Seite 1 Freitag, 21. Juni 1935 Nr. 144 Arbeiterklasse der Welt ist mit Euch!(Großer Bei­fall-) Von stürmischem lang anhaltenden Beifall begkützt, ergriff nun Senaispräsldent Dr. Soukup das Wort. In tschechischer Sprache sagte er: Er­lauben Sie mir, daß ich im Namen des Vollzugs- auSschusses der tschechischen Sozialdemokratie Sie herzlich begrüße. Dann fuhr Soukup in deutscher Sprache fort: Es wurde mir der Auftrag erteilt, den Kon­greß unserer deutschen Bruderpartei im Namen des Vorstandes der Exekutive und der beiden parlamenta­rischen Klubs der tschechischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei herzlichst zu begrüßen. Ihr Parteitag ist ein großes politisches Ereignis und Ihre Ver­handlungen werden überall mit dem gespanntesten Interesse verfolgt. Wir tschechoslowakischen Sozialde­mokraten sind Ihre nächsten Mitarbeiter. In den Worten unseres Grußes sind auch Worte Unse­res innig st en Dankes enthalten. Seit dem Jqßre 1928 kämpfen wir Brust an Brust, Schul­ter an Schulter, wir haben uns gefunden, wir blei­be« geschloffen» gleichgültig ob in guten oder schlech­te« Zeile«!(Stürmischer Beifall.) Es lväre zu wenig gesagt, wollte man den Zustand als eine Freundschaft charakterisieren, denn es ist mehr, es ist innig st e Brüderlichkeit. Unsere Freundschaft ist«ine unbedingte Vor­aussetzung zur Erfüllung der Mission der Ar­beiterbewegung unseres Staates. Für uns war die Republik schon vor 80 Jahren ein Jugendtraum. Die Republik ist auch unser Werk, wir haben sie mitbegründet, wir fühle« die Verpflichtung, in dieser Republik mitzuentscheiden. Wir können dir demokratische Republik unmöglich dem Fasrismus und der Diktatur ausliefern.(Lebhafte Zustim­mung.) Wir sind unS deffen bewußt, daß wir in einer weltumwälzenden Epoche leben, in einer Epoche des Entscheidungskampfes zwischen Sozialismus und Ka­ pitalismus . Es geht um die Sicherung und die Ver­teidigung der ganzen Grundlage unseres Endzieles. Es geht um die Republik , die Freiheit, um die De­mokratie. Wir haben eine eiserne Barriere gegen den FasciSmuS aufgerichtet. Wir sind Ihnen ungemein dankbar, daß wir zu einer gemeinsamen Auffaffung gekommen sind. Die Wahlen waren ein Kampf um die Demokratie: die Republik und ihre demokratischen Einrichtungen sind fest und gänz erhalten geblieben. Der sogenannte Tieg Henlein - ist nichts an­dere- als ei« Reflex der unterirdischen Machtmittel der Hitler-Bewegung im Dritte« Reiche. Henlein wird aber bei uns keine Konzentrationslager er­richten können! Unsere demokratische Republik per- fügt über genügend Abwehrmittel, um daS unmög­lich zu mache«. Wir sprechen der deutschen Sozial­demokratie unsere grenzenlose Bennmderung für den heroischen Kampf, den sie in dieser schweren Situa­tion geführt hat, aus. Nach den Wahlen bleibt unser Koalitionsregime fest aufrecht. Dr. Ludwig Cz e ch hat das Gesund­heitsministerium übernommen, die Genossen Taub Und Heller bleibt« in den Präsidien'der Natio­nalversammlung. Ich möchte mich jetzt mit einigen Worten an den Mann wenden, der an der Spitze Ihrer Partei steht. Dr. Ludwig Czech hat unserer Arbeiterbewegung alles gegeben, was ein Mensch ihr geben kann(stürmischer Beifall), sein ganzes großes Talent, sein Herz, seine Gesundheit, seine Arbeits­kraft. In der Republik hat er die schwersten Sorgen der arbeitenden Menschen auf seine Schultern genom­men. Er war der unermüdliche Fahnerträger der ar­beitenden Massen und die deutsche Sozialdemokratie ist nicht geschlagen worden, nur eine Atempause ist eingetreten und der Kampf geht stolz weiter. Ich danke Dir, wandte sich Genoffe Soukup an Genoffe« Dr. Czech, namens der gan­zen tschechischen Sozialdemokratie für alles, was Tu für daS arbeitende Bolk getan hast, und spreche den heißen Wunsch aus, daß Tu uns noch lange Jahre erhalten bleiben und noch BieleS zum Wohl der Arbeiterschaft schaffen mögest. Die rote Fahne hoch, es lebe die deutsche Sozialdemokratie, es lebe die Sozialistisch« Internationale! Im Namen der Kreis- und Bezirksorgani- sation Brünn begrüßte sodann Genösse Pipal die Delegierten. Er führte u. ä. aus: Wenn ich Sie willkommen beißt, so ist dies der Ausdruck unserer Verehrung für Sie, weil Sie in der schwierigsten Zeit gekommen sind, um die Jntereffen de§ Proletariats zu wahren. Sie weilen in einer Stadt, in der die Klassengegensätze besonders'stark hervortketen. auf der einen Seite Ueberfluß. auf der anderen Not, Elend und Arbeitslosigkeit. Schon vor vielen Jahrzehnten bildete die Brünner Arbeiterschaft Im Kleinen Saale des Dopz-Hauses in Brünn begann Donnerstag vormittags di« Reichs­konferenz der Frauen. Der Beratungssaal trug das übliche Festgewand, an der Stirnwand war auf rotem Untergründe das Bildnis Karl Marx ' angebracht. Kurz nach 9 Uhr begann die Tagung mit einem Frriheitsliede, das der Chor des Brün­ner Arbctter-Bildungsvereines prächtig vortrug. Hierauf begrüßte Genossin Mizzi Kahay- Brünn im Namen des Fraucnreichskomitees die Tagung und überbrachte die herzlichsten Grüße der Brünner Frauenorganisation. Sie betonte, daß sich die Brünner Parteigenos­sen und Parteigenossinnen besonders darüber freuen, daß der Parteitag und die Frauenreichskonferenz in Brünn stattfinden, und wünschte den beiden Tagun­gen der Arbeiterschaft besten Erfolg. Sie wies auch darauf hin. daß dies der erste Parteitag nach dem Umsturz sei, der in Brünn stattfinde. Bei dieser Gelegenheit kam Genossin Kahay auf die Bedeutung Brünn - für die Arbeiterbewegung zu sprechen und gab einen kurzen Abriß der Entwicklung der sozial­demokratischen Bewegung in dieser Stadt. Hierauf wandte sich die Rednerin unseren jetzigen Aufgaben zu und charakterisierte die Bedeutung dieses Kon­greffes, der die Aufgabe hab«, die wahre Entwick­lung und politische Linie unserer Frauenbewegung vorzubereiten. All denen, die sich für die Idee des Sozialismus aufgeopfert haben, die in den Kerkern des FasciSmus oder im Elend leben, gilt der herz­liche Gruß der hier versammelten Frauen. (Stür­mischer Beifall.) Nach der Begrüßungsansprache erfolgte die Wahl des Präsidiums, in das als Vorsitzende ein­stimmig Genossin Kahay gewählt wurde. Fer­ner wurden Genossin K ir pal-Aussjg, Genossin W a ltchr-Eger und Genossin B las ch b e-Wig- stadtl gewählt, Genossin Kahay gedachte nun in warmen Wor­ten jener Frauen, die als Opfer des FascismuZ und der Gewaltherrschaft, aber auch der anderen, die von uns gegangen sind, der Genossin Toni Pfühls, Anna S e v e r, Mathilde Wurm , Dora Fabian und schließlich der Sekretärin der englischen Arbei­terfrauen, Marion Phillips. Die Anwesenden erhoben sich von ihren Sitzen. Hierauf wurde eine Reihe von B e g r ü- ßungskundgebungen verlesen, darunter die der Genossin Anna Perthen und der Genossin Paula Wallisch . Für die tschechische Frauen­organisation waren als Gäste die Genossinnen Ko­la r o v ä, Pistelakovä und Rotalovä, in eine hervorragende Kampfgruppe für den Sozialis­mus. Wir haben wiederholt in unserer Stadt den Beweis erbracht, daß unser Proletariat kampffähig ist. Wir haben in den Wahlen zwar eine Schlappe erlitten, aber ich bin überzeugt davon, daß wir diese Schlappe wieder gutmachen werden. Wir müssen in Zukunft darauf bedacht sein, auch unsere Frauen sozialistisch zu schulen, da unsere Frauen die Er­ziehung der Kinder besorgen muffen. Wir bitten Sie daher, immer darauf bedacht zu sein, daß unseren Frauenorganisationen die größte Aufmerksamkeit zu­gewandt wird. Kopf hoch, an die Arbeit, um unsere Organisationen zu stärken, und wir werden den Be­weis erbringen, daß viele Tyusende wieder in unsere Reihen zurückfinden werden. Nochmals herzlichen Dank für Ihr Kommen! I Vertretung des Parteivorstandes die Genoffen Dr. Heller und Hofbauer, für di« Bildungszen­trale Genoffe Paul, für die Brünner Kreisorgani­sation Genoffe Pipal und für die Kinderfreunde die Genossen Dr. Schweitzer, Hocke und Schä­fer erschienen. Im Namen der tschechischen Frauen begrüßte Genossin Rotalovä in tschechischer und Genossin PiS- telakovä in deutscher Sprache die Konferenz, für den Parteivorstand übermittelte Genoffe Dr. Heller, für di« Kinderfreunde Genoss« Schweitzer Grüße und Glückwünsche. Hierauf wurde die Wahl in die MandatsprüfungSkormniffion vorgenommen, der die Genossinnen Martha Edelmann, Binderberger und Zischka angehören. Vie politischen Probleme dec Frauen In unserer Zelt Nun erteilte die Vorsitzende der Genossin Blatny das Wort, die, von stürmischem Beifall begrüßt, sich in einem aufschlußreichen Referat mit den politischen Problemen der Frauen in unserer Zeit befaßte. Der Kapitalismus, der von Tag zu Tag deut­licher versagt, hat di« Welt in eine unentwirrbare Krise, unter der wir alle auf das furchtbarste zu leiden haben, gestürzt, aber dieser Kapitalismus, der seine Rolle ausgespielt hat und dennoch nicht sterben will, kann sich nur noch mtt künstlichen und gewalt­samen Mitteln vor seinem offenen Zusammenbruch für einige Zeit schützen. Nur durch die gewaltsame Niederwerfung der Arbeiterklasse, durch die Zerstö­rung ihrer Gewerkschaften und ihrer Partei kann er sich noch im Sattel halten und sein Profitintereffe für einige Zeit hemmungslos sichern. In diesem Zusanunenhang kam Genossin Blatny -auch aus das D r i t t« Reich zu sprechen und zeigte auf,. tote dort oie Frau unter der Herrschäfr^c? FasciSmus entrechtet, entwürdigt, ihrer Persönlich­kett beraubt und erniedrigt wird. DaS ist daS Frauenparadies, das auch Konrad Henlein den su­ detendeutschen Frauen zu empfehlen wagt! Leider muß gesagt werden, daß viele der sudetendeutscheo Frauen auf diese empörende Zumutung mit Würde­losigkeit reagiert haben. Wenn aber manche dieses Wahlergebnis dazu benutzen wollen, um wieder ein­mal mit reaktionären Schlagworten gegen«das Frauenwahlrecht Sturm zu laufen, dann müssen diese Leute daran erinnert werden, daß die Männer in den sudetendeutschen Gebieten den fascistischeo Vernebelungsversuchen kaum minder unterlegen sind als die Frauen. Genossin Matny befaßte sich weiter mit der I Frage, welcher Weg einzuschlagen wäre, um den Genoffe de Witte teilte hierauf mtt, daß eine Reihe von Begrüßungsschreiben ein­gelangt ist, darunter das der englischen Arbeiter­partei, von Friedrich Adler , von der Paole Zion , von der polnischen und schwedischen sozialdemokratischen Partei, von der sozialistischen Arbeiterpartei Hollands , von den proletarischen Freidenkern, von dem kranken Genossen Palme und von der> Genossin Paula Wallis ch. Das Präsidium schlug mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit vor, die Verhandlungen zu unter­brechen und am Freitag um 8 Uhr früh mit dem Referat des Genossen Dr. Czech zu beginnen. Frauen in immer größerem Maße den Weg und dea Sinn des Sozialismus klarzumachen. Sie fordert intensive Arbeit an dem Ausbau der Frauenorgani­sationen, Steigerung der Schulungsarbeit für Frauen und planmäßige Vorbereitung der Jugend zum sozialistischen Kampf. Auch wies sie darauf hin, wie wichtig die Erhaltung der Demo­kratie mit all ihren Mängeln, di« wir selbst auf das schmerzlichste empfinden ist, um diese aufbauende Arbeit für den Sozialismus fortführ-'- zu können.- ES ist doch unser Land, für daS wi: die demokratische Freiheit erhalten muffen, erklärte Genossin Blatny, das Land, das eine ZufluchtSslätre bietet für viele Genossen aus Deutschland und Oester­reich, die sich bemühen, von hier aus den sozialistr» schen Gedanken in ihren Ländern aufrecht zu er­halten. DaS zweite Kampfziel der Frauen sei di« E r« Haltung deS Friedens, ein Ziel, daS heute nur noch mtt eiserner Entschlossenheit zu erreichen ist. Friede und Sozialismus sind identisch. Es muß uns gelingen, die große Masse der Frauen davon zu überzeugen, daß nach einem Krieg nichts anderes kommen kann, als der Zusammenbruch aller, menschlichen Kultur und aller gesellschaftlichen Or- ganisationen. Abschließend erklärte-Genossin BlaMY: Der Kapitalismus, der heute nach herrscht, daS ist Ausbeutung, das ist Unterdrückung. daS ist Weltkrieg. Wen» ihr nicht enre Kin­der für die Schlachtfelder gebären wallt, dann ver­doppelt eure Arbeit für die Demokratie, für di« Freiheit, für den Frieden, für den Sozialismus! (Stürmischer, langanhaltender Beifall.) * Die Genossin Kahay bankte der Genossin Blatny für ihre herrliche Rede, worauf Gen. Pipal namens der Brünner Kreisparteileitung die Konferenz herzlich begrüßte. Mit großem Beifall empfangen, fand sich auch Gen. Taub bei der Tagung ein. Die Debatte bewegte sich in hohem Niveau und zeigte, daß sich die Genossinnen des Ernstes der Zeit voll und ganz bewußt sind. Viel wertvolle Anregungen wurden gebracht, berechtigte Wünsche geäußert und alle wichtigen wirtschaftlichen, organisatori­schen, kulturellen und taktischen Fragen erörtert. Insbesondere wurde immer wieder auf die Not­wendigkeit der Schulung unserer Frauen im sozialistischen Sinne und auf die Dringlichkeit der Hilfeleistung für die unter der Arbeitslosigkeit besonders schwer leidende sudetendeutsche Bevöl­kerung, auf die Notwendigkeit einer einwandfreien Jugendfürsorge und Erziehung hingewiesen. vis Frauenreichskonferenz Begrüßungen/ Das Referat der Genossin Blatny 60 Roman von Emil Vachek , Deutsch von Anna Aurednltek Die sensationelle Kunde verbreitete sich in Zijkov, versetzte die Polizei in Aufregung und hatte zur Folge, daß in Nusle zwei Diebe mit­einander rauften. Eines Tages wurde sogar Loisis von Herrn Zach angehalten.»Höre, Loisis, was ist denn eigenüich los mit dem Ferdl? Du