Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

15. Jahrgang

Samstag, 2. Feber 1935

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 28

Der Notstand in den Grenzgebieten Prozeß Rakosi

Eine Vollsitzung der Zentralgewerkschaftskommission des deutschen Gewerkschaftsbundes für stärkere Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Am Mittwoch, dem 30. Jänner, tagte in Rei-| öffentlichen Verwaltungskörper in ausreichendem chenberg eine Vollsitzung der Zentralgewerkschafts- Maße Arbeitsgelegenheit zu schaffen. Immer fommission der freien deutschen Gewerkschaften, e weiter greift das Unheil der Wirtschaftskrise um sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise sich. und mit Forderungen zu deren Bekämpfung in den Grenzgebieten unferes Staates beschäftigte.

Die in den Grenzgebieten unseres Staates heimischen Industrien sind zu einem überwiegen Abg. Genosse Maco un erstattete einen den Teile auf die Ausfuhr angewiesen. Der ausführlichen Bericht über den Umfang der Ar- innere Markt liegt infolge der tief herabge= beitslosigkeit in den Grenzgebieten, befaßte sich funkenen Stauffraft der Bevölkerung so stark dar mit den steigenden Anforderungen an die Gewerk nieder, daß er lange nicht mehr die frühere Menge schaftsverbände, die aus der Wirtschaftskrise her industrieller Erzeugnisse aufnehmen kann. In vorgehen und wies nach, daß es notwendig sei, vielen, einstmals blühenden Induſtriebezirken hat neben der Arbeitsbeschaffung auch die Unter- gegenwärtig ein großer Teil der Bevölkerung stüßungsaktion aus öffentlichen Mitteln zu stei- feinerlei Erwerbseinkommen. Die unglücklichen gern. Vor allem aber sei die produktive Ar- Opfer der Wirtschaftskrise sind ausschließlich auf beitslosenfürsorge erheblich auszugestals die Arbeitslosenunterstützung, auf die Ernäh­ten und Arbeitsgelegenheit in größerem Umfange rungshilfe und auf die Hilfsaktionen des Staates als bisher zu beschaffen. Anerkannt werden müſſe, und der öffentlichen Körperschaften angewiesen. daß in den letzten Wochen die staatlichen Stellen Dabei machen es stärker bemüht sind, den Folgen der Wirtschafts­frise entgegenzuwirken und gewisse bisher in man­chen Bezirken bestandene Uebelstände bei der Er­nährungsaktion zu beseitigen.

leber den gegenwärtigen Stand der Frage der 40 Stunden- Woche berichtete Abg.

Schäfer. Die Arbeiterschaft verlangt dringend. daß endlich ein ernster Schritt zur Verkürzung der Arbeitszeit auf vierzig Stunden in der Woche ge­

tan werde.

In der Aussprache über die beiden Berichte wurde das traurige Los der Arbeiter und Ange­stellten, die jahrelang beschäftigungslos sind, ge­schildert. Die Zahl derer, die keinerlei Erwerbs­möglichkeit mehr haben, nimmt von Monat zu Monat zu. In den Arbeiter- und Angestellten­Familien wächst die Not ins Unerträgliche. Die­fer Zustand erfordert eine Steigerung der Hilfs­aktionen aus öffentlichen Mitteln und die Schaf fung von Arbeitsmöglichkeiten. Die Sitzung be­schloß folgende Kundgebung:

Wir befinden uns mitten im fünften Krisen­winter. Die Arbeitslosigkeit ist zwar im ganzen um einiges geringer als zu der gleichen Zeit im Borjahre. Das Elend und die Not jedoch sind größer als je zubor. In jahrelanger Beschäfti= beitern und Angestellten unerhörte, Entbehrungen gungslosigkeit haben viele Zehntausende von Ar­ettragen. In den Familien jener Arbeiter, die jede Erwerbsmöglichkeit verloren haben, sieht es troftlos aus. Die Unterernährung hat in den ausgefpro­chenen Notstandsgebieten einen Grad erreicht,

Justizmord als Propagandamittel!

