Seite 6 Sozialdemokrat" DienKtag, 6. August 1935. Nr. 181 Trager feitunq Sensation in der Hauptpost ; Kleine Szene auf der Prager   Hauptpost, Montag nachmittag um halb 3 Uhr... Ein Mann lauft in größter Erregung von einem Schalter zum anderen, zu einem Aufsichtsbeamten, zu zwei Polizisten.... Er hat einen Wertbrief verloren, enthaltend neben Wertpapieren, 800 Kc und 2000 eng- lischePfund... Dicke Schweißperlen stehen auf der Stirn des Mannes; er ist so außer sich, daß ihm die Stimme versagt, daß er nur noch gestikulieren kann... Der Aufsichtsbeamte, die Damen und Herren hinter den Schalterfenstern, die, Polizisten zucken die Achseln.., Verloren? Za, mein Herr, das werden Sie wohl nie wiederfinden! Heutzutage... Der Mann ist ganz verzweifelt... Er stammelt nur immer wieder:Aber was soll ich denn machen? Was soll ich denn machen?" Fünf Minuten später ereignet sich eine Sen­sation. Ein überaus ärmlich und abgerissen aussehen­der Mensch mit einem verhungerten Gebiß erscheint und gibt auf der Fundstelle den Brief ab, der ein ganzes Vermögen enthält. Kein Pfund, nicht einmal eine Krone fehlt.. Der Verlierer schreit fast vor Freude und gibt dem Finder 100 Kd. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, um ein wieviel Vielfaches dieser Summe der Ehrliche auf ge­setzlichem Wege zu beanspruchen hätte,.. An den Schaltern ist man starr vor Erstaunen. Der Polizist macht ganz große Augen... Und«der Aufsichtsbeamte, der dem Ausgehungerten, der die 100 Kc in der Hand, herausstürzt, um sich einmal satt zu essen nachsieht, murmelt ganz verstört: Sachen gibt das heute l" P. An die Eltern deutscher Lehrlinge in Prag  Euere Kinder haben die Schule verlassen. Ihr habt'zu entscheiden über ihren Beruf, über ihre Zu­kunft. In diesem wichtigen Augenblicke geben wir Euch unseren wohlgemeinten Rat: Vergesset nicht des Handwerkes! Die gewerblichen Fortbildungsschulen bieten den Lehrlingen die Möglichkeit zu weiterer Ausbil­dung. Der tüchtige Handwerksgehilfe erfreut sich der größten Freizügigkeit und hat Aussicht auf Erlan­gung eines selbständigen Berufes. Viel zu wenige Deutsche   wenden sich dem Handwerke zu. Deutsche Meister suchen vergMich deutsche   Lehrlinge und deutsche   Gehilfen. Nicht lange wird es mehr dauern iffid die deuffcheti Meister ist Präg sterbest äst?. Im Interesse der Deutschtums also raten wir Euch drin­gend: Deutsche Elter«, lasset Euere Kinder ein Handwerk erlernen. Der Unterricht an den beiden gewerblichen Fortbildungsschulen desDeutschen Handwerkervereines" wird am 4. September um halb 5 Uhr nachmittags eröffnet. Die Einschreibun­gen erfolgen ab 18. August täglich im Vereins­sekretariate Prag II., Smecky 22. Schulgeld wird keines eingehoben, da der Verein die Schulen mit großen finanziellen Opfern im Interesse des deut­schen Handwerkerstandes erhält. Deutsche Estern, vergesset nicht auf den Hand­werkerstand! Der Deutsche Handwerkerverein in Prag  . Ein schlechter Kollege. Gestern mittags wurde der 43jährige arbeits- und wohnungslose Maler­gehilfe Karl Novak verhaftet, der in der letzten Zeit vom Erlös der verschiedenen Zimmermaler gestoh- lenen Malgeräte gelebt hatte. Novak, der wegen ähnlicher Diebstähle bereits mehrmals vorbestraft ist, pflegte die Arbeitspause bei seinen Kollegen ab­zupaffen, um dann die Diebstähle durchzuführest. Er ist geständig. Die DTI-Verbandsmeisterschaft im Zehnkampf die schwerste und vielseitigste leichtathletische Diszi­plin, wurde Samstag und Sonntag in P r e r a u ausgetragen. Elf Zehnkämpfer aus dem Pilsener, Prager,. Mähr.