IS. Jahrgang Dienstag, 16. ZM 1S35 Nr. 163 Spanische Linke geeinigt S il b a o. Der ehemalige Minister-räfi- dent A z a n a, der Führer der spanischen   Linke«, hielt am Sonntag vor einer Versammlung von mehr als 50.000 Personen eine Rede. Azasia be­stätigte, daß die Einigung der Linksparteien in Spanien   bereits vollzogen ist. Die Parteien for­dern Neuwahlen. Neuwahlen In Polen  am 8. und 15. September Warschau  . Das Amtsblatt veröffentlicht rin Dekret des Präsidenten der Republik, durch welches die Wahlen zum Sejm für den 8. Sep­tember und die Wahlen zum Senat für de« 15. September ausgeschrieben werden. In einem in Warschau   stattgefundenen außerordentlichen Kongreß der Vereinigt«! oppo« sitionellen Volkspartei wurde über Antrag des Vorsitzenden Rataj mit 276 gegen 4 Stimmen der Beschluß gefaßt, die Wahlen zu boykot­tieren. Im Zusammenhang damit wurde wei­le« Geschloffen, daß Parteimitglieder, welche sich etwa ans Grund der neuen Wahlordnung um ein Mandat bewerben würden, automatisch aus der Liste der Parteimitglieder gestrichen würden. Gleichzeitig fand auch ein außerordentlicher Kongreß jener Opppsitionellen statt, die sich zu einer»U»abhängigen Bauernpar­tei^ zusammengeschloffen haben. Auch diese Gruppe beschloß den Boykott der Wahlen. Schuschnigg   bleibt Im Dienst Wien  . Das Automobilunglück der Familie Schuschnigg   wird keine politischen Folgen Hecken, da der Bundeskanzler bereits wiederhergestellt ist. Er wird vorläufig in Wien   bleiben und am 25. Juli noch an der Gedenkfeier für Dollfuß   teilneh­me«, worauf er sich aus einen Erholungsurlaub begeben wird. Seinem im Linzer Krankenhaus besinnlichen Sohn geht es bereits bester, dagegen ist der Zustand des Chauffeurs Tichy noch im­mer kritisch. Sonntag früh wurde die Leiche der Frau Schuschnigg   nach Wien   überführt; mit demselben Zug traf auch der Bundeskanzler in Wien   ein. Auf dem Bahnhof war die ganze Regierung zum Empfang erschienen. Das Begräbnis findet Dienstag auf dem Hietzinger Friedhof statt. Schmutzige Habsburger  -Wäsche Paris  . Vor dem Uebertretungsgericht in Pa­ ris/hatte   sich am Montag die ehemalige franzö­ sische   Poftbeamtin Pauline Eouyb wegen Betru­ges zu verantworten, weil sie einen Scheck auf 2000 Francs ausgefertigt hatte, obwohl sie in der Bank nur sechs Francs Einlage hatte. Die Angeklagte erklärte, daß' ihr Mitschuldiger bei diesem Betrüge und in anderen Betrugsfällen ihr Verlobter WilhelmHabsburg war, der sich in Frankreich   als ukrainischer Thronprä­tendenten ausgab.. Wilhelm Habsburg   ist aus Frankreich   geflohen. Das Gericht verurteilte die Angeklagte Couyb zu einem Monat Gefängnis Unbedingt. Geyen Wilhelm Habsburg   wird die Verhandlung wogen Mitschuld in contumaciam stattfinden. WegenRassenschande ­ins Konzentrationslager Breslau  . Das Deutsche Nachrichten-Bureau meldet: Bon der Geheimen Staatspolizei wür­den»wegen R as se n sch a n d e" in Ver­bindung mit unmittelbarer Gefährdung der öf­fentlichen Sicherheit und Ordnung sechs männ­liche Juden und sieben sogenannte(!) deutsche  Frauen in Schutzhaft genommen. Dies« sehen ihrer U eberführung in einKonzen- tra ti o n Slag er entgegen. Sudenfeindliche Ausschreitungen In Berlin  Paris  . Wie die Agence Havas aus Berlin  Meldet, ist es dort Samstag abend im westlichen Stadtviertel, in dem viele Juden wohnen, zu ju» denfeindlichen Manifestationen gekommen, wobei viele- Fensterscheiben