Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB , CHEFREDAKTEUR: WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
15. Jahrgang
Freitag, 16. August 1935
Jedenhetze als letzter Ausweg
Die antisemitische Pogromheße im Dritten Reich hat Donnerstag abends ihren vorläufigen Höhepunkt in einer Berliner Versammlung des pathologischen Nürnberger Nürnberger Oberlehrers und
Der Stürmer
Versagen Frankreichs bedeutet:
Ende des Völkerbundes, der Verträge, der Sicherheit
In Paris hat die Dreier Konferenz Italien - Frankreich - England begonnen, die nicht nur über das Schicksal eines fernen Negerstaates, sondern über die künftige Staatengruppierung in Europa entscheiden wird. Gestern ist auch der italienische Delegierte Aloisi eingetroffen und hatte anschließend eine Unterredung mit La va l. Die Standpunkte Italiens und Englands stehen einander schroff gegenüber. Eine der folgenschwersten Entschei dungen der Nachkriegspolitik liegt wieder bei dem wankelmütigen Frankreich .
London . Zur Mittwoch- Besprechung zwischen Eden und Laval berichtet Reuter aus Paris , man sei übereingefommen, daß erstens der italienisch abessinische Streit innerhalb des Rahmens des Völkerbundes behandelt werden müsse und zweitens keine Rede von einer französischen Vermittlung zwischen England und Italien sein könne. Würde Paris die Rolle des ehrlichen Maklers zwischen London und Rom übernehmen, so würde dies bedeuten, daß ein Streit zivischen beiden Hauptstädten bestünde und in britischen Kreisen zum mindesten werde nicht zugegeben, daß dies der Fall sei. Der französische Regie- soll
den Völkerbund gründen könnte, wenn Frankreich nicht gleichfalls die Grundsätze des Völkerbundes unterstütze.
7. Die schwere Erschütterung der britischen öffentlichen Meinung, wenn England infolge des Ausbleibens französischer Unterstützung gezwungen werden würde, sich von den europäischen Angelegenheiten zurückzuziehen und den Schutz für sich selbst durch zwei feitige Verträge zu sichern.
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Der Korrespondent führte hiezu aus: Laval in ernster Stimmung gewesen sein. Von ihm
Roosevelts Sozialversicherung
Ein großzügiges Werk
Washington.( Tsch. P.-B.) Präsident Roosevelt unterzeichnete Mitt: woch die Regierungsvorlage„ Für soziale Sicherheit". Das Gesetz soll ein jährliches Aufkommen von drei Milliarden Dollar für die Altersversor= gung und die Erwerbslosen Unterstützung bringen. Im Anschluß an die Unterzeichnung des neuen Gesetzes erklärte Präsident Roose velt , das neue Gesetz werde 30 Millionen Bürgern wenigstens einen gewiffen Schuß für ihre soziale Lage geben, u. zw. durch Arbeits. losen- Entschädigungen, Altersversorgungen und erhöhte Leistungen zum Schutze der Kinder sowie im Interesse der Krankheitsverhütung. Man könne zwar niemals hundertprozentig die Bevölkerung gegen alle Wechselfälle des Lebens versichern, die Regierung versuche jedoch, ihr durch dieses Gesetz einen gewissen sozialen Schutz zu geben.
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Nr. 190
Abgestumpftheit und Mißtrauen
Von einem namhaften deutschen Wissenschaftler, der nach längerem Wirken im Ausland vor einiger Zeit wieder nach Deutschland zu rückgekehrt ist, erhalten wir einen Stimmungsbericht, den wir ohne jede Aenderung unseren Lejern vorlegen. Wir bemerken nur, daß der Verfasser ein in politischen Dingen nüchterner Mensch und bemüht ist, die Ereignisse ohne jede Illusion zu betrachten. Für die wenigen Schlußfolgerungen, die er zieht, müssen wir ihm die Verantwortung überlassen, obwohl wir von seinem Ernst und seiner realpolitischen Methode überzeugt sind. D. Red.
