Donnerstag, 8. August 1935 15. Jahrgang Nr. 183 UNTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii., fochova a. telefon 53077. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB , CHEFREDAKTEUR! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS. PRAG . Eh2Bl|irBls70 HbUm («InicMltfillch 5 Heller Porte} Italien erklärt: Krieg unvermeidlich Autoritärer" Skandal bei Eröffnung der Glocknerstraße Konflikt Zwischen den Landeshaupt­leuten von Salzburg und Kärnten »Daily Herold" veröffentlicht einen Bericht feines österreichischen Korrespondenten über eine Politisch« Skandalaffäre, die sich Sonntaa anläßlich des ersten Autorennens auf der eben eröffneten Groß glocknerstraße zutrug. Zwischen dem Landeshauptmann von Kärn­ ten , der ein«totalitärer" Heimwrhrfas- r i st ist, und dem Landeshauptmann von Salz- d u r g, der angeblich eher den Christlich - sozialen nahestrhr, kam eS zu einem solchen Auftritt, daß der Kärntner Landeshauptmann vor Beginn der Feier a b r e i st e und das Kärntner Chrenregiment, das er zu der Feier be­ordert hatte,, a b z 0 g. WaS der unmittelbare Anlaß dieser Skandalszene war, ist nicht bekannt. Imperialismus mit Glacehandschuhen ... Tokio . Nach einer Meldung der japanischer Zeitung»Asahi Schimbun" wird Mandschukuc demnächst eine vorläufige diplomatisch« Vertretung in Nordchina zwecks Vorberei­tung einer»wirtschaftlichen und diplomatischem Zusammenarbeit"(so nennt man in der Diplo- matensprache die Unterdrückung der Schwächeren) beider Länder einrichten. Diese vorläufig noch unbestätigte Meldung würde zutreffendenfalls von Weittragender Bedeutung für die staatliche Ent­wicklung Nordchinas sein. ...und ohne Peiping. In hiesigen politischen Kreisen tst man über die Entwicklung, die der Zwischenfall am vergangenen Sonntag auf dem Bahnhof von Luan-tschu zu nehmen droht, sehr beunruhigt. Auf dem Bahnhof wurde der Abteilungschef der Sonderpolizei in der entmilitarisierten Zone, der sich auf einer Inspektionsreise befand, erschossen. Gleichzeitig wurden ein japanischer Gendarm und zwei Reisende verletzt. Man nimmt an, daß es sich um einen politischen Racheakt handelt, da der Ermordete jener Gruppe angehörte, die End Funi einen vergeblichen Angriff in Pan­zerwagen auf Peiping machte. Die Unter- luchungen über den Fall sind noch nicht abgeschlos- sen. Die japanische Presie greift mittlerweile die chinesischen Behörden auf das Heftigste an und Erklärt, daß die Lage wiederum s e h r e r n st se'. Wahl gegen Roosevelt New Aork. Bei der N a ch w a h l zum Senat in einem Wahlkreise des Staates Rhode Is­ land siegte zum ersten Male der Vertreter ber Republikaner mit 48.189 gegen 34.012 Stimmen. Die demokratische Mehrheit batte im Jahre 1934 noch 21.000 Stimmen um­faßt. Die republikanischen Streife bezeichnen die­sen überraschenden Sieg als erstes Volksurteil Segen die New Deal des Präsidenten Roosevelt . bas tägliche Stahlhelm -Verbot Münster . Wie die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk M ü n st e r mitteilt, ist in Münster der NDDFS(Stahlhelm) für das Gebiet des Kreises Beckum (Regierungsbezirk Münster ) mit sofortiger Wirkung»wegen staats­feindlicher Betätigung" aufgelöst und das vermögen beschlagnahmt worden. Was es noch gibt... Genf . Der Präsident der Abrüstungs­konferenz Henderson hat den Mit« gliedern des Präsidiums mitgeteilt, daß er mit Rücksicht auf die seit der letzten