Nr. 134 GamStag, 8. Juni 193S Seit« 5 So sieht's in Spanien aus! Madrid . Aus Barcelona wird gemel­det, daß sich dort in der letzten Nacht wieder ein Feuerüberfall separatistischer und linksgerichteter Elemente ereignete, die von-Wei Kraftwagen aus einen in Fahrt befindlichen Straßenbahnlvagen beschaffen. Dabei wurde eine Frau getötet und der Wagenführer sowie eine weitere Person und ein Polizeibeamter lebensgefährlich verletzt. Dieser von katalanischen Separatisten verursachte üeberfall wird allgemein als Protest-Kundgebung gegen die Verurteilung der Mitglieder der katalanischen Regierung angesehen. Anno 1935.. Vesten» sechs Hinrichtungen in USA ! New Aork. Freitag fanden in den Vereinigten Staaten sechs Hinrichtungen statt. In Boston in Massachusetts wurden zwei Brüder, die Gangster Millen und ihr Komplize Faber, wegen Mordes an zwei Polizisten auf denr elektrischen Stuhl hingerichtet. In Kolumbia im Staate Süd- karolina endete der Neger Harriz wegen Vergewaltigungsversuches an einer 36jährigen Wejtzen auf dem elektrischen Stuhl. In George­ town im Staate Delaware wurden Frau Carey und ihr S o h n, die, um den Versicherungsbetrag ausbezahlt zu erhalten, den Bruder dieser Frau ermordeten, gehenkt. SOS Seattle. Der amerikanische 2000-Tonnen- Dampfer.Cordoba" mit 96 Reisenden und 8 0 M a n n Besatzung an Bord, sendet radio- telegraphische SOS-Rufe. Das Schiff hat einen Bruch der Schiffs schrauben welle erlitten. Es hat in der Duncan-Bai Anker gelvor- fen. Küstenwachtschiffe und Remorquere'sind zur Hilfeleistung ausgefahren. Die.Cordoba" fuhr mit Bestimmung nach Alaska und die Reisenden waren zum'größten Teile Heringspöckler. Es befinden sich unter ihnen zahlreiche Frauen. Pfingsttag»«- der Bölkerbundligen. Vom 9. bis 13. d. M., findet in B r L s s e l die 19, Vollversammlung des Wcltverbandes der Völker- bundgesellschaften statt. Die Deutsche Völkerbund­liga in der Tschechoslowakischen Republik wird durch ihren geschäftsführenden Vizepräsidenten Dr. Friedrich N e l b ö ck, Brünn , vertreten sein, der von Arch. Heinz Rutha , Bad KunnerÄwrf, begleitet wird. Die historische Wahrheit wird konfisziert. Die Witwe nach dem verstorbenen Feldmarschall Con­ rad von Hötzendorf , Gina, hat in einem Leipziger Verlag unter dem Titel.Mein Leben mit Conrad don Hötzendorf" ein Buch veröffentlicht, in wel­chem sie verschiedene Privatkorrespondenzen ver­öffentlichte und di« Politik der ehemaligen Kai­sers Karl sowie insbesondere der gewesenen Erzherzogs Friedrich und anderer füh­renden Persönlichkeiten der Kriegszeit kriti­sierte. Das österreichische Bundeskanzleramt hat die Verbreitung dieses Bucher in Oesterreich verboten. Das christlichsoziale Oesterreich hat seinerzeit dem Feldmarschall Conrad als dem.Re­präsentanten der alten Armee" ein prunkendes * Niemals Iom, nur echt in der blauen Packung. Seide wäscht sich kalt so gut... Alle die duftigen Seidenstoffe sind noch prak­tischer im Tragen, seit man sie im NEUEN LUX auch kalt wasdten kann. Schon in kaltem Wasser bildet sich üppiger Sdtaum. Wie leicht und bequem geht das Waschen Jetzt! Und vie vorteilhaft ist es für die empfindliche Seide, sie sofort durdtzu- Väschen, ehe der Schmutz darin haften bleibt. Das neue J Begräbnis bereitet und die Traditionshengste& la Vaugoin wurden nicht müde, den.großen Feld­herrn" Conrad zu feiern. Sobald aber der Heros aus dem Grabe spricht und die Wahrheit sagt, schreitet die Zensur ein. Dann ist das Ansehen der Habsburger doch wichtiger als alle vaterlän­dische Bewunderung für den großen General. So teilt Conrad noch im Tode das