IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH, wo Aktion und Verwaltung frag xii., fochova a. Telefon 0077. HERAUSGEBERi SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR* DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
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15. Jahrgang
Dienstag, 9. April 1935
Nr. 84
Trott Wahlschwindel und Terror:
. Die hochgespannten Erwartungen der Danziger Hakenkreuz- ler, durch vorzeitige Neuwahlen die ersehnte Zweidrittelmehrheit und damit die Möglichkeit zu erlangen, im Wege einer Verfassungsänderung die völlige Gleichschaltung an das DritteReich durchzusetzen, sind argenttäuscht worden. Wohl gelang es, durch Mobolisie- rung des letzten Wählers(oder besser gesagt, durch große Schwindeleien mit Wahllegttimationen) ihre Stimmenzahl von 189.000 auf 139.000 zu steigern, doch
Nationalsozialistische Partei«... Sozialdemokraten........ Kommunisten......... Zentrum........... Liste Weise(Deutschnationale)... Lifte Pietsch.......... Polen e.eoe....... 99'9 Prozent Wahlbeteiligung Der sicherste Beweis für den riesigen Wahlschwindel Von 237.016 Wahlberechtigten ha- den 236.733, d. i. 99.9 Prozent, ihre Stimme abgegeben; davon waren 1777 ungültig. Schon aus der Wahlbeteiligung läßt sich schließen, daß hier ein ausgedehnter Wahlschwindel betrieben wurde, von dem natürlich ausschließlich die herrschende Partei profitierte. Unerhörter Wahlterror Die gesamte Warschauer Presse stellt in Besprechung der Wahlen in Danzig «inen unerhörten nationalsozialistischen Wahlterror fr st. Die Blätter melden zahlreiche Fälle von Mitzhand- langen der politischen Gegner der Nationalsozialisten. Dem nationalsozialistischen Terror sind auch viele an der Wahl überhaupt nicht beteiligte Personen ausgesetzt gewesen. U. a. wurden in Danzig zwei Beamte des polnischen Generalkonsulates, Szagon und Kucharski überfallen und mißhandelt. In der Ortschaft Wrzeszrz wurden von Nationalsozialisten in den Wohnungen des portugiesischen und des lettischen Konsuls die Fensterscheiben mit Steinen eingeworfen. Dir beiden Kon- sulen haben beim Senat der Freistadt Danzig schärfsten Protest eingebracht. In vielen Provinzortschastrn ließen die Nationalsozialisten Stoßtrnppen ihre politischen Gegner in die Wahllokale überhaupt nicht ein. Wie der Korrespondent des„Kurier Po- ranny" erfährt, beabsichtigen das Zentrum und die Sozialdemokraten in Danzig beim Völkerbund zahlreiche Beschwerden b-treffend Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen einzubringen. englischer Korrespondent verhüttet In der Nacht auf Montag wurde in Danzig der Warschauer Berichterstatter des„M anche- st e r Guardian" Redakteur Joe Cang aus dem Postamte nach Erledigung seines Telephongespräches mit London , in welchem er die Resultate der Wahlen gemeldet hatte, verhaftet. Der polnische Generalkommissär in Danzig , Minister Papö intervenierte im Auftrage der polnischen Regierung bereits zweimal beim Danziger Senat und verlangte die sofortige Freilassung des verhafteten Redakteurs.
Konnte« sie ihre Mehrheit, die sie fett den Maiwahlen des Jahres 1933 besaßen, nur auf 58.7 Prozent steigern. Die von ihnen auf das schärfste bekämpfte sozialdemokratische Partei«nd ebenso das Zentrum haben ihre Stim- menzahl sogar mit einem Kleinen Plus fest behauptet; nur die Kommunisten büßten fast die Hälfte ihres Besitzstandes ein. Bemerkenswert ist auch das Anwachsen der Polen . Das vorläufige amlliche Ergebnis, das Montag«m 14 Ahr veröffentlicht wurde, ergibt folgendes Düdr
Stimme«:
Mandate:
1935
1933
1935
1933
139.043
109.029
44
38
38.015
37.882
12
13
7.990
14.566
2
5
31.525
31.336
9
10
9.691
13.596
3
4
382
8J10
6.743
2
2
Verkündigung der kesuttate eingestellt Daß die Danziger Nazikerise von dem Resultat sehr unangenehm überrascht waren, geht schon aus der Tatsache hervor, daß die Beröf- frntlichung der Teilresnltate aus den einzelnen Wahllokale» nur anfangs erfolgte, dann aber plötzlich eingestellt wurde, als sich ergab, daß in zahlreichen Wahllokalen im Stadtinnern die Stimmenzahl der Nazi 50 Prozent nicht überstieg.