eingeschlagen und zahlreiche Juden auf den Straßen mißhandelt worden seien. Es wird ernst... Fieberhafte Rüstungen Italiens Zwei   weitere Divisionen mobilisiert Rom  . Die Regierung hot ei« Gen^ralkommissariat für die Erzeugung von Kriegsmaterial geschaffen, das dem Oberste« Verteidigungsrat direkt unterstellt sei« wird. Seine Ausgabe besteht in der Kontrolle der ge­samten auf die Erzeugung von Kriegsmaterial gerichtete» Tätigkeit. Durch die eben angeordnete Mobilisierung zweier weiterer Divistone« be­endete Italien   das MobilisierungsProgramm für die Expedition«ach Ost- Afrika. Mobllifiert wurden i« ganze« zehn Divistone«, davon fünf Divisio­nen Infanterie mit 65.000 Mann und fünf Divistone« Miliz mst 50.000 Man». Außerdem hat das Kontingent für Ost-Afrika 35.000 Mann regelmütziger Ko­lonialtruppen zur Verfügung. Zum Ban von Straße« wurden 30 bis 40.000 Arbeiter nach Afrika   entsandt. Italien  bestens 180.000 Mann. In dem letzte«(achten) Mobilmachnngs- kommnniqnee wird offen zugegeben, daß dasbe­schleunigte Tempo der militärischen Borbrreitum- gen für Abessinien" dir Einleitung weiterer mili- tärischer Maßnahme« notwendig mache. Das Luftfahrtministrrium hat die Mobilma­chung weiterer Piloten und Spezialisten befoh­len. Das Marineministerium hat den unverzüg­lichen Bau von zehnneuenll-Booten an­geordnet, die anfangs des nächsten Jahres gleich­zeitig vom Stapel gelaffen werden. Mussolini  braucht einen Sieg... Der Rvuterkorrespondent teilt mit: Mnsso- lini hoffe, daß eS in Abessinien wenigstens zu einer Schlacht käme, von der er annimmt» daß sie einen entscheidenden Sieg bedeuten würde, den dann ganz Italien   feiern würde. Die italienische Trupprnführung würde bestrebt sein, daß diese Schlacht auf dem Schlachtfeld« von A d« a ge­liefert werde. Dadurch würden unangenehme italienische Erinnerungen an die Niederlage 1896 verwischt werden. Reuter will erfahren haben, daß Minister­präsident Mussolini   im nächsten Monat Jtalie- nisch-Libicn und Erithrea besuchen wird.' Zahlreiche Typhusfälle In Rom  und Stresa Mailand. Außer den zahlreichen Typhus­fällen in R o m sind auch in S t r e f a am Lago Maggiore   Typhuserscheinungrn aufgetreten. Leber 100 Personen wurden von der Seuche ergriffen, wobei auch einige Todesfälle-« verzeichnen find. Wie verlautet, sollen die Er» verfsigt«unmehr in Afrika   über«in- krankungen in nicht genügender Sterilisation von Milch zu suchen sein. Der Negus bleibt fest Paris  . Der Kaiser von Abessinien sandte derNew Kork Times" eine Depesche, worin er sagt, er lehne jeden Borschlag ab, der Italien  wenn auch nur in einem Teile Abessiniens die Berwoltung zugesteht, da die Schaffung einer Zone unter italienischer Verwaltung unausweich­lich den späteren Anschluß dieses Gebietes au Italien   zur Folge hätte. * New Kork. Die Cousine des abessinischen Kai­sers, die an dem Musikkonservatorium in New Kork studiert, erklärte den Pressevertretern, daß der abessinische Kaffer den Krieg gegen Italien  systematisch bereits durch sechs Jahre vorbereite. Der Kaiser habe insgeheim grosse Waffen- und Munitionsdepots in den Bergen bauen lassen. Tie abessinischen Truppen seien von europäische» Offi­zieren ausgebildet und in den Felswänden seien Tunnels gebaut worden, die in einem künftigen Krieg als Zufluchfftätte und Deckung der Truppen vor feindlichen Flugzeugangriffen dienen sollen. Die Vermittlungsaktlon London  . Reuter meldet aus