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DonnrrStag, 19. September 1935

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In banger Sorge dem. Winter entgegen;

Kortollclnot In den Mißcrntcgcblctcn

Die Trockenheit des vergangenen Sommers hat Heuer in manchen Gebieten weit mehr Schäden bei gewissen landwirtschaftlichen Produkten ange­richtet als im Vorjahre. Wohl kann man Heuer bei Getreide, besonders bei Weizen und Roggen, leinen derart großen Schaden feststellen. In manchen Gebieten ist die Ernte ausgezeichnet ge­wesen, was ja durch die Statistik bewiesen wird, die einen Mehrertrag von rund 10.000 Waggons Getreide errechnete.. Am wenigsten oder gar nicht geschädigt wurden die östlichen Gebiete der Repu­ blik und die Landwirtschaft in manchen Höhen­lagen. Hingegen haben in Westböhmen wieder eine Reche von Bezirken schwer unter der Trocken­heit gelitten. Aber auch hier ist der Ernte-Aus­fall in den einzelnen Gebieten ganz unterschiedlich. Während in einzelnen Landstrichen Wintergetreide stark gelitten hat, sind in anderen wieder die Som­merungen stärker betroffen worden. In den mei­sten Gebieten Westböhmens aber ist ein starker Ausfall bei Grünfutter und Hackfrüchten zu beob­achten. Während der erste Futterschnitt noch halb­wegs erträglich war, ist der zweite bei Klee und Grummet oftmals ganz in Wegfall gekommen. Dieser Umstand bringt nun viele Kleinlandwirte in harte Bedrängnis. Mancher von chnen wird nach Verbrauch seiner spärlichen Futtervorrät' schon in wenigen Monaten gezwungen sein, das letzte Stück Vieh zu verkaufen. Dem Zentral- verband der deutschen Kleinbauern und Häusler sind darüber schon erschütternde Berichte zugekom­men. Einem davon entnehmen wir: »Ich wäre schon froh, wenn ich die Herbst- arbeite« am Felde hinter mir hätte, damit ich meine einzige Kuh verkaufen kann. Ich habe zu wenig Futter und muh deshalb die Kuh her geben. Ob ich mir im Frühjahr eine nrlnr kau­fen kann, weiß ich nicht." Schwer betroffen sind die Bezirke des Saazer Landes, wo teilweise neben Futtermittelmangel auch«in gänzlicher Ausfall an Karwffeln zu ver­zeichnen ist. Im Vorjahre hat der Augustregen noch einen schönen Ansatz bei den Kartoffeln be­wirkt, doch konnte dieser innerhalb der kurzen Zeit bis zur Ernte nicht mehr ausreifen. Viele Kleinlandwirte konnten aber mangels finanzieller Mittel kein Saatgut zukaufen, sie verwendeten die unreife Frucht zur Saat und die Folge davon

