Seite 2 Donnerstag, 8. August 1935 IW England:„Es drohen noch ernstere Konflikte** Danzig gibt nach London . Der diplomatische Korrespondent des »Daily Telegraph " schreibt, daß die scharfen Angriffe gegen Großbritannien , die in der italienischen Presse inspiriert wurden, den Gegenstand von Vorstellungen bildeten, die in den letzten Tagen vom britischen Außenministerium dem italienischen Botschafter in London Grandi gemacht wurden. Der Botschafter soll darauf aufmerksam gemacht worden sein, daß die beiden Länder wahrscheinlich in der Zukunft in Angelegenheiten, welche nach allen weit ernster und wichtiger alS ihr gegenwärtiger Konflikt sind, zusammenzuarbeiten haben. Der scharfe P r o t e st, welcher im Namen der britischen Regierung am 26. Juni dem italienischen Botschafter in London wegen der italienischen Presse-Angriffe gegen Großbritannien erhoben worden war, wurde bisher nicht beantwortet. Vierzig von den 1000 Arbeitslosen werden gegenwärtig bei der Wildbachverbauung des Rothaubaches verivendet, aber die Landesver- wqltung, welche den Bau in eigener Regie durchführt, erklärt durch ihre Organe, die Wlldbach- verbauung sei keine Notstandsarbeit und man könne sich bei der Durchführung der Arbeit nicht von sozialen Gefühlen leiten lassen, sondern müsse bestrebt sein, rationell zu arbeiten, d. h. in diesem Falle von dem im Interesse der Arbeitslosen geforderten Wechsel der Arbeitskräfte Abstand nehmen I Die Arbeitslosen, welche jahrelang auf die Wildbachverbauung gewartet haben, sehen sich nunmehr in ihren Erwartungen getäuscht und ihre Verbitterung wächst ins Maßlose. Für sie wäre es eine Erleichterung, wenn inan sie nur durch einige Wochen beschäftigt, aber bei dem unsozialen Verhalten der Landesbehörde oder besser gesagt ihrer Organe, ist diese Wohltat der abwechselnden Arbeit für alle nicht zu er- reichen. Die Arbeitslosen sitzen daheim, leben von der Ernährungskarte, oder arbeiten unter ge- radezu unmenschlichen Verhältnissen als Heimarbeiter. Ehemalige Metallarbeiter haben sich in den Jahren der Arbeitslosigkeit die Kunst des Klöppelns angeeignet und arbeiten jetzt daheim als Spitzenklöppler zwölf und vierzehn Stunden im Tag, wobei sie iü der Woche nichtmehr als zehn bis zwölf Kronen verdienen! Was in der nächsten Zeit aus den Menschen und der Gemeinde werden soll, weiß niemand. Die Behörden kümniern sich wenig oder gar nicht um das Schicksal von Rothau . Aber desto mehr die Leichenfledderer in Gestalt der Henlein-Fascisten. Sie machen aus der Not der Menschen und der Gemeinde ein Geschäft. Noch wehrt sich die heldenhafte Rothauer Arbeiterschaft gegen den wirtschaftlichen und politischen Verfall der Gemeinde. Werden sie standhalten, bis ihnen von außen her Hilfe wird? Warschau.(Tsch. P.-B) In den späten Abendstunden ist hier die Meldung aus Danzig eingetroffen, daß der Senat der Freien Stadt Danzig beschlossen habe, seine letzte Anordnung betreffend die Oeffnung der Zollgrenze und dir zollfreie Einfuhr vmr Waren ans Deutschland zurückzuziehen. Dieser Schritt des Danziger Senates wird es der polnischen Regierung ermöglichen, neue Verhandlungen zur Beseitigung der Spannung im Verhältnis zu Danzig anzuknüpfen. Allfällige Verhandlungen solle» auf der Basis der gegenseitigen Abschaffung der wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen seitens des Danziger Des Konkordat mit Jugoslawien (AP.) Das zwischen dem Staatssekretär Paeelli und dem jugoslawischen Justizminister Auer unterzeichnete Konkordat vereinigt in sich eine große Reihe von Verträgen zwischen dem Vatikan und den verschiedenen Territorien, die das heutige Jugoslawien zusammensetzen, vereinheitlicht sie und fügt ihnen einige Neuerungen hinzu. Teilweise wird dabei auf sehr alte Verträge zurückgegriffen, so auf das Konkordat