Seit dem 21. Jänner verhandelt das Schnellgericht in Budapest in dem auch offiziell als Sensation geltenden, mit viel Lärm und noch mehr Reklame in Szene gesetzten Prozeß gegen den gewesenen kommunistischen Volkskom­missärstellvertreter Rakosi . Uneingeweihte, die in Mit jedem Tage steigt das Elend in den Fas das Dickicht der ungarischen politischen Regie­milien der Arbeitslosen, immer verzweiflungs- rungs- und Reklamekunst keinen Einblick haben, roller wird ihre Lage und immer Hoffnungsloser stehen der Aufmachung und den Einzelheiten des sehen sie der nächsten Zukunft entgegen. Prozesses ganz verständnislos gegenüber.

stehen und nicht imstande sind, die Miete für eine zureichende Wohnung zu erlegen.

Die Auswirkungen dieses Jammerzustan­des in seelischer Beziehung. für die Menschen, die arbeiten wollen und teine Beschäftigung finden können, sind gar nicht aus­zudenken. Am schlimmsten ist es für die ein der der Arbeitslosen, die in ihrer förperlichen Entwicklung zurückbleiben, weil es ihnen an ter notwendigen Ernährung fehlt. Sie verkümmern aber auch geistig, wenn durchgreifende Maßnah­men dagegen ausbleiben.

Längst ausgestoßene, als Hochverräter ge­brandmarkte und verfemte Politiker der Revo­lution des Jahres 1918-1919 marschieren als Zeugen auf, und können ungestört stundenlange mit patriotischer Wucht gegen Frankreich , die Gleichschaltungsversuche unternehmen, indem sie Kleine Entente , gegen Kommunisten und Sozi­aldemokraten losziehen. Lang und breit werden Märchen der ungarischen Revisionspropaganda bisher anscheinend noch zu wenig ausgebeutete erzählt. Es wird die alte Lüge von neuem auf­

Einer besonderen Fürsorge sind die Ju= gendlichen bedürftig, die zu einem großen getischt, daß die Slowakei und Siebenbürgen ge­Teile seit ihrem Austritt aus der Schule weder gen den Willen der Siegermächte unrechtmäßig eine Lehrstelle noch einen Arbeitsplak gefunden besetzt wurden. Die Revisionspropaganda will haben. Wenn es nicht möglich sein sollte, für diese bon dem in Rom krepiertem Revisionsesel auf den Jugendlichen Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, umsatteln. Die von dem unsichtbaren Gleichschal­hinkenden Gaul der ,, unrechtmäßigen Beseßung" dann muß die eimstättenattion er tungstapellmeister Ant a I dirigierte Presse­weitert und in ihrer Dauer verlängert werden. Alle eriverbslosen Jugendlichen sind in die Ermusik gibt jeden Laut der Ministerzeugen aus der Karolyiregierung wieder, die aber seit 15 sprechen und teine Zeile in einer Zeitung schrei Jahren verfolgt wurden, in leiner Versammlung ben durften.

die zerrütteten Finanzen der Selbstver­waltungskörper den Gemeinden und Bezirken unmöglich, Mittel für die Beschaffung von Lebensmitteln und Kleidung bereitzustellen. Entfeßlich ist in dieser furchtbaren Zeit ebenso das Wohnungselend. Wohnungen stehen zwar zur Verfügung, aber die arbeitslosen Menschen müsteten Arbeitsmenschen wollen Beschäftigung. Die Die aus dem Produktionsprozeß ausgeschal sen sich zusammendrängen in unzureichenden Wohnräumen, weil sie ohne Lohneinkommen da=

+

nährungsaktion einzubeziehen.

( Fortfehung auf Seite 2)

Neue Kombinationen

Vier Mitglieder der Mordexpedition?

Wenn der Präsident des Gerichtes hie und da den Angeklagten Ra tosi für sein mutiges Verhalten nicht zur Ordnung rufen, und mit Dunkelarrest drohen würde, würde man es gar nicht bemerken, daß der Prozeß Rakosi verhan delt wird. Fast kein Wort wird über Rakosi oder über seine ,, llebeltaten" gesprochen.