Sitzung eingetre­tenen Ereignisse beschlossen habe» das Präsidium während der ersten Woche der Völkerbundver­sammlung einzuberufen. Mailand . Die Mobilisierung der zwei Divisionen ist mit Beflaggung, Umzügen und Kundgebungen begrüßt worden. Die fascistischrn Parteisekretäre hielten patriotische Ansprachen. Der offiziösePopolo d'Jtalia" begründet die neuen Aufgebote mit der durch diplomatische Manöver ermutigten Unversöhnlichkeit des Negus, die unvermeidlich zum Konflikt führen werde. Italien habe jetzt für Ostafrika 13 Divisionen aufgebotrn und im Mutterlande rr- 300 Lire für den Heldentod Athen . Italien verhandelt in Piräus über denKaufvonSchiffen zum Transport von Wasser. Desgleichen wirbt Italien Arbeiter an, denen es außer der Verpflegung 300 Lire bietet. 23.000 Gasmasken Addis Abeba . In Abessinien sind 3000 Gasmasken reichsdeutscher Herkunft-einge­langt. Weitere 20.000 Masken sollen unterwegs sein. Die Spenden für das durch den Kaiser ins Leben gerufene abessinische Rote Kreuz haben be­reits den Betrag von fast einer halben Million Maria-Thcresientaler erreicht. Dreierkonferenz auf den 23. Ausust verschoben Paris . Die Einberufung der französisch- englisch-italienischen Konferenz behufs Regelung der abessinischen Frage wurde für kurze Zeit, wahrscheinlich bis zum 23. August, verscho­ben, da Ministerpräsident, und Außenminister Laval, welcher den Borsitz führen wird, am 20. August seine Tochter verheiratet. Noch früher als einst in Deutschland während der Deflationsära Brüning zeigen sich in Frank­ reich die Folgen der verhängnis­vollen, von den Banken diktier- t c u Wirtschaftspolitik Lavals. Der französische Arbeiter ist leidenschaftlicher und weniger diszipliniert als es der deutsche war. In Frankreich reagiert die Masse spontan und unmit­telbar auf die Anschläge der wirtschaftlichen Reaktion., Daß die Taktik der Arbeiter nicht gerade klug ist» wird man auch dann zugeben, wenn man mit ihnen sympathisiert und ihrem Mut alle Anerken­nung bezeugt. Die Aufgabe der Linksfront in Frankreich kann es im Augenblick nicht sein, auf bewaffnete Zusammenstöße mit der Regierung und ihrer noch uncrschüttcrten Exekutive ausgehen, sondern ihre Politik mutz auf die Gewinnung der großen, durch Lavals Finanzpolitik schwer geschä­digten Massen der Lohn- und Gehaltsempfänger,- der Bauern und Gewerbetreibenden, gerichtet sein. Erst wenn die Stimmung der Massen den Sturz Lavals und des Bankenregimes gebieterisch for­dert, wenn eine klare Bolksmehrheit hinter der Linken steht, wäre es Zeit, zu schärferen Mitteln wie großen Demonstrationen oder Streiks über ­setzt. Es sei entschlossen, seineSichcrheitspolitik" in Ostafrika zuEndezu führen, das die E n t» waffnungö ton trolle Aethiv- p i e n s zum Ziele habe. Das einmal aufgerollte Problem müsse jetzt gründlich gelöst werden. Corriere Gazzrtta del Popolo" schreibt, Eng­land habe die Abessinier zum Kampfe aufgehetzt und den Krieg unvermeidlich gemacht. Italien könne keinesfalls auf seine Ausdehnung verzichten. Nit Speeren gegen Tanks? Addis Abeba .(Reuter.) Die Mobili­sierung findet bei heftigem Regen statt, der die Truppenbewegungen stark erschwert. Die Abessi­nier selbst wissen nicht, wie stark die Streitkräfte sein werden, die sie zu konzentrieren imstande sein werden, als wahrscheinliche Zahl werden aber 750.000 Mann angegeben. Aber nicht alle Sol­daten werden mit Gewehren versehen sein und nur etwa die Hälfte, der angegebenen Truppen­zahl hat einen Begriff von der europäischen Krieg- führung. Mussolinis Generalstab wird reorganisiert Rom.