war, daß so gut wie gar keine Ernte vorhanden ist. Vielfach wird berichtet, daß nicht einmal das Saatgut herauskommt. Aber auch dort, wo ent­sprechendes Saatgut verwendet wurde, ist in den von der Trockenheit betroffenen Gebieten nur eine geringe Kartoffelernte zu erwarten. Die Kleinlandwirte sehen nun mit tanger Sorge dem Winter entgegen. Biele können ihr Vieh kaum durchfüttern, aber auch ihre Ern äh- rungSgrundlage ist durch die Kartoffelmihernte bedroht, denn die Karwffeln bilden den Haupt­bestandteil ihrer Nahrung in den Winter­monaten. Deshalb ist auch di« Forderung des Deutschen Kl«inbauernberbandes nach zureichender Unter­stützung der durch die Mißernte geschädigten Kleinlandwirte durch Beistellung von verbilligten Futtermitteln und Saatgut und Gewährung von Krediten zum Ankauf dieser betricbswichtigen Artikel voll berechtigt. Besonders dringend ist die Beschaffung von Kartoffeln zu Speise- und Saatzwecken. Di« zuständigen Stellen, so daS Landwirt- schastSministerium und besonders die Landes­kulturräte, sind verpflichtet, hier fchleuaigst Hilfsmaßnahmen zu ergreife«. Soweit wir informiert sind, will man für die Herbstsaat verbilligtes Saatgut beistellen, und zwar Originalsaatgut zu gewöhnlichen Saatgut­preisen. Das genügt auf keinen Fall. Was ge­schieht dort, wo«in Kleinlandwirt überhaupt nicht in der Lage ist, Saatgut zu kaufen? Oder wo Kartoffeln zur Ernährung und zur Saat fehlen? Wo weder Streümittel noch Futtermittel vorhan­den sind und die Steuern nicht bezahlt werden können? Hier muß eine umfassendeHilfs- aktiv« einsehen, die aber nicht wie im Borjahr« den Großbauern zugnte kommen darf, sondern den bedürftigen Kleinlandwirte» und Häuslern und in erster Linie jenen, deren Existenz bedroht ist. Es wird Aufgabe der sozialdemokratischen Partei sein, mit allen zur Verfügung stelstnden Mitteln die lebenswichtigen Forderungen des armen und durch die Mißernte nocki mehr bedrängten Land­volkes kräftigst zu unterstützen. A. S.

01e Folge der Höchstpreise AP. Berlin. Die Folge der Höchstpreise ist, wie sich mehr und mehr zeigt, das Verschwin­den derWare vomMarkt. Genau wie in Kriegs- und Inflationszeiten können dagegen bevorzugte Kunden zu erhöhtenPreisen kaufen, was sie wollen. Der Apparat des Dritten Reiches ist dagegen machtlos. Die Sabotage beginnt bereits beim Bauern. Es wird berichtet, daß die niedrigen Ernteziffern nur zum Teil auf den schlechten Er­trägen beruhen, zum Teil aber darauf, daß die Bauern ihre Anbauflächen zu niedrig an­geben, um sich vor der Ablieferungspflicht zu drücken. Mit Fleisch, Obst und Gemüse steht es yünau so. Ueberall soll die Knappheit plötzlich durch^.gestiegenen Eigenverbrauch" zu erklären sein. In Wahrheit handelt es sich um Schwarz­handel und Schwarzschlachtungen. Die Bauern bringen ihre Ware nicht mehr auf den offiziellen Markt. Die Zeiten vor 20 Jahren sind wieder­gekehrt.

und der Kampfesmut der Opposi­tion bedeutend g e st ä r k t werden. Tatsächlich ist durch die Parole der Wahl- Enthaltung vorübergehend eine Art taktischer Ein- heits front der Oppositions-Parteien hergestellt worden, die von den Kommunisten über die Rei­hen der Sozialistischen Partei bis zu den gemä­ßigten Bauerndemokraten, den Christlichen Demo­kraten und der äußersten Rechten reicht. Aller­dings darf nicht verheimlicht werden, daß diese Front, hinter der die Mehrheit der Bevölkerung steht, durch ihre inneren Gegensätze außerstande ist, auch bei einer etwaigen Ablösung des Pil« sudski-Systems, das sich ohne Pilsudski selbst als so schwach erweist, gemeinsam vorzugehen. Die Rechtsparteien sind von Kräften durch­setzt, welche nicht Demokratisierung erstreben» son­dern die jetzige Halbdiktatur durch nationalistischen Fascismus nach italienischem und teilweise sogar nach deutschem Muster überbieten wollen. Die illegal organisierten Kommuni st en ver­treten in diesem Nachbarland der Sowjet-Union ein außenpolitisches Programm, welches auf das Ende der Unabhängigkeit des Staates und seine Auflösung in mehrere an Moskau angeschlossenen Räte-Republiken hinausläuft. Damit will keine andere Partei etwas zu tun haben. Ebenso wie die S o z i a l i st e n haben auch die linken Bauerndemokraten Anträge der Kom­munisten auf Bildung einer revolutionären Ein­heitsfront aus solchen außenpolitischen Erwä­gungen abgelehnt. Diese Gegensätze innerhalb der Opposition erleichtern die Verteidigung des herr­schenden Regime. Der Stoß, den es bei den Wah­len erhalten hat, reicht nicht aus, um etwa schon eine andere Regierungsform an seine Stelle zu fetzen. Alle Flügel der Opposition stehen der Macht schon zu lange fern, als daß einer von ihnen als reif für die Nachfolge der Pilsudski - Offiziere gelten könnte. Die weitere Entwicklung hängt von der Frage ab, ob die Methoden der Staatsführung jetzt gelockert oder verschärft werden. Im Regie­rungslager selbst gibt es Männer, die eine vor­sichtige schrittweise Demokratisierung empfehlen. Aber es liegt im Wesen jeder Diktatur, daß sie den Kreis ihrer Träger im Laufe der Zeit eher ver­engern als erweitern kann. Werden die Zügel jetzt auch in Polen straffer angezogen, so können die Spannungen sich angesichts der Agrarkrise und zunehmenden Arbeitslosigkeit leicht zu einer revo­lutionären Situation zuspitzen.m.

