Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077, HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  ,

15. Jahrgang

Mittwoch, 14. August 1935

Sensationelle Verhaftungen Ein neues Opfer

Fäden von Henlein  

zu den österreichischen Nazis

Dieser Tage ging durch die tschechischen Blätter die Meldung, daß die Polizei einer Orga­nisation auf die Spur gekommen sei, die von Südböhmen   aus die nazistische Bewegung in Desterreich lenken sollte und die zugleich im Henleinlager verankert ist. Nunmehr wird be­fannt, daß in dieser Sache bereits Verhaftungen borgenommen wurden. Es wurde der 71jährige Pensionierte Lehrer Adalbert Reppa in Budweis   verhaftet, bei dem eine Haussuchung einige Wagenladungen bela­stenden Materials ergeben haben soll. Ferner wurde über Dr. Josef Leppa, 34 Jahre alt, die ordentliche Untersuchungshaft verhängt. Dessen Bruder, der Karlsbader Buch= wart Dr. Karl& eppa, wurde laut -Bet ebenfalls verhaftet. In Marienbad   wurde der pensionierte f. u. f. General Rudo If Kraus( oder Strauß, aber nicht identisch mit dem allerdings auch deutschnationalen, in Defter reich lebenden und aus dem Weltkrieg bekannten General   Alfred Kraus, ein 72jähriger Mann, verhaftet, bei dem auf Grund der Ver­haftung allerdings eine Verbalinjurie gegen das Schutzgesetz angegeben wird.

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Fünfzig Jahre

Nr. 188

des autoritären Henkerregimes belgische Arbeiterpartei

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Das belgische Proletariat feiert in diesen Tagen die goldene Hochzeit seiner Arbeiter- Par­tei. Es ist ein Jubiläum der freien Selbstbetäti= gung der belgischen Arbeiterschaft, die Feier der belgischen Arbeiterklasse selbst, die dies unver­gleiche Werkzeug ihres sozialen Aufstieges und ihrer endgültigen sozialen Emanzipation ges schmiedet hatte.

