Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

15. Jahrgang

Dienstag, 15. Jänner 1935

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 12

Saarmehrheit

für die Knechtschaft

Nach inoffiziellen Meldungen über 80 Prozent

Saarbrüden. Die Abstimmung am Sonntag ist bei einer mehr als 95prozentigen Wahlbeteiligung ruhig verlaufen. Auch beim Transport der Wahlurnen in die Wartburg , wo die Stimmenzählung stattfindet, ereigneten sich keine Zwischenfälle.

Montag um 5 Uhr nachmittag hat die Stimmenzählung begonnen, deren offizielles Resul­tat erst Dienstag früh um 8 Uhr im Rundfunk bekanntgegeben werden wird. Inoffizielle Mel­dungen über den Verlauf der Zählung lassen kaum einen Zweifel daran aufkommen, daß sie eine beträchtliche Mehrheit man spricht von über 80 Prozent für den Anschluß an Deutschland ergeben wird.

-

Meldungen aus Genf lassen erkennen, daß der Völkerbundrat noch im Laufe die­ser Woche die endgültige Entscheidung über das Schicksal des Landes treffen wird. Die französischen und deutschen Experten werden ihre Beratungen allem Anschein nach in einer italienischen Stadt unter dem Protektorat des Dreierausschusses aufnehmen, um die in Rom kürzlich vereinbarten Wirtschaftsabkommen über das Saarland in Wirksamkeit zu setzen.

Die Anfaffung in Paris drückt treffend das ,, Petit Journal" aus, das schreibt, es sei dies zwar eine weitere Niederlage der Freiheit zugunsten des Friedens", doch müsse diesem Anstand der Vorzug gegeben werden

Unter schärfstem Druck der Deutschen Front

An balbamtlichen Stellen in Saarbrüden wird angedeutet, daß bei der Beurteilung der Abstimmung der auf die Wähler ausgeübte Drnd jeder Art berücksichtigt werden müsse. Zahlreiche nationalsozialistische Funktionäre führten die Wähler in Evidenz und behiel­ten sie bis zum Augenblick der Abstimmung im Auge. Die Bischöfe von Trier und Spener , empfahlen den Katholiken durch Vermittlung der Dechanten und Pfarrer, für Deutschland zu stimmen. Der individuelle Terror wurde ügellos ausgeübt und wenn die Aufforderungen der Abstimmungskommission die Führer der Deutschen Front dazu veranlaßten, daß die Ordnung nirgends gestört wurde, so verhinderten diese Aufforderungen nicht Quertreibereien der Hitler - Partei.

-

im

Die SHF schafft Arbeit für 300.000

Die Heimatfront hat den Stein der Weisen gefunden. Die Heimatfront zeigt in ihrem Sofort­programm den Weg, mit einem Schlage 250.000 bis 300.000 Arbeitslose zu beschäftigen und den noch verbleibenden Arbeitslosen eine gerechtere Unterstüßung zu verschaffen. Und das alles, ohne Belastung der Staatskasse, ohne ökonomisches Ri­siko, ohne währungspolitische Gefahren! Die Hei­maifront zaubert eine Milliarde brachliegenden Geldes in den Produktionsprozeß hinein, die dann, imerfort umlaufend, durch selbsttätige Regene­rierung für 300.000 Menschen dauernd Arbeit schafft.

Die so lange vergeblich gesuchte Methode, die Arbeitsbeschaffung zu finanzieren, ist also end­lich gefunden, ja noch mehr, da das so beschaffte Geld nicht für unproduktive, sondern für rentable Investitionen zu verwenden ist, erneuert es sich

immer von selbst. Die eine gefundene Milliarde ist für alle Zeiten da! Der ob solche Verheißun­gen erstaunte Leser wird freilich einigermaßen ent­täuscht sein, wenn er dann bei näherem Zusehen findet, daß die Methode, jene Milliarde aufzu bringen, weder originell, noch richtig ist. Was für Tröpfe müßten denn auch unsere Finanzpolitiker sein, wenn sie das geradezu vor ihrer Nase liegende Geld nicht schon selbst gesehen hätten!