Formis wurde in seinem eigenen Zimmer erschossen? noch der Vorsitzende können dem Angeklagten die

Prag . Freitag nahm die Gendarmerie einen neuen Lokalaugenschein im Hotel= hoří" vor, dessen Resultat ein neues Bild von dem wahrscheinlichen Verlauf der Mordtat er­gibt. Im Zimmer Nr. 6, welches Formis gehörte, wurden eine Revolverkugel und neben dem Fenster die Einschlagsstelle eines Projektils gefunden. Daraus schließt man, daß Formis erst sein Zimmer aufsuchte, abschloß der Schlüssel steckte innen und die Tür erst öffnete, als ihn jemand, wahrscheinlich die Kersbach, rief. In diesem Augenblick dürfte es zu dem Ueberfall gekommen sein, bei dem vermutlich die Kersbach verwundet und Formis erschos­sen wurde.

Dieser Annahme widerspricht die Aussage des Kellners, der gesehen haben will, daß die Mör­der einen Menschen aus dem Zimmer Nr. 4 ins 3immer Nr. 6 geschleift haben. Vollkommen un­

men, daß er in Chuchle erkannt werden und die Richtung seiner Flucht nach dem Mord sehr schnell zur Kenntnis der Polizei gelangen würde.

Weber die Anklage, noch der Staatsanwalt, sogar im konterrevolutionärem Sinne winzig­ste strafbare Handlung", die er persönlich begangen hätte, vorhalten, oder gar beweisen.

Die eigentliche Anklage gegen Rakosi stüßt sich auf die historische Un wahrheit, daß die Kommunisten oder die Räteregierung am 21. März 1919 mit Gewalt die Macht an sich rissen. In Wahrheit ist die Regierung Ka­rolyi zurückgetreten, hat die Macht den soziali= stischen Parteien übergeben. Es wurde die in der damaligen Situation unabwendbare Koalitions­regierung der Sozialdemokraten mit den Kom­nicht möglich. Alles drängte sich zu den munisten gebildet. Gewalt anzuwenden war gar mit Begeisterung noch vor der offiziellen Pro­flamierung des neuen Regimes der Räteregie­rung an. Nicht ein Tropfen Blut floß bei der Uebernahme der Macht. Helle Begeisterung herrschte überall. Allerdings eine natio nalbolsche wistische Begeisterung. wurde teine Gewa It angewendet. und sie dauerte nur einige Tage. Das ändert aber nichts an den Tatsachen. Es

der dem Zustande im Jahre 1918 gleichfommt. geklärt ist die Frage, woher die Blutspuren im sich die Aussagen der Braniker Zeugen bewahr Sozialisten. Militär und Polizei schlossen sich Zimmer famen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Es fehlt das Geld zum Einkauf von Lebensmit einer der Mörder nur eine leichte, wenn auch

teln, die heruntergerissene Leitart blutende Wunde erlitten hat.

dung kann nicht mehr ersetzt werden, nicht

einmal

an

die Erneuerung der

aiche ist unter den furchtbaren Auswir fungen der Massenarbeitslosigkeit zu denken. Am schlimmsten ist die Not und der Jammer

in den Grenzgebieten der Republik . Einst

itim,

abgetragen,

Jm Verlaufe der Haussuchung wurde auch das Hotelpersonal neuerlich einvernommen.

Ein vierter Komplice?

Die Untersuchungsbehörden stünden, wenn heiten, vor der Aufgabe, diesen unbekannten Vier­ten ausfindig zu machen, der nach dem Mord nicht mehr in der Gesellschaft der übrigen Personen war. ,, Geheimnisvolle Autos"

in der Prager Umgebung Von einer bisher unbekannten Tatsache soll, feit liefen bei der Polizei und der Gendarmerie in Als Folge der Erregung in der Oeffentlich­

"