Berlin , August 1935. Wer die ersten Monate des Hitler- Regimes in Deutschland miterlebt hat und in diesem Sommer wieder in den gleichen Wirkungs- und Freundeskreis zurückkehrt, den er vor anderthalb Jahren verlassen hat, der findet einen Stimmungswandel vor, wie er radikaler kaum gedacht werden kann. Fast alle, die damals vom„ neuen Deutschland " begeistert oder mit dem herrschenden Surs wenigstens gleichgeschaltet und unzufriedenheit. Saum ein.. waren, äußern heute ihre Enttäuschung der sich damals das Hakenkreuz angeheftet hatte, trägt es noch heute. Und der Hitler- Gruß, den man damals auf Schritt und Tritt hörte, ist- jedena falls in den Großstädten zur Seltenheit ge= worden.
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Wer die Stimmung, die sich heute im ver traulichen Gespräch, aber auch oft in der Oeffentlichkeit, in Geschäften und Lokalen kundgibt, mit dem Rausch der ersten Hitler - Monate vergleicht, der ist anfangs so überrascht, daß er sich den Wandel kaum erklären kann. Denn am laut est en äußern die ihre Unzufriedenheit, die anfangs große Hoffnungen auf das Regime gesetzt hatten und ihm, wenn nicht tausend Jahre, so doch wenigstens mehrere Jahrzehnte prophezeiten. Die Meinung derselben Leute geht heute dahin, daß es mit der Hitler - Regierung nicht mehr lange dauern werde. Als ich hier in Berlin mit Bekannten, die im Staatsdienst stehen, über die mögliche Absage der Berliner Olympiade sprach, erividerten sie erstaunt: Ja, glauben Sie denn wirklich, daß es im nächsten Sommer noch immer die heutige Res gierung geben wird?" Der Stimmungsverfall scheint besonders seil
ichigen Frankenführers" Julius Strei ther gefunden. Der Zustrom Sensationslustiger Bum Sportpalast war nach einer DNB- Meldung so groß, daß dieser schon um 6 Uhr abends polizeilich abgesperrt werden mußte. Streicher verwahrte sich in seiner Rede dagegen, daß ihn die ausländische Presse als den blutigen Zaren von Franken bezeichnet habe. Als Gegenbeweis führte er an, daß in Nürnberg teine toten Juden herumlägen. Auf dem Kurfürstendamm sei auch noch kein Jude totgeschlagen worden. Für den Geist von Streichers Rede zeugt sein folgender Sak, der dem DNB wichtig genug erschien, um in die weite Welt gedrahtet zu werden:„ Wir kümmern uns auch nicht um die Hinrichtung von Negern in Amerifa. Man soll sich nicht darum kümmern, wenn wir in Deutschland Raffenschänder durch die Straßen führen und damit abschreckend wirken wollen." rung sei bei der Unterredung ein Plan wirtschaft nahestehenden Persönlichkeiten wird versichert, daß Ein Regime, das schon nach solchen Auf- licher Zugeständnisse Abessiniens an Italien mit er sich immer mehr der Schwierigkeit seiner Ent- Anfang dieses Jahres rapide Fortschritte gemacht bulverungsmitteln greifen muß, gibt damit zu, daß es ihm vertenfelt schlecht geht.
bekannt.
nicht
Daily Telegraph " berichtet aus Die britischen Vertreter führten meistens das Wort. Sie teilten Laval ihre Ansichten über
schiedene Worte Englands nicht gefaßt gewesen zu außenpolitischen Erfolge, die Hitler gerade in diesein und sich noch nicht im Selaren darüber zu fer Zeit erzielt hat, die wachsende Mißstimmung sein, ob sie bis zum äußersten aufrecht erhalten nicht aufhalten konnten. Wenn man nach den werden würden. Gründen für diesen Sachverhalt forscht, dann erfährt man etivas sehr Bezeichnendes: die Gleichdie Lage mit, in der sich Europa in drei oder vier und Leben riskiert, beweist seine Moder Regierungspropaganda haben eine solche Ab= Daß Mussolini ein Spiel auf Tod schaltung der deutschen Presse und der Bombast Jahren befinden würde, falls Italien einen Eroberungskrieg beginnen sollte. Besonderen Nach- bilisierungsordre für einen stumpfung und ein solches mi trauen druck scheinen sie auf folgende Punkte gelegt zu neuen Jahrgang, die er am zur Folge gehabt, daß auch die tatsächlichen ErVorabend der Konferenz folge Hitlers an der Saar, in Genf und in Lonherausgibt. Sie ist eine Ohrfeige für don nur wenig Eindruck gemacht haben. Man den Völkerbund und wird von der fran- glaubt in Deutschland nur noch das, was man sieht zösischen Presse zum großen Teil und spürt, und das ist die Teuerung und freundlich und verständnisvoll kommen- tion und die Unsicherheit. der Rohstoffmangel, die Korrup= tiert. Mussolini wird, ermuntert durch 2. Die Erschütterung des das an Würdelosigkeit grenzende VerVertrauens zu Verträgen, halten eines Großteils der öffentlichen wenn zugelassen würde, daß eine ganze Anzahl Meinung Frankreichs , natürlich nur von Verträgen offenkundig und unangefochten noch höhere Bedingungen stellen.