Ein bedenklicher Plan Seit einigen Tagen bringen mehrere.Blätter Auszüge aus-dem Plan, welchen der Gouverneur der NationaEank EngliS dem Ministerpräsiden­ten unterbreitet haben soll. Dieser Plan ist ge­eignet, in sozialistischen Kreisen großes Befrem- den hervorzurufen. Englis verficht in diesem Memorandum die Auffassung, daß die Staatsausgaben abgebaut werden müßten und daß auch an die H e r a b- setzung der Steuern geschritten werden müsse. Er sagt aber nicht, um welche Steuern es sich dabei handeln soll. Wer aber die Vergangen­heit EngliS's kennt, wird angesichts der Ausfüh­rungen des Gouverneurs große Bedenken haben, denn Englis ist seit jeher Anhänger von Massen­verbrauchssteuern gewesen und seine Steuerre­form, die zur Zeit des Bürgerblocks darin bestand,

den besitzenden Klassen die Steuern zu senken, aber die Verbrauchssteuern auf gleicher Höhe zu hal­ten» ist in schlechter Erinnerung. Der Schluß liegt nahe, daß es sich Englis auch diesmal wieder um die Herabsetzung jener Steuern handelt, die vor allem die besitzenden Klaffen tragen, so daß die Lasten des Staatshaushaltes in noch größerem Maße als bisher auf die Schultern der Massen gewälzt würden. Ein weiteres Bedenken ruft die Forderung Englis's nach Abbau der dirigierten Wirtschaft hervor. Englis wünscht also, daß der Staat weniger als bisher in die Wirtschaft eingreife. Er verlangt die Wiederherstellung der Freiheit deS Unternehmers, also auch der Freiheit, den Arbeiter auszubeuten, wie es die Profitb-- dürfnifle des Kapitals verlangen. Einem solchen Beginnen würden die Arbeiter und die sozialisti­ schen Parteien den heftigsten Widerstand entge ­

