XENTRALORGANDER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEIIN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIKERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii, fochova a. telbon sxai. Administration Telefon 53076.HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR: WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG.Einzelpreis 70 Heller(•inichliaBlich 5 Halter Porto)15. JahrgangSonntag, 27. Jänner 1935Nr. 23iwWie sichert die Republik sich vor ihnen?Die tschechoslowakischen Gerichte haben gegendie drei Täter von Stöchovice, deren genaue P-.r-svnsbeschreibung vorliegt und die in Deutschlandmühelos zu greifen wären, einen Steckbrieferlassen. Der Steckbrief ist eine Formalität—die Mörder befinden sich bei ihren Auftraggebernsicher wie in Abrahams Schoß, man wird sie nichtfinden, es wird ihnen nichts geschehen, ganz imGegenteil,„eS ist ihnen wie noch jedem, der im Dienste desNationalsozialismus gemordet hat, im DrittenReich eine große Karriere sicher,aus der sie nur eine Unvorsichtigkeit herauswerfen kann. Werden sie den Auftraggebern einesTages unbequem, besteht die Gefahr, daß sie sprechen, dann, aber auch nur dann, werden sie ebensobrutal abgeschlachtet werden, wie sie jetzt ihr Opfergeschlachtet haben.Samstag tauchte plötzlich die Version auf, eShandle sich bei Gert Schubert, dem vermut-- sichen Haupttäter, um den Chauffeur Eckert ausMarienbad, der den Professor Lessing ermordethat. Inzwischen wird gemeldet, daß die Identität pichten beweisen, eher auszuschließen ist. DieVermutung aber, es sei Eckert, beweist, wieahnungslos die dem Dritten Reich benachbarteWelt dem Wesen und der Moral des National-srzialismuS gegenübersteht. Weil zweimal unterähnlichen Umständen ein tückischer feiger Rachemord verübt wird, weil zweimal ein sichererSchütze, ein kaltblütiger Schlächter der Täter seinmuß^follte cs sich um den gleichen Verbrecher handeln? Ja, bei jedem anderen Land der Welt lägediese Vermutung wirklich nahe, bei jedem anderenLand könnte man aui den Gedanken kommen, daß»Z nur e i n Untier solchen Formats geben kann.Aber es handelt sich doch um Deutschland,nm Hitlerdeutschland! Es handelt sich um rinLand, da- von der NSDAP beherrscht wird, dieden Mord heiligt und das Morden lehrt. Eshandelt sich um rin Land, in dem»Fememörder" een Ehrentitel ist, den seine Träger aufPlakate und in Zeitungen setzen lassen,sts handelt sich um das Land, in dem es das LagerOranienburg und seinen KommandantenEicke, es handelt sich um das Land, in dem esHermann Göring gibt, dessen ErscheinungUbland vorausgeabnt haben muß, als er den Königsiin« Ballade schilderte:Denn, was er sinnt, ist Schrecken und, waser blickt, ist Wut.Und wa§ er stuücht, ist Geißel und, wa»er schreibt, ist Blut..Es ist auch lappisch, wenn katholische Blät-ter schreiben, hinter dem Mord müsse eine geheim-Feme-Organisation stehen und manwerde deshalb die Urheber nie fassen. EineFeme-Organisation? Irgendeine, unbekannte Berbrecherbande? Die Feme-Organisation, die Europa unsicher macht, deren Häupter,deren Grundsätze, deren Methoden man überallsinnt, wo man sich nicht blind und blöd stellt.Die Urheber sind so bekannt wie die Täter.Die deutsche Regierung hat gewußt, daß es in«inen»— Dorf, wie sie glaubte—„Zähoti" einenSender gab. Die Emissäre der Auftraggeberhaben das Hotel Zckhöki gefunden. Wer sucht danoch geheime Organisationen? Ein Narr zerbricht sich den Kopf über die Auftraggeber, wermit wachen Sinnen die Monate seit dem Reichs-Keine tschechoslowakischenZeitungen in Berlin!Berlin.(Tsch. P.