-Ostrauer und Proßnitzer Kreis waren erschienen; ein Mehr verhinderte die schwere Wirtschaftskrise. Es war eine sehr ausgeglichene Konkurrenz und vorweg schwer zu sagen, wer Sieger wird. Die Veranstaltung war gut organisiert und auch die Platzverhältnisse waren vorteilhaft, so daß die Bedingungen für einen guten Erfolg gegeben waren, welcher auch in einigen Disziplinen zum Aus­druck kam, und zwar über 110 Meter Hürden in 17 Sek., Weitsprung 6.40 Meter, 400 Meter in 53.5 Sek. und 1500 Meter in 4:31.6 Min. In der Gesamtklassifikation siegte S a u l i ch (Proßnitz) mit 711.33 Punkten und errang damit den Meistertiel im Zehnkampf der DTJC. Seine Einzel ergeb nisse waren. 100 Meter: 11.6 Sek., 400 Meter: 53.5 Sek., 1800 Meter: 4:31.6 Min., 110 Meter Hürden: 19.3 Sek., Hochsprung: I. 48 Meter, Stabhoch: 2.80 Meter, Kugehc 10.47 Meter, Diskus: 28,28 Meter, Speer: 38.10 Meter. Die Leistung Saulichs bleibt aber um zwölf Punkte unter der Bestleistung LiAas, die dieser 1932 mit 723.36 Punkten aufstellte. Die weitere Reihenfolge ist folgende: 2 Sindler(Pilsen  ) 691.90; 3. Palkovskh(Mähr.» Ostrau) 688.61; 4. Ruzikka(Proßnitz) 658.11; 5. Fiala(Mähr.-Ostrau) 656.83; 6. Schuster (Prag  ) 653.34; 7. Pokorny(Brünn  ) 649.31; 8. Schönweis(Proßnitz) 638.36; 9. Pukl(Brünn  ) 625.28; 10. DoleZal(Proßnitz) 619.18 Punkte. Der elfte Teilnehmer, Zoubek(Proßnitz) erzielte 686.52 Punkte; wäre somit Dritter. Da er aber noch nicht die Wartezeit wegen seines Uebertrittes erreicht hatte, konnte eine Wertung nicht erfolgen. In den einzelnen Disziplinen sieg­ten: 110 Meter Hürden: Zoubek 17 Sek.; Hoch­sprung: Schönweis 1.65 Meter; Kugel: Palkovsky II. 56 Meter; Stabhoch: Null   2.90 Meter; 400 Meter: Saulich 53.5 Sek.; 100 Meter: Saulich 11.5 Sek.; Diskus: Palkobsky 30.37 Meter; Weitsprung.  : Saulich 6,40 Meter; Speer  : Fiala 44.63 Meter; .1500 Meter: Saulich 4:31.6 Min. Det Kampf«m de« Liga-Aufstieg welcher durch die für den bürgerlichen Fußballspori wenig rühmliche Affäre' NachödSaaz mehr Beach­tung fand, wurde am Sonntag mit' zwei Spielen fortgesetzt. In Saaz   festigte DSV Saaz seine Posi­tion durch einen Sieg über den CSK Preßburg mit 4:2(3:2) und in Brünn   wurde der nur mitsport­lichen Motiven" arbeitende SK Nachod von der Mor. Slavia mit 2:5(2:1) abgchängt. CSK Preßburg, DSP Saaz und Mor. Slavia sind nun sichere Liga-Neulinge. Der vierte Kandidat wird noch ermittelt; ob es Piktoria Zizkov oder doch' Nachod sein wird, das ist derzeit das große Räts.el Die Nachoder, welche bekanntlich in der Vorwoche in Saaz   nicht antraten, wollen nun doch noch mit Saaz  spielen und hoffen, daß man diesmal ihrerBegrün­dung" ebensolchesVerständnis" entgegenbringt. Ob diese Komödie von der CsAF. die ebenfalls unrühm­lich in diese Affäre eingrtff, noch mitgemacht wird? Slavia Prag spielte Samstag in Olmütz   gegen den SK 10:0 und Sonntag in Pardubitz   gegen SK 7:2(4:0). DFC Prag eröffnete Samstag mit einem Spiel gegen Meteor VHI die Herbsaison und gewann 9:0. Budapester Klubs in der Tschechoflawakei. B u- d a i gewann Samstag in Proßnitz gegen den SK 1:0(0:0), wurde aber am Sonntag in Mährisch- Schönberg   vom überraschend mit 7:0(2:0) ge­schlagen. 