Seite 2 Sonntag, 19. Mai 1935 Re. 117 Ans der Scsddddc der Hcnsdicnrdubcr Wie ein Tschechoslowake aus dem Saargebiet nach Deutschland entführt wurde I In unserer Redaktion erschien dieser Tage ein Wann, der uns die Geschichte seiner Entführung aus dem Saargebiet zur Verfügung stellte. Es handelt sich um einen christlichkatholisch gesinnten Arbeiter, dem wir aber um so mehr das Wort geben, als er es bei diversen anderen deut- ) Jen Blättern Prags , darunter der„D e u t- schcnPresse"— nicht erhielt. Er erzählt seinen Fall also: Nachdem mir, als einem in Deutschland lebenden tschechoslowakischen Staatsangehörigen, vom Arbeitsamte mitgeteilt worden war, daß vorläufig für alleinstehende Ausländer in Deutschland kein Arbeitsplatz in Frage komme, meldete ich mich zur Saarpolizei. Ich wurde zur unverbindlichen Vorstellung aufgefordert. Mit überschwänglichen Glücksgefühlen trat ich die Reise von Essen über Köln , Trier nach Saar brücken an. Das war am 28. September 1934, genau an dem Tage» an welchem alle Zeitungen der Welt voll von der Rede Bnrthous über die Unzuverläßlichkeit der Saarpolizei war. Daß die nationalsozialistischen Zeitungen Deutsch lands diese Ausführungen über die Unzuverlässigkeit der Saarpolizei glatt in Abrede stellten, ist selbstverständlich. Ich aber war dazu auSersehen, dieser Unzuverlässigkeit als Opfer zu dienen. Ich passierte anstandslos die deutsche Paß- und Zollkontrolle Serrig , ebenso die französische Zollkontrolle in Mettlach . Der Saapolizei in Mettlach lag es ob, die Pässe der ins Saargebiet Einreisenden zu prüfen. Obwohl noch 10 Minuten vorher vom tschechoslowakischen Konsulat in Köln die Gültigkeit meines Passes ausdrücklich zur Einreise als vollkommen hinreichend befunden worden war, verlangte der offensichtlich i m Dien st e der Gestapo stehende Saar « Polizist von mir eine„Einreisegene h- m i g u n g". Als ich den Zweck meiner Einreise bekanntgab, beschloß er, der Kommandantur der Saarpolizei inSaarbrücken Meldung zu machen, die über meine Weiterreise entscheiden solle. Er machte mich gleich darauf aufmerksam, daß es nur eine telephonische Leitung nach Saarbrücken gebe und übrigens die Postbeamten jedes angemeldete Gespräch der Saarpolizei „sabotieren". Als um 23 Uhr noch immer keine Antwort da war, ersuchte er mich, in einem Gasthofe zu übernachten. Während ich noch beim Abendessen im Gastzimmer saß, betrat ein Chauffeur das Lokal und teilte mir mit, daß man jetzt nach Saarbrücken Zur Saarpolizei-Kommandantur fahren könye. Ich war natürlich sofort einverstanden, weil ich doch auf diese Weise das Ueber- nachtungsgeld sparen konnte. In dem Auto saßen der Saarpolizist in voller Dienstuniform, der Chauffeur, noch ein Herr und ich. Auf der Fahrt, die r a s e n d vonstatten ging, bemerkte ich plötzlich, daß zwei franzö sische Grenzbeamte das Auto anzuhalten versuchten, was aber bei dem wahnsinnigen Tempo des Autos unmöglich war. Nur durch zwei kühne Sprünge retteten die Beamten ihr Leben; trotzdem sah ich noch einen fallen. Ich hielt diese französischen Beamten für eine Verkehrsstreife innerhalb des Saargebietes. Fünf Minuten später aber wurde ich eines anderen belehrt, als nämlich der Wagen urplötzlich hielt und ich mit vorgehaltenem Revolver und dem Rufe: „Hände hoch!" zum Aussteigen gezwungen wurde. Man brachte mich dann zur Landjägerei Freudenberg-Weiden im Kreis Saarburg . Der Landjäger wurde nachts mit den Worten geweckt: „Herr Reumeier, wir haben einen Emigranten geschnappt." Ich lachte nur zu dieser Feststellung, weil ich ja von keinem Staatsanwalte gesucht wurde. Nachdem die Gestapo sieben Tage lang vergeblich nach einer Gesetzesübertretung meinerseits