Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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15. Jahrgang

Völkerbundrat vertagt

Donnerstag, 1. August 1935

Dreiermandat über Abessinien?

Auf der Suche nach dem Kompromiẞ/ Geteilter Raub ist halber Raub.../ Italien fordert ,, totale Lösung"

Genf.( Tsch. P.-B.) Nach längeren privaten Mandat würde in der Ernennung und gleichzeitig Abessinien gegen eine einseitige Berhandlungen der Staatsmänner trat der Völ- eines Oberkommissärs und Oberherrschaft schüßen. ferbundrat um 17 Uhr zu einer nicht öffentlichen dem Eintritt von Völkerbundsbeam- Meldungen aus Addis Abeba besagen, daß Sigung zusammen, um sich mit den Möglichkeiten ten in die abessinische Verwaltung der Negus auch diese Form der Oberherrschaft einer Fortsetzung des Arbitrage- Verfahrens im Ausdruck finden. Italien würde sei- ablehne. Diese Weigerung wäre aber weniger ernst italienisch- abessinischen Konflikt zu befassen. Nach nen vollen Anteil an örtlichen Kon zu nehmen. der Eröffnungsansprache des Ratsvorsitzenden Litwinow beteiligten sich an der allgemeinen zessionen, aber keine ausschließliche Debatte über die Tagesordnung des Rates Mini­Aufsicht über Abessinien erhalten. Die sterpräsident& a va 1, Völkerbundminister Eden Gegenleistung an Abessinien würde und Baron Aloisi. Gegenstand der Aussprache in dem Schuße und dem finanziellen bildete besonders die Frage, ob es genüge, daß der Beistand des Völkerbundes bestehen. Völkerbundrat blog bestimme, auf welcher Grund­Der Pariser Korrespondent der Mor= lage das weitere Schiedsverfahren erfolgen soll ning Post" berichtet, der Gedanke eines Ein­oder ob mit Rücksicht auf einen eventuellen un- schreitens des Völkerbundes in Abessinien, mit der günstigen Ausgang des Schiedsverfahrens der Begründung, daß Abessinien es unterlassen habe, Völkerbundrat auch die Lösung des Wesens des alle Verpflichtungen eines Völkerbundsmitgliedes ganzen italienisch- abessinischen Konfliftes sichern zu erfüllen, habe anscheinend neuerdings mehr joll. Beachtung gefunden als früher. Eine solche Me­Der Vertreter Abessiniens, Advo- thode würde die Befriedigung der Ansprüche Ita­kat Je, e, vertrat den Standpunkt, liens auf wirtschaftliche Ausdehnung ermöglichen daß der Völkerbundrat verpflichtet sei, dem ganzen Konflikt und nicht nur der Frage des Schiedsverfahrens

Dagegen zeigt Mussolini vorläufig auch keine Neigung, sich mit einem Drittel an Macht abfinden zu lassen. Sein Blatt, der Popolo d'Italia" fordert eine totale Lösung und er­klärt, daß nur die militärische Beset. zung des ganzen Landes für Italien in Frage komme. Mit Genf , ohne Genf , gegen Genf gebe es jedenfalls nur eine Lösung. Italiens Politik sei moralisch berechtigt, weil sie den Halbheiten des Völkerbundes ein Ende bereiten werde.

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Nr. 177

I Gerüchtemacher an der Arbeit

Jahr für Jahr und immer in den heißen Tagen setzen die guten Freunde unserer Bewegung die Meldung in die Welt, daß Genosse Dr. Czech- um Gründe ist man nicht verlegen aus dem politischen Leben zu scheiden be. absichtigt.

Darauf haben wir zu antworten: daß Genosse Dr. Czech von dem vor sechs Wochen, d. i. am 20. Juni in Brünn abgehaltenen Parteitag, für die weitere zweijährige Funktionsperiode ein. stimmig zum Parteivorsitzenden und bei der Konstituierung unserer parla­mentarischen Vertretung ebenso ein. stimmig zum Obmann des gemein­samen Klubs der Abgeordnetca und Senatoren gewählt wurde.

