f Str. 188.Mittwoch, 14. August 1935Seite 5Hunderte Menschen ertrunkenTurin. Unweit von Alexandria ist derDamm des Orsiglieto-Sees geborsten. Die Was-sermasten haben«ine große Brücke fortgcrissen unddas Dorf Owada überschwemmt, wo hundert Personen ertrunken sein sollen. Hundert Häuser wurden vom Wasser fortgerissen.*Im Hafen von San Estebande Pravia(Spanien) wurde bei starkemWellengang ein mit zwölf Fischern besetztes Bootgegen eine im Bau befindliche Zementmauer geworfen und ging unter. Von der Besatzung wurden sieben Leute gerettet, während die übrigenfünf ertranken.Im unerforschte« PolargebietMoskau. Der Eisbrecher„S a d k o"überschritt den 81. nördlichen Breitengrad und ist damit in das geographisch nochnicht erforschte Polargebiet eingedrungen. DieMeerestiefe beträgt an jener Stelle nur ISO Meter, was für die Nähe eines Festlandes spricht.An Bord des Eisbrechers wurden auch umfangreiche atmosphärische Messungen veranstaltet.Kühlere Tage. Das Gebiet schlechteren undkühleren Wetters über dem Westteil des Binnenlandes greift nunmehr auch auf die Republiküber. Im Westzipfel Böhmens war es Dienstagnachmittags bereits um 8 bis 8 Grad kälter alstags zuvor: stellenweise fiel dabei Regen, spätertraten jedoch hie und da Gewitter auf. Sonst hatcs sich in unseren Gegenden bei Luftzuflutz ausniedrigeren Breiten und im allgemeinen schönemWetter noch überall erwärmt. In Budweis undPreßburg wurden um 14 Uhr 32 Grad verzeichnet, Aachen und Hamburg hatten jedochgleichzeitig nur 12 Grad. In Prag wurde diedrückende Hitze gestern nachmittags durch denersten leichten Regen gemildert. Die Wetterverschlechterung. mit nachfolgender Abkühlung wirdftö weiter ostwärts ausbreiten.— Wahrscheinliches Wetter heute: Bom Westen her fortschreitende Verschlechterungdes Wetters und Abkühlung. In den böhmischen Ländern und später auch in der West-stowakei vorwiegend umzogen und vielfach regnerisch, auffrischender Nordwestwind;namentlich im mittleren Teile des Staates Gewitterneigung. Im Osten noch warm.— Wetteraussichten für morgen: Veränderlich und relativ kühl.Ein Schwachsinniger als Brandstifter. In derSiedlung A n t o n k a bei Kamenice brach amMontag in dem kleinen Anwesen des FrantisekPokoj ein Brand aus, der trotz ausgiebiger. Hilfeder Kamenicer Feuerwehr sich auch auf die Wirtschaft des Frantisek TrZil ausdehnte, die mit dendort befindlichen Vorräten bis auf die Grundmauern niederbrannte. Ein Schwachsinnigerwurde der Brandlegung überführt.— Gesternnachts brach im Lagerhause der Landwirtschaftlichen Genossenschaft in Pardubitz ein Brand aus,der binnen sehr kurzer Zeit das ganze mit Heuund Stroh angefüllte Gebäude ergriff. Es ist diesnun schon der dritte Brand in diesem La-gerhause und eS ist interesiant, daß das letzteFeuer auf den Tag genau vor zweiJahren ausgebrochen ist.Bom Vater nirdergemäht. Als die fünfzehnjährige Tochter des LandwirtesKarl Spurny aus Oppatau(Südmähren) imGetreide schlief, wurde sie von der Sense deseigenen Vaters lebensgefährlich verletzt, der ahnungslos, das Getreide niedermähte.Tas Mädchen wurde in fast hoffnungslosem Zustande ins Krankenhaus gebracht.Die deutsche Fliegerin Elly Beinhorn, dieDienstag früh um 3 Uhr 40 Min. in Gleiwitz inSchlesien zu einem Flug nach Istanbul gestartet, nach der Ueberfliegung des Bosporus