehr geglaubt und stumm knirschend vernommen. Euch schmettern.keine Horst-Wessel -Lieder in schon müde geschrieene Ohren— ihr tanzt nach Smetanas flottem Frühlingsmarsch und der kecke Rythmus der Melodie„Alles geht am Schnürchen" bringt euch in frohen Schwung— wir wünschen euch aus dankendem Herzen, daß es geht. Unsere Glückwünsche, unser Schicksal sind verbunden mit dem Schicksal eines ganzen Volkes. Eines Volkes, das verkrampft, gedrillt, bedroht und betrogen die Frage steflt: Was bringt uns das Jahr 1935? Unsere Glücklvünsche gelten einem Lande, das erfüllt ist vom Lärm der Propagandareden, vom Gedröhn der Heilgesänge und Kommando- 'stimmen, von den Schüssen der Rachsüchtigen und dem Gerassel der Sammelbüchsen, erfüllt auch von raunendem Flüstern, von heimlichen Flüchen und Seufzern, gequält, wartend, grollend in unterirdischen Tiefen. Unsere Gedanken schweifen hinüber zu den Kameraden, die in dieser Nacht schweigend und grübelnd in den Baracken der Konzentrationslager, in den kahlen Zellen der Gefängnisse liegen. Immer wieder hören wir die Frage:„Weißt du es schon? ist verhaftet worden!" Und jedesmal ist es ein vertrauter Name und ein Kameradenschicksal. Unsere Gedanken schweifen hinüber zu den Frauen, deren Männer gefangen sitzen, und zu den anderen, deren Männer ins Exil gegangen sind und hie man auf Schritt und Tritt beäugt, behorcht, bespitzelt, denunziert und zum soundsovielten Male von Kriminalbeamten aufscheuchen läßt und in neue Pein versetzt. Unsere Gedanken schweifen hinüber zu den Kindern, die man lehrt und zwingt, mit dem Namen dessen zu grüßen, in dessen Namen der Vater„auf der Flucht erschossen"/„in der Zelle erhängt aufgefunden" worden ist. Glück— das bedeutet für uns ungeheuer viel! Wir haben das Schweinchen gestreicheü. Die Hand tat es— die Gedanken gingen weit. Und Walther Rodes bitteres Wort kam uns in den Sinn:„Warten— aber nicht hoffen!" Doch— auch hoffen. Denn sonst.. Wir haben des Schweinchen gestreichelt in der Silvesternacht. Und auch ein Kaninchen wurde herumgetragen. Es hockte geduckt im Körbchen, die langen Ohren ins Mackenfell geschmiegl. Es staunte furchtsam und verschüchtert mit seinen Augen, schwarz und blank wie Perlen. Es hatte ein nasses Fell vom Silvesterregen. Manchmal stellte es das eine seiner durchschimmernden Klappohren auf und lauschte in den freudigen Lärm. Das sah aus, als hätte es im Schwips die Mütze schief gesetzt. Daß auch ein Kaninchen als Glücksbringer gilt, wußten wir noch nicht. Das arme Kerlchen— was wird ihm selber blühen? Vielleicht wird ihm ein„Glück" dergestalt, daß es, um den Nacken einer hoffentlich schönen Frau geschmiegt. als„Hermelin" oder„Sealskin" verklärt noch ein Weilchen ein„Leben noch dem Tode" führen darf. Doch das ist nur ein lockerer Gedanken- schniirkel aus verwehender Stimmung— Nachhall und Fortklang dieser Silvesternacht bleibt Glückswunsch, der das Schicksal eines ganzen Volkes umschließt. Erst aus der großen Erfüllung sprießt das wünschenswerte„Keine Glück" des persönlichen Ergehens. Manfred.
Ausgabe
15 (3.1.1935) 2
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten