Jmmuntiat, alles erlauben, sie sind vor einer straf-rechtlichen Verfolgung sicher. Wenn aber der Redac-teur eines Arbeiterblattes in gerechter Empörung überjunkerliche Anmaßung offen und unverblümt das sagt, Masist, dann laufen sie zum Kadi. Vielleicht wird aber der Richterdem Herrenhaus die Gefälligkeit erweisen, die Kritik der social-demokratischen Blätter als mindestens kompensiert durch dieschimpftgen Reden jener Herren zu erklären. Eine Gefälligkeitwäre es, das Haus vor dem Spott der öffentlichen Meinungein wenig zu schützen, dem derartige Beleidigungsquerclenes überliefern.—_die JnterpellatisnVerunreinigung derder Debatte teilteRegierung zur Be-Herrenhaus.Das Herrenhaus besprach am Freitagt>. Rheden-Struikmann betreffend dieGewässer durch die K a Ii- I n d u st ri e. Inder Handelsminister Brefeld die von derseitigung der Mißstände unternommenen Maßnahmen mit, womitsich die Mehrzahl der Mitglieder zufrieden gab. Hierauf nahm dasHaus, nachdem es die Genehmigung zur Strafverfolgung einigersocialdcmokratischer Blätter(siehe besondere Notiz) erteilt hatte,die von uns bereits mehrfach erwähnten Anträge betreffend dasSchankstättcnvcrbot für Jugendliche in folgender, von der KomMission beantragten Fassung an:„Das Haus wolle die Regierungauffordern t. dahin zu wirken, daß für die schulentlassene männlicheund weibliche Jugend bis zum Alter von 17 Jahren der Besuch vonSchailkstättcn, namentlich von solchen, in denen Branntwein gcschäuktwird, verboten werde; 2. an die engeren und weiteren Kommunal-verbände eine Anregung dahin ergehen zu lassen, daß sie Einrichtungentreffen oder aus öffentlichen Mitteln unterstützen, welche den genannten jungen Leuten die Möglichkeit bieten, an Sonn- und Festtagen in angemessener Weise eine erfrischende und veredelnde UnterHaltung zu erlangen."In der Debatte, an der sich Dr. v. Levetzow und Kommerzienrat S ch l u t o w beteiligten, wurde viel über die zunehmendeVerrohung der Jugend geklagt, die die Junker gar zu gern auf dieZunahme der socialdcmokratischen Stimmen zurückführen möchten.Einen Beweis dafür zu erbringen, ist natürlich nicht möglich.Am Sonnabend stehen lleinere Vorlagen und die K a r f r e i t a g S-L o r l a g e auf der Tagesordnung.—Ein Dresdener Landfriedensbruchprozeß.Aus Dresden wird uns geschrieben:Ein Landfriedensbruchprozeß, der jetzt vor dem hiesigenSchwurgericht verhandelt wurde, fordert im höchstenMaße zu Vergleichen mit dem bekannten ZuchthausProzeß, der sich im Februar vor�demselben Gericht, wennauch vor andern Richtern und Geschworenen abspielte, heraus.Der Vergleich ist besonders deshalb� lehrreich, weil es sich indiesem Fall nicht um eine That handelte, die irgendwie mitden Bestrebungen klassenbewußter Arbeiter in Zusammenhanggebracht werden kann. Sieben Arbeiter hatten sich beieinem Skandal auf dem Tanzsaal gegen den Aufseher des Tanzsaales zusammengerottet. Sie hatten ihnmit Biergläsern und Stühlen geschlagen, so daß er auf dieGalerie flüchten mußte. Genau so wie in Löbtau schrie auchhier einer der Excedenten:„Schlagt das Luder tot!"Dort mußte diese Aeußerung die Anklage wegen„versuchtenTotschlags" begründen, hier hat man das gar nicht erst ein-mal versucht. Es fielen noch andere böse Aeußerungen, wie:„Geht nicht fort, dem lauern wir auf, der bekommt was weg I"Alles in allem ein Exceß, der sich vom Löbtauer in Bezugauf die wörtlichen und thätlichen Vergehen nur insofernunterscheidet, daß er abends in einem Raum, in welchem etwa6<X> Personen waren, passierte, und daß der Mißhandelte nichtso schlimm davon kam, weil er flüchtete, ferner daß dieExcedenten hier nicht in so schwerer Weise gereizt wordensind. Der Vorsitzende des Gerichts hob während der persön-lichen Vernehmung der Angeklagten ausdrücklich hervor, daßihre teilweise Trunkenheit mildernd angesehen werde.Den Löbtauer Arbeitern hat man bekanntlich dieTrunkenheit nicht als mildernden Grund angerechnet.Die Anklage lautete auf schweren und einfachenL a n d f ri e d e n s b r u ch, gefährliche Körper-Verletzung, Hausfriedensbruch. Widerstand.Die sieben Angeklagten wurden zu Gefängnisstrafen von1 bis 10 Monaten» nur einer zu IV» Jahren Zuchthaus. sämtlich aber zu Ehrverlust verurteilt. Das Straf-maß ist in diesem Falle sicher nicht etwa zu niedrig.Aber die Löbtauer Arbeiter, deren That als Ausfluß der Ar-beiterbewegung angesehen wurde, sind zuaZJahrenZuchthausMricdcvverurteilt worden.— nneindcAeutsches Weich.DlSciplknarverfahren gegen Dr. AronS. Eine hiesigeKorrespondenz will wissen, daß die weitaus größere Zahl der Mit-g lieber der philosophischen Fakultät der Berliner Universität sichagegen ausgesprochen hat. dem Privatdozenten Dr. Aronswegen seiner Zugehörigkeit zur Socialdemo-kratie die L eh r t h ä ti g keit an der Universität zuuntersagen. Maßgebend für den Standpunkt der Mitgliederder Fakultat soll der Entschluß gewesen sein, an dem Grundsatzefestzuhalten, daß einem Universitätslehrer in Bezug aufseine privaten Anschauungen volle Freiheit gesichert werden müsse,und daß Dr. Arons als Lehrer der Physik keinerlei Gelegenheit habe,in seiner Lehrthätigkeit politische Anschauungen zum Ausdruck zudringen.Wir lassen dahingestellt, ob diese Mitteilung richtig ist. U n-r'i ch t i g ist die Meinung jener Korrespondenz, als sei das Ver-fahren von der Fakultät bereits abgeschlossen. Es kann sich vorläufignur um eine Mutmaßung handeln, daß die Mehrheit derFakultät von der Maßregelung des Privatdozentcn Dr. Arons nichtswissen wolle.—Freiherr v. Wangeuhetm, der bekannte Führer und Agitatordes Bundes der Landwirte, hat bis zum 1. April diese»Jahres keine Einkommensteuer bezahlt. Diese Thatsache ist ineiner Wählerversammlung in Spandau zur Sprache gebracht wordenund mußte vom Bund der Landwirte zugegeben werden. Dem-gegenüber ist festzustellen:1. Herr V. Wangenheim bezahlte nach dem Zeugniß des konser-vativen Wahlkomitees von Pyritz-Saatzig im Jahre 1868 an Vermögenssteuer 199 Mark 80 Pf.— entspricht einem schuldenfreienVermögen von etwa 400000 Mark.2. Herr v. Wangenheim bezahlte 16000 M. Maischbottichsteuer,hatte ein Spirituskontingent von über 80 000 Litern— entsprichteiner Liebesgabe von über 16 000 Mark.3. Herr v. Wangenheim hat ein Gut von 767 Hektar mit einemGrund st euer-Reinertrag von 2628 Mark.Es ist nach alledem höchst interessant, daß dieser reiche Mann.der doch in seinen Reden so unermüdlich für die Interessen desVaterlandes eintritt, bis zum 1. April d.J. keine Einkommen-st euer bezahlt hat. Proletarier, sofern sie nur da« gesetz-liehe Minimum von 900 M. verdienen, bezahlen prompt ihre Ein-kommensteuer—Die alte Konsistorial-Verordnung von 1573, die in Berlinso viel böses Blut gemacht hat, spukt jetzt auch in der Hauptstadtder A l t m a r k. in Stendal. Der Kirchenrat von St. Jakobiist so findig gewesen, sie für seine Zwecke nach der Altmark zucitieren, nachdem sie bisher nur in der Reichshaupstadt ihr Wesengetrieben hatte. Der vor langen Jahren eingestürzte Turm deruralten St. Jakobikirche soll wieder erbaut werden. Die Kostendafür wurden auf 67 000 M. veranschlagt, wovon 50 000 M. bereitsallmälig angesammelt waren. Für die Renovierung der innerenKirche, die mit dem Bau des TunneS Hand in Handgehen sollte, waren außerdem 18 000 Mark angesetzt. TerPlan hatte die Zustimmung der Regierung gefunden.Mit einem Male stieß der Gemeinde» Kirchenrat seinenBeschluß wieder um; er will jetzt den Turm auf eine Höhe von33 Meter(vorher 16 Meter) bringen und die Renovierung desKircheninnern so ausgedehnt ausführen, daß sie einen Kostenaufwandvon 56 000 M. erfordert. Zur Beschaffung der Mittel citieren dieKirchenväter die alte Konsistorial-Verordnung, die für die kur-brandenburgischen Lande erlassen wurde und die nunmehr auch inStendal wieder zu Ehren gebracht werden soll. Auf den Ausgangdieses Streites darf man umsomehr gespannt sein, als die Ver-mögensverhältnisse der Jakobikirche nicht ungünstig sind. Es ist einBarvermögen von 88 000 M. vorhanden, außerdem besitzt die KircheLändereien, die 2000 M. Pacht bringen. Zudem hat in der Altmarketliche Jahre die westfälische Gesetzgebung geherrscht, durch die jene alteVerordnung wohl als aufgehoben angesehen werden dürfte.Et» rebellischer Nationalliberaler hat im NationalliberalenVerein zu F r a n l f u r t a. M. einen Vortrag über„Die B e-Handlung geistiger Angelegenheiten in Preußenunter dem Ministerium Bosse" gehalten, in dem er dieReaktionspolitik vernichtend charakterisierte. Der Redner, ein PfarrerFörster, bedauerte, daß die Liberalen der Regierung gegenüber zuviel schwiegen. Nationalliberale hätten sogar„Strafprofessoren"gegen Berliner Nationalökonomen gefordert. Die Folge diesesschwächlichen und tadelnswerten Verhaltens der nationalliberalenPartei sei, daß sie mehr und mehr an Ansehen in den Kreisen ver-liert, aus denen ihr früher die Führer erwachsen sind. Es sei diehöchste Zeit, daß die nationalliberale Partei der Behandlung geistigerAngelegenheiten mehr Verständnis und Aufmerksamkeit widmet. Inder Debatte brachte Förster u. a. noch den Goslarer Fall Wisliccnuszur Sprache und sprach von Bosse's.Dienstwilligkeit gegen kirchlicheEngherzigkeit".Liberaler Johannistrieb!—Politik in der Schule. Schüler der beiden obersten Klaffeneines bayrischen Gymasiums haben, unter Zustimmung des Direktors,200 M. für Zwecke der Flottenvermehrung aufgebracht. Ein Beweis,daß die Herren Eltern ihnen überflüssig viel Taschengeld habenangedeihen lassen.Wenn demnächst einmal politisch begeisterte Schüler etwa fürdie socialdemokratische Parteikaffe sammeln sollten, so wird derDirektor die jungen Leute wohl auch in ihrem Thun fördern.Uebrigens sind die Söhne nobler als die Väter. Denn als dieAlldeutschen vor zwei Jahren für die Flotte sammelten, da brachtedie gesammte Gilde der Hochbcsitzcnden und Hochgebildeten für ihrewerkthätige Wasserschwärmerei bare 10000 M. zusammen. W i rhaben natürlich gar nichts dagegen, wenn unsere Flottenpatrioten dieMittel für ihre Liebhaberei selbst aufbringen. Aber wo es zahlenheißt, da versalzen die Herren allemal kläglich und verlassen sich ganzauf den— Reichstag.—„Zu den glänzendsten Erscheinungen am Berliner Hofegehört auch— so lesen wir in der„Woche"— Fürstin Alfredzu Salm- Dyck, ein Ideal stolzester und doch reizendsterWeiblichkeit. Der Zauber ihrer Persönlichkeit vermag durchzusetzen, was sonst nicht so leicht am Berliner Hofe erreicht wirdAls die Fürstin dem Kaiser auf einem Kostümfest bemerkte, daß ihrGemahl wohl der einzige sei, der keinem Truppenteil an-ehöre, und deshalb in Civil kommen müsse, versetzte dera i s e r lächelnd:„Wer könnte den Wunsch einer so schönen Fraunicht erfüllen" und stellte den Fürsten sogleich a. la snite seinerGardekürassiere."Ein streitbarer Gotteödicner scheint, so berichtet man uns,der katholische Pfarrer Frankhauser aus dem DorfeFrauenberg bei Saargemünd zu sein. Im Oktober verflossenenJahres war derselbe vom Schöffengericht zu Saargemünd zu einerempfindlichen Geldstrafe verurteilt worden, weil er während einesvon ihm abgehaltenen Gottesdienstes der Frau des LehrersI s s I e r, mit deren Familie er in stetem Unfrieden lebte, angesichtsder versammelten Kirchgemeinde einen ganzen Wedel volleihwasser ins Antlitz gespritzt hatte. so daßdie Frau bis auf die Haut durchnäßt war. Die gericht-liche Sühn« dieser Handlungsweise scheint bei dem Frauen-berger Pfarrer jedoch ohne jeden Eindruck geblieben zusein; denn vorige Woche stand er abermals vor denSchranken des Gerichtes, diesmal der Saargeniünder Strafkammer,um sich dort wegen Mißhandlung einiger Schulkinderwährend des von ihm erteilten Religionsunterrichts und wegen thät-licher und wörtlicher Beleidigung des Lehrers Jsslcr zu ver-antworten. Der Angeklagte, ein stämmiger Mann von etwa 40 Jahren,wurde vom Vertreter der Anklagebehörde als ein gewaltthätiger,treitsüchtiger Charakter geschildert, der, statt ein Bote des'riedens zu fein, nur Zank und Streit in seiner Gc-stifte. Wie die Beweisaufnahme ergab, hatte er sichwiederholte Ueberschreitungen des Züchtigungsrechtes, das ihm alsLehrperson zusteht, zu Schulden kommen lassen. So hatte er u. a.ein zwölfjähriges Mädchen dermaßen an den Haaren ge-rissen, daß ein ganzes Büschel derselben aus-ging. Mehrere Jungen, die ihre Lektion nicht konnten oder Ab-fchriften nicht gemacht hatten, wurden von ihm blau g e-s ch l a g e n, zur Thür hinausgeworfen und dabei mit wuchtigenFußtritten regaliert. Als der Lehrer Jssler einmal währenddes Religionsunterrichts die Thüre des Schulzimmers von aüßenöffnete, um etwas anzuordnen, rief ihm der Pfarrer mit erregterStimme zu:„Packen Sie sich hinaus, hier habe ich allein zukommandiren!" Und als der Lehrer nicht sogleich ging, stürzte sich derPfarrer auf die Thüre und schlug sie mit solcher Gewalt zu, daß sieJsslcr mit einem heftigen Schlag in den Rücken traf. Dannsagte er den Schulkindern:„Hier habt ihr auf niemanden zu hörenals auf mich, nicht einmal auf den Schulmeister!""DaS Gericht verurteilte den Frankhauser, da mir wegender oben erwähnten Mißhandlung einer Schülerin der er-forderliche Strafantrag vorlag, wegen dieses Vergehens zueiner Geldstrafe von 100 Mark eventuell 10 Tagen Ge-sängniß. Eine förniliche Bele�gung des Lehrers Jssler wurde nichtals vorliegend erachtet, obwohl sich das Gericht der Ueberzeugungnicht verschloß, daß das Verhalten des Pfarrers äußerst tadelnswertund insbesondere dp zu angethan war, die Autorität des Lehrers beiden Schulkindern vollständig zu untergraben.Die Wünsche der Gastwirte. Für den am 7. und 8. Juniin Dresden stattfindenden deutschen Gast Wirts tag ist be-antragt worden: 1. Beim Ministerium des Innern dahin vorstelligzu werden, daß die Hergabe von Sälen für Wahlver-sammlungen, gleichviel welcher Partei, nicht zurVeranlassung für einen Militärboykott gemacht werde. 2. Zu er-wirken, daß die Tanzbcluftigungcn nicht von einer jedesmaligenGenehmigung abhängen. 3. Herbeiführung der Aichung der Branntwein-und Spiritusfässer. 4. Entschädigung der Gasthofbesitzer bezm. Pächterdurch die Reichs- und Landesbehörde für ihre Aufwendungen und Er-werbsschädigung bei Ausführung des Biehfeuchengesetzes. 5. Eingabean den Reichstag betreffend die reichsgesetzliche Regelung derPolizeistundcnfrage. 6. Erlaß eines Gesetzes, wonach künftig in denStadt- und Kreisausschüffen Gastwirte(möglichst Vorstandsmitgliederdes betreffenden Ortsvereins) als Sachverständige in Konzessions-anlegenheiten Sitz und Stimme erhalten. 7. Stellungnahme gegendie Erteilung von Massenkonzessionen und Regelung des sogenanmenVertretersystems. Ferner soll eine Aussprache über dieForderungen der Ga st Wirtsgehilfen stattfinden.Chronik der MajestätöbeleidignngS-Prozeffe.Wegen MajestätSbeleidigunq stand der SchuhmacherJohann Heinrich K i st n e r vor der Straftammer in Nürnberg.Er hatte im Januar d. I. nachts auf der Straße_ gröbliche Beschnnpfungen gegen König Otto, den Prinzregenten Luitpold und denBürgernreister Dr. v. Schuh ausgestoßen. Der Angeklagte be-hauptete, von dem ganzen Vorfall nichts zu wissen, da er völlig be-trunken gewesen sei. Die Strafkammer erkannte trotzdem auf n e it nMonate Gefängnis bei sofortiger Verhaftung des Ange-klagten._Kontraktbrüchig!Behörde und Arbeitgeber in einer Person sind, so schreibt manuns aus Ostpreußen, auf dem Laude eine große Zahl von Guts-besitzern. Die Amtsvorstcher werden fast ausnahmslos aus denKreisen der größten Besitzer gewählt. Dieses Verhältnis ist für dieArbeiter oft außerordentlich schädlich. Bei Streitigkeiten wegen desArbeitsverhältnisses hat sich der Landarbeiter zuerst an den Amts-Vorsteher zu wenden. Das hat aber nicht immer den gewünschtenErfolg, wenn dieser Amtsvorsteher der Arbeitgeber selbst ist.Im ostpreutzischen Ort Neuendorf war bei dem Amts-Vorsteher und Gutsbesitzer Abrahm ein Knecht aus den Dienst ge-treten. Der Mann hatte aus Unkenntnis der gesetzlichenBestimmungen nicht rechtzeitig gekündigt. Sein bisherigerArbeitgeber erklärte ausdrücklich, daß er den Knecht des-wegen nicht ziehen lassen