von 1855 über Kroatien , Slawonien , Dalmatien und Slowenien , das Uebereinkommen von 1881 über Bosnien und die Herzegowina, die Konvention mit Montenegro voll 1886 und das Konkordat mit Serbien von 1914. Die Verhandlungen haben fast 15 Jahre gedauert, da die Materie äußerst schwierig war. Die Bischofserneuerungen werden in der Weise erfolgen, daß der Vatikan zuvor bei der Regierung anfragt, ob politische Bedenken vorliegen. Die Senates und der polnischen Regierung und deren Ersetzung durch ein neues Abkommen ausgenommen werden. Bon der bereits erfolgten Entspannung der polnisch.Danziger Beziehungen zeugt ferner der Umstand, daß der Generalkommiffär der polnischen Regierung in Danzig Minister Papöe und der Danziger Senatspräsident Gresser ein Abkommen unterfertigt haben, durch welches die Polnisch-Danziger Verständigung vom August 1933 betreffend das Einlaufen polnischer Kriegsschiffe und deren Aufenthalt im Danziger Hafen ans weite« drei Jahre verlängert wird. Diözesen sind mit den Staatsgrenzen in Ueberein- stimmung gebracht worddn. Insgesamt wurde das Staatsgebiet in 16 kirchliche Verwaltungsbezirke aufgeteilt. Erzbistümer bestehen danach in Bel grad , Bar, Sarajewo , Spalato, Laibach und Zagreb , Bistümer in Mostar , Banjaluka , Djakova, Sernij, Sebenico , Dubrovnik , Kotor , Maribor -, Backa und Banat . Ferner wurden die Fragen des religiösen Unterrichts, des Wirkens der katholischen Aktion, der staatlichen Gültigkeit der katholischen Ehe sowie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kirche und Staat geregelt, wobei man sich an das Vorbild der meisten in letzter Zeit geschlossenen Konkordate hielt. Ein Zugeständnis des Vatikans besteht darin, daß innerhalb des jugoslawischen Königreiches die altftawische Sprache an Stelle des Lateinischen in der Liturgie Verwendung findet. Schließlich wird den katholischen Priestern jede politische Parteizugehörigkeit untersagt. Italiens „Stellung" zum Völkerbund 89 Roman von Emil Ywhek Deutsch von Anna Aurednltek „Aber zu Besuch darf ich kommen, Ferdi?" „Selbstverständlich, Mutter. Als Gast werden Sie immer willkommen sein. Aber jetzt muß ich gehen, der Bürgermeister und der Minister warten schon auf mich. Grüß euch Gott, alle miteinander!" Nachdem man einige Minuten im ägyptischen Salon des Bürgermeisters verbracht hatte, ließ sich Beinsteller in die Wohnung des Ministers fahren. Das Mittagessen war sehr festlich, aber Beinsteller guckte jeden Augenblick verstohlen auf die Uhr, die er zur Hochzeit vom Minister bekommen hatte. Endlich bemerkte es der Minister und sagte vorwurfsvoll:„Aber, Herr Beinsteller, gefällt es Ihnen gar nicht bei mir? Haben Sie nur ein wenig Geduld! Ich habe auch zlvei Monate auf Sie gewartet." „Sie haben recht, Herr Minister, und es ist nicht schön von mir, aber ich muß fort an meine Trafik denken." „Das Unglück ist nicht so groß, wenn Ihre Kundschaft einmal anderswo einkauft", meinte der Minister. „Jesus Maria, Herr Minister", schrie Beinsteller,„man sieht, daß Sie sich bei dem Geschäft nicht auskennen. Samstag Vachmittag l Am Samstag ist das größte Geschäft. Wir haben darum mit Sophiechen verabredet, um drei Uhr wieder aufzusperren." „Aber Herr Beinsteller, damit verderben Sie sich die ganze Hochzeit. Reden Sie ihm doch zu, Frau Beinstelleri" Aber Frau Beinsteller piepste nicht, sie hatte sich des Bürgermeisters Belehrung vom Gehorsam der Frau scheinbar zu Herzen genommen. „Sehen Sie, Herr Minister, sie schweigt und ist noch ganz paff, wenn man sie„Frau Beinsteller" anspricht. Sie hat sich noch nicht daran gewöhnt und schaut immer herum, wer eigentlich gerufen wird. Aber Geschäft ist Geschäft, Herr Minister. Sie gehen ja auch ins Ministerium, selbst wenn es Ihnen irgendwo noch so gut gefällt. Ich bin-ja nur ein gewöhnlicher Trafikant — aber habe meine Grundsätze. Nicht wahr, Sophiechen?"