(Tsch. P.-B.) Im Rahmen der gegen­wärtigen Ncuorganisierung des italienischen Hee­res ist auch der Generalstab umorganisiert wor­den. Künftig wird es rin Generalstabskorps, das sich aus 35 Obersten und 99 Oberstleutnants zusammcnsctzt, und einen Generalstabs dienst geben, der aus einer nicht näher fcstgelegten Zahl von Mckjoren, Hauptleuten und Oberstleutnants gebildet ist. Zur Bekleidung dieser Posten ist Ab­solvierung der Kriegsschule und vollständige Aus­bildung als Gcneralstabsofsizier erforderlich. zugehen. Es besteht die große Gefahr, daß gerade jene Schichten, die es zu gewinnen gilt, ebenso wie seinerzeit in Deutschland durch das von Hitler an die Wand gemalte Gespenst des Kom­munismus, so auch in Frankreich durch die Angst vor demroten Schrecken" in die Arme des Fascis- mus getrieben werden. Außerdem kann sich die Arbeiterschaft im Kampf mit der Exekutive leicht Schlappen holen, die sie moralisch schwer schädigen würden. Diese taktischen Erwägungen sind aus der Distanz leicht anzustellen, sie werden bei den pro­letarischen Massen selbst so leicht nicht durchdrin­gen. Die Bildung der E i n h eitsfront hat den Arbeitern ein starkes Selbstbewußtsein zurück­gegeben, hat ihren Aktionsdrang erhöht. Sie ver­leitet sie aber auch zu I l l u s i o n e n, zur Ueber- fchätzung der revolutionären Möglichkeiten. Man versteht den Zorn der französischen Arbeiter, ihren Eifer, den Schlag der Reaktion zurückzugeben, aber man darf in diesem Augenblick auch nicht die G e- fahren übersehen, die der gesamten europäischen Arbeiterklasse dro­hend wenn es dem französischen Fascismus gelingt, die Arbeiter zu vorzeitigen und unüberlegten Ak­tionen zu provozieren. Was wird aus Rot hau? Die Einnahmen der Gemeinde verpfändet Der Arzt stellt seine Arbeit ein Metallarbeiter als Spitzenklöppler Das Interesse der Oeffentlichkeit an dem Schicksal der Gemeinde Rothau hat stark nach­gelassen. Als vor ungefähr vier Jahren das Eisenwerk von Rothau infolge der Betriebspoli- tik des bekannten Henlein -Doderer zum Still- stand kam, beschäftigte sich die gesamte Presse der Republik , beschäftigten sich alle öffentlichen Körperschaften mst der Zukunft der vorher blü­henden Gemeinde Rothau . Rothau war eine Sensation, die inzwischen von weit interessan­teren Ereignissen überholt worden ist. Niemand spricht mehr von dem Schicksal der Arbeiter von Rothau , niemand schreibt über die verlassenen Fabriksgebäude, die auf einem 600 Meter lan­gen Gelände stehen, niemand regt sich darüber auf, daß in Rothau Millionenwerte dem natür- lichen Verfall preisgegeben werden, niemand frägt, was aus der Gemeinde Rothau geworden ist. Und doch ist es sowohl vom rein menschlichen Standpunkt aus, als auch von jenem des Ge- sellschastskritikerS notwendig, die Erinnerung an Rothau wieder wachzurufen. Denn Rothau nähert sich im Eiltempo dem gänzlichen Ver­fall. Die Gesellschaft, deren Eigentum daS Eisenwerk ist, läßt es, so wie es bei der Still­legung war, verfallen. Die Maschinen, dar- unter solche, die einen Wert von mehr als einer Million Kronen hatten, sind weder dcüion- tiert noch gegen Verfall geschützt worden. Sie verrosten, werden unbrauchbar. Die Gebäude machen heute schon einen trostlosen Eindruck. Die