3. Bezirk siegte am Samstag in Karlsbad   gegen KFK 4:1(2:0) und verlor Sonn­tag in Teplik gegen TFK 7:2(2:2). Sonstige Fußballergebniffc. Prag  : Cechie Karlin gegen AFK Kolin 3:2(0:1), Nuselsly SK gegen SK Libeü 2:1(0:0). Kl adno: SK gegen Rapid Prag   4:0(2:0). B.-Budweis  : DFC gegen CSK Vierhöf 5:0, Meteor gegen DFK Krumau 4:1. Horowitz: SK gegen SK Pilsen 4:4(1:3).Komotau  : DFK gegen VfB Tep- lih 5:0. Brüx  : DSK gegen SK Sous 1:1 (1:0). Gablonz: BSK gegen Olympia- niggrätz 8:0. Reichenberg: RFK gegen SK Königgrätz   5:2(2:1). Warnsdorf: WFK gegen Jungbunzlauer SK 9:5(4:3). Böhm.» Leipa: DSV gegen DSV Reichenberg 5:2(3:1). Tr»utenau: DSV gegen DSK Gablonz 5:1 (3:1). M.- Ostrau: Hakoah Wien gegen SK Schles.-Ostrau 5:4(3:2). Preßburg  : VAS gegen MTE 13:0, Ligeti   gegen Rapid   6:0, Die Schwimm-Meisterschaften der Tschechoslowakei  wurden von Freitag bis Sonntag in Prag   ausge­tragen. Neue Rekorde wurden erzielt Wer: 4X200 Meter Freistil(Männer) in 10:24.2 Min., über 3X200 Meter der Frauen(Verbandsstaffel) in 4:14.6 Min., 3X100 Lagen(Männer) in 3:49.5 Min. 3X100 Meter Lagen(Frauen) in 4:38 Min. und über 4X100 Meter Freistil(Frauen) in 6:02.7 Min. Von den einzelnen Ergebnissen wären zu er­wähnen: Männer: 100 Meter Freistil: Dr. Steiner (Bar Kochba Preßburg) 1:03.3 Min. 200 Meter Freistil: Getreuer(Hagibor Prag  ) 2:32.8. 400 Meter Freistil: Getreuer 5:32. 200 Meter Brust: Erbert(Gablonz  ) 2:58.6. 100 Meter Rücken: Heiling(PTE Preßburg) 1:16.3.3X100 Meter Lagen: Hagibor Prag 3:49.5. 4X100 Meter Brust: Hellas Teffchen 5:44.5. 4X200 Meter Freistil: Hagibor 10:24.2. Springen: 1. Ne- svadba(Slavia Prag) 151.73 Punkte, 2. Leikert (Teplitz. Turmspringen: Leikert 109.54 Punkte. , Frauen: 100 Meter Freistil: Schramek (Brünn  ) 1:14.2. 400 Meter Freistil: Schramek 6:10.8. 100 Meter Rücken: Freund(SPK Preßburg) 1:26.6. 200 Meter Brust: Würfel (Teplitz  ) 3:19.5. 3X100 Meter Lagen: Bar Kochba Preßburg 4:38. 4X100 Meter Freistil: Slavia Prag 6:02.7. Springen: Hrubesch(Tep- litz) 75.1 Punkte. Turmspringen: Kakenova (Slavia Prag) 33.63 Punkte. In der Mannschaftswertung der Männer siegte Hagibor Prag mit 163 vor Hellas Tetschen 48 und Sparta   38 Punkten usw. Bei den Frauen fiel der Sieg an Slavia Prag mit 99 vor Hellas Tetschen mit 74 Punkten utw. Ncuer Hürden-Weltrekord. Bei einem Meeting in Oslo   lief der Amerikaner Moreau über 110 Meter Hürden die neue Weltrekordzeit 14(2 Sek., welche um 0.1 Sek. besser ist als der Rekord seines Landsmannes Beard vom Jahre 1932. Der leichtathletische Klubkampf Slavia Prag BSK Lobofltz in Löbositz endete mit dem Siege don 64:53 Punkten für die Prager  . Ter amerikanische Neger-Weitspringer Peaeok sprang bei einem Pariser   Meeting 7.84 Meter, wo­bei ihm der Franzose Paul mit 7.70 Meter am nächsten kam. «Den japanischen Marathonlauf gewann Tuso- niki in der ausgezeichneten Zeit von 2:26:51 Std. Insultiert." Diesezarte" Umschreibung für geschlagen" kommt jetzt sehr häufig in den bürger­lichen Sportberichten vor. So auch jetzt in einem Bericht ans Weipert, wo ein Schiedsrichter verprü­gelt wurde. Es ist halt ein Kreuz mit dem bürgert liehen Sportbetrieb und man ist heilfroh, daß für diverse Exzesse auch das verdeutschte Fremdwort insultiert" gesetzt werden kann; denn«s kling! wenigstens nicht so robust wie dieserVolkssport" sich gibt... Der Dfnr Fünf gelungene Mädchen Seit Pat und Patachon