Wir stellen weiter fest, daß am letz­ten Parteitag alle Redner ausnahmslos die Arbeit und Taktik unserer Partei, unseres Vorsitzenden und unseres Er ponenten in der Regierung gutgeheißen haben und daß sie der Parteitag ein­stimmig gebilligt hat.

Mit der gleichen Einhelligkeit hat der Parteitag auch ausgesprochen, daß Raubkrieg als letzter Ausweg der Jnkompabilitätsbeschluß betreffend die Funktion des Parteivorsitzenden feine Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn man durch das Gestrüpp von diploma- fraft, tann gegenüber dem italienischen Fasciss und des Ministers für die Person des Der britische Delegierte Eden un- tischen Phrasen und Vorwänden Italiens wahre mus ihre Wunderkraft auch versagen. Das ganze Genossen Dr. Czech außer Wirk­terstützte direkt und indirekt diese Motive erkennen will, ist es nüglich, sich noch ein- Regime steht auf dem Spiel. Nach den offiziellen samkeit gesetzt wird. These. Nach längerer Debatte be mal ins Gedächtnis zurückzurufen, was Mussolini italienischen Statistiken stiegen im Vergleich zu Es genügt alle diese Tatsachen in schloß der Rat, Donnerstag um 17 mit dem Krieg eigentlich anstrebt.. 1929 die Lebensmittelpreise um 300 Prozent, Kürze zu rekapitulieren und festzustel­Uhr wieder zusammenzutreten. Wie Italien will die abessinischen Erzquellen, die während die Löhne nur eine Steigerung von 60 len und im übrigen die gewerbsmäßi­vorausgesehen, geht das Bestreben Rinder, Gazellen- und Schafherden, die Kaf- Prozent aufweisen. Die Zahl der Bleiten, die gen bürgerlichen politischen Gerüchte. der englischen Delegation in Genf da- fee und Baumwollplantagen für sich erobern. 1922, als Mussolini zur Macht gelangte, 1868 macher und Skribenten ihrem lieblichen hin, noch während der gegenwärtigen wir sagen dieses Wort, weil das Protektorat, von betrug, stieg im Jahre 1933 bis auf 9954. Die sommerlichen Zeitvertreib zu über­Bertagung die Möglichkeit einer Erdem Mussolini spricht, nichts anderes bedeuten Gisenproduktion fant im Jahre 1932 gegenüber lassen. ledigung des Wesens des italienisch- fann und in Wirklichkeit nichts anderes bedeutet. 1913 um 142.000 Tonnen. Transitgüter, ob­Der Krieg, den Italien seit langem vorbe wohl die Bevölkerung um etwa sechs Millionen abessinischen Konfliktes zu ermitteln reitet, für den es verschiedene Ausreden suchte, zunahm, missen die italienischen Häfen. Im Ver­und will nur unter dieser Bedingung und den es heute unbedingt führen will und muß, gleich zum Jahre 1929, dessen Stand wir mit 100 gen eine geringe Besserung, die den Regierungs­einen Aufschub der Verhandlungen ist nichts anderes als eine logische Konse annehmen, ist die Industrieproduktion im Jahre ist und die auf Kosten der übrigen Industrien sich bestellungen für Kriegsmaterialien zuzuschreiben des Rates und eine weitere Arbeit quenz der Entwicklung des Impe 1932 auf 66.86 gesunken. Die intensive Kriegs- durchsetzt. Die Verringerung der Goldreserve der Schiedskommission zulassen. rialismus. Der Fascismus ist zum Krieg vorbereitung vermochte die Produktion v. J. nur und endlich die Aufhebung der Golddeckung, die Er sieht keinen anderen Ausweg auf 80 zu bringen. Die Zahl der beschäftigten die Zira niederdrücken und zu einer Inflation oder und endlich die Aufhebung der Golddeckung, die Die privaten Beratungen werden den gan den Donnerstag über fortgesetzt werden. Aus für sich. Bei dem permanenten industriellen Nie- Arbeiter stieg im Jahre 1934 von 78.50 auf Kreisen der französischen Delegation wird verdergang, bei der immer steigenden Arbeitslosig: 83.07. Der Import sant bis auf 32.30, der Deflation treiben, sind die herrschenden Phäno­mene des heutigen Italien . fichert, daß bereits Aussichten auf ein endgültiges feit, bei dem unaufhaltsamen Wachsen seiner Export auf 34.30. Neue Investitionen wer Staatsschulden, fann Italien unmöglich eine an- den beinahe nicht vorgenommen. Der Außenhandenheit, häufen sich Meuterei und Streifs. Auf Im Innern des Landes herrscht Unzufrie Nach der nichtöffentlichen Ratssigung traten dere Lösung als einen kolonialen Krieg finden. del erlitt schwere Verluste. Nur einzelne Mono- der Front gibt es Tote und Kranke in Massen, die Diese aber, trotz ihrer Heil­und Italiens zu einer geheimen Beratung zusam­men. Das Ergebnis dieser Beratungen scheint ein erster Resolutionsentwurf des Rates zu sein, den Minister Laval bereits dem Minister Eden überreicht hat und den auch die übrigen Delegationen prüfen werden. Man ist der Ansicht, daß der Inhalt der Resolution einigen direkt interessierten Regierungen wird bekanntge=| geben werden müssen, so daß es nicht sicher ist, ob die angesetzte Natsiibung statt­finden wird, insbesondere wenn der Resolu­tionsentwurf nicht definitiv ist und viele Delega= tionen dazu ihre Bemerkungen machen werden.