gesuch» hatte, wurde ich endlich wegen„Versuches der Abtrennung von Teilen deS Deutschen Reiches" verhaftet. Obzwar völkerrechtlich das Saargebiet als A u s- land galt, wurde es also als Teil des Deutschen Reiches bezeichnet. Aus meiner Absicht, mir Arbeit zu verschaffen, konstatierte man die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Ein Brief von Trier nach Köln ans Konsulat brauchte 30 Tage, ein zweüer Brief, am 18. Jänner 1935 an? Konsulat abgeschickt, ist bis heute noch nicht angekommen. Ohne daß man mir Gelegenheit gab, meine Vermögenswerte aus Deutschland mitzunehmen, setzte man mich einfach am 29. April 1935 ohne vorherige Bekanntgabe bei Lichtenau über die Grenze, obzwar jede andere Grenzüber- trittSstelle meiner Heimat näher gewesen wäre. Selbst das in meinem persönlichen Besitz befindliche Geld sowie d i e U h r wurden mir vorenthalten. Bemerkenswert ist auch die Gemeinschaftshaft von 1 0 W o- chen mit einem gemeingefährliche« Gewohnheitsverbrecher. Intereflant ist die Angabe des Grundes, aus welchem ich über die Grenze gebracht wurde. In Berlin . In einem Münchner Bierkeller fand Freitag eine sehr bewegte Versammlung statt, in der der Führer der Neuheidnischen Glaubensbewegung, Wilhelm Bachofen, sich in zweistündigen hemmungslosen Angriffen auf den katholischen Glauben» auf die Taufe und die Sterbesakramente erging, was die Zuhörer zu wilden Zwischenrufen veranlaßte, tbie„An den Galgen mit Kardinal Faulhaber!",„Rieder mit dem Christentum!" und so weiter. Die an 2000 Köpfe zählenden Versammlungsteilnehmer waren größtenteils in Parteiuniform erschienen und brachen in stürmischen Beifall und in wüstes Fußgetrampel aus, als Bachofen das„fade Geleier" in der katholischen Kirche als „ein Brechmittel" erklärte, das wirksamer sei, als man es in der Apotheke zu kaufen bekomme. Der katholische Glauben sei schlimmer als eine Farce und diene Hochverrätern als Kampfmittel gegen das deutsche Vaterland.„Könnt Ihr Euch vorstellen", rief Bachofen aus,„daß die Hit lerjugend Rosenkränze über ihre braunen Uniformen hängen oder daß ein SS-Mann eine Pilger» i den Akten, in die ich durch Zufall Einblick er-1 .hielt, stand wörtlich: „Wegen Hochverrates aus dem Reichsgebiet verwiesen." Interessant ist, daß kein einziger Termin vor einem Gerichte stattfand. Weder eine Gerichts« noch eine Ausweisungsverhandlung fanden statt. Sieben Monate war ich unschuldig in Händen der Gestapo . Körperlich halb ruiniert» stehe ich heute mittellos da. Karl Klimt. * SHF und Christlichsoziale Bolkspartei Hand in Hand. Als christlich-katholischer Arbeiter hielt ich eS für meine Pflicht, meinen Beitrag zur„Rechtserneuerung im Dritten Reich " der katholischen Presse in Prag anzubieten. Ich wurde ablehnend beschicden, und auf mein Angebot, in einer SHF-Versammlung als Diskussionsredner gegen Henlein aufzutreten, wurde vom Chefredakteur der„Deutschen Presse" am 6. Mai 1935 mit den Worten: „Sie müssen erst beweisen, daß die SHF identisch mit Nationalsozialismus sei"— dankend verzichtet. Als ich dann im Parlamente im Büro der Ch r i st l i ch s oz i a- len Bolkspartei das nämliche Angebot vorbrachte, entgegnete mir Herr Dr. Luschka wörtlich folgendes: „Man wünscht, den Wahlkampf ruhig zu führen, keine Sensation hineinzubringen." Da ich tatsächlich ohne einen Heller über die Grenze gebracht wurde, bat ich um eine kleine Unter st ützung zum Rasseren, Wäschewaschen und zum Kauf eines Stück Brotes zwischen 12 Uhr mittags und 9 Uhr abends. Die Antwort war: „Infolge des Wahlkampfes ist die Partei so verschuldet, daß keine Unterstützung gegeben werden kann." Karl Klimt. fahrt nach Rom unternimmt, um dort den Pantoffel des Papstes zu