von den Kino-Lein­wänden verschwunden sind, sind Filme aus Däne­ mark   selten geworden. Dabei scheint sich der harm­lose Humor und die kindliche Komik, di« das däni­sche Spaßmacher-Paar über die ganze Welt verbrei­tete, im dänischen Film erhalten zu haben. Dieser Film von den fünf gelungenen Mädchen(zu dencil sich im Laufe der Handlung noch fünf nicht ganz so gelungene Jünglinge gesellen) führt jedenfalls die Tradition fort, und zwar auf so sympathische und natürliche Art, daß man tatsächlich glauben kann, es handle sich um so etwas wie dänischen Volks­humor. Jgmitten großspurig mißlungener und raffiniert über ihren Unwert täuschender Filme ist dieses Werkchen des Regisseurs Sandberg eine wahre Erholung. Nicht nur, weil man ein Land sieht, das aus Wiesen, Fahrrädern und Milch zu bestehen scheint, sondern weil in diesem Film eine kindliche Munterkeit herrscht, der man sich nicht entziehe« kann. Wie harmlos die Handlung fit(die fünf ver­waiste Schwestern aus Amerika   auf das Gut ihres dänischen Onkels führt, der sich ihnen gegenüber als Gärtner ausgibt), das läßt sich kaum beschreiben. Aber es gibt neben sehr moralischen Wendungen, sehr viel Gesang und einer fünffachen Hochzeit am Ende so viel heitere Kleinigkeiten, so viel Na­türlichkeit und so viel ganz ehrlich gemachte Kitsch­szenen, daß man nichts anderes als Sympathie emp­findet, zumal die dänische Sprache für ein deutsches Ohr den Klang einer wunderlich netten Kinder­sprache hat. Der Onkel-Darsteller Frederik I e n s e n ist ein unsagbar gemütlicher Schauspieler, und unter den fünf Schwestern ist eine dreiste, deren Darstelle­rin(Margaret F i b y) in ihren Beinen mehr Ta- lant hat als mancher europäische Filmstar im gan­zen.eis Eva Eine Filmoperette aus Wien  , die aber was die Darstellung der Betriebsgemein schäft anbelangt ebenso gut aus Berlin   sein könnt«, wo man ja im Film auch darauf versessen ist, die Fabriks­mädel mit den Unternehmersöhnen in die innigsten Beziehungen zu bringen. Auch die Mitwirkenden sind überwiegend Berliner   Leute, freilich'solche, die auch anderswo beliebt und geschätzt sind. Unter der Regie des Schauspielers Johannes Riemann   führt Magda Schneider   ihre Munterkeit, Adele Sa nd rock ihre komische Würde und Heinz R ü b- m a n n seinen jugendlichen Humor vor. Das Wie­nerische bringt Hans Moser   zu Ehren; und die Ta- lentlosigkeit tritt in Gestalt des Herrn Söhnker auf. Di« Musik liefert« Franz L e h ä r: filme in Prager   Lichtspielhäusern Adria:Casta Diva".(Jt. Martha Eg- gerth.) Avion:Letzte Liebe." D. Flora:100 Tage". Gaumont:Vater Karafiat". Tsch.- Hollywood  :Letzte Liebe. D. Hvezda:Der Fast des Kommissärs Colt. A. Julis:Vater Kara­fiat". Tsch. Kinema: Journale, Grotesken, Re« portagen.(Ab halb 2 bis halb 10 Uhr.) Koruna! Im letzten Augenblick." A. Kotva:Zirkus Barnum."(A. Wallace Berry.) Lucerna: Vater Karafiat." Tsch. Metro:Die gefährliche Blondine." R. Passage:Die Schule der Liebe." A., Praha  :Der unsichtbare Mann." A. Skaut:Fünf gerissene Mädels." Alma:100 Tage." Belvedere  :Ihr Arzt."(Tsch. Hugo Haas.), Favorit:100 Tage." Illusion: Musik der Herzen." Tsch. Kapitol:Maskerade." lD. Paula Wessely  '.) Louvre:Die blonde Venus."(A. Marlene Dietrich  .) Sport- Smichov:Auf Rosen gebettet."