-D.) Die Zcitun-gen aus der Tschechoslowakei gehennach wie vor nicht ein. Es scheint, daßHe an der Grenze mit Rücksicht auf diebekannten Vorfälle in Zahoti zurückgehalten werden.tagsbrand erlebt hat, wer den 30. Juni nicht verschlafen hat, kennt die Auftraggeber.*Die Tatsache, daß aus dem Nachbarstaatwohlausgerüstete Mordkommandos in die Republik kommen, ihre Opfer holen und unbehelligtzurückgelangen, ohne eine Strafe zu riskieren,schafft eine unhaltbare Situation.Die tschechische Oeffentlichkrit müßte begreifen, an dem Beispiel von Marseille rrren-nen, daß eines Tages die Mordkommandosauch solche dem Dritten Reich unangenehmeWarnungsbriefaus Deutschland!Die„Prager Presse" verzeichnetden sehr bemerkenswerten Umstand,daß Dr. Otto Strasser vor dreiWochen aus Deutschland einen ver-traulichenBrief erhalten hat, derdie Warnung enthielt, daß nach dem13. Lanner, also«ach der Saar,abstimmung, eine Säubernngs-aktiv« gegen ihn und seine Mit-arbeiter erfolgen werde. Es wurde ihmnahegelegt, äußerste Vorsicht, insbesondere bei neueintreffenden Reichsdeutschen, walten zu lassen. Zn diesem Zusammenhang gewinnt die Mordtat eineneue Beleuchtung.Persönlichkeiten suchen und angrcifen werden,die nicht Emigranten sind. Hat der Tod Bar-thous nicht reiche Ernte für das Dritte Reichgebracht?Der Brünner»Tagesbote" erinnert mit Rechtan Görings Belgrader Erklärungen, in denen ersich rühmte, daß Deutschland Elemente wie dieMörder von Marseille nie dulden würde.Die Tatsachen beweisen das'Gegenteil. I nDeutschland gibt es Mordkommandos, die mit einer unheimlichen Präzision arbeiten und sichtlich geschickter sind als die Emissäreder Ustasa. iWie soll die Republik sich gegen den Terrorschützen, der aus dem Nachbarstaat herübergetragen wird? Durch Visumzwang? Durch schärfere Grenzkontrolle? Daß die Grenze besser bewacht sein müßte, als sie es bei der Heimkehr derMörder war, ist nicht zu bestreiten. Daß ein armerTeufel, wenn er eine Kleinigkeit schmuggelt, seinLeben riskiert, aber Mörder ungehindert spazierenfahren und ihren ganzen Park von Mordwerkzeugen mit sich führen, daß man ein verdächtigesAuto anstandslos ausliefert, das sind sicher Mißstände, gegen die Abhilfe zu suchen wäre.Eine wirksame Hilfe aber kann nur gefunden werden, wenn man eine dem fascistischenTerror wirklich gewachsene Polizeitruppe schafft.Die Bürokratie und die Polizei, die heute noch mitden Methoden von vorgestern arbeiten und sichnicht im klaren darüber sind, mit welchem Feindsie es zu tun haben, werden die Republik, ihreBürger, ihre Staatsmänner nicht wirksam schützenkönnen. Der Terror der Nazi ist nur deshalb soleicht zu uns zu tragen, weil esin der Republik zweifelsohne zahllose Helfer,Spitzel, Sympathisierende, Miwerschwörer g.bt.Es wäre so schwer nicht, die Mitschuldigen zufassen, wtnN man die Aufgabe politisch, nicht bürokratisch anginge I Man braucht, um die Sympathisierenden kennen zu lernen, nur die deutschen Blätter der Republik denkend— alsonicht mit den Augen eines zensurierenden Bürokraten, sondern mit denen des politisch geschultenMenschen— durchzusehen. Ist es nicht auffällig,daß.die„B o h c m i a" über den eindeutig alsFeme- und Rachetat erkennbaren Mord so schreibt,als handle es sich um eine Wirtshausrauferei(„Mord unter Reichsdeutschen")? Fällt niemandem auf, daß Henleins getreue„EgererZei-t u n g" erst Samstag über den Mord berichtet,und zwar auf Seite 4 unter dem Titel„Mysteriösen Mord bei Prag"? Daß sie aber auf Seite 2in Sensationslettern berichtet:„Verschärfte Ausländerkontrolle geplant— Die Auswirkung desMordes von Stüchowitz". Ehe die Leser des Henlein-Blattes erfahren, daß überhaupt gemordetwird, dressiert man sie auf den Mann— auf dieEmigranten.Wer denkt und denkend Zeitung liest, wirdmanches nichtmysteriös finden: nicht dasGert Schubertwar Nazi-Emissär in Wien!Wien.