Samstag, 17. August 1935

Nr. 191

15. Jahrgang

IENTRALORGAN DER DEUTSCHEM SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung mag xii., fochova a. Telefon son. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR ! WILHELM NIESSNER, VERANTWORTLICHER REDAKTEURt DR. EMIL STRAUSS, MAG.

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Wetterleuchten auf dem Balkan

Ein Mord und Aufstände In der Italienischen Satrapie Albanien

Wozu verhandelt man noch?! Nom.(Tsch. P.-B.) Einem ami lichen Bericht zufolge, erreiche« die mobilisierten italienischen militärischen Einheiten im Monate September eine Million. Dis zu dieser Zeit werde« bereits die Wehrpflichtige« der Jahr- Sänge 1911, 1913«nd 1914 eingereiht sein.

Das elnzise Mittel Rom. (Reuter.) In der italienischen Presse totitbe der Gedanke, daß unter Zustimmung der Mitglieder des Völkerbundes der Völkerdundrat berechtigt sein sollte, den Suezkanal für Kriegs- schiffe zu sperren, lächerlich gemacht. Trotzdem kann man in italienischen Kreisen eine gewisse Be­fürchtung beobachten, daß rin derartiger Vorschlag zeltend gemacht werden könnte. An diesen Stellen ist man fich bewußt, daß dies die einzige Sanktion sein könnte, die auf Italien eine ernste Wirkung ausüben würde.

Auch Frankreich fürchtet seine farbisen Untertanen I Dschibuti.(Reuter.) Da sich unter den Be­wohnern des Somaliland eine großeSym- bathie füt Abessinien kundgibt, er­achteten es die französischen Behörden in Dschi- butti für geboten, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, damit die Ordnung in Französisch-Somaliland im Falle einFs Krieges aufrecht erhalten wird. Nach Dschibutti wurde ein französischer Kreuzer diri­giert, der Sonntag dort ankommen wird; ebenso «wartet man die Ankunft von zehn französischen «riegsflugzeugen. Auf der Insel Heron , die den 8ugang in den Hafen und in die Wüste beherrscht, welche gleich hinter der Stadt beginnt, wurden dier sechszöllige Geschütze postiert. Die kleine Be­satzung Dschibuttis, die aus eingeborenen Soldaten besteht, wird durch eine Abteilung von 1000 Mann Senegalschützen verstärkt werden. Die französischen Behörden nehmen eine strenge Kontrolle aller Busländer vor, die den Hafen von Dschibutti be­treten.

Für alle Fälle... . London.(AP.) An politischen Kreisen wer­ben jetzt auch Rhodus und der Dodekanes , die zu Italien gehören, als Bedrohung des Seeweges nach Indien angesehen, durch die Malta an Wert ein­büße, Die Unterstützung der griechischenRoyalisten durch England wird mit dieser Haltung in Zu­sammenhang gebracht. Die Insel Malta wird ge- «enwärtig in Verteidigungszustand gesetzt. Weit­gehende Luftschutzmaßnabmen sind in Vorberei­tung. Wieder ein blutiger Zwisdienfall in Abessinien Dschibutti.(Reuter.) Auf dem Bahnhof in Diredadua auf der Strecke DschibuttiAddis Abeba ist es, wie verlautet, zu einem Zwischen- fall zwischen dem Sekretär des italienischen Kon­sulates in Aden Mecenate und einem abessinischen Polizisten gekommen. Mecenate sei hiebei schwer verletzt worden, aber auch der abessinische Polizist soll bei der stattgefundenen Schießerei ernstlich verwundet worden sein. Der Zwischenfall rief auf bem Bahnhof Erregung hervor und nur der Um­stand, daß der mit dem Publikum besetzte Zug den Dahnhof verließ, hatte zur Folge, daß die Situa« ston keine Verschärfung erfuhr. Die Ursache des Streites ist unbekannt.

200 neue Bombenflugzeuge für England London . Die britische Regierung hat, wie t»an hört für die Armee 200 neue Flug- 9 t uge in Auftrag gegeben. Es handelt sich umBombenflug zeug e, insgesamt Eindecker, die eine Geschwindigkeit von 420 Stundenkilometern erreichen sonnen. Es ist dies °er größte Flugzeugauftrag, den die britische Re- stierung in der letzten Zeit erteilt hat.

