Nr. 144 Freitag, 21. Zuni 1935 15. Jahrgang Ehntiml* 70 Heller (einichlitSlich 5 Heller Porto) IE NT PALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH, Redaktion und Verwaltung präg xii.» fochova«2. telefon SW77. HERAUSGEBER. SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR . WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR. DR. EMIL STRAUSS, PRAG . Der Parteitag eröffnet Konstituierung und Begrüßungsreden/ Freitag früh das politische Referat Dr. Czechs Brünn. Unser Parteitag wurde Donnerstag abends im Dopzsaal er­öffnet. Die traditionelle» Dekorationen des Saales, die wir von»nseren Kongressen gewohnt sind die Marxbüste und die roten Fahnen sind dies­mal wirkungsvoll lokal und aktuell ergänzt. Zu Seiten der Marxbüste tragen Orei rote Fahnen die proletarischen MürthrernamenMatteotti, Georg Meissel, Wallisch, Johann Stellig, Sachrandik, Ja«res. Hinter der Bühne ist die rote Fahne aufgestellt, die die sozialistische Arbei- terinternationale im Zahre 1924 der österreichischen Arbeiterschaft gewid­met hat. Ferner rage« auf der Tribüne die Fahnen der Brünner Bezirks­organisation und die aste Brünner Parteifahne, die älteste Fahne der Par­tei überhaupt. Samstag ist der letzte Tag an dem sich jeder Wähler sein Wahl­recht sichern kann. Wer es bisher ver­säumt hat, in das Wählerverzeichnis Einsicht zu nehmen, tue es noch bis spä­testens Samstag abends. Wer es bis zu diesem Termin unterläßt, sich zu über­zeugen, ob er im Wählerverzeichnis eingetragen ist, der begibt sich des Rechtes, bei den nächsten Wahlen seine Stimme zur Geltung zu bringe«! Ueberraschender Rücktritt des Jugoslawischen Kabinetts Belgrad . In der Abendsitzung des Ministerrates wurde über die durch die Wahl des Unterrichtsministers Eirit zum Präsidenten der Ekupschtina erforderliche Rekonstruktion der Re­gierung beraten. Der Finanzminister Dr. S t o- jadinovik und dir Minister Brbanii» Auer und Kosulj vertraten den Standpunkt, daß dem Parlamentarischen Brauch entsprechend nach voll­zogener Wahl des neuen Skupschtina-Präsidiums das gesamte Kabinett die Demission zu unter­breiten hätte. Die Regierung beschloß hierauf» durch Unter­breitung der Demission der Krone die Möglichkeit der Konsultation führender Politiker mit Rück­sicht auf die neue politische Lage zu bieten. DaS Kabinett Jcvtic wurde beauftragt, die StaatS- geschäste bis zur Ernennung der neuen Regierung «eiterzuführen. SchacMs letzte Rettungsversuche Berlin . In einem streng vertrau­lichen Schreiben sind viele deutsche Firmen mit einem Umsatz von mehr als 20.000 Mark von ihren zuständigen Wirtschaftsorganisationen auf­gefordert worden, gemäß einer Borfügung des Rrichswirtschaftsministers Dr. Schacht in eine Art E r p o r t k a s s« für die deutsche Indu­strie eine Summe einzuzahlen» die 2 bis 15 Pro­zent des Umsatzes der betreffenden Firmen aus­macht. Es handelt sich um eine Art Dumping­kasse, die ans diese Weise gebildet werden soll. Bei großen Firmen soll ein Pauschalbetrag ein­gehoben werden. Das vertrauliche Schreiben erkennt an, daß eS sich um schwer« Opfer handelt» aber die gebieterische Notwendigkeit, sich mit Rohstoffen z« versorgen, erforderte im Interesse der deutschen Wirtschaft dieses Opfer. Radikale Steuerpiäne Roosevelts Gegen die grollen Vermögen Washington. Präsident Roosevelt hat sich mit einer Sonderbotschaft an den Kongreß ge­wendet und eine allgemeine Erhöhnng der Sten­ern, der Personaleinkommensteuer, ftrner der Er­höhung der Erbschaftssteuern für den Fall großer Erbschaften und die Einführung