Schicksal so vieler ' Oesterreicher , die den.Dank vom Hause Oester- ! reich" zu spüren bekamen, das Schicksal seiner Berufsgenoflen Benedek, Tegetthoff , Auffenberg u. v. a. Ein Meerestmmel. Die japanische Regierung stimmte einem Plan des Eisenbahn« ! Ministers zu einem Meerestunnel zwischen Modschi ! und Schimonoseki zu bauen, und so eine Verbin­dung zwischen dem eigentlichen Japan und der Südinsel Kinschin zu schaffen. Die Kosten für den Bau, der im Jahre 1936 begonnen werden soll und sich über vier Jahre erstrecken wird, sind mit 18 Millionen Den veranschlagt. Tschitscherin darf nicht inS Ausland. Der frühere sowjetruffische Außenlommissär Tschitsche­rin, der leine politischen Aemter mehr bekleidet hat und nur offiziell zur Mitarbeit am Staats­parteiarchivFstpart" abkommandiert war, wurde jetzt auf eigenen Wunsch von dieser Stel­lung enthoben und wird demnächst zur Wie­derherstellung seiner Gesundheit eine Kur unter­nehmen. Tschitscherin, hat kürzlich um die Erlaub­nis gebeten, eine Kur im Ausland zu unter­nehmen. Die Sowjetregierung hat ihm diesen Wunsch abgeschlagen. Weil er ein Gewehr hatte... Gestern vor­mittags erschien eine dreigliedrige Gendarmerie- Patrouille in W i e n- Stammersdorf,!vo der ehemalige russisch « KriegSgefan­ge n e Demeter Dr« wrow wohnt. Er war an­gezeigt worden, ein G e weh r ohne Waf­fenpaß in Verwahrung zu haben. Als der Ruffe di« sich nähernden Gendarmen erblickte, er­öffnete er das Feuer gegen sie. Der erste Gendarm Josef S t ü p k a wurde tödlich, der z w e i t e Franz Meyerhofer, schwer verletzt, wor­auf der dritte Gendarm den Russen durch zwei Revolverschüsse erschoß. Internationales Mnsikftst in Karlsbad . Am 5. Juni haben Vertreter der Internationalen Gesell­schaft für zeitgenössische Musik und der Stadt Karls­ bad die definitwen Daten für das Internationale Musikfest vom 2. bis 7. September bestimmt. Ge­plant wird auch ein« Ausstellung von Viertelton­instrumenten und die Vorführung der ersten Gram­mophonplatten Mit Vierteltonmusik. Aus der Tsche­ choslowakei wirken-25 Virtuosen mit und das Karls­bader Orchester, dar Heuer sein hundertjähriges Ju­biläum feiert. Schönes Pfingstwetter? Die kühle Lust ist gegen Norden zurückgewichen. Im ganzen Binnenland ist schöner Wetter zur Vorherrschaft gelangt und nach der letzten kühlen Nacht ist nunmehr überall eine Er­wärmung im Gange. In den Niederungen der Re­ publik wurden Freitag nachmittags meist plus 21 bis 24 Grad Celsius verzeichnet. Bei südöstlichem Winde hat der Luftdruck bei uns zwar wieder zu finken begonnen,«S scheint jedoch, daß die ersten Randstörungen deS britischen Drucktiefs keinen er­hebliche« Einfluß mehr auf»vier Wetter erlangen werden. In Frankreich waren M weder von Regen noch von einer wesentlichen Abkühlung begleitet und der Luftdruck steigt dort wiederum. Trotzdem dürste däS Wetter in den böhmischen Länder» etwas un­sicher werden. Wahrscheinlicher Wetter von heute: In den böhmischen Ländern zeit­weise unsicher, wechselnd bewölkt, auftrischen- der Wind aus südöstlichen Richtungen. Sonst im allgemeinen schön, fortschreitende Erwär« mung. WetterauSsichtenfürPfingst- sonntag: Strichweise Gewitterneigung. Im Osten der Republik weitere Erwärmung. Als Greis im Konzentrationslaser Dm Schicksal des Genossen Brandes Im Oktober 1934 wurde in Berlin der frü­here Vorsitzende des Deutschen Metallarbeiterver­bandes, der größten deutschen Gewerkschaftsorga­nisation, der frühere sozialdemokratische ReichS- tagsabgepvdnete Alwin Brandes verhaftet. Die ersten Monate seiner Haft verbrachte er im P o l i z e i g e f ä n