unddes asiatischen Bodens um 9 Uhr 20 Min. aufdem Flugplatz Jesilkoel bei Istanbul gelandet undum 10 Uhr wieder aufgestiegen war, ist um18 Uhr 09 Min. bereits wieder auf dem Flugplatz Tcmpelhof eingetroffen. Es ist dies daserste Mal, daß ein Flugzeug aneinemTagevon Deutschland nach Asien und zu-rückgeflogen ist.Sie verstecken die KrirgSkranken. In A t h e nsind Berichte eingetroffen, die besagen, daß aufden jetzt Mandats- italienischen Inseln desAegäischen Meeres, besonders auf Rhodos undst e r o s. Unterkunft für Soldaten geschaffen wird,die wegen schwerer Erkrankung aus Erythräa undEomaliland zurückbefördert werden müssen. ZurAufrechterhaltung der befohlenen Kriegsbegeisterung sollItalien diese ersten Opfer des Raubzuges nichtsehen. Die zwei großen Hotels auf Rhodos sindbereits in Spitäler umgewandelt.Der Borsitzende der Regierung, Jan Maly-Petr, hat seinen Urlaub angetreten. Er wirddurch seinen Stellvertreter Eisenbahnminister R.B e ch y n ü vertreten. Auch Minister für sozialeFürsorge Jng. Jaromir N e L a S, der den Urlaubangetreten hat, wird in seinem Amte durch denEisenbahnminister R. Bechyn! vertreten.Ein nobler Fang. Die rumänische Polizeientdeckte in einem französischen Flugzeug, welchesam Sonntag in der Nähe von Draganesti landete, 68 Kilogramm Seide. Die Polizeiberhaftete den Piloten Debrouton, IvelcherInhaber einer Seidenfabrik in Lyon und V or-sitzender der Südfranzösische n-Luftfahrtgesellschaftist, sowie denrumänischen Journalisten Vlad. C o c e a, welcher in diese Schmuggclaffäre verwickelt ist. DasFlugzeug wurde beschlagnahmt.Schreckliche Tat einer Mutter. Die 34jährigeGattin des Bankbeamten Erdey in Budapest, hatteihr 8y 2 Monate altes Kind unversehens fallengelaffen. Da sie annahm, daß das Kind ein Krüppel bleiben werde, schnitt sie ihm mit dem Rasiermesser ihres Gatten die Pulsader des linken Armes auf und feuerte sodann mit einem Revolver,der gleichfalls ihrem Manne gehörte, drei Schüssegegen das Kind ab. Sodann schnitt sie sich selbstdie Pulsadern auf und jagte sich eine Revolverkugel in den Mund. Das Kind starb auf demTransport ins Krankenhaus, die Mutter ringt mitdem Tode.Zu Tode geschleift. Als der 76jährige Landwirt Thomas K e r e s i aus Sala a. d. Waag aufdem Neutraer Pferdemarkt ein Pferdkaufenwollte, wurde das Tier scheu. Es riß sich los undschleifte Keresi, der sich in das Leitserl verwickelthatte, mit. Das Pferd jagte mit seinem Opfer überden ganzen Marktplatz. Unter den Besuchern desMarktes brach eine Panik aus. Als man den Unglücklichen endlich bergen konnte, hatte er bereitsseinen Geist aufgegeben.Eine mutige Frau. Das Deutsche Nachrichtenbüro meldet: Lm Schnellverfahren vor demAmtsgericht wurde die 37jährige ViktoriaKern von Freudenberg, die das von derGauleitung Baden herausgebrachte Plakat gegenden politisierenden Katholizismus herunterriß, zuzwei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Angeklagte, die Mitglied der Marianischen Jung-frauenkongregation ist, hat diese Tat, wie die Verhandlung ergab, bei vollem Bewußtsein der Bedeutung begangen. Sie hat trotz der Aufforderung,die Finger davon zu lassen, das Plakat herab-gerisien, angeblich deshalb, damit sich„keine Kuhan den Reißnägeln verletzt".Hörer mit 220 verschiedene« Sprache«. LionelFielden vom B. B. C., London, der