gensetzen, dessen möge sich der Bankgouverneur bewußt sein. Auch die Form, welche Englis der ZinS« s e n k u n g geben will, ist nicht befriedigend. Er will den Zinssatz der Banken um ein Sechstel herabsetzen, d. h. die Schuldner der Banken sollen um ein Sechstel weniger Zinsen zahlen. Die Zin- sendifferenz soll den Banken auf die Art ersetzt werden, daß den Geldinstituten der Entgang an Zinsen durch Schuldverschreibungen der Geldin­stitutsfonds zu ersetzen wäre, in der Weise, daß die Banken Fondsschuldverschreibungen erhalten, die in zwanzig Jahren fällig wären. Zinsen und Amortisation hätten der Staat zu übernehmen, so daß also der Staat den Banken den Entgang an Zinsen bezahlen müßte. Es wäre dies aber­mals eine Sanierung der Banken auf Kosten des Staates. Es ist sehr zu bedauern, daß sich ein Mann wie der Gouverneur der Nationalbank bei seinem außerordentlichen Wissen und seinem Ideenreich­tum immer wieder in den Dienst der besitzenden Klaffen stellt. Das Sprengelbürgerschulgesetz stand gestern im Kulturausschuß des Senates zur Verhandlung. Der Referent Gen. Bojta Benes empfahl die Annahme mit einer Aenderung des 8 6, die die MitwirkungdesStaates bei der Er­richtung von Sprengelbürgerschulen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten anstrebt. Auch Schulminister Dr. K r C m d t empfahl die rasche Annahme der Vorlage. Da mit dem Zusammen­tritt der Nationalversammlung ohnedies nicht vor dem 10. Oktober gerechnet wird, beschloß der Ausschuß, die Spezialdebatte über die Vorlage auf einen der ersten Tage des Oktober anzuberaumen. Der LandesauSschoß für Böhme« hat in seiner unter dem Vorsitz des Landespräsidenten Dr. So- botka am 18. September d. I. abgehaltenen Sitzung neben laufenden Angelegenheiten den Beschluß dec Bezirksvertretungen über den Kostenaufwand für die Verbesserung der Bezirksstraßen in folgenden Bezir­ken genehmigt: Prag -Land, JiLin, Rhchnov n.$?., Strakonice , Tepl , Bischofteinitz in der Gesamthoüe von 1,534.000 XL. Der Landesausschuß vergab di« Bau- und Maschinenarbeiten in Landesinstituten in der Gesamthöhe von 244.000 Xi und stimmte der Vergebung zahlreicher teils vom Lande Böhmen di­rekt durchgeführter, teils subventionierter Regulie- rungs- u. Meliorationsarbeiten mit einem Gesamt­aufwand von XL 1,880.000 zu. Er sprach seine Zu­stimmung zu dem Projekt einer Gemeindewafferlei- tung in Althabendorf(Bezirk Reichenberg) mit einem Aufwand von XL 2,400.000 und zu dem Bau einer Gruppen-Wafferleitung in Strakonice mit einem Aufwand von XL 7,8 Mill, aus und be­willigte für die Durchführung dieser Bauten einen Beitrag von XL 1,335.000. Auf dem Gebiete der Gemeinde-Angelegenheiten billigte der Landesaus- schutz 87 Gemeindebudgets und bewilligte 267 Ge­meinden die Einhebung verschiedener Abgaben und Gebühren. Für die Schuldendeckung überwies der Landesausschuß den Gemeinden insgesamt XL 298.000. Schließlich genehmigt« der Landesausschuß den Beschluß von 20 Gemeindevertretungen, wonach sich die Steuererleichterungen bei Reparaturen alter Häuser auf ihre Gemeinden beziehen sollen. Zu Stellvertretern des Vorsitzenden des Landes« Gewerberates für Böhmen ernannte der Landes* ausschluß Josef Netolicktz, Abgeordneter in Chlumec n. C., und Vladimir S t r u p p l,.Kammer- rat und Großkaufmann in Prag .