g n i s in Dresden , da man ihn bezichtigte, an illegaler Arbeit beteiligt zu sein, die von Dresden ausgegangen sein soll. Brandes konnte aber nichts Belastendes nachgewie» sen werden. Trotzdem wurde er nicht entlasten, son­dern Mitte April in daS Konzentrations­ lager Sachsenburg gebracht. Dort mutz er schwere körperliche Arbeit verrichten. Sein Ge­sundheitszustand hat unter dieser Behandlung schwer gelitten. Besuche werben grundsätzlich ab- gelehnt. Es dürfen ihm lediglich monatlich drei Mark übermittelt werden, von denen die Lager­verwaltung sogar noch zehn Prozent einbehält. Brandes wird am 12. Juni 69 Jahre alt. Er war vor der Verhaftung ein rüstiger Mann, den jetzt die Haft langsam zugrunde richtet. leuenms Im Saargebiet Saarbrücken.(AP.) Wir geben nachstehend eine Preiszusammenstellung» wobei wir«infach- heitöhalber die Preise vor der Rückgliederung von Francs bereits in Mark umgerechnet haben. Es zeigt sich auch hier, was die Saarländer ein­getauscht haben: Es kosten jetzt(in Klammern die Preise vor der Rückgliederung) Salat 6.28 Mark(6.05), Spargel 0,70(0,35), Aepsel 0.70(0.42), Schmalz 0.75(0.50), Butter 1.60 (1.40), Margarine 0.78(0.42), Mehl 0.35 (0.25), Zucker 0.34(0.30), Kartoffeln 0.45 (0.40), Rindfleisch 0.70(0.58), Schweine ­fleisch 0.96(0.90), Brot 0.40(0.40, aber früher bessere Qualität), Kaffee 2 Diack(1.70. T'urch Teilstreiks, z. B. bei Röchling in Völklingen , kam. es zu geringfügigen Lohnerhöhungen, die jedoch keine Kompensation für die Preissteigerungen darstellen. Röchling erklärte jedoch, wer jetzt noch Lohnforderungen stelle, werde fristlos entlassen. Verkauft Spanien 61« Balearen? Madrid.(AP) Nach einer unbestätigten Mel­dung will Spanien die Balearen-Inseln, die frü­her schon einmal England und später Frankreich gehört haben und sich seit 1803 in spanischem Be­sitz befinden, für 75 Millionen Dollar an Eng­land verkaufen, das dort eine U-Bootbasis errich­ten will. Die Meldung ist deshalb erstaunlich, weil die Inseln erst in letzter Zeit, insbesondere durch Ausbau des Hafens Mahon, mit großem Kosten­aufwand befestigt sind. Doch könnten die spanischen Finanzschwierigkeiten die Ursache darstellen. Für Frankreich wäre dieser Besitzwechsel kaum erträg­lich. Der Eilzug GlotzBreslau ist Freitag nach- miftags bei der Einfährt in den Bahnhof Wän- gern entgleist. 2 0 Personen wurden leicht verletzt» Der Materialschaden ist er­heblich. Gdrrard Mörike Eduard Mörikes*) überragender künstlerischer Genius ist erst erkannt worden, seine Poesie erst im großen Kreise inniger und inniger geliebt worden, als man es überschauen konnte und nach­fühlen mußte, wie sehr dieser eigenartige Geist di« vollkommenste harmonische Synthese der gan­zen Epoche seines einundsiebzigjährigen Lebens war, einer Zeit, die von der Romantik zum Realismus schritt. Mörike war ja nicht nur die letzte Rose des liederreichen Sommers der Ro­mantik, wobei man sich etwas nur Sentimentales vorstellen könnte, sondern zugleich ejne frühe Blüte realistischer Dichtkunst. Zugleich und nicht nacheinander, wie andere, die mit der Zeit gehen, wie etwa Goethe, der vom Sturm und Drang zum Klassizismus, vom Klassizismus zur Romantik schritt. Mörike , in dem noch die klasst- schen Form- und Stilelemente wunderbar frisch Und ganz und gar nicht epigonenhaft lebendig waren, in dem die reiche Phantasie, die Vers- freude und die Volksmätzigkeit der Ro­mantik sprühte und webte, hatte von jeher auch schon die Gabe der flaren, wenn auch etwas be­haglichen Wirklichkeitsschau ins Erleben unstilisierter Menschen, die, sei es bei Raabe, sei es bei