In Danzig -Stadt , nur 50 Prozent Auch das Verhalten der Berliner Presse ist bezeichnend: Die Detailziffern aus den Land- bezirken, wo der Druck auf die Wähler naturgemäß am größten war, werden wiedergegebrn, dagegen das Abstimmungsergebnis aus der eigentlichen Stadt Danzig mit einer Ausnahme völlig verschwiegen. In Danzig -Stadt stehen nämlich den 84.000 Nazistimmen 80.000 oppositionelle Stimmen gegenüber. Hier haben di» Sozialdem okraten 5000, das Zentrum 2500 Stimmen gewonnen. Auch in Zo p p o t vermochten die Sozialdemokraten 400 Stimmen zu gewinnen. Nur die Resultate vom Lande, wo der Terror und der Wahlschwindrl am größten war, konnten das Gesamtresultat noch zu einem, wenn auch bescheidenen„Sieg" der Hakenkreuzler umfälschen.* Der frühere Führer als„Verräter** Die Nationalsozialisten setzten das Gerücht in Umlauf, daß der ehemalige Danziger Senatspräsident und Führer der Danziger Nationalsozialisten Dr. Rauschning eilends-geflohen sei, da er am Samstag knapp vor den Wahlen eine Kundgebung veröffentlicht hatte, die mächtigen Widerhall fand und in welcher er seine ehemaligen Parteigenossen beschwor, gegen die Nationalsozialisten zu stimmen. Diese Kundgebung bezeichnen die Nationalsozialisten als .hochverräterisch". Nunmehr würde aber festgestellt, daß Rauschning in Danzig blieb, sich jedoch nicht in seiner Wohnung aufhält, wo er sich nicht für sicher hält.
Bote Mehrheit 1m Kanton Basel Basel . Bei dem sonntägigen zweiten Wahlgang für die Neugestaltung der Regierung des Kantons Basel-Stadt wurden zweisozialdemokratische und zwei bisherige liberale Kandidaten gewählt. Der künftige Regierungsrat setzt sich nunmehr ans vier sozialdemokratischen«nd drei bürgerlichen Regierungsräte« zusammen. Dor frühere Regiernngsrat zähste fünf bürgerliche und zwei sozialdemokratische Mitglieder. In Zürich behauptet Bei den Wahlen in den Regierungsrat des Kantons Zürich habe« die Sozialdemokraten ihren Besitzstand von zwei Mandaten sicher behauptet; ihnen stehen wie bisher fünf bürgerliche Vertreter gegenüber.
berliner Nuntius beim Papst StadtdesBatikans.(Reuter. Der Papst empfing den Berliner Nuntius Orse- n i g o in Audienz. Wie verlantet, verhandelte der Heilige Vater mit dem Nuntius über die Lage in Deutschland . * Berlin . Das katholische Kirchenblatt für daS Bistum Berlin ist wegen eines Aufrufes zum Passions-Sonntag beschlagnahmt worden, in dem es u. a. heißt: In unserer Kirche ist das Kreuz verhöhnt. Sie sagen: Das Kreuz zerbricht die Würde des Menschen, der Gekreuzte, der Heiland der Welten, i verdirbt Volk und Rasses die Kirche des Gekreuzigten zerstört die Liebe zur Heimat. Sie sagen-, was sie nicht verstehen. Heute am Passions-Sonntag beginnt die große Predigtaktion in 25 kath. Kirchen Groß-Berlins. Katholiken Berlins,kommt alle! Ihr seid Christi heilige Front. Der Feind rückt vor. Bereitet Euch zum Kampfe vorl
In der gleichen Nummer wird auch unter dem Titel: Zerstreue die Völker, die den Krieg wollen" der vollständige Text der Ansprache des Papstes im letzten gehe innen Konsistorium veröffentlicht. Aut dem Weg zur Planwirtschaft Brüssel. (Tsch. P. B.) Die belgische Regierung wird sofort ein Sonderam^für diewirtschaftlicheGesundung des Landes errichten» die der Ministerpräsident van Zeelaird in seiner Regierungserklärung ankündigte. Aufgabe diese- Amtes wird die Planung der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit Belgiens «nd die Reorganisierung und Anpassung an die Bedürfnisse des Landes sein. Weiters wird unverzüglich ein» amtlicheStellefürdieRegelnngder Verhältnisse desArbeitsmark- t e s geschaffen werden. Diese angekündigten neuen Institutionen stellen in ihrer Gesamtheit eine Analogie zur Rooseveltfchen RNA-Aktion dar.
