Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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15. Jahrgang

Donnerstag, 19. September 1935

Vermittlungsvorschlag

Aloisi fährt nach Rom

überreicht

Ministerrat verschiebt Stellungnahme

Genf . Der Fünferausschuß des Völkerbundrates hat am Mittwoch dem definitiven Wortlaut der Vorschläge für Italien und Abessinien zugestimmt. Der Vorsitzende des Ausschusses Madariaga hat am Nachmittag diese Vor. schläge der italienischen und der abessinischen Delegation vorgelegt.

Der italienische Hauptdelegierte Baron Aloisi beschloß, nach Rom zu reisen, um mit dem Ministerpräsident en Mussolini über die Vorschläge des Fünfer- Ausschusses zu beraten.

Es bestätigt sich, daß die Vorschläge des Fünferausschusses eine Reihe von Anregungen ent­halten, welche auf gewisse unter der direkten Kontrolle des Völkerbundrates durchzuführende finanzielle, wirtschaftliche und Verwaltungsreformen in Abessinien hinauslaufen. Abessinien folle die Mitarbeit eines Beratungskörpers annehmen, eine internationale Po= lizei einführen und Italien bedeutende wirtschaftliche Konzessionen ein­räumen. In dem Beratungskörper würden jedoch weder die Vertreter Frankreichs , noch Englands oder Italiens sein. Die Frage einer eventuellen Gebietsabtretung an Italien soll durch ein direktes Abkommen zwischen den beiden Staaten geregelt werden.

An italienischen Stellen in Genf wird erklärt, daß der Plan des Fünfer. ausschusses keine Hoffnung auf Annahme seitens Italiens habe, da er der schlechteste aller bisherigen Pläne" sei.

An französischen Stellen ist man nach Saint Brice der Ansicht, daß der Plan, wenn er tat­sächlich aufrichtig angenommen und loyal durch­geführt würde, Italien eine führende Stellung verleihen würde und daß Italien im Laufe der Zeit seine Tätigkeit in Abessinien, wie es Frant. reich in Marokko getan habe, ausdehnen könnte. Dazu wäre aber für Italien Geduld und Diskre­tion notwendig.

Die britische Delegation ist befriedigt dar= über, daß die Vorschläge des Fünferausschusses nichts enthalten, was mit der Stellung Abeffi­niens im Völkerbund oder gar mit den Brinzipien des Völkerbundpaktes im Widerspruch stünde.

Am Mittwoch fand in Rom ein Ministerrat statt, von dem man allgemein erwartete, daß er bereits zu den Vorschlägen des Fünferausschusses, die ja bereits inoffiziell bekannt waren, Stellung nehmen werde. Wider alles Erwarten ist eine folche Stellungnahme durch den Ministerrat nicht erfolgt. Das Kabinett traf lediglich neue finanzpolitische Entscheidungen. Für Samstag ist ein neuer Ministerrat in Aussicht genommen. In­zwischen wird ja Baron Aloisi bereits seinen Bericht an Mussolini erstattet haben.

Folge hat. Diese Maßnahmen würden es, wie es in dem Kommuniqué heißt, der Regierung ermög, lichen, schon im laufenden Budgetjahr das Defi zit bedeutend herabzusetzen und für die nächste Jahr ein ausgeglichenes Budget vorzulegen. Diese Opfer, die von der Bevölkerung noch vor

einem Jahr nicht hätten gefordert werden kön nen, könnten heute gefordert werden(?), da die Arbeitslosigkeit verringert, die Industrie­

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto]

Nr. 219

Eine Niederlage

und Handelstätigkeit gewachſen ſei und sich auch des Pilsudski- Systems

die Lage der Bauern einerseits infolge der rei­chen Ernte, andererseits durch Steigerung der Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ber bessert habe

Abessinien nimmt an?

Addis Abe ba. Die Genfer Vorschläge des Fünferausschuses werden augenblicklich von der Regierung Abeffiniens geprüft. Ein Berater erklärte dem DNB- Vertreter, daß diese Vorschläge den letzten äthiopischen Vorschlägen fast gleich­kämen und daher annehmbar seien.

Noch immer Regen

Meldungen aus Addis Abeba zufolge dürfte die Regenperiode in Abessinien am 27. September enden. Der Boden wird aber erst Anfang Ot­tober trocken und befahrbar sein.

Teilmobilisierung

in der Provinz Harrar Addis Abeba. Der Gouverneuer der Pro­vinz Harrar hat alle gesunden Männer zu den Waffen aufgerufen. Eine Nichtbefolgung dieses Aufrufes soll in der Weise bestraft werden, daß die betreffenden Männer verhaftet, in Frauen­gewänder eingekleidet und durch die Straßen ge= führt werden, worauf sie gehängt werden. Die Städte A dua und Aksum werden all­mählich evakuiert, da man hier den ersten An­griff der italienischen Truppen erwartet.