einer Geschenk­steuer unter Lebenden sowie schließlich die Er- höhung der Steuer von Einkünften der Korpora­tionen gefordert. Roosevelt erklärt» daß es notwendig sei, die unverhältnismäßig großen Personaleinkommrn mit Steuern zu treffen» um den ungünstigen Ein­fluß zu verhindern» den große Erbschaften auf das Bolkswirtschastsleben haben. Gewinne der Linksparteien bei den holländischen Gemeindewahlen Amsterdam . Den ersten Ergebnissen der Ge­meindewahlen zufolge weisen die Sozialisten und Kommunisten Gewinne auf, während die liberale Partei und die demokratische Partei Verluste zu verzeichnen haben. Die katholische Partei hat ihren Besitzstand aufrechterhalten. Die National­sozialisten beteiligten sich nicht an den Gemeinde- lvahlen. Im Großteil der holländischen Städte werden die Wahlen jedoch erst in der kommenden Woche durchgeführt werden, Mehr als 400 Delegierte Schon gegen sechs Uhr abends begann sich der Saal und die Galerie zu füllen. In allem er­weist sich dieser hochbedeutsame Kongreß als einer der stattlichsten in der Geschichte der Partei. Schön die Anzahl der Delegierten cs sind ihrer mehr als vierhundert beweist die ungeheure Anteil­nahme der Parteimitgliedschaft und der Organi­sationen. Auftakt Kurz nach sieben Uhr- der Saal ist bis auf das letzte Plätzchen gefüllt, di« Galerien dicht be­setzt ertönen als imposanter Auftakt zu der Tagung Fanfarenklänge. Dann bringen die Brün-! ner Arbeitersänger das ergreifende Kampflied .Empor zum Licht" zum Vortrag. Unter Musikkkängen marschieren von rauschendem Bei­fall begrüßt, Augendliche und Rote Falken in Kolonnen in den Saal ein. Ihr Sprechchor, der angrifsslustige Kampfbegeisterung atmet» findet jubelnden Beifall. Er schließt mit dem Rufe: Freiheit! in den der ganze Saal einstimmt. Eröffnung Der Vorsitzende-Stellvertreter der Partei, Ge­nosse de Witte, eröffnet nun von der Tribüne im Namen des Parteivorstandes den Parteitag. Unter wiederholtem Beifall begrüßt er den Vertreter der Sozialistischen Arbeiter- Internationale, Van Noosbroek-Brüssel, den Vertreter der tschechi­schen Bruderpartei, Genossen Dr. Soukup, den Vertreter der ungarischen Partei, Genossen Bchinger, dcg Vertreter der SOPAD. Genossen Wels, die Vertreter der Alös, Genossen Bauer und Deutsch und den Vertreter der Poale Zion . Genosse de Witte führte aus, daß die Jahre der Not und des Ringens Schatten auf den Wahlkampf geworfen haben, den wir vor kurzem erst bestanden haben. Der Haß und die Verleumdung der sudeten­ deutschen Kapitalistenklasse hat es zustande gebracht, uns in diesem Wahlkampf um ein Stück zurückzu­werfen. Es ist aber nicht gelungen, die Kader unserer Partei, die ungebrochen und kampfentschlossen, wie eh und je, geschloffen dastehen, zu erschüttern.(Stürmi­scher Beifall.) Sodann spricht Genosse de Witte Worte des Gedenkens für die Toten, die die sozialistische Be­wegung in den letzten Jahren zu beklagen hat. Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzen, als Ge­nosse de Witte die Namen der verstorbenen Kampf­genossen Eduard Bernstein , Albert Thomas , Pölzl, Szende, Hanrich, Emma Adler, Ernst Garami, Hein­rich Jekl, Richter, Jarolim, Pohl, Beutel, Jatmer. Dr. Klein, Joll, Pretsch, Blatschek und die Namen der tschechischen Genoffen Veleminsky und Fleisch­mann nennt. Schließlich gedenkt Genosse de Witte unter großer Bewegung aller Teilnehmer der Kon­ferenz der vom Fascismus in Deutschland , Oester­reich und Spanien ermordeten Genoffen. Genosse de Witte kommt dann auf die früheren, bedeutsamen Parteitägungen