Tirana . Die Albanische Telegrafen- Agentur meldet: Aus bisher nicht aufgeklärten Gründen wurde der General Gjilardiinder Ortschaft F i e r i, wo er sich vorübergehend auf­hielt, ermordet. Infolge dieser Bluttat kam es in Fieri zu Unruhen, die jedoch ausschließlich auf diese Ortschaft beschränkt blieben. Athen. (DRB.) Ueber die Ereignisse in Albanien , bei denen es sich nach den direkten Nachrichten aus Tirana um örtliche Unruhen in einer Ortschaft handelt, hat Kriegsminister Kon- dyliS von dem Gouverneur von Epirus ein Tele­gramm erhalten, daß in Albanien eine Revolution ausgebrochen sei. Die Auf­ständischen, heißt es weiter, marschierten auf die Hauptstadt Tirana . Es sei bereits zu einem blu­tigen Gefecht gekommen, bei dem der Führer der Regierimgstrnppen Tzemal A r d a s den Tod gefunden habe. Belgrad. (DRB.) Den letzten Nachrich­ten aus Albanien zufolge konnte die O r d n u n g im Aufstandgebiet noch nicht wieder­hergestellt werden. Eine große Anzahl von Offizieren und Staatsbeamten soll den Gehor­sam verweigert haben. Die Unruhen beschränkten, sich aber auf Südalbanien. Der Führer der Aufständischen Partei sei der ehemalige Ministerpräsident TrfketBegWerlatzi, der in den letzten Jahren in Italien gelebt hatte. DirPrawda" erwartet im Falle eines Sieges der Regierungstruppen die Ausrufung einer Mi­litärdiktatur in Tirana . Noch hat Mussplini zum entscheidenden Schlage in Afrika nicht ausgeholt und schon ver­kündet ein Wetterleuchten in Albanien , der Bal­kankolonie Italiens , die nahenden Gewitter, von denen Italien im Kriegsfälle nicht verschont blei­ben kann. Es wäre nicht ausgeschlossen, daß eS sich bei der Ermordung des G j i l l a r d i, eines Kroaten und ehemaligen österreichischen, im Jahre 1912 desertierten Offiziers, um einen priva­ten Racheakt handelt. Aber es ist doch auffällig, daß gerade das Deutsche Nach­richte n-B ü r 0 die sensationellsten Berichte über den Aufstand ausgibt. Es ist kein Geheimnis, 1

Paris . Die Konferenz der Vertreter der drei Großmächte, Frankreich , England und Ita­ lien , die den Vertrag über Abessinien vom 13. Dezember 1906 unterzeichnet haben, wurd« Freitag vormittags um 10 Uhr am Quay d'Orsay ohne irgendwelche Formalitäten eröff­net. Den britischen Minister E d e n begleitete in daS Quai d'Orsay der Vorstand der Abteilung für den Völkerbund im britischen Außenamte Strang. Der italienische Delegierte Baron A l 0 i s i befindet sich in Begleitung zweier Mit­glieder seines PrivatkabinettS. Frankreich wird vom Ministerpräsidenten«nd Außenminister Laval vertreten. Die Begleiter der beiden De­legationen verblieben in den Vorzimmern deö französischen Ministerpräsidenten» in dem soge­nannten Botschaftersalon. Vorläufig denkt man nicht daran, daß an den Beratungen außer den drei Hauptdrlegierten noch irgendjemand anderer teilnehmen wird, obwohl bereits Vorbereitungen » eine eventuelle Erweiterung der Konferenz getroffen wurden. Gegen 11 Uhr traf am Quai d'Orsay auch der britische Unterstaatssrkretär Sir Bansittart ein, doch nahm auch er noch nicht an den Beratungen teil. Die Konferenz dauerte bis 13.10 Uhr. Rach Schluß der Vormittags- beratung konstatierte Ministerpräsiden Laval, daß er keine Erklärung abgeben könne und teilte nur mit, daß die Beratungen nachmittag fortgesetzt werden. Nach einem vom Ministerpräsidenten Laval zu Ehren Edens und Aloisis veranstalteten Mit­tagessens wurde eine kürzere Ruhepause ein­geschoben, während welcher nur die Experten ihre Arbeit fortsetzten und Baron Aloisi sich wahr­scheinlich mit Rom in telephonische Verbindung setzte. Die RachmittagSberatungen begannen Punkt 17 Uhr 30 Min.