küssen?" Schlimm erging es in der Versammlung auch einem alten nationalsozialistischen „Kämpfer", der einen Zwischenruf machte, der als Verteidigung des Christentums gedeutet wurde. Ehe er noch seine aus dem Jahre 1923 stammende Mitgliedskarte vorweisen konnte, wurde er unter einem Hagel von Faustschlägen aus dem Saale geworfen. Auch sonst kam es in München zu verschiedenen Zwischenfällen. Obwohl der katholische Charitas-Verband, der eine Menge von Wohl- tätigkettswerken übt» die Bewilligung zu einer öffentlichen Straßensammlung für das ganze Reich erhalten hatte, die gerade jetzt beginnt, wurden dessen Sammlungen Samstag mittags in München untersagt, weil es im Zusammenhänge mit der Verurteilung der katholischen Ordensschwester Wernera wiederholt zu Zwischenfällen mit Sammlern kam. Zum Abschluß des Wahlkampfes In Ostböhmen fand am Freitag abend in Braunau eine imposante Manifestation der deutschen und tschechischen Sozialdemokraten und der tschechischen Nationalsozialisten statt, an der weit mehr als 5000 Menschen teilgenommen haben. Für die deutschen Sozialdemokraten sprach Genosse Kej- t i, für die tschechischen Genosse C h a l u p k a und für die tschechischen Nationalsozialisten Stej- s k a I. Am Schluß der Kundgebung, die sehr gut verlaufen war, wurde die vom Genossen Ram- bauske beantragte Resolutton einstimmig angenommen, in der die Behörden aufgefordert werden, dem Terror der Fascisten im deutschen Gebiete ein Ende zu setzen. In Trautenau fand Frettag abend im großen Saal des Närodni düm eine mächtige Kundgebung der deutschen Sozialdemokraten statt. Die Massen konnten im Saale nicht Platz finden. In der Versammlung, die vom Genossen Basch gelettet wurde, sprach Abgeordneter Schäfer, der während seines Referates wiederholt von lebhaften Zustimmungskundgebungen unterbrochen wurde. Insbesondere fand der Hinweis des Redners darauf, daß die demokratischen Ideale Ma- saryks und Benes's nur durch die Zusammenarbeit der deutschen und tschechischen Sozialdemokraten und der tschechischen Nationalsozialisten wirksam vertreten werden können, lebhafte Zustimmung. Für die tschechischen Genossen sprach Professor H e j d u k und Fachlehrer Winter, für die tschechischen Nationalsozialisten begrüßte S l a« i i h a die Versammlung. Ferner sprach Genosst Dr. M ü h l b e r g e r, der sich insbesondere mit der Verlogenheit der SHF beschäftigte. Ein Störungsversuch durch Henlein » leute wurde rasch vereitelt. Nachdem noch Genosse Rindt gesprochen und das Kabarett der Trautenauer Sozialistischen Jugend verschiedene lustige Szenen vorgetragen hatte, wurde die Versammlung mtt dem Gesang der Internationale geschlossen. Gröde antifasdstische Kundgebung In Tannwald R e i ch e« b e r g.(E. B) In Tannwald im Jsrrgebirge fand Samstag nachmittag- eint große anttfasriftische Kundgebung der t s ch e ch i- s ch e n und deutschen Sozialdemokraten, der tschechischen Nationalsozialisten und der K P C statt. Es sprachen Redner dieser Parteien. Die Teilnahme war imposant. Mehr als 5000 Demonstranten stimmten den Rednern der antifasci- ! stischen Parteien begeistert zu. Die SHF wagte si«b airgestchts dieses Massenaufmarsches im Tannwal- der Gebiet nicht zu zeigen. Unterredung In Tabor zwischen dem österreichischen Außenminister und Dr. Benes. Wien.(AR.) Einer Einladung des tschech»« slowakischen Außenminister- Dr. Benes folgend, begibt sich, wie die„Politische Korrespon- denz" erfährt, Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Berger- Waldeneg» Montag» den 20. Mai, nach Tabor, wo er mit Außenminister Dr. Benes in dessen Billa zusam« mentreffen wird. Herrn Hilgenreiner ins Stammbuch: Antikatholische Demonstrationen in München 23 Roman von Emil Vachek . Deutsch von Anna AurednRek „Wählen Sie, ja oder nein— der Mensch ist schuldig oder er ist unschuldig."