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Samstag, 24. August 1935
Nr. 197
Schacht pumpt lustig weiter
Berlin  . Im Zuge der Durchführung der von der Reichsregierung in Angriff genommenen Aufgaben legt das Deutsche Reich  , wie das Deutsche   Nachrichtenbüro meldet, 500 Millionen Reichsmark 4.5prozentige Reichsschatzanweisun­gen zum Kurse von 98% Prozent zur öffentlichen Zeichnung auf. Die Laufzeit dieser Reichsfchatz- anweisungen beträgt zehn Jahre; vom Jahre 1941 ab werden jedes Jahr 20 Prozent des Emis­sionsbetrages ausgelost werden. Die Reichsbank hat ferner für Rechnung des Reiches und der deutschen   Giro-Zentrale weiter« 500 Millionen RM der 4.5prozentigen Deutschen Reichsanleihe vom Jahre 1935 zum Kurse von 98.5 Prozent zur Unterbringung bei den S Par­ka s's e n abgeschlossen. Die Anleihe wird getilgt mit jährlich 2 Prozent der ursprünglichen Summe unter Berwendung der Zinsenersparnksse. Judenboykott gemildert? Aus finanziellen Gründen Berlin  . Wie von gut unterrichteter Seite verlautet, soll in der nächsten Zeit der wirtschaft­liche Boykott gegen die Juden in Deutschland  
gemildert werden. In eingehenden Beratun­gen zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und den übrigen beteiligten Ministern sei man zu dem Beschlüsse gekommen, dem Boykott gegen die jüdischen Geschäfte seine Schärfe zu nehmen. Die Rede des Reichsbankpräsidenten Schacht wirkt unzweifelhaft im Innenministerium nach, da«s immer mehr zutage tritt, welche schwere Schädi­gung das ganze Wirtschaftsleben durch die anti­semitischen Unruhen erlitten hat. Von der Ge­heimen Staatspolizei sollen demgemäss auch schon Weisungen in das ganze Reich hinausgegangen sein, allen Einzelaktionen energisch entgegenzu­treten. Demonstrationen gegen jüdische Waisenkinder... Berlin  . Ein jüdisches Erziehungsheim in Diez   an der Lahn  , in welchem vor allem Waisen­kinder untergebracht waren, wurde, nachdem es vor dem Gebäude zu Sprcchchören und Demon­strationen gekommen war, von der Polizei geschlossen. Die Insassen wurden zu ihrem Schutze unter polizeilicher Bedeckung nach auswärts abtransportiert.
Letzte Hoffnung für den Völkerbund New Jork.(Reuter.)»Die Entschliessung der britischen   Regierung gewährt dem Völker­bund die letzte Hoffnung", schreibtN e w D o r k H e xald-- T r ib u n e", fügt jedoch hinzu, dass die weiteren Aussichten leider nicht sehr gross sind. Dass Großbritannien   möglicherweise ge­zwungen sein wird, selbständig zu handeln, falls sich der Völkerbund als zu schwach erweisen wird, geht aus der bedeutungsvollen Position Groß­ britanniens   nicht bloß im Mittelmeer  , sondern auf der ganzen Welt hervor.»New Dork-Times" schreiben, dass der von Mussolini   ausgelassene Versuchsballon, wenn er sagt, daß Sank­tionen den Krieg bedeuten, un- s i n n ig sei oder zumindest als ein Riesen- bluff betrachtet werden kann, der, wie sich be­reits gezeigt hat, Großbritannien   von seiner PölitL nicht abbringen könne.