Fensterscheiben fehlen zum Teil, das Mauerwerk bröckelt ab, die Kamine mußten, weil sie einzu- stürzen drohten, fast zur Hälfte abgetragen wer­den. Einige, meist sehr teure Gebäude, stehen leer da, der Schwamin zerwühlt ihr Holz, die Fassaden fallen ab, das Wetter zerfrißt die Far- ben der Fenster und Türen. Diese Häuser blei­ben leer stehen, obzwar aus den Werkswohnhäu- fern, die ebenfalls verfallen, Parteien delogiert werden müssen, weil sonst die Decken über ihnen einstürzen könnten. In ein paar Jahren werden Ruinen da stehen, wenn nicht die Mittel gefun­den werden, um dieser Vernichtung kostbarer Werte aufzuhalten. So wie das Werk und seine Nebenbesitzun­gen, so verfällt auch die Gemeinde. Seit Mona­ten werden die von der Gemeinde noch aufzu- bringenden Mittel nicht mehr der Gemeindekassa zugtzsührt, sondern sind gepfändet worden oder werden vom Steueramt als Steuerübergenüsse in Abzug gebracht. Die Gemeinde zahlt infolge, dessen auch die dringendsten Rechnungen nicht mehr. Sie ist dem Arzt für die Unter- suchung und Behandlung der Krankenmehr als 2 1.0 00 Kro­ne n s ch u l d i g. Er hat jetzt erklärt, daß er nicht mehr imstande sei, die ihm von der Ge­meinde zugewiesenen Kranken zu behandeln. Hilflos müssen Arbeitslose und Kinder, Alte und Sieche zugrundegehen, weil die Gemeinde die Ordinations-Honorare, oder vielmehr, weil sie dem Arzt nicht endlich einige hundert Kronen als Abschlagszahlung seiner Forderung zahlen kann. Tausende Kronen schuldet die Gemeinde den Apotheken für Medikamente, auch sie wer­den nicht mehr lange auf die Bezahlung warten und die Ausgabe von Arzneien bei Gemeinde- anweisungen einstellen. Die Rechnungen für Kohle, Holz, für Gewerbetreibende usw. sind seit Monaten nicht mehr bezahlt worden. Die Dor- schreibungen der Krankenkassa sind nicht einge­löst worden, die wenigen Angestellten der Ge­meinde erhalten hin und wieder hundert oder zweihundert Kronen, an eine Verrechnung ihres Gehaltes ist nicht zu denken. Die Armengel- der können nicht mehr ausbe- zahlt, die Arbeitslosen nicht mehr unterstützt werd'"' Deflation mit blutigen folgen Die Unruhen In ffrankreich Hoch Immer bedrohliche Situation Bei den Unruhen in Brest sind 170 Personen, von ihnen 20 schwer, verletzt worden. Ei« Arbeiter ist seinen Wunden erlegen. Die Demonstrationen hatte« sehr stürmische» Charakter und wurden erst nach Eingreifen des Militärs gegen Mitternacht unterdrückt. Mittwoch früh wurde die Arbeit wieder ausgenommen, nachmittags aber legten die Arbeiter im Arsenal die Arbeit aufs neue nieder. Donnerstag wird sich die Arbeiterschaft vollzählig an dem Begräbnis des gefallenen-Kameraden beteilige». Die Stadt B r e st bietet, den Berichten der amtliche« Büros zufolge-ein Bild der Ver­wüstung. Die Situation scheint trotz alle« Beschönigungsversuchen ernst zu sein. Der Kriegs­hase« und zahlreiche öffentliche und private Gebäude mußten abgesperrt werde«. Neue Pro- trstversammlnngrn sind einberufe«. Die neuerliche Betriebseinstellung erfolgte auf den Rat der Gewerkschaftsführer. Auch in P a r i s kam es zu Protestkundgebungen gegen die Lohnabbau-Politik Lavals. 2»LeHavre drohen Streiks der Hafen-, Dock- und Schiffahrtsangestellten und Arbeiter. 2n T o u l o n wird Wetter für den Streik agitiert. Die konservativen Blätter hetzen gegen die Linksfront. Die Linkspresse warnt vor Gewalttaten, stellt aber die Verantwortung Lavals fest.