—„Das ist nicht so leicht, wie es scheint, Herr Vizepräsident," antwortete Beinsteller mit sanfter Stimme.„Der Mensch kann beispielsweise stehlen und muß doch nicht schuldig sein." „Ich sehe Ihnen an, daß Sie eine längere Rede halten wollen," erwiderte der Vorsitzende niit leichter Ironie, die für das Publikum berechnet war.„Also los, obwohl nach Ihrem Geständnis die Sache eigentlich klar ist." Auch der Staatsanwalt lächelte in Anbettachr des großen Publikums. DaS Publikum lachte ebenfalls, aber der Vorsitzende, der eigentlich nichts anderes gewollt hatte, setzte eine finstere Miene auf und sagte streng:„Bitte um Ruhe!" Er mußte vor dem Publikum seine leichte Ironie und seine große Autorität pruduzieren. Da beides gelungen war, befand er sich in bester Stimmung. Beinsteller bemerkte es und wußte, daß ihm jetzt manches gestattet sei. Auch er wollte auf das Publikum Eindruck machen, namentlich auf die großen Autoritäten: Peter Butschina, Marcel Pirko und Ledvina, und Hub leise an, innig, als habe ihn innere Rührung übermannt. „Hoher Gerichtshof, vor Ihnen steht ein Dieb..." Wiederum hatte sich des Vorsitzenden der Teufel der Ettelkeit bemächtigt. Er lächelte, als sei er selbst von den Worten überrascht, die er jetzt aussprechen wollte, und sagte:„Nach Ihren neunundvierzig Strafen ist das eine erstaunliche Mitteilung" Das Publikum lächelte. Diesmal straflos. Beinsteller brachte diese Bemerkung nicht aus dem Konzept.„Ich sage nichts Neues, das ist richtig. Ich könnte sagen: Ein alter Dieb. Der Auswurf der menschlichen Gesellschaft. Neunundvierzig Sttafen für Diebstahl, das sind im ganzen sechs Jahre." „Sechs Jahre und drei Monate," berich- ttgte der Vorsitzende, nachdem er im Strafzettel nachgesehen hatte. „Aber jetzt frage ich: Hoher Gerichtshof, wieviel Schönes hätte dieser Dieb in den sechs Jahren und drei Monaten vollbringen können?" Der Vorsitzende, die Votanten, der Staatsanwalt und die Zuhörer rissen die Augen auf. Der Schriftführer rieb zweimal hintereinander an seiner Nase. Sogar der Aufseher Hala war erschrocken. Nur der Cherub Hojer kicherte vergnügt. „Sie haben etwas völlig Richtiges gesagt, Ferdinand Beinsteller l In diesen sechs Jahren hätten Sie viel Schönes vollbringen können— zumindest Ihre Nächsten nicht bestehlen." Falls der Vorsitzende der Meinung war, daß er mit dieser Erklärung Beinsteller des Vorteiles beraubte, den dieser mtt seinem überraschenden Ausspruch erworben hatte, so irrte er sich gewaltig; denn Beinsteller drehte seine Worte schnell zu eigenen Vorteil.„Na, sehen Sie, Herr Vizepräsident," brachte er mit solcher Betonung vor, daß nicht er, sondern die Gerechtigkeit die Schuld trug, wenn er sechs Jahre und drei Monate seines Lebens vergeudet hatte.„Aber Beinsteller," sagte der Vorsitzende vorwurfsvoll,„Sie wollen mich doch um Gottes willen nicht beschuldigen, daß ich es war, der Sie gezwungen hat, in den Jahren, da andere ein ehrliches Handwerk lernen, wie eine Elster zu stehlen?" „Wer weiß, Herr Vizepräsident, wer weiß?" erwiderte Beinsteller heimtückisch und steigerte da- Erstaunen des Vorsitzenden ins maßlose.„Ich will niemanden beleidigen, gnädiger Herr, beziehen Sie es nicht auf sich, aber unsereiner fühlt. daß viele Dinge anders ausgefallen wären, wenn damals, als ich zum erstenmal hierher gebracht wurde, an Ihrer Stelle nicht ein Mensch, sondern ein Engel gesessen wäre." Beinsteller schlug sich theattalisch an die Brust. Der Vorsitzende riß die Augen auf, so weit er konnte und so weit es seine PräsidenteMoürde gestattete. Es ist nicht bekannt, ob seine Verwunderung oder ob es Beinstellers Worte waren, die einen Sturm herzlichen Gelächters im Publttum hervorriefen. Man lachte und dieses Lachen rettete neuerlich den Vizepräsidenten Kvech. „Ich lasse, Donnerwetter, ich lasse...." DaS Lachen war verstummt.