wolle, weil er ein ordentlicher, brauch-barer Arbeiter sei. Der Knechtwollte aber auf keinen Fallein weiteres Jahr bleiben. Wegen unberechtigten Verlasfens derArbeit hatte er erst in seinem jetzigen Wohnort Plauen drei TageHaft abzusitzen. Da das nicht fruchtete, mußte er eine zweite Strafevon 7 Tagen im Amtsbereich feines früheren Arbeitgebers verbüßen.In der im Spritzcnschuppen befindlichen Zelle befand sich als Lagereine Schütte Stroh. Während der ganzen Zeit kam der Gefangenenicht ein einziges Mal an die frische Luft, ferner erhielt er, wie er be-hauptet, keine Decke, so daß er in den sieben Nächten in den Kleidernschlafen mußte. Da der Mann auch jetzt noch nicht geneigt mar, in denDienst zurückzukehren, mußte er am 15. März eine dritte Haststrafevon 14 Tagen antreten. Als der Gefangene drei Tage auf demStroh wieder ohne Decke zugebracht hatte, forderte er von seinerAuffeherin, der Frau des Nachtwächters, daß sie ihn dem Amts-Vorsteher vorführe. Als der Amtsvorsteher von der Frau hörte, daßder Gefangene eine Decke fordern wolle, erklärte er: Das ist immerfo gewefen und wird auch so bleiben.Der eingesperrte Knecht mußte sich bescheiden und blieb aber-mals während der 14 Tage in den Kleidern. Die Arrestzelle imSpritzenschuppen ist mit Ziegeln gepflastert und war auch nicht warmgenug. Mit bis zum Knie geschwollenen Beinen kam der Knechtaus dem Loch und mußte eine Woche lang krank das Bett hüten.Auf eine von ihm eingereichte Beschwerde wegen der Behandlung imGefängnis ist bis jetzt keine Antwort eingetroffen.Der Amtsvorsteher und Arbeitgeber Abrahm gab sich aber auchnun noch nicht zuftieden. Am 29.' April ließ er in dem jetzigenWohnorte des Knechtes einen Ukas bekannt machen, daß Schimmel-Pfennig„wegen Verlassen seines Dienstes gerichtlich bestrast ist undzur Zeit polizeilich durch Zwangsmaßregeln zur Fortsetzungseines Dienstes angehalten wird", daher nicht das Rechlhabe,„sich anderweitig zu vermieten oder Arbeit anzunehmen".Zum Schluß wird in dem Schriftstück jedem eine Belohnung von 3 M.in Aussicht gestellt, der dem Abrahm einen Arbeitgeber anzeigt, derden Knecht beschäftigt. Mit größerer Ausdauer wie der GutsbesitzerAbrahm seinem Knecht, konnte ein Sklavenhalter einem entlaufenenSklaven kaum nachstellen. DaS Ende der Leidenszeit deS jungenMannes ist nicht abzusehen.Wer will sich aber wundern, wenn die Landarbeiter eine Gegendverlassen, wo derartig mit ihnen verfahren wird?—Ausland.Die Ucberführnng Dreyfus' nach Frankreich.„Petit bleu" teilt mit. eine Abteilung Gendarmen und republikanische Garde solle nach Cayenne abreisen, um. sobald die Zu-läsfigkeit der Revision ausgesprochen sei, DreyfuS nach Frankreichzurückzuführen, wo derselbe Ende Juni eintreffen dürfte.