Englands Schlachtflotte in Gibraltar

London.( Havas.) Die telegra phische Mitteilung aus Gibraltar , wonach dort der größte Teil der britischen Heimats. flotte eingetroffen ist, hat in politi­schen Kreisen große Ueberraschung ausgelöst, da man annahm, daß diese Flotte an den Manövern in den schotti­schen Gewässern teilnehme.

Die Folgen der Sejm - Wahlen

Die Nachfolger des Marschalls Pilsudski , die die autoritäre Führung des polnischen Staates bis zum Mai dieses Jahres mit dem persönlichen Ansehen des alten Heerführers und ehemaligen Revolutionärs decken konnten, haben mit ihren ersten selbständigen Schritten in der Innenpolitik kein Glück. Wenige Wochen nach dem Tode des Marschalls brachten sie jene Wahlordnung durch, welche nach bonapartistischem Muster die Anwendung des allgemeinen Stimmrechts mit der bedingungslosen Sicherung einer fügsamen Bars laments- Mehrheit zu verbinden sucht. Die Aus­schaltung der politischen Parteien aus der Kan­didaten- Aufstellung, die Uebertragung dieser Sies bung der fünftigen Abgeordneten an Ausschüsse, die direkt und indirekt von den Verwaltungsbea hörden abhängig sind, funktionierte nach Wunsch. Ja, sie funktionierte zu gut! Mit Ausnahme einer Anzahl von Vertretern der nationalen Min derheiten der Ukrainer und Juden wurden fast überall nur erklärte Partei- Gänger des Pilsutsti Lagers aufgestellt. So verlor die Wählerschaft alles Interesse an der Entscheidung des Wahl­

tages selbst.

Es hätte der Agitation der Oppositionspara teien unter der Führung der Sozialisten und der bürgerlichen Nationaldemokraten für das Ferna bleiben von dieser Wahlkomödie kaum bedurft, um die Volksmassen von dieser Abstimmung abzus halten. Ob ein paar Beamte oder ein paar Großa agrarier mehr in diese„ Volksvertretung" einzie= hen oder ob noch einige Vertreter abhängiger, in der Wahrnehmung ihrer Klassen- Interessen durch schiffe geschätzt. Sievon liegen 28 in Weifungen von obenher beschränkter sogenannter Allegandria, 20 in Palästina, sechs in Arbeiter und Angestellten- Verbände dazu koms Suez, 20 in Aden und 70 in Gibraltar. men, erschien den Wählern selbst mit Recht ganz Britische Militärflugzeuge kreuzen gleichgültig. Sogar Führer der regierungstreuen ständig über der Umgebung Gibraltars. Gewerkschaften, die aus früherer Zeit noch einen Rest von sozialistischer Schulung und proletari­scher Solidarität besißen wie der ehemalige Ar­beitsminister Moracze w sti sprachen sich gegen die Wahlbeteiligung aus.

Die Truppenverschiffungen aus England nach Malta und Aegypten dauern an. Am Mitt­woch trat das siebente Husarenregiment die Reise

nach Aegypten an. Auch Amerika

Im Mittelmeer wurden folgende Einheiten konzentriert: Das Schlacht­entsendet Kriegsschiffe? schiff Bahran ", das Flugzeugmut­terschiff ,, C u ragous", die erste Es. Washington. Marineminister Swanson er kader, zusammengesetzt aus den Groß­kampfschiffen„ Hood“ und„ Reflärte, es sei nicht ausgeschlossen, daß im Falle In Genf schließt man aus dieser Taktik der nown", die zweite Kreuzereskader, eines italienisch- abeſſiniſchen Krieges die Kriegs­italienischen Regierung, daß ihr viel daran liegt, drei Torpedobootzerstörerflotillen und marine der Vereinigten Staaten aus dem Stil­Ten Ozean nach dem Atlantischen Ozean trans­daß der Konflikt vom Völkerbundrat erst dann ein Teil der zweiten Unterseeboot feriert werden würde, um dort die amerikanischen definitiv erledigt werde, bis das Völkerbund - flotille. plenum nicht mehr in Genf versammelt sein Die Stärke der britischen Marine wird. In englischen Kreisen bemüht man sich an- im Mittelmeer wird auf 144 Kriegs: geblich durchzusehen, daß die Völkerbundver­fammlung nach Erledigung ihrer normalen Tagesordnung nicht auseinandergehe, sondern sich bis zur Erledigung des italienisch abessini­schen Konfliktes in Permanenz erkläre.

In Genfer Völkerbundkreisen ist die Auf­faffung nach wie vor pessimistisch. Hiezu tragen auch die von der britischen Regierung ge= troffenen militärischen Maßnahmen namentlich zur See erheblich bei. Die Konzentration fast der gesamten britischen Flotte im Mittelmeer wird als der feste Entschluß Englands ausgelegt, ohne Rücksicht auf die Folgen, an der politischen Linie festzuhalten, welche Sir Samuel Hoare in seiner

Genfer Rede festgelegt hat, und die Respektierung

des Wölferbundpaktes zu garantieren.