28 VILLA OASE oder: DIE FALSCHEN BORGER

Roman von Eugene Dabit Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot

»Eine Ueberraschung", sagte Julien strah­lend.Ich habe die Photographie aus Lausanne vergrößern lassen. In natürlichen Farben. Als wenn das Mädel den Mund auftun wollte, WaS?" Irma sah ihre Tochter, mit mattrosa Wan­gen, treuherzigen Augen und geheimnisvollem Lächeln. Sie konnte den Blick nicht abwenden von dem lebensvollen Bild, und zugleich dachte sie an die andere Helene, die in ihrem Grabgewölbe schlummerte. Sie stammelte unverständliche Worte. Und Julien packte plötzlich die Angst, daß er eine Riesendummheit begangen habe. Man kann das Bild auch anderswo auf­hängen", stotterte er. Ich will nicht, daß du es berührst." Das Zittern, das sie durchlief, kündigte eine Krise an. Er wollte sie hinaüsführen, aber sie weigerte sich, aufzustehen und starrte düster auf daS Bild. Endlich rief die Aufwartefrau zu Tisch. In sich zusammengesunken, die Ellbogen auf­gestützt, rauchte Irma eine Zigarette- nach der anderen, während Julien, mit bekümmertem Ge­sicht, im Essen stocherte. Er schwieg. DaS war daS beste, was er in solchen Augenblicken tun konnte. Aber so oder so: der Abend war ihm gründlich verdorben. Eine Woche verging, ehe Irma wieder ein­gelebt war. Sie ergriff Besitz von der Wohnung wie von einem neuen, ihr unerwartet zugefalle­nem Gut. Ihr Mann hatte sie nicht gefragt, aber er war mit ihren Neigungen und Abneigungen so

vertraut, daß sie Möbel und Stoffe nicht besser selbst hätte auswählen können. Das war ein Heim, das ihrer selbst und ihres Vermögens wür­dig war! Am Nachmittag musterte sie ihre in Unordnung geratene Garderobe. Sie trug nur noch Trauerkleider, denn nichts stand ihr so gut wie Schwarz. Von dem Gelde, das sie für Helene auf di« Seite gelegt hatte, hatte sie sich einen neuen Pelzmantel gekauft. Sie war darin aus« gegangen. um ibn ihren Freundinnen zu zeigen und sie zu bitten» ihre moderne Einrichtung zu bewundern. Am Tage ging sie gelegentlich in den Salon, um einen Blick auf das Bild zu werfen. Abends ruhte sie auf dem Diwan. Eine Leine Lampe be­leuchtete ihr Buch, die Wände aber lagen im Dunkel. Wenn sie den Kopf hob, sah sie über dem Kamin einen helleren Fleck. Minuten vergingen. Eine rätselhafte Kratt zwang sie, den Kopf von neuem aufzurichten, Helenes blauen Blick und ihr melancholicheS Lächeln zu suchen. Dabei, geriet sie in Verwirrung. Da der Tod sie mit Entsetzen er­füllte, war ihr jeder Gedanke an ein ewiges Leben gleich willkommen, ob er von Priestern, Theo­sophen oder Hellseherinnen stammte. Vielleicht be­fand sich ihre Kleine an ihrer Seite? Mit zittern­der Hand berührte sie ein Möbelstück, zitternd flüsterte sie einen Namen, und in der Stille, die sie umgab, glaubte sie, eine Stimme zu verneh­men, die ihr antwortete. Als sie in die Wohnung zurückgekehrt war, hatte sie gehofft, keine Erinnerung mehr vorzu­finden, sondern an einen stillen, heiteren Ort ohne Vergangenheit versetzt zu sein. Jbr Glück war schnell zu Ende. Sie sah die Wohnung vor sich, wie sie vor der Umwandlung gewesen, und lebte darin wieder mit ihrer Tochter. Immer von neuem mußte sie erkennen, daß eS Vergessen für sie nicht gab. Und dann war das Bild, das sie nicht fort­zuhängen wagte, aus Furcht, einen Frevel zu verüben, und vor dem sie nun oft und lange stand.

