Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTE! IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  ,

15. Jahrgang

Mittwoch, 28. August 1935

Entscheidender Kabinettsrat

Drei weitere Jahrgänge mobilisiert?

im Manövergebiet

Wichtige politische und wirtschaftliche Maßnahmen

Rom  . Die Kabinettssigung im Manövergebiet wurde definitiv für Mitt­woch 16 Uhr in Bozen   angesetzt. Die Ursache der besonderen Einberufung des Kabinetts wurde nicht angegeben.

Nach den in römischen diplomatischen Kreisen kursierenden Gerüchten sollen jedoch außerordentlich bedeutsame wirtschaftliche und politische Maßnahmen getroffen werden.

Das Außenministerium in Rom   bereitet sehr eifrig Dokumente für die Genfer   Verhandlungen vor und es ist nicht sicher, sagt die Agence Havas, ob nicht Italien   den Ausschluß Abessiniens fordern wird, weil es seine Verpflichtungen nicht eingehalten habe.

Der Korrespondent des Paris Midi" schließt in seiner Meldung über die italienischen Manöver die Möglichkeit nicht aus, daß Mussolini   den Befehl erteilen wird, daß weitere, an verschiedenen Orten Italiens   konzentrierte 300.000 Mann in die Manöver eingreifen.

Derselbe Korrespondent behauptet auch, daß Mussolini   wahrscheinlich die Mobilisierung von drei weiteren Jahrgängen anord. nen wird.

Laval sucht Kompromißformel

Auch in Paris   Ministerrat Paris  . Der am Mittwoch stattfindende Ministerrat wird sich vornehmlich mit der gegen märtigen Situation im italienisch- abeffinischen Konflikt befaffen. Ministerpräsident und Außen­minister 2 a val wird über die Verhandlungen der Dreimächtekonferenz und die Ergebnisse der bisherigen diplomatischen Verhandlungen Bericht

erstatten.

Dienstag vormittags empfing Laval den italienischen Botschafter Cerruti, mit dem er nach­mittags nochmals eine Besprechung hatte. Um 15 Uhr empfing Laval den englischen Botschafter Clerk. Der Ministerpräsident zog auf diese Weise präzise Informationen für sein Referat im Mi­nisterrat ein, der über den Standpunkt Beschluß faffen wird, welchen die französische   Delegation bei der Genfer   Tagung des Völkerbundrates am 4. September einnehmen wird.

Die Pariser   Blätter beschäftigen sich mit den beiden Ministerratsjihungen, von denen zu er warten ist, daß sie auf die weitere Entwicklung der internationalen Lage nicht ohne Einfluß blei ben werden. Die eine, zu welcher Mussolini   die Mitglieder seiner Regierung in Unform, da sie an dem großem Manöve" am Brenner teilneh­men, nach Bozen   einberufen hat, soll, wie die Pa­rijer Blätter berichten, wirtschaftliche und politi­sche Entscheidungen von großer Tragweite treffen. Die zweite, die heute im Palais Elysé stattfinden wird, soll vor allem den Bericht des Ministerprä­sidenten a bal über den gegenivärtigen Stand der Verhandlungen im italienisch- abessinischen Konflikt und über die Beschlüsse hinsichtlich des französischen   Verhaltens in Genf   entgegennehmen.

" Paris Soir" nimmt an, daß inzwischen

noch ein offizieller Meinungsaustausch zwischen London   und Paris   erfolgen wird. Nach diesen Informationen stellt Eden soeben eine Note für Paris   fertig, die am Mittwoch überreicht werden wird. In dieser Note soll der Standpunkt darge­legt werden, den Großbritannien   in dem Falle einzunehmen gedenkt, wenn Italien   den Ausschluß Abessiniens aus dem Völkerbunde verlangen würde. Das Blatt spricht die Vermutung aus,