Erster Teil des Kunststückes: die National­bant gibt für 400 Millionen Banknoten aus. leberwältigend, nicht wahr? Die Leitung der Na­tionalbank hat bisher viel eindringlicheren und auch nach unserer Meinung zum Teil berechtigten Rufen nach Vermehrung der Umlaufmittel hart­näckig Widerstand geleistet, wollen wir sehen, ob sie, die tiefer durchdachten Methoden der Kredit= ausweitung unzugänglich war, auf eine Broschüre der Heimatfront hin, der Finanzierung öffentlicher. Arbeiten durch Notendruck zustimmen kann!

Kommen wir also zum zweiten Finanzie benen Stimmen in besondere Behälter. Wie der rungsmittel. Die Liquidität der Banken ist zu Berichterstatter des Havas- Büros am Abend mel groß. Sie haben um durchschnittlich 700 Millio­det, häufen sich in dem Behälter für Deutschland nen Kronen mehr auf dem Girokonto der Natio­immer mehr Stimmen. Das Verhältnis lasse sich nalbank liegen als im Jahre 1931, als das Ver­aber nicht bestimmen. Die Arbeiten der Zählkom- hältnis zwischen fremden Mitteln und sofort ver­mission gehen rasch vorwärts und werden vor der fügbaren Guthaben nach Ansicht des heimatfront­festgesetzten Stunde, d. i. um 3 Uhr frühlichen Finanztheoretikers gesund war. Her mit den beendet sein. Das Ergebnis wird aber erst zur 700 Millionen! Sie sind dem Reeskontinsti­festgesetzten Stunde, d. i. um acht 1hr tut zuzuführen, das sie, auf eine noch zu bespre früh, bekanntgegeben werden.

Stimmzettel werden verbrannt

Die Plebiszitkommission reist Dienstag von Saarbrücken nach Genf und bringt amtliche Be­richte sowie 60 isten mit Stimmzetteln mit. Diese Stimmzettel werden in Genf in An­wesenheit von Mitgliedern des Völkerbundes ver­brannt werden. Die Plebiszitkommission wird bis lischen Maschinengewehrabteilungen das Geleit er­an die französisch- saarländische Grenze von eng­

halten.

kommen,

*

Auch die Saarberichterstatter der Pariser wohnten, so daß oft ganze Familien nach den ver­Abendblätter berichten übereinstimmend über einen schiedensten Orten unterwegs waren und große starken Druck der Hitleranhän= Strecken zum Wahllokal zurücklegen mußten. Da ger und über die Parteilichkeit der die Bevölkerung Saarbrückens alphabetisch Saarländischen Polizei bei der Ab- über die 140 Wahllokale der Stadt verteilt war, stimmung. ,, Gestern herrschte den ganzen Tag im hatten viele Leute einen filometerweiten Anmarsch Haag.( Havas.) Die holländische Regierung Saargebiet ein richtiger Terroris von einem Ende der Stadt bis zum anderen. Bor hat beschlossen, daß jene Flüchtlinge aus dem musschreibt ,, Paris Soir" durch welchen den einzelnen Wahllokalen standen oft lange Saargebiete, welche über Belgien nach Holland sicherlich die Abstimmung der Schwankenden und Schlangen von Abstimmungsberechtigten zugelassen werden, sofern sie der Eingeschüchterten beeinflußt wurde." Schneetreiben auf der Straße, die Pässe und Ab- nicht als, unerwünscht zu betrachten sind. In Saarlouis fanden in der Nacht vor der stimmungsausweise in der Hand und warteten ge- Streik als Siegesfeier? Wahl in den Wohnungen der Angehörigen der duldig, bis die Reihe an sie fam. sozialistisch- kommunistischen Front Haus­ſuchungen statt. Die Haussuchungen wur- stadt wo eine ältere Frau beim Aussteigen aus dem Wagen einen Blutstura erlitt, aber trotzdem den von der Polizei, die von Mitglie berfuchte, sich mit letzter Energie ins Wahllokal dern der nationalsoziali­itischen Partei begleitet( 1) wa- bringen zu laſſen. Kurz vor der Wahlhandlung ren, durchgeführt. 50 Kommunisten wurden ver- ist die Frau aber verschieden. haftet. Im Laufe des Sonntag vormittags wur den sie jedoch wieder entlassen.