Genf  , daß die Rücksprache zwffchen London  , Paris   und Rom  zwecks Erzielung eines Kompromisses in der ita­lienisch-abessinischen Streitfrage fortgesetzt werde. Man glaube, daß die Italiener vixr Forderun­gen vorgelegt hätten, nämlich: Berichtigung der Grenzziehung, wirtschast- siche Zugeständnisse, Bau einer Effenbahn zwi­schen Erithrea und Somaliland   und Einsetzung iialienffcher Berater in den abessinffchen Pegie« rungsämtern. Rebellion in den Schuschnigg  -Kerkern Die angeblichen Führer des Hungerstreiks In Ketten gelegt Die gefangenen SchutzbundfOhrer schliefen sich dem Streik an W ie n.(Eigenbericht.) Der Versuch der Regierung, den Hungerstreik der politischen Häftling« des LandesgrrichtrS I durch brutalen Terror gegen die hungernden Häftlinge zu bre­chen, hat zu erregten Massenkundgebun­gen der Häftlinge des Gerichtes geführt. Sams- tag wurden daraufhin aus den einzelnen Zellen wahllos Leute herausgeholt, die die Polizei will­kürlich als die Anführer des Hungerstreikes be­zeichnete. Sie wurden in dunkle Einzelzelle« ge­bracht und dort angekettet. Die Nachricht von den barbarischen Berge!» tungsmaßnahmen gegen die im Hungerstreik stehenden Genossen des Landesgerichtes I wurde schon nach wenigen Stunden im zweiten Wiener  Gefangenenhaus, im Landesgericht II be­kannt, in welchem auch die zu hohen Kerkerstrafen verurteilten Schntzbundführer Eifler, Läw, Pokorny und die übrigen Genossen der Schutzbundleitung«ntergebracht sind. Alle politischen Gefangenen dieses Gerichts haben sich zum Zeichen deS Protestes dem Hun­gerstreik angeschlossen, f, daß ge- genwärtig alle politischen Häft ­ling e d er S ch« s ch«i g g- K erker in Wien   a n s n a h m s l» s d i e N a h- rnngSanfnahme verweigern. Sowohl im Landesgericht I als im Landes- geeicht II steigt die Erregung der im Hungerstreik stehenden Genossen von Stunde zu Stund  «. Sonn­tag abends kam eS bereit- zu stürmischen Kund­gebungen. In Sprechchören, die man weithin bis in die umliegenden Straßen hört, proteftterten die streikenden Gefangenen gegen die unmenschliche Behandlung. Begreiflicherweise erzeugen diese laute« Kundgebungen der Gefangen Häuser«o« f den StraßensteigendeRervosität. Neber Straßen steigende Nervosität. Ueberall bilden sich trotz der umfassenden Polizei­maßnahmen vor jedem der Gefängnisse sind seit Samstag Polizeikordons postiert Gruppen, die aus ihrer Empörung kein Hehl machen. Sonntag nachtS ließ die Regierung, die offenbar eine weitere Verschärfung der Unruhe in den Gefängnissen"achtet, in die beiden Gefangenhäuser des Landesgerichtes Militär- bereitfchaft, die mit Maschinenge­wehr e n ausgerüstet ist. einrücke«. Weiter AnschluD noch Habsburg  aber die Lösung? Das offiziöse Kommuniques Aber die Bera­tungen Rumäniens   und Jugoslawiens   in Sinais die durch ein Telephonat mit Dr. Benes zu einer Art Beratung der gesamten Kleinen Entente- Staaten geworden sind, enthält neuerlich das »kategorische Nein" der Kleinen Entente  gegen die Wiederkehr der Habsburger   auf den österreichischen Thron. Erfreulicherweise heißt,tS in dem Kommunique aber auch, daß die Kleine Entente  »im übrigen praktische Möglich­leiten zur Stärkung der absolutenUn- abhängigkeit Oesterreichs  " erwäge. Das wäre nun-höchst an der Zeit und nur wenn es mehr als eine der vielen Versprechungen ist, di« seit 1818 gegeben und nicht eingelöst wurden, wird auch das kategorische Rein von Dauer