Der italienische Gesandte packt schon

London  . Nach einer Meldung des Bericht­erstatters des ,, Daily Telegraph  " in Addis Abeba  wurden am Montag zahlreiche Kisten mit Gepäck! aus der italienischen Gesandtschaft mit der Eisen­bahn nach Dschibuti   abtransportiert. Dies wird als erstes Vorzeichen der bevorstehenden Zurück­ziehung der italienischen Gesandtschaft ausgelegt. In den letzten Tagen wurden 14 griechisch- italie­Tagtäglich verlassen Ausländer Addis Abeba  . nische Familien auf Kosten der italienischen Re­gierung nach dem Dodekanes   gebracht.

daß es in diesem Falle u nausweich I im zu einem Zusammenstoß Großbritanniens   und Italiens   kommen würde. Mit Rücksicht auf die Kompliziertheit dieser Situation sagt Paris Soir" weiter, wird Eden vor seiner Abreise nach Genf   sich einen Tag in Paris   aufhalten, wo er mit Laval verhandeln werde.

12.000 eingeborene Soldaten zum Negus übergelaufen?

London.( Tsch. P. B.) Nach einer bis her unbestätigten britischen   Agenturmeldung aus Abdis Abeba find 12.000 im italienischen Solde stehende Somalis, die mit den modernsten Waffen ausgerüstet sind, desertiert. Sie sollen sich dem Negus zur Verfügung gestellt haben.

M

Englische

,, Vorsichtsmaßnahmen"

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Nr. 200

Im Namen der Zivilisation?

Mussolinis kulturelle Sendung

Seit Mussolini Abessinien zum Ventil für den Hochdruck des fascistischen Dampffessels era wählt hat, wird von gewissen europäischen   Jours nalisten und Politikern, vor allem von einer Sorte, die der Sache der Menschlichkeit und Kula tur Europas durch die Verkoppelung von Antis hitlerismus mit ihrer Begeisterung für Mussolini  einen heillosen Schaden zufügt, täglich aufs neue die Tatsache entdeckt, daß in Abessinien noch die Sklavere i existiert. Daraus

London  . Die englische Garnison von Malta  wird um 481 Mann auf eine Gesamtstärke von 3400 Mann und um eine Batterie auf sechs Bat­terien vermehrt werden. Unter den Ergänzungs­truppen werden auch Flugzeug- Abwehrmann- folgern die Trabanten des Duce, daß Italien   nur schaften sich befinden. Das Wachtschiff Oreine kulturelle und Humane Sendung erfüllt, monde", das auf Cypern anfert, sollte nach ivern es zur Abschaffung der Sklaverei in Abes= dem Persischen Golf abgehen. Nunmehr erhielt es finien einige Rehntausend Abessinier tötet, Hun­aber den Befehl, nach me a Ita auszulaufen. derttausende zu Krüppeln macht, von Haus und ,, Daily Telegraph  " weist in einem Leit- Acker vertreibt und das Volk am Ende in eine auffak auf die Notwendigkeit hin, militä Nation freier Lohnarbeiter" verwandelt. rische ,, Vorsichtsmaßnahmen" in den britischen   Gebieten Ostafrifas zu tref fen, die an Abessinien grenzen, um das Ueber­springen eines etwaigen Streites zu verhin dern. ,, News Chronicle" verlangt die Auf­hebung des englischen   Waffen- Ausfuhrverbots.

Baris. Die Italienisch- abessinische Schieds­und Schlichtungskommission über den Ulal- lal zwischenfall hielt Dienstag vormittags eine ge­heime Sizung ab.

Die belgische Gesandtschaft in Addis Abeba  hat ihre Regierung um Entsendung einer militä­rischen Wache zum Schuße der Gesandtschaft er­sucht.

Wie aus Massa   ua gemeldet wird, ver­hafteten die italienischen Behörden 15 Inder britischer Staatszugehörigkeit. Wie verlautet, wurden sie im Zusammenhang mit Depeschen ver­haftet, die sie an ihre Geschäftsfreunde in Addis Abeba   sandten und in denen sie ihnen rieten, die Waren nicht mehr nach Massaua   zu senden.