Verwandten. Inzwischen hatte aber

male hochentwickelte Industriebezirke sind ver- laut Telegraf ", die Gendarmerie in Branik er einigen Orten der Umgebung Prags Anzeigen ein, und noch weniger konnte Rakosi Gewalt anwen ormt. Schon jahrelang stehen zahllose Betriebe fahren haben. Am Tage vor dem Mord, am 23. daß in den ersten. Jännertagen in der Nacht ge den. Er verließ doch erst am 21. März späte Jänner, kam ein reichsdeutsches Auto, der Beheimnisvolle Autos mit gelöschten Lichtern gesehen die Maschinen røften ein, Fabrikgebäude werden ſchreibung nach der Wagen Müllers und Schu- wurden, deren Insassen merkwürdige Apparate bei a bend 3 das Gefängnis und ging zu ſeinen berts, zum Hotel U Bendü". Im Auto faßen vier sich hatten. Das Rätsel war schnell gelöst. Es han­der in den Betriebsstätten, in denen von der Krise verschiedenen Wegen, die von Branik am rechten nach dem Schwarzsender waren und dazu die übernommen. Natosi las erst in den Mor­weil teine Aussicht dafür besteht, daß jemals wie Personen, die deutsch sprachen und sich nach den delte sich um Organe der Post, die auf der Suche schon die neue Regierung die Macht hunderte und tausende Arbeter beschäftigt waren, und am linken Moldauufer nach Prag führen, er Nachtstunden benüßen mußten, während welcher genzeitungen, was vorgegangen war, und auch gearbeitet werden wird. An neue Beschäftigungs-/ tundigten. Am Tage der Tat hatten Müller, Schu- der Sender gewöhnlich arbeitete. möglichkeiten ist nicht zu denken, solange es nicht bert und die Kersbach also einen weiteren Helfers­gelingt, durch das Eingreifen des Saates und der helfer, der damals den Wagen lenkte. Daß es sich

Die Hinrichtungen

in Oviedo vollzogen!

um keinen gemieteten Chauffeur handelte, dürfte dadurch bewiesen sein, daß der Mann nur deutsch sprach, also ein Ortsfremder war und sich bisher auch nicht bei der Polizei gemeldet hat.

Der Wunsch, einen Weg nach Prag kennen­rungssteuer in Chuchle vorbeiführt, ist darauf zu

Die Ausnahme

von der 10 Mark- Grenze

Die letzte Nummer der Deutschen Revolu­tion", des Blattes Dr. Otto Straffers, schreibt: " Das feudale( Mörder Trio fährt nach teuersten Appartements. Ihre außerordentlich

feine Ernennung zum Stellvertreter des Volks­fommissärs.

Weiter wird Rakofi wegen der Standrechts­berordnung der Regierung, dann wegen des Ge­setzes über die Revolutionstribunale, wegen Er­nennung Szamuely s zum Obmann der Stommission zur Bekämpfung der Gegenrevolution und endlich wegen der Sozialisierungsmaßnah­Es ist schon ungeheuerlich, nach 16 Jahren

Madrid . Die vom spanischen Mi. zulernen, der nicht an der Station der Verzeh- Prag und nimmt sich in einem Prager Hotel die men angeklagt..

-

nisterrat unterzeichneten Todesur rückzuführen, daß Müller einige Tage zuvor einen hohen Geldausgaben begleicht Müller täglich mit diese unsinnige Anklage zu erheben. Aber noch teile gegen zwei Teilnehmer am Konflikt mit einem Beamten dieser Mache batte, einem funfelnagelneuen 1000-- Schein, so daß unsinniger und bestialischer ist es, den Prozeß Oktoberaufstand sind am Freitag in als er mit dem Auto an der Station vorbeifahren es sogar dem Hotelier auffällt, der weiß, daß die durch das Schnellgericht verhandeln zu lassen. Oviedo vollstreckt worden. Die wollte, ohne die dort eingehobene Straßenmaut zu beutsche Devisengesetzgebung nur die Mitnahme Vor zehn Jahren stand Rakosi vor demselben Berurteilten wurden standrechtlich er zahlen. Damals notierte sich der Beamte die Num- von 10 Mark( in von der Reichsbank bescheinig- Gericht. Kein Wort fiel über seine Tätigkeit als

Schoffen.

mer des Autos und Müller hatte Grund anzuneh- ten Ausnahmefällen 500 Mark), erlaubt,"

Funktionär der Räteregierung. Man verurteilte