Keller, als charakteristisches Merkmal des literarischen Realismus gilt. Alle drei Kultur« und Stilrichtungen sprechen ausjeder einzelnen von Mörikes Dichtungen. Kluge Beobachtung realer Welt äugt sogar aus dem sehr romantisch anmutenden Fabelreich»Orplid", dem Lande, das ihm seit seiner Jugend»ferne leuchtete" und Roman- t i k spukt allenthalben lieblich und lockend in der so unübertrefflich wahrschtiN- lich erdichteten, späten Novelle:»Mozart auf der Reis« nach Prag ". Klassische Gestal­tungskraft aber wohnt hier und dort mitten innen, erfüllt ebenso die köstliche, romantisch- realistische VerSsatire auf den deutschen nationali­stischen Spießer:»Das Märchen vom sicheren Mann", wie die auS Liebe, Leben und Wirtschaft schwäbischer Fischer gar n i ch t nationalistisch zu- *) Am 4. Juni jährte sich zum sechzigsten Male sein Todestag. sammengcwöbene, realistisch-romantisch«Idylle am Bodensee " und dazu jedwedes, seiner schlicht schönen, von Hugo Wolf vertonten Lieder und prachtvollen Gedichte. Die Abtrift von der Romantik zum Realis­mus, ein Prozeß in der Zeit, hat in Dkörikes menschlicher und schöpferischer Persönlichkeit einen wunderbar einheitlichen, zeitlosen Ausdruck gefunden. Dieses Dichters Erscheinung leuchtet wie der vollkommene Guß einer geheimnisvollen Legierung edler Metall«, deren Mischung kostbarer ist als jedes für sich, deren innige Durchdringung harmonischer wirkt als ihre Getrenntheit, deren schimmernder Vereinigung unveränderlicher Be­stand und unendliche Dauer zu eigen scheint. Für kaum einen anderen unter den großen Dichtern der älteren, freieren deutschen Li­teratur waren die Ereignisse und Schicksale des äußeren Lebens so belanglos zur innere» Ent­wicklung wie für Eduard Mörike . Kaum einer stand so dauernd, so sicher, ohne die reale Welt oder sich selbst oder sein warmes Herz zu verlieren, über den äußeren Abläufen wie Eduard Mörike . Daß er protestantischer Pfarrer von Clever-Sulz- bach, später Literqturprofessor an eine höheren Schule war, hat ihn ümerlich wohl kaum je irgendwie beeinflußt. Daß er lange hindurch krän­kelte, körperlich litt» unfähig war, einen Perus auszuüben, Dürftigkeit und Entbehrung, all das hat seine ruhige Heiterkeit kaum zu stören vermocht. Das unglückliche Liebesverhältnis, der schmerzhafte Bruch mit Luise Rau, das Zerwürf­nis mit seiner Frau, Grete Speth, das erst auf des Dichters Totenbett mild versöhnt wurde, hat ihn, der innig zu lieben und bftter zu büßen ver­stand, in seiner ausgeglichenen Künstlerschaft we­der erschüttert noch gesteigert. Mörike lckte sein ganzes Leben in höheren Regionen I Diese abgegriffene und etwas verschwom­mene Wendung, die man von geistigen oder auch zerfahrenen Menschen oft gern ironisch ge­braucht, hat bei dem Dichter Eduard Mörike einen ganz einzigartig bestimmten, konkreten, ern­sten und hohen Sinn: Eduard Mörike lebte in Orplid! Als Knabe schon war ex dorthin auSge- wandert. DaS Land Orplid hieß ursprünglichVa­ duz " wie die Hauptstadt von Liechtenstein und war eine Tonne im Hof hinter deS Vaters Haus in Ludwigsburg . Dieses Knabenmärchenreich tmirde später mit dem frei ersonnenen Märchen­namenOrplid" bezeichnet und hat für Mörike nie mehr aufgehört zu existieren. Dieses Land bekam in den Wäldern um Tü­ bingen eine Art realer Geographie damals, als Eduard Mörike , der Tübinger Theologiestudent, mit seinen Freunden diesem Traumland auf nächtlichen Wanderungen auch seine Verfassung, seine Geschichte und Mythologie ersann und es unterWeylas" Schutz stellte. Run unterscheidet sich diese poetische Fiktion Orplids nicht nur