Danzig und Basel Die europäische Oeffentlichkeit steht unser dem Eindruck des Ausfalles der Wahlen in Dan zig . Während man in Deutschland — aber auch in gewissen Kreis-n außerhalb Deutschlands —eine zweite Saarabstimmung erwartete und glaubte, daß die Danziger Bevölkerung sich nahezu restlos zum Nationalsozialismus bekennen werde, haben die Wahlen ergeben, daß zwei Fünftei der Wähler Danzigs vom Nationalsozialismus nichts wissen wol- l e n. Was das bedeutet, wird erst klar, wenn man den rücksichtslosen Terror in Betracht zieht und die Riesenpropaganda, welche die Nationalsozialisten in Danzig entfaltet haben. Nur die Nation al- sczialisten konnten den Wahlkampf öffentlich führen. Ihnen gehörte die Straße, auf der sich kein Plakat und kein Flugblatt der gegnerischen Parteien zeigen konnte, kein Saal stand den Sozialdemokraten oder dem Zentrum zur Verfügung. Die Kandidaten, welche für die Sozialdemokratie in den Wahlkampf traten, wurden bedroht und ihnen das Schicksal ihrer Kameraden in Deutsch land in Aussicht gestellt. Wie ungehemmt sich dec nationalsozialistische Terror austobte, läßt sich am besten daran erkennen, daß sogar polnische Staatsbürger, die im Dienste des Warschauer Außen- amtes stehen, überfallen wurden. Und trotz all diesem Terror hat sich die Sozialdemokratie glänzend geschlagen, sie bat 2000 Stimmen gegenüber den früheren Wahlen gewonnen. und nur ein Mandat verloren(dies wegen der größeren Wahlbeteiligung als bei den vorigen Wahlen). Jeder Einzelne, der für die Sozialdemokraten gestimmt hat, hat Existenz und körperliche Sicker- heit aufs Spiel gesetzt. Man kann da wirklich sagen, daß ein« sozialdemokratische Stimme, was den Mut, die Opferfreudigkrit, die Gesinnungstüchtigkeit, die Charakterfestigkeit des Wählers betrifft. zehnmal schwerer wiegt, als der Flugsand an Wählern» die teils aus Furcht, teils hohler Schlagworte wegen, zu den Nationalsozialisten gestoßen sind. Eine Partei, welche über so tapfere Wähler verfügt wie die Sozialdemokraten Dan zigs , kann aus dem politischen Denken des deut schen Volkes nicht ausgelöscht werden. Welch eine lebendige Bewegung die Sozialdemokratie darstellt, l«hrt auch die an demselben Sonntag stattgefundene Wahl in Basel . Während bis dahin von der siebengliedrigen Baseler Kantonalregierung zwei Mitglieder sich zur Sozialdemokratie bekannten, zählt nun die Kantonalregierung vier Sozialdemokraten, denen drei Bürgerliche gegenüberstehen. AuSdersozial- demokrätischen Minderheit der Baseler Kantonalregierung ist also mit einem Schlage eine M e h r h e i t geworden. Unmittelbar an der deutschen Grenze hat sich die deutsche Bevölkerung, zur Sozialdemokratie bekannt. Der Hitlerismus, den die Baseler aus nächster Nähe sehen, hat die Anziehungskraft des FascismuS auf sie nickt verstärkt» sondern geschwächt, die Baseler Bevölkerung sieht mit Reckt in der Sozialdemokratie den stärkst e n Dam mgegenden F a s c i s m u s. Die Erfolge der Sozialdemokratie in Basel sind aber durchaus nicht etwas Vereinzeltes, sondern die Sozialdemokratie in der Schweiz hat in der letzten Zeit bei den Wahlen in Genf , in Lausanne sowie in anderen Orten ebenso schöne Erfolge wie in Basel erzielt. Es zeigt sich also, daß die Sozialdemokratie in der Schweiz im Vormarsch ist, was sehr wenig mit der Auffassung gewisser Kreise auch bei uns im Lande übereinstimmt, daß die Sozialdemokratie in unaufhaltsamen Rückgang begriffen ist. So bat der letzte Sonntag den Antimarxisten, die sich als die große Mode von heute ansehen, keinegü ten Nachrichten gebracht. Dieser Antimarxismus, den man heule in allen bürgerlichen Parteien findet, hat sich ein Weltbild zurechtgezimmert, in dem für die Existenz der klafsenbewußten Arbeiterbewegung kein Plätzchen mehr ist, eine Vorstellung, die aber, wie der letzte Sonntag wieder einmal so deutlich zeigte, mit der Wirklichkeit nicht ü b e r e i n st i m m t. Dieses Weltbild ist— davon werden sich auch, die Antimarxisten im deutschen Lager in der Tschechoslowakei überzeugen— im Widerspruch auch mit den Verhältnissen in unserem Lande. Wenn die Sozialdemokratie in Deutschland unter dem ungeheuren Terror der Nazis nicht erschüttert, werden, konnte, wenn der