bist seine Nachbarin und mußt es ja wissen. Ist es wahr, daß er verrückt geworden ist und ein ge­ordnetes Leben führt?" Loisis war überzeugt, daß es sich nur um eine vorübergehende Sinnesverwirrung handelte. Sie hoffte, Beinsteller werde diesen krankhaften Zustand überwinden und seine alte Lebensweise wieder aufnehmen. Sie fühlte sich aus diesem Grunde für Beinsteller beleidigt und wies diese Zumutung entrüstet zurück. Herr Zach war sicht­lich beruhigt.Dann ist's ja recht," sagte er zu­frieden und fügte hinzu:Es wäre auch wirklich schade um so ein Talent." Loisis awer sagte sich: Vielleicht kann ich ihn noch retten, und sie lauerte auf Ferdl. Das war jetzt gar nicht leicht, denn er wich ihr sichtlich aus und schlich wie eine Katze nach Haufe. Endlich gelang es ihr und sie berich­tete, was Herr Zach, die große Autorität des Be­zirkes, von seinem Talent gesagt hatte, und ver­sicherte:Er hat mir aus der Seele gesprochen." Du und der Zach, Ihr könnt mir beide den Buckel herunterrutschen mitsamt dem Tratsch," antwortete höchst ungalant Freund Beinsteller. Beinsteller dachte an alles mögliche, nur nicht an die Wiederaufnahme seiner bisherigen Be­schäftigung. Er verbrachte viel Zeit auf der kuche nach dem geheimnisvollen Menschen, der Fräulein Sophiechen die Papiere gestohlen und seine Wohnung durchstöbert hatte. Es war das unlösbarste Rätsel, dem er je begegnet war. Die gefährlichen Papiere schienen verlorengegangen zu sein Und waren gewiß in die Hände der Be­hörde gelangt. Das beruhigte ihn und er konnte nun seine Kräfte der Lösung eines andern Rät­sels zuwenden. Dieses hatte gegenwärtig größere Bedeutung für ihn. Es handelte sich um das bescheidene Leben Fräulein Sophiechens. Sie hatte ihm zwar an­gedeutet. ihr Herz ski schon vergeben, er wollte aber nicht daran glauben.Ein Mädel, das einen Verehrer hat, schaut anders aus auch müßte man etwas davon wissen," sagte er. Um Gewiß­heit zu erlangen, holte er bei Mutter Chalupa Erkundigungen ein.Ach, Herr Beinsteller, was gäbe ich darum, wenn es wahr wäre. Ich weiß aber von nichts." Um Sicherheit zu haben und im Bilde zu sein, umgab nun Beinsteller die ahnungslose Sophie mit einem feinen Netz von Spionage. Vor­sichtig folgte er ihr auf Schritt Und Tritt, immer bedacht, daß sie nichts merke. Er schlich hinter ihr her, wenn sie in die Arbeit ging, erwartete sie im Hausflur, wenn sie heimkam. Er stand auf der Lauer, wenn sie abends ausging, und stellte fest, daß sie einmal wöchentlich ihre Freundin Bo- jena Fafejt besuchte. Auch daß sie in besonders schönen Nächten längs des Wolschaner Friedhofes fpazieren ging, wußte er. Aber sie war immer allein, ganz allein. All das beruhigte ihn. Trotzdem sagte er sich:Einer Frau darf man nicht glauben, sie ist imstande, durch ein Schlüsselloch zu sündigen... Aber ich bin auch noch da und es wäre nicht das erstemal, daß ein tüchtiger, ausdauernder Bursch die Liebste einem andern abspenstig macht. Wir werden sehen, was sich machen läßt..." Er glaubte, viel zu erreichen, wenn er ge­wisse Vorteile errang, für die Frauen nicht un­empfindlich sind. Wenn cs ihm zum Beispiel glückte, sich eine gute Grcitzlerei und eine Woh­nung zu beschaffen, oder wenn er eine Tat voll­brachte, die Fräulein Sophie so blendete, daß sie seine Vergangenheit vergaß und ihn liebgewann. Es dünkte ihm leichter, eine Greißlerei mit