Freitag, 12. IM 1935
15. Jahrgang
Nr. 160'
1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEM SOZIALDEMOKRATISCHEM ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DIS MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag»ufochova a. Telefon D077. HERAUSGEBERi SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  « WILHELM NIESSNER. VRANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS. FRAG.
Bflztftprels 70 Heiter (inschliaBlich i Heller Fortol
».England braucht sich nicht zu entschuldigen
Selbstbewußte Rede Sir Samuel Hoares
Freundschaft mit allen ländern Das Interesse am Frieden voran I
Ueberraschende Wendung Amerikas  Hallen wird an den Keltogg-Pakt erinnertl Washington.(Tsch. P.- D.) Staatssekretär Hüll berief de« ita­lienische« Botschafter zusich und legte ihm zum erste« Male fett dem Appell des abessinische« Kaisers a« * Amerika   die amerikanischen Bedenke« gegen Italien  - starre Haltung gegen» :R i über den Bemühungen des Dölkerbuu» des rtm die Schlichtung des Strettes w dar. »n 1 Gleichzeitig hat der Staatssekretär I den Senatsausschuß gebeten, die neue« fl Reutralitätsgesetze, die Amerikas   Han- n. I delsfreiheit im Falle eines Krieges zwi- d- j schen dritten Mächten erheblich ein­schränken würden, einstweilen zurütk- JI rustellen. Von amerikanischer Seite wird ei« ii. I gewisses Bedauern darüber zum t«| Ausdruck gebracht, daß die kürzlich an >c* I den abessinischen Kaiser gesandte Rote Je- in Rom   als llnterstüchung des italieni­sch I scheu Dorgehens und als völlige llnin- nd teressiertheit Amerikas   am Schichsal u» i Abessiniens aufgefaßt worden sei. Des- i halb betonte Hüll gegenüber dem ita» MI lienischen Botschafter, daß Amerika  g Wegen der Taktik Italiens   starkbe- s o r g t sei. Die Rote an Abessinien, er- klärte er Wetter, sei ein deullicher Hin- r weis darauf, daß Amerika   eine Der- letzung des Kellogg  -Paktes als Bruch des darin abgegebenen feier- lichen Versprechens betrachten würde. _ So lange die gegenwärtige Krise wei- !I ter bestehe, möchte das Staatsdeparte- j«ent auf seine neutralen Rechte, U Kriegsmaterial an Kriegführende zu senden, nicht verzichten, da ein derart!, j ger   Verzicht angesichts der starken De- _ i waffnung Italiens   als ein wettere- ir- Preisgeben der schutzlosen abessinischen gl. 1 Regierung gedeutet werde« könnte. in' ige ui Washington.(HavaS.) Den Berichte« zufolge, die i« hiesigen politischen Kreisen vertret- e t i tet find, istLondondanerndmit Washington   in Berdindung»nd verhandelt über die Opvortunität eines Irrte« eße st e s im Sinne des Pariser Briand-Kellegg-Pak- a.| tes gegen einen allfälligen Einfall Italiens   in in« I Abessinien. Ul- ß r 17 Sozialdemokraten £ in Wien   verurteilt ! Wien  . Nach zweitägiger Verhandlung wurde heute das Urteil gegen 17 Sozialdemokraten ge- »R I fällt, die im März d. I. wegen Schmuggels der ' in Brünn   gedrucktenArbeiterzeitung" nach Wien   verhaftet wurden. Der Hauptange« sa» klagte Franz Ferdinand Olach erhielt 15 Mo- I nate, vier weitere Angeklagte 12 Monate und zehn Angeklagte 7 bis 8 Monate; zwei Angeklagte wurden freigesprochen. G General-Hungerstreik der Häftlinge In Oesterreich seck| Wien  ,(Tsch. P B) Die politischen Häftlinge ohne Rücksicht ans ihre politische Ge- 5--! sinnung find Mittwoch in den Hnngerstreik gc- (,| treten. An dem Streik nehmen sowohl die Straf­gefangenen als auch die in gerichtlicher oder '* l polizeilicher Untersuchung stehenden Häftlinge, i sowie auch die im Konzentrationslager in Wollersdorf angehaltenem Personen teil, a Nur auf da» Gefängnis- Krankenhaus erstreckt » i sich der Streik nicht.