(Tsch. Lide Baar.) Grenzen der Kunst Die Ausstellung französischer Plastik im Belve­ dere   erfreut sich andauernd guten Besuches und er­freulicher Beachtung. Für Prag  , das so selten gute Ausstellungen und kaum geeignete Räume für grö­ßere Expositionen hat, war die Schaustellung der französischen   Plastiker eine besondere Leistung. Um so betrüblicher stellt man bei einem Rundgang den Kontrast zwischen den wahrhaft klassischen Kunst- werken eines Rodin und manchem anderen fest, das leider auch in die Ausstellung ausgenommen wurde, obwohl es eher unter die Sammlungen einer psychiatrischen Klinik als in eine Galerie gehört. Man könnte freilich sagen, daß eine Ausstellung moderner Plastik ein umfassendes Bild zu geben hat, in dem auch die Objekte nicht fehlen dürfen, die dem Geschmack einzelner Besucher als unschön erscheinen mögen. Aber abgesehen davon, daß die Ausstellung ja überhaupt nur eine spärliche Auslese und keineswegs ein umfassendes Bild der Strömungen und künstlerischen Individualitäten gibt und geben kann, sind Wohl noch Grenzen zu ziehen zwischen dem, was noch unter den Begriff K u n st gehört, und den snobistischen Spielereien, die allen Ansprüchen an Modernität genügen mögen, aber jedes Merkmals eines Kunstwerkes entbehren. Wenn man, überwältigt noch von Rodins Balzac und gefesselt von dem Herakles des freilich in allen Stilarten gerechten Vielkönners Bo urdelle, vor das merkwürdige Gebilde tritt, das Iacques Lipchitz(ein Franzose aus Druskienki in Polen  )Faschingdienstag" nennt und. das mit demselben Recht jeden beliebigen an­deren Titel führen könnte, denn es erinnert an gar nichts, wenn man also von wahrer Kunst kommt, die keineswegs platter Naturalismus und porträt­recht im photographischen Sinne sein muß, so kann man die Werke, die sich in den Oberstock des Bel­ vedere   verirrt haben und auch da eine sonst illustre Nachbarschaft haben, nicht einmal humoristisch neh­men, sondern als ärgerlichen Unfug. Man würde wünschen, daß einer daherkäme, und wär's ein Rüpel und Büttel, der weiter gar nichts versteht, und autoritativ entschiedewas eine Kunst fft und Was keine Kunst nicht fft", wie T h o m a' s unsterb­licher Josef Filser   so schön sagt. Besagter Lipchitz   stellt eine. Bronze ausKampf Jakobs mit dem Engel", die man mit einem Höchst­aufwand von Phantasie vielleicht für ein Paar rau­fender oder sich paarender Krokodile halten könnte. Man stelle sich aber beileibe nicht vor, daß sie der­gleichen ähnlich sieht. Lediglich die schuppige Ober­fläche und einige Windungen lassen die Vermutun­gen aufkommen, es könnten Krokodile sein, da einem schon nichts anderes dazu einfällt. Es ist also Ja­kobs Kampf mit dem Engel. Was man doch mit der Bronze alles anfangen könnte! Zu denken, daß Künstler verhungern, weil sich kein Hund um sie kümmert, verkommen, weil sie kein Geld auf Gips oder Papier mehr haben, und daß so etwas neben Rodin  , Maillol  , Bourdelle   erscheint! Warum aber soll Lipchitz   nicht den schmucken Entwurf für ein Kanalgitter dafür hält man es alsMatro­sen mit Gitarre" bezeichnen, wenn ein anderer di« Holz kugel mit drei L ö ch er n alsSo­ krates  " beschildert?! Zugegeben, der Mensch ringt um den Aus­druck seiner Gedanken und Gefühle und nicht immer gibt ihm«in Gott zu sagen was er leidet. Dann ist es unverständlich für das Publikum, aber cs ist auch keine Kunst, mag es aus noch so tiefem Gefühl geboren sein.. Der Künstler m u ß so sprechen, daß die Andern ihn verstehen, mit ihm