ZENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova a. telefon am. Administration Telefon 53074. HERAUSGEBERi SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEURi WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR« DR. EMU STRAUSS. PRAG . Einzelpreis 70 Heller (einschlieMich 5 Heller Porto) 15. Jahrgang Samstag, 5. Jänner 1935 Nr. 4 Ankunft in Rom Mussolini , Suvich und Alolsi auf dem Bahnhof Rom . Der französische Außenminister L a v a l ist in Begleitung seiner Tochter und einer Abordnung leitender Beamten des Quai d'Orsay Freitag Abend um 19 Ahr mit dem Pariser Luxuszug in Rom eingetroffen. I« seiner Begleitung befand sich noch eine große Anzahl französischer Sonderberichterstatter und Filmoperateure. Zur Begrüßung hatten sich auf dem festlich geschmückten Bahnhof zahlreiche hohe Be­amte des italienischen Außenministeriums, an der Spitze der Chef der italienischen Regierung und Außenminister Mussolini , der Staatssekretär des Auswärtigen Suvich und der Kabinettschef im Außenamt Baron A l o i s i eingefunden. Ferner waren erschienen: Der Gouverneur von Rom , der römische Platzkommandant, die Präsidenten der Kammer und des- Senates sowie zahlreiche hohe Würdenträger der Partei. Außerdem war eine starke Vertretung der französischen Kolonie von Rom unter Führung des französischen Botschafters beim Ouiri- nal und Vatikan erschienen. Den Sicherheitsdienst im Bahnhof und auf dem Bahnhofplatz versehen Carabinieri in Galauniform. Der ganze Weg vom Bahnhof bis zum Hotel war von Polizei str:ng ab­gesperrt. Bor dem Hotel Lavals war, wie am Bahnhof, eine große Menschenmenge ver­sammelt. Mussolini wird erst Samstag vormittags mit Laval zur ersten Besprechung Zusammen­treffen. Oie Arbeitslosigkeit Im Dezember um 13 Prozent gestiegen Nach den vorläufigen Zählungsergebniffen waren am 31. Dezember 1934 bei den öffentlichen Arbeitsvermittlungsstellen 755.149 Arbeitslose gemeldet. Am 30. November betrug ihre Zahl 668.937. Gegenüber dem 31. Dezember 1933 ist die Arbritslosenziffer um 24.838, d. i. um 3.2 Pro­zent geringer. Der Vergleich der Entwicklung in den letzten fünf Jahren zeigt, daß im Laufe des Dezembers die Arbeitslosigkeit immer wesentlich gestiegen ist. Die Steigerung betrug im Jahre 1930 84.361 Personen, d. s. 54.4 Prozent. 1931 148.709 Personen, d. s. 44.0 Prozent. 1932 137.502 Personen, d. s. 22.6 Prozent. 1933 88.909 Personen, d. s. 12.9 Prozent. 1934 86.212 Personen d. s. 12.9 Prozent. In den einzelnen Ländern war das Steigen der Beschäftigungslosigkeit nicht einheitlich. Es be­trug in der Slowake?.... 23.8 Prozent in Karpathorußland... 15.3 Prozent . in Mähren -Schlesien ... 10.2 Prozent in Böhmen ...... 11.8 Prozent. 1700 Millionen Dollar Defizit in USA Stand der Staatsschuld: 28.5 Milliarden! Washington . Der Kongreß erwartet mit Spannung die Botschaft des Präsidenten Roosevelt , und zwar besonders mit Rücksicht auf den Umstand, daß die erste Hälfte des Fiskaljahres mit einem Defizit von 1700 Millionen Dollar ab­schließt und die öffentliche Schuld die Rekordhöhe von 28.5 Milliarden Dollar erreicht. Die erste Vorlage, die im Repräsentantenhaus beraten wer­den wird, wird wahrscheinlich der Entwurf über die sofortige Auszahlung der Bons für die ehe­maligen Frontkämpfer sein. Präsident Roosevelt stellt sich g e g e n die sofortige Auszahlung. Revolte gegen Zosu im Wachsen? Paris . Die Abendblätter bringen