Der Führer der saarländischen Sozialisten Mar Braun richtete an den Völkerbund eine neue Beschwerde gegen Uebergriffe, die er detail­liert aufzählt. Wahllügen

Eine Stunde vor Herausgabe des Zeitungs­folportageverbotes, also um 23 Uhr, verbreitete die Deutsche Front die Nachricht, daß das offizielle Blatt des päpstlichen Stuhls Osservatore die Ro­mano" die Neue Saarpost", das Blatt der jaar

Zu einem tragischen Vorfall kam es in Hau

Die Stimmenzählung

in der Wartburg

Zur Mitternachtsstunde trafen die ersten Ur­nen in der Wartburg " in Saarbrücken ein,

Die deutsche Gewerkschaftsfront und der Ge­famtverband der Arbeitnehmer an der Saar haben am Sonntag abends ihren schon am Freitag her ausgegebenen Aufruf wiederholt und für Diens­tag Arbeitsruhe im ganzen Saargebiet an­gekündigt. Auch die Deutsche Front beabsichtigt als politische Organisation für Dienstag eine große Feier, über die jedoch noch nichts Näheres verlautet.

chende Weise für die Arbeitsbeschaffung veriven­det. Die Rechnung hat zwar ein Loch. Im Jahre 1931 schwankten die Giroguthaben bei der Natio­nalbant zwischen 193 und 987 Millionen, sie schwankten im Jahre 1934 zwischen 448 und 1083 Millionen, die Differenz gegenüber dem gesunden" Zustand der akuten Kreditkrise und der Sanierungsbedürftigkeit der Banken beträgt bei weitem teine 700 Millionen. Aber abgesehen tel der Geldanstalten für die Reestontstelle zu er= davon steht der Weg, die noch erfaßbaren Mit­

fassen, gar nicht mehr frei, er wurde ja schon be­schritten durch das Gesetz über die Errichtung die­ses Institutes selbst, ein Geseß, das die Geldan­stalten verpflichtet, zehn Prozent ihres Einlagen­zuwachses solange beim Reeskontinstitut einzu­legen, bis fünf Prozent ihres gesamten Einlagen­standes erreicht sind. Das ist, wenn auch mit einer etwas anderen Bemessungsmethode, im Wesen dasselbe was die Henleinfront vorschlägt. Mit an deren Worten, das Ei des Kolumbus wird auf die sehr einfache Weise gefunden, daß man der öffent lichen Arbeitsbeschaffung Mittel zuführen will, die durch bestehende kreditpolitische Vorkehrungen schon zur Kreditbeschaffung für die Privatwirt­fchaft bestimmt sind, auf die, da es ja nur zusäß­liche Arbeit schaffen soll, das Sofortprogramm der Heimatfront nicht verzichten kann.

Zu dem Loch der finanzpolitischen Rechnung gesellt sich ein zweites in der arbeitsstatistischen. Die wundertätige Milliarde soll bei einem Lohn­einkommen von 6000 Kronen jährlich und 4000

dem Ort, wo Montag nachmittags um 5 1hr die Sinowjew und Kamenew Stronen jonſtiger Kosten 100.000 Menschen direkt

deportiert

Auszählung der Stimmen begann. Lastwagen auf Lastivagen rollte herbei, Urnen um Urnen, zu 140 Wahllokalen nächst hauptsächlich aus den Moskau . Am Montag wurden Kamenew Saarbrückens wurden, von Militär scharf bewacht, und Sinowiew deportiert. Die Deportation er­herangebracht. folgte im Zusammenhang mit der Ermordung Sirows.