zum Direktordes indischen Radiodienstes ernannt worden ist,sprach anläßlich eines Abschiedsessens über dieProbleme seiner neuen Aufgabe. Er führte aus:„In Indien arbeiten bis jetzt nur zwei kleine Sendestationen, in Bombay und in Kalkutta. Eine weitereist in Madras im Entstehen. Im ganzen Lande gibtes gegenwärtig nur 18.000 eingetragene Hörer. Ichmuß mir erst einen Stab von indischen Mitarbeiternsammeln und bis November Programme zusammenstellen." In Indien spricht man 220 Sprachen. Manucuß die Sendungen mindestens in zehn Dialektendurchführen.Regelmäßiger Transozean-Flugverkehrdurch die Erfindung eines Engländers ermöglicht?London. Die britische Reichs-Flugverkehrsgesellschaft— Imperial Airways— hat soeben zur Probeein kombiniertes Flugzeug neuen Typs bestellt, welches das schwierige Problem lösen soll, das der Starteines Flugzeuges bildet, welches zu einer langenNonstop-Reise aufsteigen will und aus diesem Grunderheblich überlastet ist. Es ist nur allzugut bekannt,wie viele Unglückfälle bereits der unerwartet langeStrat eines überlasteten Flugzeuges verursacht hat,das infolge seiner gefüllten Brennstoff-Tanks wederdurch die Kraft seiner Volldampf laufenden Motorenoch durch die geschicktesten Manöver seines Pilotendaran gehindert werden konnte, die begrenzte Startfläche auf dem Flugplatz oder auf dem Waffer zuüberschreiten, wo bei es dann gegen irgendein Hindernis stieß, sich überschlug oder gegen einen Hangarrannte. Auf diese Weise hat bereits«ine Reihe vonPiloten, darunter solche von Weltruf, das Leben lassen müssen. Das oben erwähnte Flugzeug ist heute bereits in vollendeter Weise durchgearbeitet und fallsdie für das kommenden Frühjahr festgesetzten Versuche ein befriedigendes Ergebnis zeitigen sollten,wird man nach der Ansicht von Fachleuten von einervollständigen Revolution aufdem Gebiete des Fernfluges sprechen können. Die sofortige Ausnahme eines regel-.mäßigen Transozean-Verkehrs wird vielleicht nurnoch von dem Ergebnis dieser Versuche abhängen.Das Flugzeug, eine Erfindung des Majors R. E.Mayo, Mitglied des technischen Beratungsausschusses der Imperial Airways, besteht eigentlich auszwei ineinandergekeilten Flugzeugen. Das erste(tragende) Flugzeug— einmächtiges Flugboot, bestes vier starke Motore imVerhältnis zu seinem Gewicht einen großen Ueber-schuß an Kraft besitzen— benötigt für seinen kurzenHilfsflug nur wenig Brennstoff, In seinen Flügelnbefinden sich geeignete Oeffnungen für die Schwimmer des eigentlichen Flugzeuges, eines viermotorigenHhdroavions, der mit Triebswff voll beladen ist undeinen großen Aktionsradius für Flüge ohne Zwischenlandung besitzt. Das kombinierte Flugzeug entwickelt beim Start die voll« Kraft seiner acht Motoreund kürzt auf diese Weise die Startstrecke nach denBerechnungen der Techniker um gute zwei Drittel ab.In einer entsprechenden Höhe macht sich das Hilfsflugzeug mit Hilfe von Hebeln, die vom Führersitzdes Piloten aus bedient werden, von dem eigentlichenFernflugzeug frei und dieses setzt dann seine Reisefort. Die Versuche sollen die Erwartungen der Fachleute bestätigen und die Gesellschaft würde daraufhin glxich.eine ganze Serie dieser Flugzeuge bestellen.Das Dritte Reich und die HomosexuellenDer Gipfel der HeucheleiEine zukünftige sozialpsychologisch fundierteGeschichtsschreibung wird die große Rolle derHomosexualität bei Aufbau und Untergang desDritten Reiches zu würdigen haben. Dies wirdjenseits moralischer Betrachtungen geschehen müssen. Für unseren Ziveck genügt es, die bedeutendeRolle der homosexuellen Bindungen in SA, SSund in der Hitlerjugend zu registrieren, darüberhinaus, daran zu erinnern, daß hervorragendeFührer desNationalsozialismus homosexuell warenund sind.