reuen die Folge sein und die Gefahr entstehen, von der kürzlich General Smuts  , der Vizepräsi­dent der Südafrikanischen Union  , in Kapstadt  sprach: die Gefahr eines Aufstandes aller farbi­gen Völker gegen die europäische Kolonialherrschaft in Afrika   und vielleicht auch in Asien  . So wird die englische   Regierung vermutlich den Weg wäh­len, die Abessinier materiell und militärisch zu unterstützen, ohne Sanktionen gegen Italien   zu ergreifen, um auf diese Weise den offenen Krieg mit Italien   zu vermeiden und doch das Ziel zu erreichen: Italien   von Äbefsinion fernzuhaltrn und eines Tages als Schützer und Retter des letz­ten unabhängigen afrikanischen Reiches vor den Kolonialvölkern dazustehen. Damit ist aber das europäische Problem nicht gelöst, das sich aus Mussolinis Abenteuer er­gibt und das den englischen Konservativen vorerst nicht wichtig zu fein scheint. Jedenfalls hat die englische Rechtspresse mit verdächtigem Eifer die Drohung wiederholt, die Eden in Genf   geäußert hat: dass England nach dem Schei­tern des Völkerbundes sich von Europa   zu rück ziehen werde. Das kann, ins Positive übersetzt, nur heissen: dass es Hitler-Deutschland freie Hand lassen werde, wo­mit also Mussolini   in einem für das Hitler- Regime sehr kritischen Zeitpunkt glücklich das erreicht haben würde, worauf Hitler seit Jahren hofft: nämlich die wohlwollende Neutralität Eng­lands in einem"deutsch-französischen(und japa­nisch-russischen) Kriege. Man kann an dem Ernst der englischen Drohung zweifeln, weil Englands Aussenhandel und asiatischer Besitz durch Hitlers  japanischen Bundesgenossen gleichfalls gefährdet ist, aber schon als bloße Ermunterung für die Kriegstreiber in Berlin   und Tokio   ist sie gefähr­lich genug. Hier bleibt nur die'Hoffnung, daß sich England in dieser Frage nicht einig ist, und daß die englkschest Sozialisten, die gerade jetzt wieder zu einer Verschärfung des Boykotts deut­ scher   Waren aufrufen, der Rückzugsparole der englischen   Regierung«ine antifascistische Parole gegenWerstellen werden, die sich nicht nur gegen Aiuffolini richtet. Eine Parole, die hoffentlich auch dann nicht ohne Wirkung bleiben wirb, wenn die im Herbst fälligen Neuwahlen mit Rücksicht auf den abessinischen Krieg verschoben werden sollten. Die Verhinderung dieses Krieges durch den Völ­kerbund wäre allerdings der rascheste und wirk­samste Schlag gegen den FasciSmus in beiderlei Gestalt, der von zwei Fronten her Europa   und die Well bedroht.
Wohnungskrise in Deutschland  DiePrager Presse" enthält einen Bericht unter obigem Titel, der außerordentlich inter­essant ist. Wie gross die Krise ist, geht daraus her­vor, daß der Staatssekretär Reinhardt sich unlängst folgendermassen geäußert hat:Der Mangel an Kleinwohnungen, der schon 1934 sehr groß gewesen ist, wird im Jahre 1935 noch grö­sser werden. Es wird sehr bald der Begriff der allgemeinen Wohnungsnot gegeben sein." In der Wohnungsfrage kann der Nationalsozialismus nicht einmal, wie er es sonst zu tun pflegt, auf die berühmten14 Jahre" Hinweisen und den Systemregierungen alle Schuld zuschieben, denn was der nationalsozialistische Staat für den Woh­nungsbau