- „Dagegen läßt sich nichts einwenden, Herr Beinsteller, und ich gratuliere Ihnen zu solchen Grundsätzen. Schätzen Sie sich so einen Mann, Frau Beinsteller." „Warum sollte sie mich nicht schätzen? Sie hat mich doch geheiratet", meinte Beinsteller. „Ihrer Frau sieht man es am Gesicht an, daß sie glücklich ist, lieber Freund, und ich an Ihrer Stelle hätte die Hochzeit mit einer Reise gefeiert. Werden Sie wegfahren?" „Natürlich, Herr Minister! Heute Abend gehen»vir ins Kino, dort spielt man: Quer durch die Sahara ", das ist eine Reise!" Der Minister lachte und sagte:„Wenn Sie es nicht anders wollen, Herr Beinsteller, dann muß ich mich fügen. Die Flasche aber müssen Sie mitnehmen." „Dagegen hab' ich nichts einzuwenden, gnädiger Herr. Danke schönstens; ich werde sie natürlich für eine besondere Gelegenheit aufheben." „Haben Sie wieder ein Jubiläum vor, Herr Beinsteller?" „Das nicht, Herr Minister,' aber Sophiechen meinte, daß wir nicht mehr lang allein miteinander bleiben werden." „Schäm' dich, du Plauscher", rief Sophiechen und errötete bis zu den Haarwurzeln.„So -spricht man nicht auf der Hochzeit!" „Aber, aber", sagte der Minister,„ich habe lja immer gewußt, daß Sie Initiative haben und ein Mann der Tat sind, Herr Beinsteller." „Das geht schon nicht anders, Herr Minister. Bei uns auf der Hühnersteige hätte Sophiechen schwere Zeiten, wenn es ganz richtig nach der Hochzeit käme. Ihre Schwester hat es schon vor sechs Jahren erledigt. Aber jetzt ist es höchste Zeit, Sophie, du läßt mich hier tratschen." Als das Ehepaar Beinsteller im schönen Auto des Ministers saß, schmiegte sich'Sophiechen zärtlich an ihren Gatten. „Jesus Maria, Alte", rief Beinsteller,„was machst du, ich bin ja ganz mit Zigarren ausgestopft! Ich habe sie in unbeobachteten Augenblicken vom Tisch des Ministers geklaut." Und er zog Zigarren aus allen Taschen und Schößen. Schon lag ein ansehnliches Häufchen auf seinen Knien. Frau Beinsteller aber machte ein böses Gesicht und sagte:„Ferdl, das hast du nicht tun sollen, das ist nicht schön. So etwas machen nur Herren, wenn sie zum Tee eingeladen sind." „Aber laß gut sein, Sophie", wehrte Beinsteller übermütig.„Der Minister hat ja so viele Zigarren wie in der Trafik und lauter feine Sorten mit Bauchbinden. Als er sah, daß ein Kistchen leer war, schob er mir das zweite zu. So hat er mfc drei Kistchen zugeschoben und mir dabei zugeblinzelt:„Na, Beinsteller, greif nur zu. Die paffen in dein Geschäft und mir tut es nicht weh..." Nach diesen Worten nahm Beinsteller Init zarter Vorsicht den Zylinder vom Kopf und — auf dem Boden lagen mindestens hundert Zigaretten. Dann griff er in die Hose und eine Ha vanna nach der anderen wanderte ans Tageslicht. „Junge!" erschrak Sophie.„Wie konntest du das in die Taschen stecken? Ich habe dich ja nicht aus den Augen gelaffen und habe gar nichts Verdächtiges gesehen." „Liebes Sophiechen",. lachte Beinsteller "selbstbewußt,„mir haben schon ganz andere Leute auf die Finger gesehen und nichts bemerkt. Ich wäre ei» schlechter Fachmann." Er erschrak vor seinen eigenen Worten und neigte den Kopf. Rachejustiz Immer wieder Feberprozesse Wien.(Tsch. P.