Todesurteil in Oesterreich   für einen Kurzschluß Wien  . Der Oberste Gerichtshof   hat Grenze hinaus Empörung auslösen müßte, wieder selbstverständlich auf Geheiß der, autoritären" auf die Probe zu stellen, oder ob sie es nicht doch Regierung- ein Urteil bestätigt, durch das der vorziehen wird, die Erbärmlichkeit des Urteils durch 27jährige Genosse Otto Rei 3 l, deffen ,, Verbre- eine Begnadigung zu verwischen. Auf alle chen" darin besteht, daß er im Elektrizitätswerk der Fälle aber ist durch dieses Todesurteil das Regime, oberösterreichischen Stadt Ried einen drei Stunden dem es jedesmal, wenn es im Ausland um Anleihen nationalen Proletariats, der gesamten Sozialisti­Zugleich ist es die Feier des gesamten inter­Galgen ausgeliefert wird. währenden Kurzschluß verursacht hat, dem bettelt, beliebt, sich als ,, bersöhnliches", human" schen Arbeiterinternationale, mit der die belgische hinzustellen und sich als ,, autoritären Wall" gegen Arbeiterpartei seit ihrem Entstehen auf das eng­Rejzl wurde im Februar dieses Jahres, die Nazigefahr anzupreisen, gerichtet. Die gleichen ste verbunden ist. Gerade jetzt in der früben Zeit im Zusammenhang mit den und gebungen Gerichte, bei denen seit Monaten Nazis wegen der Depression der internationalen Arbeiterbewe­zum Gedenken der Februargefallen verhaftet, als weit ärgerer Verbrechen mit wenigen Mo- gung wirkt die goldene Hochzeit der belgischen die Regierung Schuschnigg  , die mit Recht vor der na ten Arrest wegkommen, verurteilen einen Arbeiterpartei, die nach wie vor ihren schöpferi­Anhänglichkeit" ihrer Untertanen zittert, im gan- Sozialisten wegen der Verurfachung eines Kurz- schen Kampfgeist und ihre troßige Lebenstraft zen Lande die Polizei und Gendarmerie aufbot, um schlusses eines Vergehens, das in Kulturstaaten auch in der Krisenzeit bewahrt, ermunternd und alles, was im Verdacht sozialistischer Gesinnung als Sachbeschädigung mit Geldstrafe oder Arrest erhebend. Allen sozialistischen   Parteien der Welt stand, verhaften zu lassen. Bei der Hausdurchsu- geahndet wird zum Tode durch den Strang. leuchtete das Beispiel der belgischen Arbeiterpar­hung in der Wohnung Rejzls fand man ein Will Schuschnigg der Welt einreden, daß er die tei mit ihrer musterhaften Verquickung von Idea­Gewehr, eine Pistole und eine Petarde. Nazigefahr abwendet, indem er die Nazis laufen lismus und Realismus, mit ihrer proletarischen All diese Dinge hatte er bloß von anderen Genoffen läßt und in seinem Verhalten gegen Marristen die Initiative und Selbstbetätigung auf allen Gez zur Aufbewahrung bekommen, die polizeiliche Nazi barbare i nachahmt? bieten des sozialen Lebens und Klassenkampfes, Uns würde es nicht im geringsten wundern, Untersuchung der Waffen ergab einwandfrei, daß Eine kommunistische Geheimdruckerel mit ihren berühmten Voltshäusern und Genossen­wenn sich aus der Heimatfront im Zuge der sie nicht benützt worden waren. Rejzl zog Untersuchung eine nette Hakenkreuzlerische Ge- ich aber den Haß der Polizei zu, weil er sich durch demonstrationen und Generalstreiks, mit ihrer ichaften, mit ihren fulturellen Einrichtungen und ihrer Arbeiterwohlfahrt, mit ihren Straßen­heimorganisation ausschälte. Denn jeder im leinerlei Drohung dazu bewegen ließ, die Namen deutschen Gebiete lebende Staatsbürger weiß der Genossen zu nennen, die ihm die Waffen zu harmonischen Vereinigung der parlamentarischen auch ohne Hausdurchsuchungen, wer die Aufbewahrung übergeben hatten. Als sich nun Heimatfront ist, was fie will Zeugen meldeten, die behaupteten, daß er am 9. Und wie sie arbeitet. Dagegen Februar in der Stadt Ried   einen Kurzschluß ver­wird es bei der deutschen demokratisch und loyal ursacht hatte, indem er ein Stück Draht über die gesinnten Bevölkerung nicht geringes Staunen elektrische Freileitung warf, war daß für die Poli­erregen, wenn sich als wahr erweisen wollte, daß zei ein guter Anlaß, Reizl dem Standgericht der Polizei tatsächlich gelungen wäre, eine anzuzeigen. Das Standgericht fand aber bei, be= seit Jahr und Tag allgemein bekannte und offen- stem" Willen feine and ha be, sich mit bare Identität an wenigstens drei von unzähli- dem Fall zu befassen und trat ihn an das Ges schworenengericht in Ried   ab. Die Rieber

gen Fällen aufzudecken...

Geschworenen, selbstverständlich ausgesucht verläß­liche Heimivehrleute, verurteilten Gen. Rejzl am Die Schuld der Exekutive 19. Juli zum To de. Die Anwälte beriefen gegen dieses Schandurteil an den obersten Gerichts­hof, der sich nun beeilt hat, es den Rieder Heim­wehrrichtern an vaterländischer Kriecherei gleich zu

an den blutigen Tagen in Brest  und Toulon  

Paris  . Das Strafgericht in Toulon   ver­urteilte mehrere Teilnehmer an den blutigen Aus­schreitungen der letzten Tage. Sie erhielten Stra=

tun: das Todesurteil wurde be= stätigt.

Dienstag die Verhandlung gegen sechs Kommu­Wien. Vor dem Wiener   Schöffengericht fand ni st en statt, die eine geheime Druderei einge­nisten statt, die eine geheime Druckerei einge richtet und darin illegale kommunistische Druck­schriften hergestellt hatten, die sie sodann verbrei­und außerparlamentarischen Kampfmethoden. telen. Sie übersiedelten mit der Druckerei von 1885 gegründet. Auf dem August- Kongreß die­Die Arbeiterpartei Belgiens   wurde im Jahre einer Wohnung in die andere, bis die Polizei ſie ſes Jahres wurde der Grundstein der Parteiorga­schließlich aushob. Der Hauptangeklagte GIudnisation gelegt, wobei nach langem hin und her die übrigen zu vier bis sechs Monaten strengen vom Anfang an die damals noch ängstlichen und ner wurde zu acht Monaten Arrest, ihr der Name Arbeiter- Partei beigelegt wurde, um