zur Verfügung stellt, reicht nicht im entferntesten an das heran, was z. B. die Systemregierung" Müller-Franken zur Woh­nungsbaufinanzierung beigetragen hat. Jry Jahre 1929 wurden aus öffentlichen Mitteln 1290 Millionen Reichsmark für den Bau von Kleinwohnungen aufgewendet, 1934 kaum der fünfte Teil: 250 Millionen Reichsmark. Auch an Kredit- und Privatmitteln flössen dem Woh­nungsbau von den Sparkassen und Hypotheken­banken weit weniger zu als früher. Die Natio­nalsozialisten haben zwar viel von der Notwen­digkeit von' Siedlungen gefprochen.^'aber mit Ausnahme von einigen kärglichen Stadtrandsied­lungen ist seit Hitlers   Machtantritt in Deusch- land auf dem Gebier des Wohnungsbaues nichts geschehen. Es fehlen dazu die finanziellen Mittel. In Zukunft wird es kaum besser-werden. Offen­herzig schreibt dieDeutsche Volkswirtschaft", die Konsolidierung der großen Arbeitsbeschaf­fungsaktionen seit 1933 und die Verpflichtungen, die sich aus der allgemeinen Wehrpflicht ergeben, seien für dieses und die nächsten Jahre die Haupt­konkurrenten der Finanzansprüche des Woh­nungsbaues. Der Nationalsozialismus ist nicht imstande, der Bevölkerung des Reiches genügend gesunde Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Dennoch entfaltet er eine ausgedehnte Kampagne
für die Hebung der Geburtenziffer und für die baldige Familiengründung. Dies ist gewiss ein Widerspruch aber nur einer unter vielen. 0er gescheiterte albanische Aufstand Tirana.(AP.) lieber das Scheitern des albanischen   Aufstandes wird berichtet, dass ein­zelne Verschwörergruppen zu früh losschlugen. Dadurch erhielt die Regierung rechtzeitig von den Plänen Kenntnis und war auch in der Lage durchzugreifen. Die verfrühten Aktionen von Fieri konnten somit ohne Behinderung von den anderen Verschwörergruppen unterdrückt werden. Damit war der gesamte Plan zum Misserfolg verurteilt. Die Rebellen hatten geglaubt, dass ihr regiona­les Losschlagen durch die Ermordung des Gene­rals G i l i a r d i gerechtfertigt sei. In Regie- rungskreisen wird jedoch erklärt, daß General Giliaikdi mit seinem Tode indirekt das Regime noch einmal gerettet habe. Bezeichnend ist übri­gens, daß die Aufständischen in Fieri die Repu­ blik   ausgerufen hatten. Im übrigen wird darauf hingewiesen, dass die dem König Achmed Zogu feindlich gesinnten Gruppen politisch keineswegs einheitlich getvesen seien. Mn Teil tritt für ben seit 1925 in der Emigration lebenden ehemaligen albanischen Ministerpräsidenten Fän Noli ein, dessen' Linkstendenzen bekannt sind und der 1929 an dem Kongreß der Anttimperialistischen Liga in Frankfurt am Main   teilnahm. Andere Kräfte scharen sich um den früheren Ministerpräsiden­ten B e r l a tz i, hinter dem gerade die rechts­gerichteten Gutsbesitzer Albaniens   stehen. Kein Zweifel, dass bei einem Erfolg des Aufstandes dies Zweckbündnis auseinandergebrochen wäre und beide Gruppen die Waffen gegeneinander gekehrt hätten. Zur Zeit finden überall, besonders in Fieri, Massenverhaftungen ftatt, die einen sol­chen Umfang angenommen haben, dass die Ge­fängnisräume nicht mehr ausreichen und auch Privathäuser in Anspruch genommen werden mussten.