Wohnung zu erlangen als eine große Tat zu voll­bringen. Er verlegte sich daher auf das Suchen der Greißlerei und verschob die große Tat auf einen späteren Termin. Er war ganz überzeugt, etwas Großes vollbringen zu können, wenn er den Willen dazu hatte. Er hatte eine ganz llare Vorstellung von der Greißlerei: ein kleiner Laden im Erdgeschoß, in dem man über Stufen niedersteigt. Schwingen mit Obst und Saisongemüsen, ein Sack Kartof­feln; nächst den Stufen eine Budl mit Quargeln, Sardinen, Bonbons und einigen Laib Brot. Da­hinter Wandborde mit andrer Ware. Nächst der Tür eine Wäscherolle und im Hintergrund eine kleine Wohnung, so groß wie ein Käfig. So ein Geschäft ist im Grunde genommen hundertmal besser als das Stehlen. Man wird geehrt, geachtet, respektvoll begrüßt! Eine ordent­liche Wäscherolle gehört unbedingt dazu! Ohne Rolle ist ein Greißler wie ohne Hand. Hat er aber eine Rolle, kann er verfaulte Zwetschken zu den guten mischen und niemand darf auch nur Mu" sagen. Mit einer Wäscherolle hat er all: Leute in der Hand, di« sich eigenhändig die Wäsche bügeln. Das sind heute elf unter zehn.. Ueber- dies hat er alle Mädchen für sich.Ich werde ihnen solche Anekdoten erzählen, daß sie wie be­sessen auf meine Ware sein werden." Mtt die­sem Vorsatz beendete Beinsteller seine Betrachtung. Er erkannte aber bald, daß man in der gegen­wärtigen Zeit viel eher ein berühmter Mann als ein Greißler werden kann. Von all seinen vergeblichen Bemühungen wurde Beinsteller ein mieselsüchtiger Mensch und beschuldigte das Leben, nicht das geringste Ver­ständnis für seine Bestrebungen zu haben. Er verlangte doch nur ein bescheidenes, aber ehren» ' volles Plätzchen an der Sonne. Auch Loisis Stimmung wurde immer schlechter. Was geht mtt dem Ferdl vor? Er ist doch nicht verrückt geworden? Sein Verstand ist ja in Ordnung, er sieht auch ganz normal aus. Da­hinter mutz etwas stecken." Sie dachte angestrengt nach, was imstande sei, einen vernünftigen fünfzigjährigen Mensch, n fo zu verwirren.Dahinter kann nur em Schlampen stecken!" rief sie plötzlich.Die möcht' ich kennenlernen, die sich an der Ferdl herang.:-- macht hat. Ich weiß nicht recht, soll ich ihr vaS Maul einschlagen oder sie bedauern?" Es ist interessant, daß Loisis, wie sie auch kombinierte, nicht auf Fräulein Sophie Chalupa verfiel, ob­wohl sich Beinsteller vor ihr schon beinahe ver­raten hatte. Dann kam sie auf die Idee, die Leute aus Frrdls nächster Umgebung aufzusuchen, die voraussichtlich mehr von ihm wußten. Als ersten wollte sie Karl befragen. Sie begegnete ihm eines Tages. Er blickte traurig dem Meist-r nach, von dem er gerade ztvei Ohrfeigen bekom­men hatte. Beinsteller war wieder einmal auf der Suche nach einer Greitzlerei. Der Ferdl ist wirklich ein Tepp geworden", sagte Loisis. Ich weiß nicht, warum er so eklig ist", er­widerte Karl wehmütig;dahinter steckt gewiß das Kladinett." Kladinett? Was ist das?" Das lange schwarze Fräulein von der Pawlatsche." Sophie!" brüllte Loisis.Halt' mich, Karlchen, daß ich nicht umfall' I Ich erinnere mich, daß er mir wirres Zeug von einem Fräulein Sophiechen erzählte."» Ohne den bestürzten Karl weiter zu beachten, und bevor der Junge den Mund auftun konnte, um zu fragen, ob Beinsteller vielleicht irgendwelche Papiere suche, war sie schon davongelaufen. Sir eilte der Hühnersteige zu. (Fortsetzung folgt.)