daß Deutschland in Griechenland eine sehr st a r k e P 0 si t i 0 n hat und auch in Jugoslawien nicht ohne Erfolg Ver­bindungen sucht. In beiden Ländern ist Italien um ts sehr höflich zu sagen nicht gerade beliebt. Daß Hitler in der Auseinander­setzung mit Mussolini , die um Oesterreich über kurz oder lang entbrennen muß, die Zange zu­nächst in Albanien ansetzte, ist nicht ausgeschlos­sen. Dir deutsche Mitteleuropa - Politik ist in der jüngsten Zeit ja von einer gefährlichen Aktivität. Sie arbei­tet propagandistisch vor allem von Zürich aus, hochpolitisch durch die Reisen Goerings, Schachts und anderer Staatsmänner, und endlich mit kleinen Jntriguen und Verschwörermanieren. Es ist ja sehr charakteristisch, daß Hitlers »Homo regius" für Oesterreich, der I n g. Winkler, der jetzt als derRin- telen" von 1936 gelten kann, zurzeit eine große politische Reise durch die mitteleuro­päischen Hauptstädte unternimmt, die ihn auch auf den brenzlichen Balkan führt. Je aufdringlicher Winkler oder die in seinem Dienst stehenden Un­teragenten(bei denen Hitler und Winkler auf Rasse keinen Wert legen) diese Nachrichten dementieren und den Sonderbe­auftragten der Wilhelmstraße teils als gehetzten Flücktling, teils als harmlosen Bergnügüngsrei- sönben hinstellen, desto durchsichtiger wird das Ge­webe der Berliner Mitteleuropapolitik. In Alba­ nien hätte man, wenn Berliner Einflüsse hinter den Unruhen stecken, allerdings ein wenig z u früh losgeschlagen. Da Hitler auf dem mitteleuropäischen Brett nicht nur eine Partie gegen Mussolini spielt, sondern auch die T s ch e« choslowakei im Auge behalten muß, vor allem aber die Restauration der Habsburger um jeden Preis verhindern- will, läßt seine Politik in der jüngsten Zeit die ruhige Hand vermissen. In der steten Angst, die Rückkehr Ottos könnte eine fer­tige Tatsache schaffen und das ganze Konzept stö­ren, kann man es in Berlin anscheinend nicht er­warten, bis Mussolini in Afrika gebunden ist.

Sie endeten um 19.30. Laval gab der Presse dann wieder eine inhaltlose Erklärung, aus der aber doch hervorgeht, daß eine Lösung nicht gefunden wurde«nd daß man wahr­scheinlich Samstag vormittags weiter verhan­deln werde. Inzwischen mobilisiert Mussolini eine Armee von einer Million Mann, um zugleich mit seinem Wille« zum afrikani­schen auch seine Entschlossenheit zu einem europäischem Krieg zu dokumentieren. Die Tragik für Europa , das durch die Hasardpolitik Mussolinis in eine katastrophale Situation nicht in Afrika , aber im Herzen des eigenen Konfinents hineingehetzt wird, liegt vor allem in der Sterilität des in Frankreich herrschende n Systems der Plutokratie und in der dem Sy­stem entsprechenden Unzulänglichkeit Lavals, der zwischen Mussolini und den Bri­ ten eine wenig erfreuliche Rolle spielt und nicht die Spur von Initiative zeigt, mit der die ganze Lage zu retten wäre. Tanger kür Abessinien? Paris.(AP.) DerJntransigeant" will wissen, daß die Stadt Tanger im abessinischen Konflikt ein Kompensationsobjekt darstellen werde. England fühle sich durch das Tanger -Statut be­nachteiligt und sei zudem der Ansicht, daß Gibral­ tar als»Vorhängeschloß" am Beginn des See­weges nach dem Suezkanal und nach Indien nicht ausreiche. Die Meerenge sei England nur sicher, wenn es auch Tanger besitze. Spanien werde Ent­gegenkommen zeigen, wenn eine, englische Anleihe winke, und Italien werde sich einverstanden er­klären, wenn es dafür freiere Hand, in Abessinien erhalte.