London.(Reuter.) In seiner Rede vor dem Unterhause behandelte Hoare   zunächst das Flottenabkommen. Er betonte, daß das Flotten­abkommen keineswegs selbstsüchtig sei und daß England kein solches Abkommen unterzeichnet hätte, das nicht auch zum Vorteil der anderen Seemächte gewesen sei. Jedes Abkommen, das England mit Deutschland   hätte abschließen kön­nen, hätte derart sein müssen, daß es die Aus­sichten eines allgemeinen Flottenabkommens nichi präjudiziere. England habe aus bestimmten tief­greifenden Gründen im Interesse des Friedens die sich ihm bietende Gelegenheit ergreifen müssen. Zu viele Gelegenheiten zur Herbeiführung einer Abrüstung seien in den letzten Jahren ent­schlüpft. Hier habe jedoch ein Fall Vorgelegen, in dem die Marinesachverständigen auf Grund marinetechnischer Gründe der Ansicht waren, daß ein Abkommen geschloffen werden mußte. Hier sei eine Chance gewesen, die viel- leicht nicht wiedergekommen wäre, um eine der Hanptursachrn für die Berschlech- terung de» Berhältniffe» zwischen Deutschland  und England vor dem Krieg zu beseitige«, näm­lich einen Rüstungsbewerb zur See. Weiter habe das Abkommen zur Beseitigung des unbeschränkten U-Boot-KriegeS geführt. Kurz eS sei hier eine Chance gewesen, ein Abkommen abzuschlicßen» das auch zum Vorteil der anderen Seemächte mit Einschluß Frankreichs   sei. Der französische   Flotte würde auf Grund des gegen­wärtigen Stärkeverhältnisses der britischen   Flott nach dem Abkommen eine Dauerüberlegcnheit von 43 Prozent über die deutsch  « Flotte gesichert, m Vergleich zu einer Unterlegenheit von 30 Prozent vor dem Kriege. Vom logischen und juristischen Standpunft aus sehen die Dinge vielleicht anders aus als vom praktischen, aber die englische   Regierung brauche sich nicht zu entschuldigen» wenn sie einen praftischen Bei­trag zum Frieden liefere. Hoare   behandelte dann den Liiftpakt und wie? darauf hin, daß die Regierung nach wie vor einen Luftpaft, der von einer Luftbegrenzung begleitet sein müsse, anstrebe. Die Schwierigkeit bestünde jedoch darin, die verschiedenen Ansichten auf einen Nenner zu bringen. Wenn man das wolle, müsse man die Zweifel und Schwierigkeiten der Nachbarn, d. h. der fünf Locarnomächte, ver­stehen. Es sei bekannt, daß diese den Luftpaft nicht von anderen Friedensbcdingungen trennen wollen. Man befürchte, daß England das tun wolle. Demgegenüber betone er, daß der Friede eine Einheit sei. Sir Samuel sprach weiter von dem Interesse Großbritanniens   am Ostpakt und am Nichtangriffspakt für Mitteleuropa   und erklärte: Es handelt sich nicht darum, daß Großbri­ tannien   irgendeine neue Verpflichtung übernimmt; dadurch ist aber unser Interesse an der Regelung dieser Fragen nicht ausgeschlossen. Wenn Red­ner auch nicht der Ansicht sei, daß der Abschluß eines gesonderten Westlustpattes di« Gefahr im Osten vermehren würde, so meine er doch, daß ein Krieg in Mistel- oder Osteuropa   zu einem' allgemeinen Konflikt führen könne. Das sei der Grund, warum die britische   Regierung den Ab­schluß eines östlichen und Donaupaktes so bald wie möglich wünsche. Redner betonte dann, daß der deutsche Reichskanzler einen bestimmten Vor­schlag zur Ostpaktfrage gemacht habe, zitierte die­sen im Wortlaut und hob hervor, daß die Fran­zosen diesen Vorschlag als Berhandlungsgrundlage angenommen hätten und daß auch der Donau   ­