(Man leistet dem Kampf gegen Hitlerkeinen guten Dienst, wenn man diese Tatsacheimmer wieder zum Gegenstand irgendwelcherWitzeleien macht, wie dies leider Jahre lang vongewissen Seiten der Linken geschehen ist, vor allemzu Lebzeiten Röhms.) So ist Hitler nach derMeinung der tiefsten Kenner der Materie homosexueller„Verdränger" par excellence, währendsein Freund Helldorf, Mörder, Brandstifterund Polizeipräsident in einem, nichts mehr haßtals die Verdrängung seiner homosexuellen Triebregungen; er praktiziert sie vielmehr so gut undoft, als ihm die schwere Berufsausübung Gelegenheit läßt und bietet.Erst wenn man sich einigermaßen über dieseTatsachen im klaren ist, kann man die beispielloseHeuchelei begreifen, die in der offiziellen Behandlung der Homosexuellen durch das DritteReich liegt. Unmittelbar nach Etablierung desselben begannen die Razzien in den entsprechendenLokalen Berlins. Die männlichen Prostituiertenwurden mißhandelt, verhaftet, ermordet— wiejener bis heute unbekannt gebliebene„Lustknabe",der am 30. Juni 1934 in Wiessee erschossenwurde. Zahlreiche flüchteten ins Ausland, wo siedie grauenhaften Einzelheiten der erlittenen Mißhandlungen schilderten. Hitler und Goebbels verschmähten nicht, Deutschland und der Welt dieHeuchelei aufzutischen, daß sie erst im Frühjahr1934 von Röhns und Heines Veranlagung erfahren haben und nun gewillt seien,„Ordnung"zu machen. Weder in Deutschland noch in der WÄthat man diesen plumpen Schwindel geglaubt. Manwußte zu gut Bescheid.Der eigentliche Gipfel der Heuchelei— wennvon so etwas bei der deutschen Kriminalpraxisüberhaupt gesprochen werden kann— verbundenmit beispielloser Barbarei in der Behandlungsozial unschädlicher sexueller Minderheiten ist abererst mit dem neuen Homosexuellengesetz des Dritten Reichs erklommen worden. Um das einigermaßen ermessen zu können, muß man sich den bisdahin wenigstens offiziell geltenden alten 8 173des deutschen Strafgesetzbuches, den abzuschaffendie moderne deutsche Atrafrechtsreformbewegungsich vergeblich bemühte, ins Gedächtnis zurückrufen. Er lautet:8 175.„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder vonMenschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust derbürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden."Am 28. Juni 1935 erließ die RegierungHitlers das„Gesetz zur Aenderung des Strafgesetzbuchs", das im Reichsgesetzblatt, Teil 1,Nr. 70, vom 5. Juli 1933 publiziert wurde. Diein diesem Gesetz zum ersten Male verankerte Ersetzung des in der ganzen Welt geltenden Straf-rechtsprinztps„Nulla poena sine lege"(„KeineStrafe ohne Gesetz") durch das Prinzip„Nullumcrimen sine poena"(Kein Verbrechen ohneStrafe"), wobei der Richter an Hand des„gesunden Volkscmpfindens" und höchst willkürlicherAnalogieschlüsse zu entscheiden hat, was ein Ver-brechen ist und was nicht, wurde Gegenstand» berechtigter schärfster Kritik der