— Nacheiner Meldung des„Gaulois" werden wahrscheinlich die Revisions-Verhandlungen, für welche der 29. Mai angesetzt war, einige Tagehinausgefchoben werden, um Kundgebungen und Znsannnenstößevon Freunden und Gegnern der Revision zu vermeiden, da auch dieBerhandluug gegen Doroulede an demselben Tage stattfindet.Bezüglich des Zwischenfalles Cnignet-Palöolognc veröffcnt-licht das„Petit Journal" zwischen Frehcinet und Deleafse gewechselteKorrespondenzen, in denen Delcasss die von Paläologne begangenenInkorrektheiten zugiebt. nachdem Palöologue, der im ersten Briefeden Sachverhalt in Abrede stellte und erst durch Freycinet zum Ge-ständnis gezwungen wurde, dies eingcräunit hat.In der Kammersitzimg vom Freitaginterpellierte der S o c i a l i st V i v i a n i wegen der Veröffentlichungder zwischen Delcasss und Frcycinet in betreff des ZwischenfallsPaleologue-Cuignet geweckselten Briefe und fragt an. ob diese Briefeauthentisch seien. Der Kriegsminister antwortet. MajorCuignct sei, als die Briefe im„Petit Journal" erschiene» waren,aus' freien Stücken zu ihm gekommen und habe erklärt, daß er ver-gangenen Sonntag diese Briefe einem seiner Freunde, dem RickiterGrosjean in Versailles übergeben habe, welcher dieselben dem„PetitJournal" mitgeteilt Hobe.(Bewegung, lebhaste Protestrufe!) DerKriegsminister fügt hinzu, er habe im EinverstÄndiiis mit der Sic-gieruug den MajorCuignet aus d e m D i e n st entlassen.(Beifall.)Delcassä besteigt unter anhaltendem Lärm der Rechten dieRednertribüne und beweist, daß die Briefe, welche er an Frcycinetgeschickt habe, vom Kapitän Cnignet und dem„Petit Journal" gc-fälscht worden sind. Die Rechte versucht, den Redner am Weitersprechenzu verhindern, aber Delcasss ruft aus: Ich werde ausharren und dieRednertribüne nicht eher verlassen, als bis ich fertig bin. Delcasssrechtfertigt sodann die Haltung Palsologucs vor dem Kassations-Hof und beweist die zweideutige Haltung Cuiguets. MehrereAntisemiten, die Delcasss unterbrachen, wurden zur Ordnung gerufen.Der Vorsitzende läutet permanent mit der Glocke; da es unmöglichgeworden ist. daß sich noch ein Redner vernehmlich machen kann.wird die Erörterung geschlossen. Es sind zwei Tagesordnungen ein-gebracht: Nach der ersten soll der Regierung ein Vertrauensvotumausgesprochen werden, nach der andere» soll zur einfachen Tages-ordnung übergegangen werde». Die Regierung fordert das Ver-trauensvotum, das mit 389 gegen 65 Stiuunen angenommenwurde. Diese Abstimmung bedeutet eine neue Niederlagefür die Gegner der Revision.Oestreich- Ungar».Obstruktion im nicdcröstreichischen Landtag. Wien,12. Mai. Im niederöstreichischen Landtage behauptete der Ab-geordnete Kopp, die Minorität sei durch das klerikal-antisemitischePräsidium vergewaltigt worden; Kopp verlangte hierfür naincns derLiberalen Genngthnung. Da Kopp nicht zufriedengestellt wurde, ver-ließen die Liberalen,' die Socialpolitikcr, ein Teil der Deutsch-nationalen und der verfassungstreue Großgrundbesitz den Saal,sodaß der Landtag beschlußunfähig wurde.Schweiz.Genf, 9. Mai.(Eig. Ber.) Wie in St. Gallen, so liegen auchhier die Verhältnisse immer noch so, daß bei den Wahle» dieSocialdemokraten mit den Radikalen zusaminengehen und fo geffen-über den Konservativen in der Mehrheit sind. Mit diesem Standder Dinge sind aber nicht alle Genossen zuftieden und so ist inletzter Zeit im soeialdemokratischen Lager eine Spaltung ein-getreten. Die Secessionisten haben für ihre Taktik folgende Punkteals Richtschnur aufgestellt: 1. Unvereinbarkeit eines gesetzgebendenmit einem ausübenden Mandate. 2. Imperatives Mandat. 3. Vor-herige Beratung der den gesetzgebenden Körperschaften unter»