den Be­richt einer Privatagentur aus Konstanza in Ru­ mänien , daß der Adjutant des albanischen Königs Zog«, Baschraktar, gestützt auf etwa 6000 bewaffnete Soldaten, den König aufgefordert habe, dem Thron zu entsagen und das Land zu verlassen. Auch der zweite Adjutant des Königs, Zof S e r e k i, habe sich Baschraktar schloffen. ..Friedliche" Revisionsmösllchkeit will Ungarn retten Budapest . Nach einer offiziösen ungarischen Darstellung soll es sich bei den römischen Verhand­lungen um denWettstreit zweier verschiedener Konzeptionen" handeln, nämlich des französischen Standpunktes, der um jeden Preis an den status quo festhalte, und um den italienischen Stand­punkt, welcher eine Evolution verkünde. Man suche nach einem Ausgleich dieser Stand­punkte, der für beide Parteien annehmbar wäre. Auf Grund der bisherigen Verhandlungen, bzw. Nachrichten könne bereits festgestellt werden, j daß von einer derartigen Form der territorialen Garantien, welche selbst die Möglichkeit einer friedlichen Revision ausschließen wolle, keine Rede sein. Ungarn sei darauf vorbereitet, daß ein Teil der Weltpresse danach trachten werde, das in Er­wartung stehende Uebereinkommen als Sieg des Standpunktes Frankreichs und der Kleinen En­ tente hinzustellen. Die ungarische Regierung und die ungarische öfientliche Meinung würden sich je­doch durch diese tendenziösen Nachrichten nicht irre­führen lassen. Nach einer Meldimg desM a t i n" soll die Garantie der Grenzen in der Form erfolgen, daß die Signatarstaaten einander gegenseitig die gewaltsame Aenderungder Gren­zen untersagen. Diese Formel könnte nach römi­scher Anschauung den Revisionismus in seiner aggressiven Form praktisch.ausschließen und auf Grund des status quo ein annehmbares Kompromiß für Ungarn bedeuten. Die Austrofasclsten möchten die Emigranten gern unschädlich machen Wien . Bei einer Konferenz der auswär­tigen Presse im Bundeskanzleramt reklamierte Außenminister Berger-Waldenegg für sich und Bundeskanzler Schuschnigg die Vater­schaft des beabsichtigten Nichteinmischungspattes; sie hätten angeblich in Genf diese Fragen ange­schnitten und empfänden darüber»stolze Bejrie- digung". Der Patt soll demnach auf stritter Gegenseitigkeit beruhen und dir reziproke Ber- pflichtung der Teilnehmerstaaten enthalten, sich jeder Einmengung in die inneren Verhältnisse der anderen kontrahierenden Staaten zu ent­halten. Was die Herren Austrofascisten von dem Pakt, der natürlich an dem Vasallenverhältnis Oesterreichs zu Italien nicht ein Jota ändern würde, sich noch alles versprechen, geht aus fol­genden weiteren Worten Berger-Waldeneggs hervor: Wir hoffen, daß dieser Patt noch wei- tergehen und den vertragschließenden Teilen auch verbieten wird,umstürzlerische" Bewegungen, die sich gegen die anderen Vertragsstaaten rich­ten, in irgendeiner Weise zu fördern, zu begün- stigen oder überhaupt zu dulden. Wir in Oesterreich wissen den Wert einer solchen Verein­barung zu schätzen(!) und können der Hoffnung Ausdruck geben, daß alle unsere näheren und entfernteren Nachbarn, die guten Willens sind, ebenso freudig wie wir einem solchen Pakte beitreten werden. angr- Der Rohstoffmangel Verbandsmaterial ausverkauft Berlin . Der Mangel an Rohstoffen macht sich auf den verschiedensten Gebieten bemerkbar. So ist gegenwärtig in Berlin Verbandmaterial schwer erhältlich, besonders Mullbinden, die be­kanntlich aus reinen Baumwollfasern