Arrest verurteilt.

unwissenden Arbeitermassen mit dem offenen so­ zialistischen   Glaubensbekenntnis nicht abzuschref=

Bomben auf dem Broadway ten. Dieser Stompromißname wurde bald zu einem Programm der neugegründeten Partei. Er­New York. Ein starkes Polizei- stens wurde dadurch der Klassen charat­aufgebot bewacht das Broadway- Vierter der Partei im Gegensatz und zum Unter­tel, wo gestern anscheinend von strei- schied von den klerikalen und liberalen Parteien kenden Arbeitern zwei Bomben ge: wurde dadurch die seltsame Eigenartigkeit der Ar­des Bürgertums umgrenzt und betont. Zweitens gen zwei Theater geworfen beiterpartei Belgiens   charakterisiert, als einer worden waren, ohne allerdings großen Organisation, die nicht nur die politischen Orts­Schaden anzurichten. Die beiden Er- organisationen, sondern auch die Gewerkschaften, ploſionen haben unter der Bevölke die Genossenschaften aller Art, die Bildungsver­rung große Panik entstehen las- eine, die Vereine der gegenseitigen Hilfe( mutua­lité) usw., also alle Formen der proletarischen Selbstbetätigung, alle Formen der Klassenorga nisation, alle Werkzeuge des Klassenkampfes uns ter einem Dache vereinigt. Trotz ihres ,, engen" Namen will die Arbeiterpartei nicht nur die Handarbeiter, sondern auch die Kopfarbeiter, die Angestellten, die Beamten, die Intellektuellen, die Kleinbauern in ihre Kampfreihen hineinziehen. Die Entstehungsgeschichte der belgischen Ar­

Man wird sehen, ob die Schuschniggregierung es die ohnehin von Tag zu Tag gespanntere und erbittertere Stimmung der Bevölkerung durch einen neuen Justizmord, der weit über Desterreichs sen.

Revision des Kolonialbesitzes?

England sucht einen Ausweg

London.  ( Reuter.) Minister Anthony Korrespondenten zufolge hat die am Sonntag er­

naten Gefängnis sowie Geldstrafen. In Paris   tagte gestern eine Delegation von 21 Deputierten der Linken, bestehend aus neun Sozialisten, fünf unabhängigen Sozialisten, drei Kommunisten, zwei Mitgliedern der Gruppe Ar­beitereinheit und zwei radikalen Sozialisten. Den Vorsitz bei dieser Tagung führte der Vorsitzende der fozialistischen Partei, Léon Blum  . Es wurde ein Bericht über die Ausschreitungen in Toulon  und in Brest   erstattet, doch wurden definitive Be­schlüsse noch nicht gefaßt. In dem über die Tagung Eden ist mit dem Zuge nach Baris abgereift. folgte Erklärung des Kaisers von Abessinien beiterpartei hat auch ihre Entwicklung im voraus ausgegebenen parteiamtlichen Bericht wird kon- Wie der diplomatische Berichterstatter des gegenüber dem Korrespondenten der Agence Ha- bestimmt. Sie bemühte sich, totalitär" in dem statiert, daß definitive Beschlüsse noch nicht gefaßt Reuterbüros erfährt, legt man in London   den vas einen ungünstigen Eindruck ausgelöst. Die Sinne zu sein, daß sie in sich alle Formen der wurden, da die Ereignisse allzu ernst waren und Pariser Verhandlungen große Bedeutung bei, Forderung Abessiniens nach einem Hafen am proletarischen Selbstbetätigung zu vereinigen, alle deshalb noch einer einsehenden Unterweil man sich immer mehr und mehr bewußt wird, Roten Meer   erklären die italienischen   Blätter als Interessen und Bedürfnisse des Arbeiters als In chung bedürfen. Doch gelangte die Delega  - wie gefährlich die Konsequenzen der italienisch- lächerlich. tion der Linksdeputierten gestern immerhin zu der abeffinischen Feindschaft wären. Man ist hier der Ansicht, daß an dem tragischen Verlauf der Aus- Ansicht, daß der Konflikt, wie schwierig und in schreitungen in Toulon   und in Breſt   die welch überaus fortgeschrittener Phase er gelangt Staatsexekutive und in besondere sei doch nur friedlich beigelegt werden könnte, die Polizei die Schuld tragen. wenn man erreichen würde, daß er in besonnener Ruhe geprüft würde, insbesondere wenn die An­wendung von Waffengewalt eine Mißachtung der Vertragsverpflichtungen btdeuten würde. Die bri­tifdhe Regierung prüft, wie man noch zu einer ruhigen Beilegung des Konfliktes beitragen fönnte. Sie wird auf die übrigen Teilnehmer der