fühlen;, wer's nicht kann, wer den Funken nicht hat, ist eben kein Künstler. Und was beim plastelinformenden Kinde psychologisch, was noch beim Schizophrenen psychiatrisch interessant fft, bei erwachsenen und ge­sunden Menschen wirkt es als Snobismus; geschmack­los, kindisch, dreist. Denn man glaubt es diesen Herren, die sich den Pofel teuer bezahlen und ihn von nicht, minder snobistischen Zünftlern kritisch be­schnarchen lassen, nicht einen Augenblick lang, daß sie aus innerem Drang etwas produzieren, was ein zehnjähriger Schüler schamhaft verstecken oder nicht erst herlleistern würde. Man ist überzeugt,.daß diese Herren, kalt wie Hundeschnauzen, ohne^die Spur einer schöpferischen Regung sind und in raf­finierter Berechnung auskügeln, welcher Un­sinn zur Zeit bei Raffkes und anderen Kunden als besonders ausgefallen und modern ziehen könnte Ob sie nun wirklich nichts anderes können und zur bil­denden Kunst kommen wie weiland Jaroslav Hasek  zur Ornithologie, oder ob sie«S anders könnten, aber aus Snobismus und aus Geschäftsgeist so tun, als könnten sie es nur so delirisch-paralytisch, es kommt in der Wirkung auf eins heraus. Es führt nämlich dazu, daß die Beschauer, soweit sie nicht selbst Snobs sind, sondern schlichte, innerlich geyade Menschen, langsam, aber bei Wiederholung des Un­fugs stetig und sicher in«ine Geistesverfassung ge­raten, in der sie plötzlich Sinn für Worte wie .^kulturbol schewismus" undA?'< phaltkunst" bekommen. Man kann es schon ver­stehen, daß sich auch gutarffge und keineswegs mit Barbarenmilch gesäugte Menschen in Nazis verwan­deln oder doch die rechte Disposiffon für hie Pro­paganda Goebbels  ' erhalten, wenn ihnen wie es in Deutschland   geschah jahrelang jede Frechheit eines Kunstschlieferls als dernier cri vorgesetzt und, da es ja nicht bei der bildenden Kunst blieb, täglich Lyrik ä la Kerr borgekotzt wurde. Ein Uebermaß hysterischer Verfallserscheinungen mag einem dann Herrn Schulz e-Naumburg als den Erzen­gel erscheinen lassen, der das Paradies von de« Sündern reinigt und jahrelange Beleidigung von Äug' und Ohr durch dadaistischen Mist erzeugt wohl einen Netzhaut- und Trommclfellreiz, der einem die komplementären Farben und Töne vorspiegelt, st daß einem braun vor den Augen wird, weil man zu lang« in moderne Ausstellungen geblickt hat. Die­ser Wirkung wegen sind Witze, wie sie sich.die Ver­anstalter der Französischen   Ausstellung geleistet haben, als sie Lipchitz   neben RcHin stellten, p o l i« t isch nicht ungefährlich und doppelt zu verpönen in Ländern, deren Atmosphäre ohnehin ge- wittergcladen ist. Die solide RegelCacatum non est pictum", sollte auch für die Jury von Ausstellungen gelten, die ja eigentlich doch für uns Laien und nicht für dieSachverständigen" da sind, die RodinsJohannes" für überlebt halten, wenn sie den oben geschildertenSokrates  " sehen. E- F- BezngSbedingungen: Bet Zustellung ins Haus oder bei Bezug durch die Post monatlich Kd 16.. vierteljährig Kd 48, halbjährig Kd 96. ganzjährig Kd 192.. Inserate werden laut Tarif billigst berechnet. Bei öfteren Einschaltungen Preisnachlaß.   Rückstellung von Manuskripten erfolgt nur bei Einsendung der Retourmarken. Die Zeitungsfrankatur wurde von der Post« und Tcle» ' graphendirektion mit Erlaß Nr. 13.800/VH/1930 bewilligt. Druckerei:.Ork-iS". Druck-. 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