in Brünn , auf dem Parteitag des Jahres 1898 und die Reichskonferenz des Jahres 1917 zu sprechen und nennt als vor­nehmste Aufgabe dieses Parteitages die Aufgabe zu prüfen, was von uns aus geschehen kann, um die Not und das Elend zu lindern und gegen die dro­hende Konterrevolution Freiheit und Demokratie aufrecht zu erhalten. In diesem Sinne erklärte Genosse de Witte, eröffne ich den Parteitag mit dem heißen Wunsch im Herzen, daß die Tage von Brünn , große Tage der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und des inter­nationalen Sozialismus sein mögen und daß wir von hier einig und geschloffen an unsere großen Auf­gaben Herangehen können.(Stürmischer Beifall.) Konstituierung Genosse de Witte erteilt nun dem Genossen Taub das Wort, der für die Wahlen ins Prä­sidium des Parteitages vorschlägt: Als Vorsitzende C z e ch, de W i t t e, P i pal, Kögler, Wan- k a und Genossin K a h a y, als Schriftführer Brotkorb, Kledroba und Patsch . Das Präsidium wird in der vorgeschlagenen Form ein­stimmig gewählt. Ole Tagesordnung Ebenfalls einstimmig wurde auf Vorschlag des Genossen Taub die Tagesordnung ange­nommen: 1. Unser Kampf und unsere nächsten Aufgaben. 2. Bericht der Programmkommission. 3. Wahlen. 4. Berichte. 5. Eventuelles. Mit Parteitagsbeschluß wurde ferner die Abänderung der alten Geschäftsordnung dahin beschlossen, daß bei Punkt 1 der Tagesordnung jedem Debattenredner 20 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen und daß sich jeder zweimal zum Worte melden könne. Mandatsprüfungs- und Wahlkommission Der Parteitag beschloß ferner in die Mandats­prüfungs- und Wahlkommiffion zu entsenden: Für den Parteivorstand Kögler, Paul und Taub, für das Frauenreichskömitee K i r p a l und S ch ä f e r, als Vertreter der Kreise: Grünz- ner, Keßler, Sattler, Novy, Reichl, Pichel, Schmidt Viktor, Wellan, Nitsch, Müller Alois, Hübner, Hladik, Maiwald, Kutscher, Markus. Antrasspriifunsskommlsslon Die Antragsprüfungskommission wurde auf Beschluß des Parteitages folgendermaßen zusam­mengesetzt: Heller, Katz, Taub für den Parteivorstand, B l a t n y und Schäfer für das Frauenreichskomitee. Für hie Kreise: Reyzl, Reitzner, Wondrak, Horn, Lorenz-Teplitz, Zettl, Mottl, Rotter, Treml, Herbig, Schönfelder, Hawel, Dr. Mühlberger, Haas Wilhelm, Vierer. Genosse Taub teilte weiter mit, daß einige der ausgeschlossenen Parteimitglieder Beschwerde an den Parteitag eingebracht haben. Zur Prüfung dieser Fälle schlägt er die Einsetzung einer Kommission vor, was auch beschlossen wird. GruB an Masaryk Nachdem inzwischen die in das Präsidium gewählten Genossen ihre Plätze eingenommen haben, teilt Vorsitzender de Witte mit, daß an Herrn Präsidenten Masaryk folgendes Telegramm zur Absendung gebracht werde: Der Parteitag der deutschen sozialdemo­kratischen Arbeiterpartei, im Kampfe um De­mokratie, Frieden und Freiheit in ernster Beratung versammelt, entbietet dem Präsi ­denten der Republik als dem treuesten Garan­ten dieser Güter, seine Grüße." Bei diesen Worten des Vorsitzenden erhoben sich alle Versammelten von den Sitzen und gaben durch minutenlangem, stürmischem Beifall ihre Zustimmung zum Ausdruck. Die Begrüßungen Als erster unter den Begrüßungsrednern er­griff der Abgesandte der Arbeiterinternationale, Genosse Roosbrock das Wort, dessen französische Rede dann ins Deutsche übertragen wurde. Er führte u. a. aus: Ihr, Genossen, erlebt jetzt außerordentlich schwere Augenblicke. Jeder, der in schwerer Lage ist, will sich inmitten seiner treuen Freunde wissen. Diese