Die Zählung der beim Plebiszit abgege: benen Stimmen hat Montag Punkt 17 Uhr be=

ländischen Katholiken, die sich gegen das Hitler- gonnen und wird während der ganzen Nacht Dr. Beneš konferiert

regime aussprach, verurteilt habe. Diese dauern.

beschäftigen, während im Wege der zwangsläu figen Regenerierung" im Ganzen ein Vielfaches dieser Zahl in den Produktionsprozeß eingeglie= dert werden soll. Sehen wir schon den reichlich unklaren Vorstellungen über die Geschwindigkeit des Kapitalumschlages ab, die dieser Annahme zu­grundeliegen, so sehen wir auf den ersten Blick, daß bei einem solchen Verhältnisse des Lobnantei­les zu den übrigen Kosten vielleicht Straßen ge= baut und repariert werden, aber keine rentablen Nachricht, die von dem Blatte nicht mehr demen- In der Wartburg " waren schon gegen mit Litwinow und Laval Investitionen geschaffen werden können. Mit der tiert werden konnte, ist absolut erfunden halb 5 Uhr nachmittags hunderte von Presseber­Genf. Minister Dr. Beneš besuchte am Mon- selbsttätigen Erneuerung des Investitionstapitals und es ist erwiesen, daß die entsprechende Nummer tretern eingetroffen, die Galerie war fast über­des Osservatore Romano " nicht eine einzige Er- füllt. Links waren große Jupiter- Lampen auf- tag den Sowjetvolkskommissär für auswärtige ist es also nichts, es sei denn, daß wir, wie allen wähnung über die Neue Saarpost" enthält. gestellt und ein Pfeil der Tribüne den Film- Angelegenheiten Litwinow ; dann konserierte Ernstes vorgeschlagen wird, ausschließlich Maut­operateuren überlassen. Ferner hatte sich eine er mit dem französischen Außenminister 2 av a 1. straßen bauen, womit das technische Verkehrsmit­Reihe von Photoleuten an der Brüstung postiert. Den Gegenstand dieser Unterredung bildeten be- tel zu einem ökonomischen Verkehrshindernis wird. Auf der Bühne standen die Tische der Abstim sonders die römischen Abkommer und die Frage Für eine solche Ankurbelung der Wirtschaft müs­mungskommiſſion, deren Mitglieder bereits an- des Ostpaktes, aber auch die bevorstehenden Lon- ſen wir uns schönstens bedanken! wesend waren. doner Beratungen über die Abrüstung.

Ruhiger

Abstimmungssonntag

bei 95 Prozent Beteiligung

Mitten im Saal waren die neutralen

den spanischen Bergarbeitern gestohlen

Um halb 9 Uhr früh m. e. 3. wurde in allen Stimmzähler an 60 Tischen verteilt, über jedem 200 Millionen Pesetas 860 Wahllokalen die Eröffnung der Voltsabjtim Tisch standen Urnen mit den dazu gehörigen mung durch die neutralen Vorsitzenden der Wahl- Beuteln, die Protokolle und Stimmscheine, ent­büros feierlich vollzogen. Endlose Menschenreihen halten. Nach einer einleitenden Rede des Prä­bon Abstimmungsberechtigten bewegten sich durch sidenten Rhode wurde mit der Leerung der Städte und Dörfer. Die Abstimmungsberechtigten lirnen begonnen. mußten nämlia ibre time an jenem Orte ab­

Die Strutatoren legen die für Deutschland , geben, in welchem sie am Stichtage im Jahre 1919 für den Status quo oder für Frankreich abgege­

Oviedo. Aus dem Erlös des beschlag­nahmten Eigentums des spanischen Bergarbeiter Syndikates werden der Staatskaffe etwa 200 Millionen Pesetas zufließen.

Soweit wäre die Krisenlösung der Heimat­front nichts anderes als einer jener zahlreichen Weltverbesserungspläne, über denen Köpfe der verschiedensten Kapazitäten zu allen Zeiten ge= brütet haben und die in Krisenzeiten begreiflicher­weise wie Pilze nach einem warmen Regen aus dem Boden schießen. Aber dieses Bild relativer Harmlosigkeit ändert sich mit einem Schlage, wenn wir zur Verwendung der Mittel, zur Organiste= rung der Arbeit übergehen und somit das sozial­politische Gebiet betreten. Denn hier ma r=