(Tsch. P.-B.) Wie der„Telegraph" meldet, ist einer der Fememörder von Zahori, Gert Schubert, mitlenem SS-Führer Schubert identisch,der sich im Jahre 1933 mehrere Monateauf Weisung der Münchener nationalsozialistischen ParteUeitung in Wienaufgehalte» hat. Er hat sich als R a ch-richtenoffizier betätigt und hatgemeinsam mit dem Ingenieur Raute» und mit dem mehrfachen Bombenwerfer Fitzthum mehrere Unternehmungen durchgeführt. Schließlich wurdeer nach Sachsen abkommandiert, woer mehrere Monate Dienst versah.Schweigen der reichsdeutschen Zeitungen, nichtdie Schüchternheit der sonst so sensationslnstigrnHenleinblättrr, nichtdie gutenJnfor-mationen der reichsdeutschenMordzentrale über die Tschechoslowakei!Warum kommt di^ Gendarmerie diesem Netznicht auf die Spur? Warum bleibt sie stecken,wenn sie es durch Zufall an einem Ende gefaßthat, wie im Vorjahr in Saaz, in T e p l i tz, inSchönlinde? Weil sie von den Grundsätzen,Oraanisationsmethoden, den Zielen,.her Skrupel-losigkeit, der ganzen Ideologie und Praxis desFascismus keine Ahnung hat. So wenig dieFascisten sich bei der Aufrichtung ihrer Herrschaftdes alten staatlichen Apparates bedienen konnten,sondern sich einen neuen schaffen mußten, so wenigwird man ihrer mit dem alten Apparat Herr werden. Nur eine mit genauester Kenntnis des Gegners, mit dem Einsatz wirklicher, aus der Gesinnung erwachsender, Leidenschaft arbeitende, bewegliche Polizeitruppe wird den braunen Terrorbrechen können.Die Reform der politischen Posizei, dieSchaffung einer republikanischen Garde zurNiedcrkämpfung des Fascismus wären die notwendige Voraussetzung für das Gelingen derAufgabe, die der Republik durch die unheimliche Tätigkeit deka deutschen Mordkommandosgestellt ist.Die Bestattungdes ErmordetenGestern nachmittags fand auf dem Dorffriedhof von S l a p y das Begräbnis des ermordeten Jng. Formis statt. Zu dem Begräbnis hattesich ein kleiner Kreis von Freunden des Ermordeten eingefunden, die Jng. Formis in Praghatte, darunter Dr. Otto Strasser, ferner einigeJournalisten und Amtspersonen.Die Schandeder KonzentrationslagerDie vorgestrige Ausgabe der„Times"brachte einen langen Artikel, in dem erneut imNamen der Gerechtigkeit gegen das Fortbestehender Konzentrationslager in Deutschland Protestiert wird. Entgegen den zahlreichen Versicherungen deutscher Regierungsstellen, daß die Konzentrationslager aufgelöst werden sollen, befändensich noch immer 2000 Männer und eine Reihe vonFrauen in den verschiedenen Lagern, am meistenin Dachau, das etwa 600 Häftlinge beherberge.Seit dem letzten Sommer seien Besuche der Konzentrationslager weder Angehörigen der Insassennoch Journalisten gestattet worden. Es seien Beweise dafür vorhanden, daß die Mißhandlungenfortgesetzt werden. Der Artikelschreiber weist darauf hin, daß ein großer Teil der Unglücklichen, diesich im Konzentrationslager befinden, Schutzhäftlinge seien, die man angeblich zu ihrem eigenenSchutze in Haft genommen hat. Außer Kommunisten gebe es Sozialisten» Deutschnationale undauch Nationalsozialisten unter den Gefangenen.I Als bezeichnend wird der Fall zweier BerlinerMädchen erwähnt, die» man inö Konzentrationslager gebracht habe» weil sie Blumen auf RosaLuxemburgs Grab gelegt hatten«,Stimme von drüben„Das neue Deutschland handelt— es redet nicht viel...!**