Schwierigkeiten

der Einheitsfront

Aus London   melden die Blätter, daß

auch die Londoner   Kreise die Lage für ernst an sehen und die schwachen Aussichten einer Verein­barung nicht verhehlen.

men.

Produzenten, als Konsumenten, als Wissenshung­rigen, als Sportler furz als Menschen allsei­

tig zu befriedigen suchte und wußte, um hiermit den ,, subjektiven Faktor" der kommenden sozia­ listischen   Umgestaltung der Gesellschaft schon im ten... Rahmen der kapitalistischen   Ordnung vorzuberei­

Von den Londoner   Blätterstim men ist die bemerkenswerteste die Es ist kaum zu bestreiten, daß der ,, totali­der Morningpost", welche erklärt, täre" Typus der belgischen Arbeiterpartei auch Minister Eden könnte bei den Ver- seine Rehrseite hat. So war lange Zeit die ge­handlungen der drei Großmächte werkschaftliche Organisation im Rückstande, wäh­Paris. Die Bemühungen, einen Zusammen eine Revision der kolonia rend im Gegenteil das Genossenschaftswesen zu schluß zwischen dem Allgemeinen Gewerkschafts- Pariser Beratungen drängen, in Erwägung zu len Besitzstände vorschlagen, start die Gestaltung und die Haltung der Arbei­berband( CGT) und der kommunistischen   Ge- ziehen, ob nicht eine Lösung auf wirtschaftlichen,| wenn Italien   sich verpflichten würde, terpartei mitbestimmte, indem primitiv- reformi­wertschaftszentrale herbeizuführen, haben auch für beide Parteien annehmbaren, Grundsäken nicht zum Kriege Zuflucht zu neh sens des Sozialismus in den Kapitalismus und stische Illusionen des unbemerflichen Hineinwach Dienstag, nachdem schon mehrere Tage mit Ver- möglich wäre. Nach Londoner   Ansicht kann es sich des erfolgreichen Bombardements der kapitalis handlungen ausgefüllt waren, zu keinem Ergeb Kosten der einen oder der anderen Partei bei­stischen Festungen mit den Genossenschaftskartof­his geführt. Die kommunistische Ge- gelegt werde. feln" gehegt wurden. Vandervelde bezeichnete die wertschaftszentrale macht verschiedene belgische Arbeiterpartei als die politische Fort­Borbehalte zu den Vorschlägen des Allge- werden ständig über den Verlauf und die Ergeb- aktuell, und praktisch nicht mehr zu umgehen!) febung der ökonomischen Organisationen der Paris.( Tsch. P. B.) Das italienisch- abes- Arbeiterklasse", aber dadurch werden die inneren meinen Gewerkschaftsverbandes geltend. Beide| dies in wird seine und der betonte Opportunismus Gruppen werden sich noch mit ihren Organija gleichem Maße auch Japan   gegenüber der Fall 16. August in Paris   wieder aufnehmen. Seine der Gesamtpartei zugegeben. tionen beraten, bevor sie ihre endgültigen Ent fein. Verhandlungen laufen also mit den englisch  - Aber es ist ebenso nicht zu bestreiten, daß der scheidungen treffen. Einer Information der römischen französisch- italienischen Besprechungen parallel... totalitäre", allumfassende Charakter der belai­

nicht darum handeln, daß der Konflikt nur auf

Die Vereinigten Staaten nisse   der Pariser Beratungen auf diplomatischem wege informiert werden.

( In dem Augenblick, da die ,, Revision" des Kolonialbesitzes auf der Tagesordnung steht, ist aber auch Hitlers   Forderung nach Kolonien