durch ihren ins einzelne gehenden Aufbau und ihre Zeitbeständigkeit von anderen blas­sen oder bunten, sentimentalen oder tollen Phan­tastereien und Spielereien der jüngeren Roman­tik, sondern auch durch ihr Wesen. Während näm­lich die Romantiker ihre Traumländer in die Ver­gangenheit, in ein verklärtes Mittelalter hinein­setzten, ist Mörikes Orplid ein Traumland der Zukunft, seine graue Vorvergangenheit liegt, genau genommen, in Mörikes Gegenwart. Freilich muten die in des Dich­ters eigentlichem Lebenswerk, dem künstlichen Künstlerroman»Maler Nölten", enthaltenen Reste der Orplid-Fiktion urtümlich und mystisch an. Aber wer tiefer blickt und dem Grundproblem der ganzen Erdichtung nachspürt, wird leichtlich erkennen, daß das Volk des letzten Königs von Orplid eine durch mißbrauchte Zivili­sation ethisch herab gekommene Mensch­heft bedeutet» die in eine glücklichere,»routine"- freie, ethische Welt gerettet werden sollte. So liegt der Orpid-Phantasie eine den damals be­merkbar und gegenwärtig sehr augen­scheinlich werdenden realen Entwicklungsvor- gängen abgewonnene, ganz moderne Fragestel­lung zugrunde, nämlich die Frage nach dem Wert oder Unwert, dem Ziel und Ende der e i n g«- schlagenen, ZivilisationSivegeS und nach dessen Verhältnis zur Wohlfahrt der Menschen. Und diese detailfreudig ersonnene Fiktion hat Eduard Mörike durch alle Stationen seines Lebens und seiner Berufe von Ludwigsburg nach Urach , von Tübingen nach Klever-Sulzbach, von Schwäbisch-Hall und Mergentheim nach Stutt ­gart mitgetragcn, im Herze» getragen. Was immer er wirklich erlebte, erhob er nach Orplid, sah er wirflich nur in Orplid. Nicht wie in einem Traum, sondern wie in einem Var funkelnden Fata Morgan«, dasfern leuchtend" auch ein Trugbild ist, das sehr reale Ursachen hat, als Abbild einer über dem natürlichen Hori­zontgehobenen" Welt. Daher die wundervolle Ausgeglichenheit der Schöpfungen dieses Dichters, daher die innige Mischung aus Romantik und Realismus, dir sich menschlich so liebenswürdig eröffnet im Mergcn- theimer Haushaltungsbüchlein, wo neben und zwi­schen den so kleinen dürren Zahle» der täg­lichen Ausgaben und, ach, so seltenen Einnahmen das innere Erleben in schalkhaften und ern­sten Ausrufen, Sätzen, Berslein und vielen vielen drolligen Zeichnungen niedergelegt ist. Jene innige Mischung von Romantik und Realismus, die sich dichterisch am herrlichsten offenbart in der wundersam wunderbaren Rah­menerzählung vom»Stuttgarter Hutzelmänn­chen", der volkstümlichstenMär» chendichtungder deutschsprachigen Lite­ratur, die auf 150 Sellen dreihundert Jahre lang spielt, in der ein springleben­diger Schustergeselle der Liebling der Märchen­märkte ist, in der das Handwerk seinen- monismus hat, in der ein Stiefelknecht geistert und die Erlösung der schönen Lau, einer lieblichen Nixe von wahrem Fleisch und Blut, in den lustigsten und anmutigsten Zusammenhang mit einem Kindernachttöpfchen gebracht wird. Wirvichkeit und Wahrheit, Leben und Dich­ten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren für Eduard Mörike Eins in Orplid. In der steten Anschau dieses geistvollen GeisterrricheS seiner Schöpfung mochte des Dichters sonst durch­aus nicht weltabgewandter Blick wohl einmal in der Verwirrung männischer Gefühle eine mensch­lich kaum vollkommene LandfahrerinPercgrina" (die FremdeI) zum liebwertesten Weib erhoben hecken; in der Anschau von Orplid hat er aber auch die Besten seiner Zeit als Freunde um sich vereinigt; neben Storm und Kerner Friedrich Bischer, Friedrich Strauß und den Maler Moritz v. Sch w i n dl Martin Julius.