Schuschniggs Beamte gegen Schuschnigg  Geständnisse aas einemautoritären Staat Aus dem Munde österreichischer Minister vernimmt die Welt von Zeit zu Zeit immer wie­der dieberuhigende" Nachricht, daß das ganze Volk Oesterreichs   geschlossen hinter der autori­tären Regierung steht. Nicht direkt aus dem Munde österreichischer Minister, aber doch aus einer Quelle, die der Schuschniggregierung sehr nahe steht nämlich dem Prager offiziel­len Organ der österreichischen   Regierung, der Deutschen Presse" stammen höchst bemerkens­werte Geständnisse, die mit solchen Versicherungen in auffallendem Widerspruch stehen. Dieses christ­lichsoziale und selbstverständlich schuschnigg- freundliche Blatt veröffentlichte gestern eine» Artikel seines Wiener   Korrespondenten, in dem mit aller wünschenswerten Offenheit eingestan­den wird, daß die allgemeine Ablehnung und Verachtung desautoritä- r e n Regimes sich bis in die höchsten Kreise der Beamtenschaft, in selbst der Exekutive erstreckt. Das christ­lichsoziale Blatt plauscht da unter anderem fol­gendes aus: Bald lauter, bald schwächer kann man in den Kreisen der österreichischen Erneuerungsbewegung, sowohl bei Sturmschärlern, wie in der Heimweh;, aber überhaupt im konservattven BolkSteil die Klage vernehmen, dass'der ständische Geisten Oesterreich   nicht werde durchdringen können, wen« es nicht gelinge, die Beamtenschaft, vor allem die hohe und höchste, zu einer positiven Mitarbeit z« gewinnen. Dazu kommt, dass gewisse Ministerien, wie das Handelsministerium, das Justizministe­rium, aber auch das Aussenministerium und teil­weise daS Finanzministerium, als eindeutige 'Domäne des nationalliberalen Freisinns ange­sehen wurden. Seipels Jnittative ist eS zu ver­danken, dass vorbildlich wirkende Beamte, die zu­gleich auch vorbildliche Oeiterreicher waren, wie etwa Dr. Printer im Unterrichtsministerium, Dr. Weiss im LandwirtschaftSminifterium, und viele andere bestimmenden Einfluss in den Zentralstel­len erlangten. Dadurch wurde auch der alte, die Mehrheit bildende liberale Beamtenstock in seiner Wirkmöglichkeit gehemmt. Aber bekehrt ist er nie worden. Darum wird wodl in absehbarer Zeit in irgendeiner Form der Kampf entbrennen müssen. Zu ost muss man es erleben, dass die best­gemeinten Anordnungen der Regierung sabotiert oder auf die lange Bank geschoben werden. Ein Wort wäre noch über die reauläre be­waffnete Macht zu sagen. Es ist oft erklärt wor­den, das Bundesheer sei nattonalsozialistisch ein­gestellt. Richtig ist, dass Teile einzelner Regimen­ter mst der NSDAP   sympathisieren. Wohl g'lst es noch Regierungsgegner im Heer und in dek Polizei, aber sie haben im Ernstfälle keine Wirt­möglichkeit. So isi damit zu rechnen, dass allmäh­lich auch die österreichische Beamtenschaft, hw heute von allen am widerwilli gstest mit der Regierung geht, umgestaltet wird und de« Weg ins neue Oesterreich.findet. Ein trauriges autoritäres Regime, das sM damit trösten muß, daß der Haß, den es an sein* eigenen Exekutive geniesst, hoffentlichim Ernst­fälle keine Wirkungmöglichkeit" haben werde-
VILLA OASE Oder: DIE FALSCHEN BORGER
Roman von Eugene Dablt Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot
Graues Licht fiel ins Esszimmer und liess, wo es sie traf, die kupfernen Gegenstände funkeln. Irma las die Zeitung und blies duftende Rauch­wolken von sich, die die Lampe   umwallten. Auch Julien rauchte, die Ellbogen aufgestützt, den Kopf in die breiten Schultern gezogen. Er hatte die Hände gefaltet. Seine Finger verflochten sich wie kurze Wurzeln. Er fass nachdenflich da. Helene ließ ihren Blick auf dem Manne ru­hen, von dessen Leben sie nichts wußte. Sie kannte nur die Dinge und ihren Wert und schätzte danach die Kosten der Mahlzeit, den Preis des Geschirrs, der Möbel. Für alles das hatten sie viel Geld op­fern müssen, sehr viel Geld. Onkel war sicher ein Arbeitstier. Die sorgenvolle Stirn, die energischen Züge, die kalten, starren Augen unter den dichten Brauen, die breiten, fleischigen Backen verrieten mächtige Ausdauer und eine gesammelte brutale Kraft. Vor ihm und auch vor Irma wurde sie sich der eigenen Schwäche mehr und mehr bewusst. Aber Gefahr drohte ihr nicht von ihnen. Sie konnte ihnen voll vertrauen. Sie ging, nachdem sie aufgestanden waren, in ihr Zimmer. Ihre Toilette beanspruchte nicht viel Zeit. Sie zog den Mantel an, den Irma altmodisch fand, den sie aber liebte, weil er das letzte Geschenk von Mamina war. Auf den Kopf setzte, sie ein Hüt­chen mit verschlossenem Band. Im Begriff, hin­auszugehen, fiel es ihr ein, augenblinzelnd in den Spiegel zu sehen. Sie strich mit der Zunge über di­blassen Lippen und puderte sich die Wangen. Das
tat ihre Mutter auch. Nur, daß sie schöner war als sie. Julien wartete im Eßzimmer und wurde un­geduldig. Gch, hol die^icke. Gehe ich selbst, so schnauze ich." Laß mich in Ruhe", schrie Irma aus dem Nebenzimmer. Endlich erschien sie, eine golden« Kette um den Hals, Perlen in den Ohren. Sie trug einen Samtmantel, einen dunklen Hut und hielt die Hände in einem Muff. Ueber die eine Schulter hatte sie einen weißen Pelz geworfen, einen Her­melinschal. Helene, die Mamina bei der Arbett ge­holfen hatte, wusste, dass es ein seüenes Stück war. Julien belehrte sie, dass sie ihre Tochter der Portiersfrau vorstellen müsse. Als sie im Haus­flur angelangt waren, ging die Türe der Loge auf, und«S erschien ein dickes Weib, das in be­wundernde Rufe ausbrach. Julien unterbrach den Redeschwall und bemerkte kurz: »Ich habe eine dringende Verabredung. Bis heute Abend, Kinder." Trink nicht zu viel!" flüsterte ihm Irma zu. Sie sah, wie er schnellen Schrittes enteilte. Dann, nach einer Weile, bemerkte sie zu Helene: Ein grosses Hotel zu führen, ist kein Spaß. Man muß arbeiten für sein Geld. Aber das Ge­schäft hat auch seinen Reiz. Man verdient und kann sich etwas leisten." Sie gingen durch eine enge, sehr belebte Straße. Irma hatte einen ruhigen, sicheren Schritt. Sie trug ihren Kopf hoch und sah den Vorüberge­henden ins Gesicht. Sie hatte etwas Imponieren­des in der Haltung, und der Hermelinkragen wirktr bkinahe majestätisch. Wenn sie an einem Spiegel vorüberkamen, mußte sie sich bemühen, sich nicht selber zuzulächeln. Gönnerhaft warf sie ihrer Tochter die Frage hin:»Geht's gut. Kleine?" Helene trippelte nebenher. Den eiligen Pas­santen, die sie anstießen, murmelte sie irgend etwas zu, und wenn sie in einen Schwarm geriet, war