hergestellt werden müssen. Die großen Firmen, welche diese Medizinischen Bedarfsartikel liefern, können den Aerzten selbst kleinere Mengen nicht liefern. Auch in den Apotheken ergeben sich Schwierigkeiten, wenn dieses Material verlangt wird. Gandhi arbeitet illegal? London.Daily Herald" meldet aus Bom­ bay , die indische Regierung habe der Provinzial­regierung eine Warn u n g zukommen lassen, die sich auf Mahatma Gandhi beziehe. In der War­nung werde gesagt, es lägen Beweise vor, daß Gandhi , obwohl er sich öffentlich losgesagt habe, tatsächlich mit Geschicklichkeit und insgeheim die Bolksmaffen organisiere, um einen neuen Feldzug des bürgerlichen Widerstandes zu eröffnen. Es werde behauptet, daß Gandhi harmlos erscheinende industrielle Dorfverbände gründe, die in Wirklich­keit Organisationen für die eben erwähnte politi­sche Bewegung seien. Die Bezirksbeamten sollen von der Regierung angewiesen worden.sein, Gandhis Schritte sorgfältig zu beobachten, um die Dorfbevölkerung durch Gründung von industriel­len Konkurrenzverbänden dem Einfluß des Kon­gresses zu entziehen. Die Provinzialregierung ist auch beauftragt worden, die Bestimmungen der Strafordnung zur Unterdrückung der Kongreß­bewegung zur Anwendung zu bringen. Unerhörter Terror an der Saar OMizlcllc Drohungen mit landcsTcrratsproicssen Erdbeben In Bulgarien Am Freitag zwischen 16 und 18.20 Uhr wurden in ganz Bulgarien drei überaus heftige Erdstöße verspürt, von denen der letzte mft furcht­barem unterirdischen Grollen verbunden war. Die Erdstöße, deren Hauptherd nach Angaben der meteorologischen Station 440 Kilometer süd­östlich von Sofia liegt, wurden auch in der Haupt­stadt wahrgenommen. Die Bevölkerung der Be­zirke Philippopel und Burgas , wo die Stöße am stärksten verspürt wurden, flüchtete in voller Pa­ns! ins Freie. Sie wagten stundenlang nicht, in die Häuser zuruckzukehren. Größere Sachschäden sind zur Stunde noch nicht gemeldet worden. Menschenleben sollen nicht zu beklagen sein. London . Der Saarbevollmächtigte des Reichskanzlers, Gauleiter B ü r ck e l, hat einem Spezialkorrespondenten von Reuter in Neustadt ein Interview gewährt und sich dahin geäußert, daß die Vertreter des status quo, die in den ver­gangenen drei Jahren im Saargebiet ge­lebt hätten, ob abstimmungsberechtigt oder nicht, den versprochenen staatlichen Schutz erhalten würden. Andererseits müßten Leute, wie der frühere Rrichstagsabgrordnete I m b u s ch, die weder seit drei Jahren im Saargebiet gelebt hätten, noch absttmmungsbcrrchtigt seien, aber trotzdem gegen Deutschland gehetzt" hätten, er­warten, wegen Landesverrat angeklagt zu werden, wenn sie es nicht vorzögen, nach dem 13. Jänner dem Saargebiet den Rücken zu kehren." Jenseits von Gut und Böse! Der deutsche Saar-Kampf, der Katholizismus und Nationalsozialismus . Die Saarab st immun g, die eine Schicksalsfrage um Sein oder Nichtsein für das Dritte Reich darstellt, findet, wie jetzt feststeht, bei Erklärung strikter Neutralität der römisch-katholisch en Kirche statt. Das hindert nicht, ja hat sogar bewirkt, daß regional in dieser wichtigsten europäischen Ange­legenheit der Katholizismus förmlich gespalten ist. Die in Hitler-Deutschland amtierenden Bischöfe von Trier und Speyer , denen das Saargebiet kirchengouvernemental unterstellt ist, befinden sich bedingungslos in derRückgliedcrungs"-Front Braun-Deutschlands , wenn vielleicht