Wie man sich das Kompromiß" vor­

stellt, geht aus englischen und französischen Presse­meldungen hervor, die übereinstimmend den Vlan eines Völkerbundmandates zu dritt erwähnen.

Die Time3" z. B. schreiben: Mussolinis Anspruch auf die politische Kontrolle über Abes­sinien und besonders die Methode, durch die er borgebracht wurde, sei eine Herausforderung des Kellogg Paftes und würde im Falle ihrer rück­sichtslosen Durchführung auch andere italienische Verpflichtungen zerreißen.

In einer Meldung über die Unter. redung zwischen Laval und Eden deutet der Pariser Korrespondent der

gezivungen.

Wowrow

" Time 8" an, daß baran gedacht MUSSOLINI , GEDENKE

werde, Abessinien aufzufordern, sich einem gemeinsamen Man:

dat von Völker bunbmit: DER TOTEN VON ADUA!

gliedern zu unterstellen. Das

noch bevor es zu Feindseligkeiten gekommen ist. Mussolini tennt diese Verhältnisse, aber er reitet den Tiger. Er kann nicht zurück, wenn er nicht vom Tiger zerrissen werden will. Er braucht den Krieg, um sich und sein Regime zu retten. Das ist sein größter Trumpf. Das Spiel ist aber nicht nur für ihn gefährlich. Das Abenteuer tann Konsequenzen für die anderen kapitalistischen Län­der der ganzen Welt bringen. England hat es schon begriffen. Frankreich , das bis jetzt noch Italien zu unterstüßen scheint, ist sich gewiß über die Lage klar, und sein Spiel ist nur eine Nuance der Auffassung wie die Lage zu retten ist. Dasselbe gilt auch für die anderen kapitalistischen Mitglieder des Völkerbundes, die an der kolonia­len Politik am meisten interessiert sind. Daher die Versuche, Italien zur Vernunft zu bringen, einen Ausweg unter der Parole Wasch' mir den Pelz und mach' mich nicht naß!" zu schaffen.

Polizei

"

gegen streikende Inder

London . Wie aus Bombay gemeldet wird, fam es in Mysore ( Süd- Indien) zu einem schwe= ren Zusammenstoß zwischen der Staatspolizei und Streifenden. Die Polizei eröffnete das Feuer auf eine Ansammlung von 3000 streikenden Indern, da sie glaubte, daß die Streifenden die Goldberg= werke und das Goldlager angreifen wollten. Ein Inder wurde getötet, drei Personen trugen Ver­lehungen davon. Die Streifenden setzten das Ge­richtsgebäude in Brand und beschädigten mehrere andere Gebäude schwer.