„Ich lasse den Saal räumen, wenn noch einmal so ein unpassendes Benehmen Platz greift. Wir sind hier nicht im Zirkus und müssen den Ernst bewahren, obwohl der Angeklagte naives Zeug spricht. In diesen Mauern ist Ernst geboten." Er holte sich neue Kraft aus seinen Worten und schrie Beinstellcr an:„Seien Sie froh, daß auf diesem Platz damals nur ein Mensch, ein Richter saß und kein Engel. Wär's ein Engel gewesen, er hätte seine Macht benützt, die größer ist als die eines Richters, und hätte gesagt:„Ich kann nichts Besseres, nichts Gerechteres tun, als diesen Scheinheiligen ein für allemal besettigenl Jawohl, so hätte ein Engel gehandett, dessen Hände nicht vom Gesetzbuch und von gewissen oft unangebrachten Huma- nttätsrücksichten gebunden sind. Der menschliche Richter brauchte Ihre neunundvierzig Strafen, um auszusprechen, was der Engel gleich wußte: Dieser Mann stiehlt, weil er ein notorischer Tunichtgut ist. Und jetzt ist Schluß mit den Frechheiten, Angeklagter. Sie werden jetzt sachlich reden oder ich werde Sie disziplinarisch bestrafen." Beinsteller war vernichtet. Er, ein notorischer Tunichtgut! War jemals eine größere Ungerechtigkeit ausgesprochen worden? Er, der sich ruhig, ehrlich, beinahe phllisterhaft mtt seinem Handwerk ernährt, er, der nie etwas angestellt hat» wofür er sich schämen müßte, wie Raub, Mord» Bettug! Er hatte sich nie eine unkavaliermäßig« Tat zuschulden kommen lassen, und jetzt, in Gegenwart deS Fräulein Sophiechen, nennt man ihn einen notorischen Tunichtgut? Er stand auf, schüttelte die Arme und begann zu jammern: „So etwas bekommt unsereiner bei all seinem Unglück vor ganz Prag zu hören! Neunundvierzigmal haben Sie mich verurteüt, nicht ein einziges Mal ist Ihnen eingefallen.mich menschlich zu fragen:„Um alles in der Wett, Ferdinand, warum hast du das getan?" „Wir haben Sie gefragt, lieber Freund", erwiderte boshaft der Vorsitzende.„Sie wissen sehr gut, daß wir Sie geftagt haben. Aber gut, wenn Sie wollen— frage ich Sie noch einmal..." Und mit parodistischer Eindringlich!«^ fragte er:„Ferdinand, warum tteiben Sie nur Lumpereien, da die Gesellschaft doch Anspruch auf Ihr besseres Ich hat?" „Lumpereien!" stöhnte Beinsteller,„darauf kann ich nur antworten, daß Stehlen keine Lumperei ist, sonst wären alle Menschen Lumpen. Ei» Kind, zum Beispiel, stiehtt, wo es kann, in der Schule, zu Hause, auf der Gaffe, und wächst dabei heran. ES entwickelt sich mtt Hilfe von Diebstahl; seine Kenntniffe, den Kren, den es ZU allem gibt, alles ist Diebstahl. Wenn es erwachst ist, guckt es auf alle Setten, um zu stehlen. Lernt es ein Handwerk, so ttachtet es, sich an den Kenntnissen des andern zu bereichern. WA d«c Mte, daß sein Junge Fabrikant wird, schickt er ihn nach Deutschland oder England:„Geh, Bub. stiehl was drüben beffer ist als bei uns, stiehl, so viel du kannst...!" Ist einer Erfinder, stillt er auch zuerst, waS ein andrer erdacht hat,«ub „verbessert" es nur. Die Bücher wachsen eines aus dem andern. Geht ein Mädel zum Theate^ guckt sie auch allen Schauspielerinnen ab, WaS M abgucken läßt. Wenn sie'S geschickt macht, sag! niemand: Lumperei. Jeder sagt; Ist daS eine Künstlerin!" Im Publikum kicherten einige Damen. D«e Journalisten amüsierten sich..(Fortsetzung folgt).
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15 (19.5.1935) 117
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