nicht aus eigner Gewissensüberzeugung, so doch in der pre­kären Lage, in der sich jeder im Reich befindet, der kennen gelernt hat, was Gesinnungszwang, Terror und Gestapo bedeuten. Viele Katholiken des Saargcbietes selbst einschließlich eines großen Teiles ihres Ortsklerus sind dagegen mit Soziali­sten und Kommunisten Status-quo-Anhänger und sie drückten ihren Willen auch bereits deutlich ge­nug durch die kürzlich erfolgte Gründung des Deutschen Volksbundes für Christlich-Soziale Gemeinschaft", einer restaurierten, anderen Form der früheren Zentrumspartei , die im Saargebiet inimer überwog, vor aller Welt aus. Das ist die wirkliche Lage, in der sich der Katholizismus, für die Saarverhältnisse von entscheidender Bedeu­tung, befindet!. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, Rom aus seiner Politik der Abstinenz, der Neutralität und des Auwartens grade auch in der Saarftage her- aus,zulocken. Denn: ein Machtwort Roms gegen Hitler das allein würde genügen, dem System eben durch die dann sichere Niederlage am 13. Jänner einen tödlichen Schlag überhaupt zu ver­setzen. Wen. es als Todsünde für den gläubigen Katholiken ex cathedra erklärt würde, einem Sy­stem zu neuer Machtentfaltung zu verhelfen, das den gemeinen Mord nicht nur billigt, sondern ihn sogar selbst praktiziert, würde Hitler am Abstim­mungstage ganz bestimmt keine Mehrheit erzie­len. Das steht fest. Nicht nur alte und bekannte Kämpfer für Freiheit und Recht auf der deutschen Linken, wie etwa H. von Gerlach jüngst in einem Artikel desPariser Tageblatts", haben Rom schon förmlich angefleht, jetzt zu sprechen. ,Äuch Katholiken selbst warteten vergeblich bisher auf das entscheidende päpstliche Wort. In der in Holland erscheinenden katholischen Emigranten­zeitungDer deutsche Weg", von geflüchteten Ordensgeistlichen redigiert, wurde in der letzten Ausgabe der Vatikan ganz unzweideutig inter­pelliert, nun endlich gegen das System der Kon- zenttationslager, der Schandjustiz und der Morde das allein entscheidende moralische Verdikt zu ver­hängen. Jetzt sei, so erklärte die Zeitung,der große Augenblick" für die Kirche gekommen; Mil­lionen von Freidenkern, Sozialisten und Kommu­nisten, bisher der Kirche entfremdet, würden es ihr danken... Rom ist bisher unbewegt und unbeweglich geblieben! Seine Haltung ist eine politische, nicht jene, die gerade aus seinem Anspruch, von Gott selbst eingesetzte ober st e Sitten­inst a n z für die Welt und die Zeit zu sein, ge­folgert werden muß! Sie entspricht freilich durch­aus der historischen Tradition der Kirche, vom Mittelalter mit seinen Kämpfen um das Prie­sterzölibat etwa oder die Polygamie der Fürsten angefangen bis zu den bescheidenen und unzuläng­lichen diplomatischen Finessen, mtt denen der Vatikan den Weltlrieg, der gerade ihn so schädigte; beenden zu können glaubte, ohne sich selbst allzu stark zu exponieren. Gewiß kann es nicht geleugnet werden, daß die Kirche mit dem Dritten Reich an vielen Stel­len auf dem Kriegsfüße lebt trotz Konkordates oder vielleicht auch gerade wegen seiner. Im Welt­krieg war es etwa dasselbe mit den Armenier­greueln, die den Zorn der Kirche gegen die Mtt- telMächte richteten, ohne daß sie deshalb etwa gegen das oberst-verantwortliche Prinzip des kriegsverlängernden preußischen Militarismus im geringsten opponierte. Im Falle Drittes Reich sah sich die Kirche beispielsweise hat bedrängt in ihrem