Aufgabe, euch die Solidarität eurer Freunds und Gesinnungsgenossen in aller Welt zu verge­wissern, hat das Büro der Internationale mir über­tragen. Ihr habt' gewiß noch nie an der Freund­schaft gezweifelt, die die internationale Arbeiter- klaff« euch entgegenbringt. Ich hin hier, um euch zu versichern, daß ihr mit der Solidarität der Arbeiter der ganzen Welt rechnen könnt. Schon aus der Tat­sache, daß ihr so kurz nach der Wahl zu diesem Kon­greß vereinigt seid, geht hervor, daß eure Kampf­kraft ungebrocheu, euerer Kampfeswille unbe­siegt ist. Zwei Faktoren vor allem beherrschen für euch die politische Situation: die Zusammen­arbeit mit den tschechischen Ge­nossen und die Verteidigung der Demokratie. Ich erinnere mich noch sehr gut, mit welcher Befriedigung im Jahre 1928 von der Arbeiterinternationale die Nachricht von euerer Zusammenarbeit mit den tschechischen Genoffen aus­genommen wurde. Nach dem Rückschlag, den ihr bei der letzten Wahl erlitten habet, muß der Kampf wieder fortgesetzt werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang des Dähl- kampfeS an der Saar gedenken. Di« große Mehrheit hat sich dort für die Rückkehr zu Deutschland auch zu Hitlerdeutschland ausge­sprochen. Aber diese Mehrheit ist seither stark zusgm- mengeschmolzen. Die Bevölkerung des Saargebietes spürt heute schon, was die Rückkehr zum Dritten Reich bedeutet. Die Arbeitslosenunterstützung wurde bereits seither stark gekürzt, zahllose junge Arbeits­lose wurden gegen ihren Willen nach allen Ecken und Enden des Deutschen Reichs abtransportiert. Noch größer ist die Enttäuschung in D a n z i g, wo der Nationalsozialismus im Begriffe ist, die sozialen Zustände zu verschlechtern und obendrein noch die nationalen. Ideen zu verraten. Eine der schwersten Gefahren, die aus dem Wahlergebnis entstanden sind, besteht in der Schwä- chung der deutschen Arbeiterklasse der Tschechoslowa- schen Republik. Deutsche Stimmen, die für Henlein abgegeben wurden, sind für die Sache der deutschen Arbeiterschaft in der Tschechoslowakischen Republik verloren gegangen. Diese Gefahr würde sich noch vergrößern, wenn der Kampf gegen den deutschen Na­tionalsozialismus in der Republik sich^verfälschen würde in einen Kampf gegen die deutsche Arbeiter­klasse im allgemeinen. Der Kampf gegen den deut­ schen Nationalsozialismus darf nicht verwechselt wer­den mit einem Kampfe gegen das deutsche Volk, wel­ches, befreit von dem fascistischen Joch, seinen Platz unter den großen Nationen wieder einnehmen wird. Nachdem Oesterreich in die Hand des Kleriko- fascismus gefallen ist» seid Ihr jetzt die letzte Festung der deutschen Frei­heit. Das bedeutet für Euch eine Ehrung, aber auch eine Verpflichtung. Ihr müßt nun im Einvernehmen mit«nseren Freunden, der tschechischen Sozialdemokratie, in diesem freien Winkel der Welt, wo di« Idee der Demokratie, des Sozialismus und der Freiheit noch in der Sprache Goethes und Kants ausgesprochen werde» kann, den Naziter­ror nie derkämpfe». Wen« es Euch ge­lingt, die Freiheit in der Tschechoslowakei zu erhal­ten, wenn Ihr den Gedanken der Diktatur unter der sudetendeutschen Bevölkerung niederringen werdet, dann werdet Ihr der Arbeiterklasse und der Mensch­heit einen ungeheueren geschicht­lichen Dien st erwiesen haben. Wir wissen, daß dieser Kampf ungeheuer schwer ist, aber der Ruhm, der Euch erwartet, wird nm so größer sein. Die Internationale weiß, daß sie ans die dentsche Sektion der Tschechoslowakei rechnen kann. Genoffen» aus zum Kampf für Frieden und Sozialismus, dir