sie zu Tode erschrocken. Einmal hatte die Menge sie von ihrer Mutter abgedrängt. An einer Ecke war Irma ohne Zögern zwischen die Wagen'gelaufen, während fie nicht den Mut dazu gefunden hatte. Die Angst war stärker als ihr guter Wille. Sie flammerte sich an den Arm ihrer Mutter. Die Be­wegung auf der Straße nahm immer wildere For­men an, der Lärm wurde betäubend. Hohe, gold­gerahmte Schaufenster leuchteten auf. Sind das die Galeries- Lafayette?" fragte sie. Eine verglaste Türe öffnete sich. Sie presste sich fest an ihre Mutter, eine Welle von Wärme flutete ihr entgegen. Das grelle Licht blendete sie. Sie wollte stehen bleiben, aber Irma faßte sie um die Taille und führte sie weiter. Sie kam nur mühsam vorwärts, betäubt von allen den Düften und von den Geräuschen, die in ihre Ohren brausten und aus denen hier ein Lachen, dort ein Schimpfwort herausschallte. In dem Fahrstuhl, in den sie mit hineingeschlüpst war, hatte sie den Eindruck, sie werde in ein Feenreich getragen. Als Kind hatte sie vom Paradiese geträumt. Jetzt wurde der Traum zur Wahrheit. Auf den Laden­tischen häuften sich schillernde Stoffe, in den Schränken lockten die herrlichsten Dinge. Sie warf einen Blick auf chre Mutter, deren Gesicht strahlte, aber schon übten die Auslagen wieder ihren Zauber auf sie aus. Am liebsten hätte sie die Pracht be­rührt. Doch Verkäuferinnen, schön wie die Feen, wachten über sie. Irma sprach sie mit sanften Wor­ten an, liebkoste die Stoffe, geriet in Hitze. Im Konfektionslager ließen sie sich nieder. Man zeigte ihnen Kleider. Helene fand alle schön. Sie mußte ein Kostüm anprobieren, sich vor einem Spiegel drehen. Sie kannte sich nicht wieder. Sie gingen weiter, machten in anderen Abteilungen halt, wo Irma neue Wünsche äußerte. Helene stammelte: Bestimme du, Mama." Sie sah, wie die Verkäuferinnen sich bemüh­ten und auf den Wink gehorchten. Sie brauchte
nur ein Wort zu sagen, und ihr Wunsch ward er­füllt. Das machte sie noch fassungsloser. Das ist wie ein Wunder» Mama." Ach nein. Kleine. Das macht nur da« Geld. Für Geld kannst du haben, was du willst- Diese Erflärung führte Helene in die Wir»- lichkeit zurück. In Kanada   bewahrte Lagorn schmutzige Banknoten in einer Blechkassette uui- Für KrankheitS  - oder besondere Notfälle, wie meinte. Ach, und diese Fälle hatten nicht aufstD warten lassen, und die Ersparnisse waren schu^ dahin. Bald saßen sie da ohne einen blaute« Heller.,> Die Zeiten hatten sich geändert. Ihre Aiu>- ter war reich, Helene brauchte sich nichts zu versagen. Und die Verkäuferinnen, die st früher stehen gelassen hätten, lächelten sie a». Aber auch das Glück schien eine Last zuft* Die trockene Hitze nahm ihr den Atem, die Pur- fümgerüche verursachten ihr Uebelkeit. mußte sie an der Seite ihrer Mutter bleiben, unermüdlich war. Zuweilen verschwamm alle- vor ihren Augen. Das Paradies wandelte sich 5"* Hölle mit Fratzen gemalter Frauen und mit un­natürlich gezierten Männern. Plötzlich schütten- sie ein Hustenkrampf. Sie lehnte sich an e>u Säule und hielt das Taschentuch vor den Mu*- Die Luft ist schlecht in diesen Kam- häusern", sagte Irma.Ich suche noch ein Puu Handschuhe aus, dann gehen wir.".- ä Draussen war eS stockfinster. Sie stiess in ein Auto, und Helene sank erschöpft zur*- Sie verspürte einen Reiz im Halse, hustete,HH aus, konnte aber nicht freier atmen. Das hefüst Rütteln des Wagens erinnerte sie an das Sto^ und Schieben vor den Verkaufsständen. wünschte, sie wäre schon zu Hause. Ich könnte alles zusammenkaufen, wenn* einmal in den Galeries bin," bemerkte Ira* Ich bin sehr zufrieden. Du auch?" Mir dreht sich alles im Kopf." (Fortsetzung folgt.)