gesamten Weltpresse,fast ohne Unterschied der Partei.Es ist begreiflich, daß neben diesem offiziellenBruch mit einem seit dem 18. Jahrhundert allgemein anerkannten und in der gesamten zivilisierten Welt praktizierten Prinzip, der übrige Inhalt des„Gesetzes zur Aenderung des Strafgesetzbuchs" der Ausinerksamkeit der Weltpresse beinah«ganz entging.. Ist er doch neben dem eben charakterisierten Bruch von fast geringfügiger Bedeutung. Denn er ändert keinerlei Prinzip,-sondern„nur" das bisher geltende Strafmaß für verschiedene Delikte. In unserem Zusammenhang inter-effiert lediglich der Artikel 6 des angeführten Gesetzes. Er stellt das neue deutsche Homosexuellengesetz dar und hat folgenden Wortlaut:„Artikel 61. 8 173 des Strafgesetzbuches erhält folgendeFassung:8 173Tin Mann, der mit einem anderen MannUnzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tatnoch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann dasGericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.2. Hinter 8 173 des Strafgesetzbuches wird als8 173 a folgende Vorschrift eingefügt:8 173 aMit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter dreiMonaten wird bestraft:1. ein Mann, der einen anderen Mann mitGewalt oder durch Drohugg mit gegenwärtigerGefahr für Leib oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich Yon ihm zur Unzuchtmißbrauchen zu lasten:2. ein Mann, der einen anderen Mann unterMißbrauch einer durch ein Dienst, Arbeits- oderUnterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sichvon ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lasten;3. ein Mann über einundKvanzig Jahre, dereine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sichvon ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern zur Unzucht sich mißbrauchen läßt oder sich dazu anbietet.3. Der bisherige 8 173 des Strafgesetzbucheswird unter Streichung der Worte„zwischen Personen männlichen Geschlechts oder" als 8 175 beingefügt."Es leuchtet ohne weiteres ein, daß mit diesemGesetz dem Richter des Dritten Reichs ein außerordentlich scharfes, aber auch geschmeidiges Instrument in die Hand gegeben ist. Hat er z. B. zweioder mehrere gesinnungstüchtige Hitlerjungen vorsich, die viefleicht von nichtnationalsozialistischerSeite angezeigt wurden— soweit dies überhauptin Deutschland denkbar ist— so kann er selbst beiflarstem Tatbestand stets durch Annahme eines besonders leichten Falls freisprechen. Dies erlaubtdie Erweiterung des Strafrahmens nach unten.Bemerkenswerter ist die Erweiterung diesesStrafrahmens nach oben. 8 178 a scheibt prinzipiell nur Zucht haus st rasen, und zwarbis zum Höchstmaß von zehn Jahren vor. Esunterliegt keinem Zweifel, daß die Richter Hitlersvon dieser Möglichkeit ausgiebigsten Gebrauchmachen werden. Sie werden in allen Fällen, indenen ihnen politische Opportunität keine milderden Umstände zugestehen lassen wird, grundsätzlichauf Zuchthaus erkennen, somit den Angeklagtenzum gemeinen Verbrecher stempeln(zum Unterschied der bisherigen Regelung, nach der der Verstoß gegen 8 173 ein Vergehen und kein Verbrechen war). Sie werden in allen Fällen, derenpolitisches Jntersse dies geboten erscheinen lassenwird, Zuchthaus in der unvorstellbaren Dauer vonzehn Jahren verhängen.Besondere Kritik erfordern die Vorschriftenunter Ziffer 2, 3 und 4 des 8 175 a. Jeder, derdie große Schwierigkeit kennt, die bei allenSexualprozessen die Tatbestandsaufnahme so scbrerschwert, wird sich vorstcllen können, welch einemRegime die Ziffern 2, 3 und 4 zum Leben verhelfen. Ein Mann, Inhaber irgendeines noch sokleinen Geschäfts, lernt einen Freund kennen. Erlebt mit diesem zusammen und nimmt ihn nachzweijähriger Dauer des Verhältnisses in sein Geschäft. Nach weiteren vier Jahren erfolgt Anzeigedieses gesetzwidrigen Verhältnisses.