1. Das bedauernswerte Bei
sviel, das gegeben würde, wenn der Völferbund einem Mitgliedstaate erlaubte, das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gewaltsam in Besitz zu nehmen.
Polen wird immer begehrlicher Warsch a u. In einer zwischen dem Präfidenten des Danziger Senates Greifer und dem Generalkommissär der polnischen Regierung, haben: Minister Pape e, stattgefundenen Begegnung wurde beschloffen, die detaillierten polnisch- Dan-| siger Verhandlungen am kommenden Montag in Warschau wieder aufzunehmen. Den Gegenstand der Verhandlungen werden die in dem 8. August zwischen Polen und Danzig unterfertigten Protokolle angeführten Fragen bilden. Von bolnischer Seite soll insbesondere die Forderung| nach einer Aufhebung der Devisen-| weise Milderung der Devisenrestriktion seitens| 3wangsbewirtschaftung, beziehungsDanzigs gestellt werden.
am
San Sebastian . Gestern stand der Sozialist Torrijos mit mehreren anderen Angeklagten wegen Teilnahme an der Revolu tionsbewegung vom Oktober 1934 vor Gericht., Torrijos wurde zu 30 Jahren Kerker verurteilt Neun Angeklagte erhielten 1 bis 12 Jahre
Kerfer.
verletzt würde.
3. Die 3 er störung ieder Hoffnung auf Beendigung des Werkes der Befriedung in Mittel= und Osteuropa .
4. Die ernsten wirtschaftlichen Folgen für Italien selbst, das bei einem langwierigen Feldzug in Gefahr kommen könnte, innerlich zusam menzubrechen.
5. Italiens Schulden
an
währen könne.
6. Die Tatsache, daß England feine Außenpolitik künftig nicht mehr auf
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Danzig gewirkt zu haben, weil sie das Nahen Wie ein Signal scheinen die Ereignisse von der finanziellen Katastrophe auch für das Deutsche Reich angekündigt haben. Wenn unsere auslän dischen Gläubiger eines Tages ähnlich vorgehen wie die„ verbündeten" Polen , dann sind wir erledigt", sagten mir Geschäftsleute in Le zig und Halle, mit denen ich sprach. Die Furcht vor dem wirtschaftlichen Zusammena bruch wächst in demselben Maße wie der Respekt vor dem Regime London . Dem„ Star" zufolge ist Eden sin ft. Hatte es vor einem Jahre wirklich noch ermächtigt, dem italienischen Vertreter gegenüber den Anschein, als ständen neunzig Prozent der Bezum Ausdruck zu bringen, daß die italienischen völkerung auf Seite der herrschenden Macht, so hat Truppen im Falle eines Einmarsches in Abessinien es heute eher den Anschein, als ständen keine dreibor den Grenzen der britischen Konzessionen am Big Prozent mehr hinter ihr. Daß Goebbels und Tana See haltmachen müßten. England Hitler gleichzeitig gegen Marristen, Juden, Kathofet nicht gewillt, den wirtschaftlichen Aufstieg des liken, Stahlhelm und Korpsstudenten zu Felde ieSudans und Aegyptens durch eine italienische hen, wird allgemein als Beiveis dafür angesehen, Kontrolle über die Quellwasser des Blauen Nils daß das Regime Gegner auf allen Seiten hat. Von gefährden zu lassen. zehn Leuten, mit denen man in größeren Städten