Kriegsanleihe und Steuer­erhöhungen in Italien

In dem amtlichen Bericht der über die

Handelsschiffe zu schüßen. Der Minister fügte jedoch hinzu, daß über diese Frage erst entschie­den werden wird.

Auch an der Memelgrenze Kriegsgefahr

Militärische Vorbereitungen in Ostpreußen Deutsch - polnischer Geheimvertrag?

Das Ergebnis des Wahltage 3 mar denn auch für die Regierung des Obersten Slatek eine schwere moralische Nie= derlage, die die amtliche Propaganda nach­träglich vergeblich zu beschönigen sucht. Die offi­zielle Berechnung, wonach 46.5 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne gingen, verschweigt, daß ein großer Teil diefer angeblichen Regie­rungs- Anhänger ihre Stimmzettel absichtlich un­gültig machten, so daß die Zahl der gültigen Stimmen nur 36 Prozent der Wahlberechtigten betrug. Auch von diesen 36 aber sind noch einige. weitere Prozent abzuziehen, welche nicht auf die Pilsudski - Richtung, sondern auf die Wähler der nationalen Minderheiten entfallen. Das so fein ausgeflügelte neue Wahlverfahren hat auf diese Weise dazu geführt, daß die schwache Stellung der Offiziers- Herrschaft im Volke deutlicher wurde als jemals zuvor. Die 90 Prozent der Abgeordneten, über die das Kabinett nunmehr verfügt, können ihm wenig helfen, nachdem jeder­dann sieht, daß sie von weniger als 30 Prozent der Staatsbürger gewählt sind. Der eigentliche 3 weck der Wahl Reform, nämlich die Gewinnung einer scheindemokratischen Rechts fertigung des jeßigen Regierungs- Systems, ist nicht erreicht worden.

Paris . Der Berliner Berichterstatter der herrsche aber die Ueberzeugung vor, daß diese Die Folgen dieser moralischen Schlappe der Information Financière" bringt Entscheidung früher oder später un vermeid- Nachfolger Pilsudskis können durch Vertuschungs­manöver nur noch ernster werden. Das Kabinert Nachrichten, deren Glaubwürdigkeit er voll ver- I ich werde. Aus Königsberg eintreffende Reis des Obersten Slawet, welches diese Wahl- Reform bürgt. Das deutsche Kriegsministerium habe dieser sende erzählen, daß in Ostpreußen eingebracht und durchgefeßt hat, bejist jetzt nicht Tage vertrauliche Rundschrei- fehrrege militärische Vor- mehr so viel Autorität, um in der schweren Wirt ben an die Direktionen der großen Unterneh- bereitungen getroffen werden schaftslage eine reibungslose Staatsführung sicherzustellen. Die Klügeren unter den Beratern mungen der Rüstungsindustrie gerichtet, in denen

Sigung des italienischen Kabinetts ausgegeben diese aufgefordert werden, innerhalb einer Woche und daß die ganze Gegend von Trups des Staatspräsidenten empfehlen daher einen Res wurde, wird zur Deckung der militärischen Maß dem Ministerium die Zahl und die Namen der pen und Kriegsmaterial überfüllt sei. gierungswechsel, der weniger verbrauchte Kräfte

An den Berliner diplomatischen Stellen zur Verantwortung für die Staatsgeschäfte her haben die zahlreichen Besuche, die der polnische anzieht. Aber das wird nicht genügen. Auch die Botschafter Lipski vor seiner Abreise im Wahlordnung ist kaum ein zweitesmal anzuiven­Kanzlergebäude hatte, große Aufmerksamkeit her- den, die der herrschenden Richtung diesmal eine sorgerufen. In Berlin kursieren Gerüchte, die solche Blamage einbrachte. Aber wie kant sie ge­übrigens auch in der oppositionellen Warschauer ändert werden, wenn man doch auch weiterhin Bresse veröffentlicht werden, daß bereits ein eine Mehrheit braucht und die Anhängerschaft des Offiziers- Regimes im Volfe zusammen deutsch - polnisches Geheima b

innere Anleihe angekündigt, die zum Fabrik im Kriegsfalle als unumgänglich notwen Kurs von 95 emittiert werden soll. Eine Höchst dig angesehen wird. Der gleiche Berichterstatter teilt weiter mit, grenze für die Anleihe, zu deren Unterbringung ein Bankenkonsortium gebildet wurde, ist nicht daß Reichskanzler Hitler entschlossen war, bereits auf dem Nürnberger Parteitag den Abbruch Weiters wird die umfassteuer, die der diplomatischen Beziehun= Einkommensteuer und die Vergen mit Litauen zu verkünden. Er habe fehrssteuer erhöht, welch lektere eine Er diese Absicht nur auf dringende Vorstellung des kommen betreffend Litauen ver- schmilzt? Eine Lösung dieses Problems ist noch höhung der Eisenbahn- und Kraftwagentarife zur Außenministeriums aufgegeben. In Berlin cinbart oder sogar bereits abgeschloffen worden sei. nicht sichtbar. Dadurch muß das Selbstvertrauen

festgelegt.