-B.) Vor dem Wiener Schwurgericht hatte sich Mittwoch der 34jährigc Anstreichergehilfe Alfted Herold, Angehöriger des aufgelösten Republikanischen Schutzbundes, zu verantworten, der an den Feberkämpfen des Jahres 1934 im 21. Wiener Bezirk teilgenommen hatte und dann nach der Tschechoslowakei und von hier nach Rußland geflohen war» und der kürzlich nach Oesterreich zurückkehrtr, wo er sich bei der Polizei meldete. Die Klage lautet hauptsächlich auf die„Verbrechen" des Aufruhrs und der Erpressung, deren sich der Angeklagte nach dem Staatsanwalt dadurch schuldig gemacht Hecken soll, daß er zu einer Gruppe des Republikanischen Schutzbundes gehörte, die im 21. Bezirk einige Polizeiwachstuben stürmte, wobei sie auch von Maschinengewehren Gebrauch machte, und daß er ferner mit dem Revolver in der Hand einen Chauffeur zwang, ihn rasch in die Gegend zu fahren, wo sich damals Kämpfe zwischen der Exekutive und dem Republikanischen Schutzbund abspielten. Der Angeklagte Herold bestritt die Behauptung des Staatsanwaltes und erklärte kategorisch, daß er das Opfer einer Personenverwech- flung geworden sei und daß er bei den Feberkämpfen bloß Wachtdienst versah. Das Gericht nahm auf seine Verteidigung keine Rücksicht und verurteilte ihm im Sinne der Anklage zu zweieinhalb Jahren schweren Kerkers. Sorgen um die Koalition haben die Redakteure der„Bohemia". Während einer von ihnen, Herr Dr. Bacher, in der „Neuen Freien Preffe". noch halbwegs sachlich seine Meinung von der ihm zu langsam erscheinenden Arbeit der Regierung vorbringt— nur von den sozialistischen Parteien sagt er, sie seien „verbürgerlicht", was aus dem Munde eineS typischen Bourgeois geradezu heiter klingt—, betitelt Herr Dr. S y n k u l e, der künftige Redakteur des Henlein -Tagblattes seinen Artikel in der„Bohemia",„Siechende Koalition". Er legt,- wie sein Kollege Fischer aus dem„MontagS- blatt", die Teuerungswalze ein und beklagt das Schicksal insbesondere der öffentlichen Angestellten— in dem Blatt der sudetendeutschen Industriellen, die seit Krisenbeginn die mitleidlosesten Lohndrücker sind. Vor allem aber fteut sich Herr Dr. Synkule schon jetzt über das Ende der gegenwärtigen Koalition und erzählt, daß nach Auffassung der tschechischen Agrarier„die Sudeten - deutsche Partei, wenn sie für das Militärbudget stimme, mit einem Schlag regierungsfähig sein würde". Der ungeduldige Leitartikler der„Bohemia" wird noch eine Weile Geduld aufbringe« müssen, bevor alle seine Wünsche erfüllt sind. Er kann es noch erleben, daß früher noch als die Koalition, die alte„Bohemia" selbst eines sanften Todes stirbt. „Beinsteller", flüsterte Sophie erschrocken, «hast du nichts mehr in den Taschen?" «Was sollt ich in den Taschen haben?" fuhr sie Beinsteller an. »Es waren so viele silberne Messer da...* Beinsteller wurde böse.„Messer, Messer? Bin ich denn ein Mefferhändler, der Meffer mitgehen läßt? Ich bin Trafikant, und ich möcht gern den Trafikanten sehen, der nicht einen kleinen Vorrat mitgenommen hätte! Die Zigaretten und Zigarren haben sich ja wie Mist herumgewälzt! Das ist eine Beleidigung, Sophie! Meffer? Bi« ich denn ein Dieb?" Nachwort. Es war Ende April und recht schwül. Ein verrücktes Aprilwetter, bald kalt, bald warm, bald sonnig, bald trüb. Ebenso wechselte heute Beinstellers Laune. Er war etwas dicker geworden, hatte aber noch immer die spitzbübischen guten Augen,, die alle seine Gefühle verrieten. Jetzt schaute er den eintretenden Käufer so entsetzt an, daß der Mann erschrocken zwei Schritt vor dein Pult stehen blieb und dachte: Falls der Trafikant verrückt geworden ist, wie es den Anschein hat, sd bleibt mir gerade noch Zeit, zur Tür zu gelangen, ehe er das Pult überspringt. Doch Beinsteller faßte sich und fragte mit höflicher, wenn auch matter Stimme:»Womit kann ich dem Herrn dienen?" Von der sichtlichen Veränderung beruhigt, sagte der Besucher:„Ich möchte Zigaretten, aber in Schachteln..." „Bitte schön: Sport kosten 18 Kronen, Dju- bek 14 oder 80, Legie 12.50 oder 50, Slavie 40 und Aegyptische 80, falls Sie nicht Entnikotini- sierte rauchen. Die kosten eine Krone mehr." De« Käufer überlegt« einen Augenblick und sagt« dann:„Geben Sie mir Slavie." sForssetzung folgt
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15 (8.8.1935) 183
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