(Sei es, düßdie Anzeige von einem Dritten stamme, sei es,daß der„wirtschaftlich Abhängige" aus irgendwelchen Gründen einen Racheakt vollzieht und dieAnzeige selbst erstatte.) Ergebnis des Verfahrens:Zehn Jahre Zuchthaus.Ein Einundzwanzigjähriger lernt einenZwanzigjährigen kennen; sie leben vier Wochen,ohne in irgendeiner Weise die soziale oder individuelle Rechtssphäre eines anderen zu verletzen,in der gesetzwidrigen Gemeinschaft. Sie werdenangezeigt. Die Untersuchung ergibt, daß derAelter« ein ehemaliger Kommunist, der Jüngereein„verführter" Nationalsozialist ist. Durchauswahrscheinliches Urteil für den Einundzwanzigjährigen: Zehn Jahre Zuchthaus.Zehn Jahre Zuchthaus drohen seit dem 3.Juli 1935 auch jenen armen homosexuellen Arbeitslosen, die in der kapitalistischen Gesellschaft,in Großstädten wie Berlin lebend, beinahezwangsläufig zu männlichen Prostituierten werden. Meistens wird man lediglich von ihrer politischen Vergangenheit die Zubilligung mildernderUmstände abhängig machen. Nach alldem kannman sich vorstellen, welch einer BlütedasEr-pressergewerbe hier entgegengeht.(Undsomit die Se l b st m o r d k u r v e!)Infolge Platzmangels haben wir hier nureinige Typen möglicher Fälle konstruiert. Unzählige andere sind denkbar. Wie soll stets einwandfrei festgestellt werden, ob„Mißbrauch" vorliegt, wie ob„Verführung" oder„Anbietung"?Die Labilität der entsprechenden Tatbestandsmerkmale öffnet jedem Justizverbrechen Tür und Tor.Der alte 8 175 wurde von einem modernenStrafrechtsphilosophen„Die Schmach des Jahrhunderts" genannt. Für den neuen fehlt vorläufig noch die charakterisierende Bezeichnung. Daßer— abgesehen von der Ungerechtigkeit seiner Bestimmungen— einen Rekordnazi st ischerHeuchelei darstellt, ist sicher. Wir haben ihnhier veröffentlicht und kritisiert, um an ihm wieder einmal zu demonstrieren, wessen die hitleri-stische„Gesetzgebung" fähig ist. Die Barbareiendes Regimes werden nicht nur von den Agentender Partei und der Gestapo in Konzentrationslagern und Verhörkellern der Polizei begangen.Sie sind gesetzlich gerechtfertigt undihre Methoden werden dauernd juristisch verankert. Nichts geschieht dabei ohne Wissen undausdrücklichen Willen des„Führers". Je weiterdas Gesetzgebungswerk fortschreitet, desto mehroffenbaren sich die Fratzen der Urheber, von deneneinige nicht ohne Grund vor dem RegimedieJrren-un-ZuchthauserdesJn-und Auslandes bevölkert haben.Das diesem Artikel zum Thema dienendeGesetz ist eines von vielen. Nicht das wichttgste.Aber ein in seiner Art repräsentatives. Keinepartielle Strafrechtsreform kann und soll eS beseitigen. Bei dem kommenden gewaltsamen SturzHitlers und des deutschen FafcismuS überhauptwird es neben allem, was diefe Pest gebar, alseines ihrer unbedeutendsten Kennzeichen verschwinden, Julius Ep st ein,.