pakt nach diesem Muster behandelt werden könne. Der'deutsche   Reichskanzler sei nunmehr in der Lage, einen wahren Beitrag zum Frieden zu machen, der alle Befürchtungen der Regierungen in Mittel- und Osteuropa   sowie in Westeuropa  beseitigen könnte. Er rate ihm, diesen Beitrag zu machen, da er auch sich selbst damst dienen würde. Er möge nunmehr den nächsten Schritt vorwärts tun und den Verhandlungen über den Ost- und Donaupakt weiterhelfen, womit er dem Abschluß de» Luftpaftes, den er wünsche, einen großen Impuls geben werde. Bezüglich Oesterreich  wiederholte Hoare die Ansicht, daß England die Unabhängigkeit«nd Integrität Oesterreich  » anfrechtzuerhalten wünsche und daß di« briti­ sche   Regierung die österreichische Regierung in ihren diesbezüglichen Anstrengungen unter­stütze. Die» fei einer der Gründe, warum die britisch« Regierung einen Donaapakt auf Richtangriff und Nichteinmischung für Mittel­ europa   wünsche. Sir Samuel ging sodann zur abessinischen Frage über und erklärte: Ungeachtet der Gefahr, daß wir scharf kritisiert werden, waren wir bereit, konstruktive Vorschläge zu machen, um einen Krieg zu verhindern, welcher, wie sein Ende auch immer sein würde, ernste Konsequenzen für daS ganze System des Völkerbundes hätte.. Das ist einer der Gründe unserer Bestrebungen, um die Basis für eine friedliche Lösung zu finden. Wir haben keinen anderen Grund außer rein fried­liebende. Di« Behauptung, daß wir unsere eigenen Kolonialinteressen im Auge haben und Truppen in den Nachbarkolonien konzentrieren, ist vollkommen abwegig. Ich hoffe, daß die italienische Presse, die die Verantwortung für die Verbreitung so grund­loser Beschuldigungen trägt, diese meine Er­klärung veröffentlichen wird. Ich möchte es klarstellen, daß England von jeher Italiens   Wunsch nach überseeischer Ausdeh­nung verstanden hat. Wir haben uns in der Ver­gangenheit bestrebt, in praftischer Weise unsere Sympathien den italienischen Aspirationen zu beweisen. Wir anerkennen das Bedürfnis der italienischen Expansion und anerkennen auch, daß einige der Vorwürfe gegen die abessinische Regie­rung berechtigt sind. Aus der Vergangenheit haben wir genug Er­fahrungen, daß man Forderungen anpassen und Konflikte lösen könne, ohne zum Kriege zu schrei­ten, und ich bin ständig entschlossen, nichts zu ver­absäumen, um das zu verhindern, wovon ich über­zeugt bin, daß eS ein U n g l ü ck sein wird. Was das Verhältnis Großbritanniens   zu den übrigen Ländern anlangt, erklärte Sir Samuel: Frankreich   und Großbrstanuien find die westeuropäischen Großmächte, welche vor allem die Verantwortung für die im Jahre 1819 ge­troffene Regelung tragen. Wir sind deshalb be­sonders an den Aenderungen dieser Regelung interessiert, die von Zeit zu Zeit als dringende Forderung austreten. Wir standen an der Sette Frankreichs  , wir haben durch viele Jahr« mit ihm zusammengearbritet und werden auch in Zukunft mit ihm zusammenarbeiten. In diesem Sinne genügt e», auf die gemeinsame Erftärung vom 3. Feber und auf die in Stress be­schlossene Resolutton hinzuwrisen. Wir beharren auf den Prinzipien der Zusammenarbeit, die in diese Resolutton ausgenommen wurden. ES ist nicht die Gewohnheit Großbritanniens  , alte XSchluß auf Seite 2).