Mussolinis ,, Niveau"

Mussolini   erklärte dann, daß Italien   nach wie vor beabsichtige, eine Delegation zu der Ratstagung im September zu entfenden, und zwar ,, um Italiens   Standpunkt flar vor den Augen der Welt darzulegen." Italien   werde bei dieser Gelegenheit seine Auffassung der Dinge durch Dokumente in Gestalt von Photographien belegen, aus denen eindeutig hervorgehe, wie barbarisch das Land der Stlavenhalter in Wirt. lichkeit sei. ,, Wenn der Völker bund diese Dokumente gesehen hat, will ich ihn auf­fordern, seine Behauptung, Italien   und Abessinien stünden auf dem gleichen Niveau, zu widerrufen."

MATEOTTE

LIPAR

INSEL

GENF  

Rhizinus Oel

Und was sagt Europa   zu diesen Dokumenten?!

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Schon der Umstand, daß den Herren das Argument just in dem Augenblid einfiel, als Marisolini es brauchen konnte, entwertet es. Nie haben sie früher das Bedürfnis nach Abstellung auch wenn dem nicht so und wenn die Entrüstung der Sklaverei in Abessinien empfunden. Aber der Herren über die abessinische Sklaverei ehrlich und glaubhaft wäre, bleibt die Frage offen, ob man die Beseitigung der Stla berei nicht lieberben Abessi niern felbst überlaffen follte. Die Sozialistische Internatio nate hat immer auf dem Standpunkt gestans den, daß die Befreiung der Kolonialvölfer ihre eigene Sache und daß die Aufgabe Europas   nur die ist, der Emanzipation der farbigen Völker keis nen Widerstand entgegenzusetzen. Was die Far bigen für die Sklaverei und für die patriarchas lisch- feudalen Abhängigkeitsverhältnisse, unter denen sie vielfach leben, eintauschen, ist ja nicht das Dasein freier Menschen, sondern das über alle Maßen bejammernswerte Das ein von LohnstIa ven. Nicht nur, daß die Europäer den Farbigen und nicht nur den unter der Slaverei schmachtenden Farbigen, sondern vielfach wirklich freien und glücklichen Stämmen- Tuberkulose, Syphilis und Brannts wein gebracht haben, sind sie die Toten grä ber ganzer Völker geworden. Die bes freiten" und in Lohnarbeiter verwandelten schwarzen Arbeiter bei den Bahnbauten und auf ben Plantagen der weißen Befreier" haben vor bem Weltkrieg und nachher unter den furchtbar sten Verhältnissen arbeiten müssen. Von Tausen den ist oft nicht einer lebend in sein Dorf zu rückgekehrt. Diese freien" Arbeiter wurden mit Nilpferdpeitschen trattiert und bei Gehorsamsver weigerung oder Desertionsversuchen mit den bars barischesten Folterungen bestraft. Vor wenigen Jahren wurde der Bericht einer Untersuchungss kommission veröffentlicht, die im Auftrag des französischen   Parlaments die Verhältnisse in den afrikanischen und asiatischen Kolonien Frankreichs  untersucht hatte. Die Haare müssen jedem fühlen. den Menschen bei der Lektüre dieses Berichtes zu Berge steigen. Dabei ist Frankreich   noch immer eine halbwegs humane Kolonialmacht, die ihren farbigen Untertanen nach einer gewissen Zeit Bürgerrecyte gewährt. Man denke an die Rongogre uel und die Zustände in der " grünen Hölle" am Amazonas  , die Sir Roa ger Casement vor dem Kriege ents hüllt hat!

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Wenn Imperialisten von reinstem Wasser diese Art von Befreiung gutheißen, wenn die alte Rolonisatorenpragis- sie sagen Christus und fie meinen Nattun" uns wieder begegnet, da sie Zivilisation sagen und Kautschuk meinen, Kul tur, wenn sie an Naphtha denten, so ist das noch lange nicht so schimpflich als wenn heute angeb Tiche Demokraten, Liberale, Humanisten, vielfach Emigranten wie die Pariser Gruppe um Herrn Schwarzschild, in einem Atem die deutsche Barbarei anflagen und Abessinien der zibilisie renden Hand Mussolinis überantworten wollen.

Man muß auch, ehe man verallgemeinernd, wie das heute geschieht, den Engländern etwa die moralische Berechtigung zum Einschreiten gegen die italienischen Wünsche abspricht, da sie doch