Prag und Pcldicnbcrg Eine staatspolittsdie Aufgabe Der Besuch des Fürsorgeministers N e L a s in Reichenberg hat in der deutschen wie in der tschechischen Presse eine erfreulich positive Dis­kussion ausgelöst. Es war dies der erste Fall, daß ein aktiver tschechischer Minister mit Vertretern der deutschen Bevölkerung an ihrem Wohnsitz unmittelbar in Berührung trat und in offener Aussprache die Meinungen tauschte. Mit Recht hebt Dr. O s v a l d imNärodni Osvobozeni" die Bedeutung dieses ersten Schrittes hervor. Die Oeffentlichkeit, so folgert dieser tschechische Links­publizist, müsse mit doppelter Aufmerksamkeit auf die Grenzgebiete blicken. Die Mitglieder der Re­gierung sollten aus eigener Erfahrung die Ver­hältnisse unter der deutschen Bevölkerung und die Beschwerden der Minderheiten kennen lernen. Osvald kommt bei diesen Forderungen auf einen deutschen sozialdemokratischen Vorschlag zurück, welcher in der Aussprache zur Regierungserklä­rung erhoben wurde und dahin zielte, daß ein besonderer Expertenausschuß der Koalitionsparteien die krisen­bedrängten Grenzgebiete besuche und über die notwendigen Maßnahmen Bericht erstatte. Man könne so folgert Osvald weiter den deut­ schen Gebieten nicht Jahr für Jahr ausweichen, wie der Teufel dem Kreuz. Nicht Henlein dürfe das ist der Sinn seiner Ausführungen die Initiative in den nattonalen und sozialen Fragen der Grenzgebiete haben, sondern alle berufenen Faktoren müßten sich mit diesen grundlegenden Staatsproblmen befassen. Osvald hat dadurch tttii begrüßenswerter Offenheit ein großes Aufgabengebiet der Staats- politik in den Vordergrund der öffentlichen Auf­merksamkeit gerückt. Cs ist wahr, der Staat und alle seine Träger haben in dieser schweren Zeit viel« Sorgen. Wahr ist aber auch, daß alle schwer­wiegenden Fragen, die das Verhältnis der Repu­ blik zu ihrer zahlreichen deutschen Bevölkerung betreffen, in den vergangenen Jahren zum Scha­den der politischen Gesamtentwicklung viel zu sehr in den Hintergrund gedrängt wurden. Nach den letzten Wahlen schien es vorübergehend, daß man sich auch in maßgebenden tschechischen Kreisen dieses Fehlers bewußt geworden wäre. Es wurden auch in maßgebenden Blättern und Zeitschriften Stim­men laut, daß sich die Staatspolitik künfig mehr in posiivem Sinne mit der deutschen Frage be­schäftigen müsse. Dann kam wieder der Alltag mit seinen vielen anderen Sorgen und es blieb bei den guten Vorsätzen. Heute beschränkt sich die tschechische Presse wieder darauf, die verschiedenen Vorgänge in der Partei Henleins zu registrie­ren und in den Linksblattern liest man hin und wieder ein wohlwollendes Wort über das schwere Ringen der deutschen Sozialdemokratie mit der national-fascistischen Welle im deutschen Lager. So erfteulich diese Aufmerksamkeit ist, erfaßt sie doch nicht den Kern der Dinge und es bleibt eigentlich mehr oder minder verantwortungslosen Gerüchtemachern überlassen, sich mft der künfti­gen Gestaltung zu befassen. So' scheint es fast, daß in der Behandlung der nationalen Staats­probleme wieder das Gesetz der Träg­heit die Oberhand gewinnen wollte. Bleibt es bei der bisherigen Methode des Forstwurstelns, dann stellt sich allerdings die tschechoflowakische Demokratie ein-Armutszeugnis aus und sie muß dann gefaßt sein, zu den bis­herigen unliebsamen Ueberraschungen noch weitere zu erleben. Man kann einfach den Kopf nicht vor der Tatsache in den Sand stecken, daß das alte Problem des Zusammenlebens der Tschechen und Deutschen wieder in seiner ganzen Breite und Tiefe aufgerollt ist, nicht durch die primitiven Demagogenkünste des Herrn Henleins, sondern durch die verschiedenen Auswirkungen der Krise in den beiden nationalen Siedlungs­gebieten und nicht zuletzt durch schwerwiegende Veränderungen in der europäischen Konstellation, Hier liegt es an den Tschechen und Slowaken, ihren Geltungsanspruch als Mrendes Staats­volk durch die Tat zu beweisen. Ein Staatsvolk muß die Staatsprobleme in seinem vollen Um­fange erfassen und initiativ zu meistern versuchen. Gegenüber einer so ernsten Aufgabe, wie es die soziale und polifische Konsolidierung in den Grenzgebieten ist, kann fich keine verantwortungs­bewußte Politik auf den bequemen Standpunkt mißvergnügter Kommentare oder taktischer Kom-

Der erste Konferenztag ergebnislos