Die Feuerkreuzler Frankreich   vor der Entscheidung Die innerpolitischen Verhältnisse Frankreichs  beginnen einer Klärung entgegcnzueilen. Aus dem Wirrwar konfuser Gefühlspolitik, die seit der fascistischen Pariser   Feberrevolte Frankreich   in Atem hält und jede politische Stabilität verhin» dert, beginnt sich die kommende große Linie der französischen   Politik zu entwickeln. Ein Links» block ist im Werden, ein Linksblock von einer Konzeption, die nur in Frankreich  , dem Lande der Elastizität nicht nur in geistig-kultureller, sondern auch in politischer Beziehung möglich ist1« Sozialdemokraten, bürger» liche Radikalsozialisten und Kom­mun i st e n sind dabei, sich, wenn auch unter Widerständen, zu einem Oppositionsblock zusam­menzuschließen, der nicht nur der aktuellen Fronde gegen die allzu kompromißlerische Regierung La­ val  , nicht nur der Abwehr der fascistischen Gefahr, sondern auch k o n str u k ti v e n, sozial-re-^ publik a nischen Zielsetzungen der Zukunst gelten soll. Diese Entwicklung ist unver­kennbar, wenn auch jener Teil der Radikalsoziali» sten, der noch hinter der Regierung steht, alle An­strengungen macht, sie zum mindesten aufzuhalten. Schon haben gemeinsame Manifestationen der drei Parteien stattgefunden, schon sind gemeinsame Komitees im Entstehen, die die programmatische 'Plattform dieser antifascistischen Notgemeinschast herzustellen haben. Dabei wird die organisatorische wie auch die ^ideologische Unabhängigkeit der einzelnen Block­partner voll gewahrt, kein« wie immer geartet« weltanschauliche VermischüNgStaktik betrieben wer­den. Die Voraussetzung für diese Block-Gemein­schaft deS aktiven Antifascismüs war eine v oll- kommene Schwenkung der kommu­ni st ischen P a r t e i, eine Schwenkung, die man, ohne jede Gehässigkeit, durchaus als Kapitu­lation bezeichnen kann. Als Kapitulation der Un­vernunft vor der Vernunft. Nach Frankreichs   Rußlandpakt haben sich die französischen   Kommunisten radikal umorientiert; sie haben sogar eingesehen, daß es ihr! Pflicht ist, einer Regierung des enffchiedenen Republikanis« mus, die über kurz oder lang kommen wird, nicht nur keinerlei Hindernisse zu bereiten, sondern im Gegenteil: sie zu unterstützen. Es mag sein, daß die unverkennbaren organisawrischen Fort­schritte des französischen   Fascismus die kommuni­ stische Partei Frankreichs   zur Besinnung gebracht haben; weit wahrscheinlicher ist jedoch, daß die Moskauer   Wandlung von der parteiegoistische.i Agitation zur sozialistischen   Realität auch hier segensreiche Folgen gezeitigt hat. Wie steht es um den französischen  Fascismus, wie stark ist seine Stoßkraft, wie weit und wie tief geht sein propagandistisches Fluidum? Antiparlamentarische und antidemokrattsche 'Gruppen gab es in Frankreich   seit jeher. Sie waren Sekten, die isoliert von den bretten Mas­sen blieben, kleine Gruppen von sehr lärmenden Unentwegten, die eS zu nichts mehr als zu einigen Stinkbombenangriffen und diver« sen'W irtshausraufereien brachten. Die einigermaßen komische Rolle, die die Royali­sten des Herrn Leon Daudet   gespielt haben und noch heute- spielen, ist bekannt. Auch der RoyaliS- muS hat seine Sturmtruppen, akademische Jüng­linge aus dem gehobenen Mittelstand, die sich »Camelots de Roi" nennen und deren Speziali­tät es ist, die notwendigen aktuellen Bon mots für den Pariser   Operettentheater-Betrieb zu lie­fern. Sie scheiden von vornherein auö jeder ernst­haften Betrachtung der Situation aus. Auch was später kam, inspiriert vom Hitlerismus und ver­waisten Bewegungen, stagnierte nach kurzem An­lauf oder ging an inneren Differenzen unter. Die erste Ausnahme von diesen dilet­tantischen Versuchen, im demokratischen Frankreich  fascistische Ideologie heimisch zu machen, ist die »Feuerkreüzle r"-Bewegung des Colo­nel de la Roque. Dieser antidemokratischen! Gruppe, der außerordentliche Geldmittel aus den Safes der Industrie zufließen, ist es nicht nur inr Pariser   Bezirk gelungen, ansehnliche Massen deS unzufriedenen Mittelstandes hinter ihre Fahnen zu bringen. Colonel de la Roque hat, nach be­währtem Muster, kein anderes Programm als das der Negation. Er entrüstet sich über die »Fäulnis der Parlamentsdemokratie", drapiert