Wenn ein Lichtschein auf daS Glas fiel, streichelt« er das bleiche Gesicht und gab ihm Leben. Wie hatte Julien gesagt?Als wenn sie den Mund auftun wollte..." Irma kam dem Rahmen mit der Stirn nahe, so daß das Bild sich bewegte. Sie fuhr, das Porträt nicht aus den Augen lassend, entsetzt zurück. Sie sprach es an. Man hatte alles versucht, Helene zu bannen. Nichts half: sie kehrte zurück. WirLicher fast als früher fühlte Irma sie in ihrem Herzen, vor ihren Augen. War es ein Geist, der durch die Wohnung irrte, ihr auf dem Fuße folgte und dann wieder seinen Platz über dem Kamin rinnahm? Vor Julien verbarg Irma ihre Gedanken, denn er hätte ja doch nur über ihreGespenster­geschichten" gelacht. Selbst Alfred gegenüber be­wahrte sie Schweigen. Mitunter lehnt« sie' sich auch auf gegen diese beflemmende Nähe. Sie zwang sich, kräftiger zu essen, länger zu schlafen. Sie sucht« Ablenkung bei ihren Kleidern oder schmiedete im Geiste Zukunftspläne. Julien hatte sich auf die Suche nach einer Billa begeben. Er studierte die Inserate, lief zu den Grundstücksmattern, Läpperte die Bannmeile ab. Aber er fand nichts nach seinem Geschmack. Das eine Haus war zu groß, das andere zu Lein, dieses war zu unmodern, jenes zu teuer. Fast alle waren schlecht gelegen. Di« Gegend um Versailles war ihm zu nobel, die um Etampes zu wasser­arm. Die neu parzellierten und bebauten, sied­lungsartigen Anlagen haßte er, weil sie ihn an die Zeit erinnerten, da er in der Zone solch einen von seinem Vater errichtetenKaninchenstall" be­wohnt hatte. Und wenn er an einer wirLich ländlichen Stelle war, packte ihn die Sehnsucht nach Paris . Er bemüht« sich, Irma zur Teilnahme an seinen Entdeckungsfahrten zu bewegen. Irma lehnte ab. Dabei war doch sie diejenige, die die meisten Wünsche hatte. Ihre Freunde boten ihnen Billen bei Fontaineblau an. Sie hatte sofort Verdacht, daß sie mtt den Verkäufern unter einer

Decke steckten, und wollte von den Offerten nichts wissen. Abend für Abend kam er schmutzig, erschöpft und so entmutigt zurück, daß er einmal erklärte, er sei noch nicht reif fürs Land. Sie würde ihn nie dahin bringen, Faubourg-Montmartr« und das Cast' Courses zu verschmerzen. Irma, die den ganzen Tag am Ofen ge­sessen, zitterte um ihre Pläne. Im Frühling wollte sie übersiedeln. Bis dahin würden alle geschäftlichen Fragen erledigt sein. Doch es kam besser, als sie fürchtete. Eines Tages hatte Julien das Richtige gefunden. Gib mir einen Kuß, Dicke, kannst mirS glauben, eine hochfeine Sachei Langlois hat mich an eine Stelle geführt mit Wasser, Wald und prima Bahnverbindung. Er hat mir dort einen Freund vorgestellt, der das Haus seiner Ellern, die Villa Oase, verkaufen will." Sie sprachen stundenlang. Irma wollte Einzelheiten hören, aber Julien hatte sich nur flüchtig umgesehen. DaS HauS war bequem, hübsch auf einer Anhöhe gelegen, und er entsann sich noch, daß es einen großen Garten und einen Teich hatte. Einen Teich?" rief Irma.«Richtiges Wasser?" Na ob! WaS denkst du denn? Villa Oase. Du weißt doch, WaS das ist, eine Oase? Eine Stelle in der Wüste mtt Bäumen und Wasser." Am nächsten Morgen fuhren fie Mit Langlois binauS. Sie schlugen die Straße nach Fontaine­ bleau ein und ließen die häßlichen Fabrikviertel, fürs die Irma nur eine Geste des Abscheus hatte, hinter sich. Hab keine Angst. Dort siehst du nichts von all dem Mist", sagte Julien.Frage Lan­glois." Langlois wohnte seit 1910 in Ligny, zwi­schen Chapelle-sur-Seine und Melun (Fortsetzung folgt.)'