sein. Andernfalls könnte es an der Macht der Tatsachen eines Tages zerschellen. Die tschechische Presse hat in den letzten Ta­gen immer wieder das österreichische Thema be­sprochen und übereinstimmend kamen die führen­den Blätter zu dem Schluß, daß für die Tschecho« flowakei weder Habsburg   noch der Anschluß erträglich sei, daß aber für einzelne Staaten der Kleinen Entente  , so für Jugoslawien  vielleicht der Anschluß noch erträglicher wäre. Hubert Ripka   tut in den»Lidovä Noviny" ein übriges, indem er geschichtlich freilich nicht lückenlos schlüssig nachzuweisen sucht, daß Habsburg   keineswegs den Anschluß verhindern würde, sondern daß es ihn, wie ja das Wien  - Berliner   Bündnis 18781318 bewiesen habe, geradezu f ö r d e r e.(Den Fehler der hiswrischen Begründung wird man, auch wenn man mit Ripka durchaus einer Meinung ist, darin erkennen, daß die Allianz Wien-Berlin von Haus aus kein aus Sympathien der Habsburger   für Deuffchland er­wachsenes Bündnis war, sondern unter dem Druck Rußlands   zustandekam, und daß die Habsburger von 1817 an krampfhafte Versuche gemacht haben, von Berlin   loszukommen. Versuche, die vor allem an Italien   und an gewissen Pariser   Kreisen, nicht so sehr an Wien   gescheitert sind). Die ausschließlich negative Formulie­rung des österreichischen Problems in der Presse der Kleinen Entente   geht an der wichtigsten Auf­gabe vorbei, an den Möglichkeiten einer wirk­lichen Lösung der österreichischen Frage, die ohne Zweifel allen mitteleuropäischen Politi­kern auf den Nägeln brennt. Denn»weder Habs­ burg   noch Anschluß", das ist noch keine Lösung für die sechs Millionen Oesterreicher  , die immer­hin auch da sind, die leben wollen und auf die Dauer nicht als reines Objekt der mitteleuropäi­schen Politik, als die ewig Besiegten behandelt werden können. Mau wird Oesterreich   gegenüber nicht ungestraft dauernd als der Sieger austreten, dessen Sicherheit und Bequemlichkeit cs erfordert, daß der Besiegte, Platz macht und auf jede eigene Meinung verzichtet. Man wird Verbote nur dann aussprechen können, wenn man den Mut hat, un­haltbare Zustände ändern zu helfen und erträg­liche Zustände, für alle Beteiligten erttägliche, herbeizuführen. DaS heißt, daß man zunächst auf­hört, von Oesterreichs  »Unabhängigkeit" zu reden, solange diese Unabhän­gigkeit nicht existiert und die Phrase selbst jeden mannhaften Oesterreicher heraus­fordert. Die lluabhängigkeit O e st e r- reichs ist am 12. Feber 18 34 juiti Teufel gegangen. Seither ist Oesterreich  nicht unabhängig, sondern es ist einVas allen- staat Italiens  . In Rom   fallen die letzten und endgülttgen Entscheidungen darüber, wer in Oesterreich   Bundeskanzler wird, welche Außenpo- littk Oesterreich   macht, ob es und wie es und gegen wen es rüsten soll, welche Freiheiten seine Unter­tanen genießen oder besser nicht genießen, von Rom   aus wird die Heimwehr besoldet, die im innerösterreichffchen Staatsgetriebe heute der ent­scheidende Machtsaktor ist. Als die Schutzbündler von den Hmckitzen des Fey bezwungen wurden, hörte Oesterreichs   Unabhängigkeit auf, eine Tat­sache zu sein. Seither ist sie eine Diplomaten­phrase, die aber für niemanden und am aller­wenigsten für die Oesterreicher selbst einen Wert hat. Im Feber 1834 haben die Westmächte und die Kleine Entente   zugelassen, daß Oesterreichs  Unabhängigkeft zugunsten Italiens   geopfert wurde. Die Folgen sind die Stärkung