IE NT R ALOE GAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK EtozBimrBi* 70 hbh« (•inichtitBlich 5 Halter Porte» ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und( verwaltung präg xii., fochova«r. Telefon 53077. - HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG . 15. Jahrgang Dienstag, 15. Oktober 1935 Nr. 240 Das neue polnische Kabinett Die Oberstengruppe geschwächt Der Feind steht im Norden! Unglaubliches und Alltägliches aus dem deutschböhmischen Grenzgebiet Warschau . Der Präsident der Republik bat Sonntag mittags die neue Regierung ernannt, die sich folgendermaßen zusammensrtzt: Ministerpräsident: Koscialkowski Bizeprimier«nd Finanzminister: Kwiatkowski(ehemaliger Handelsminister) Aenßeres: Oberst Beck(unverändert) Heerwesen: General Kasprzyrki(unverändert) Inneres: Raezkiewiez(bisheriger Wojwode von Krakau ) Handel und Industrie: General Gorerki Justiz: Michalowski(unverändert) Arbeiten und Soziale Fürsorge: J a s z e- zelt(bisheriger Wojwode von Wilna ) Ackerbau: Poniakewski( unverändert) Post und Telegraphen: Jng. Kalinski (unverändert) Leiter des Unterrichtsministeriums: Chy» linski. Das neuernannte Kabinett hat Sonntag um 14 Uhr 30 zu Händen des Präsidenten der Republik den Treueid abgelegt. Das neue Kabinett ist die erste nach dem Tode des Marschalls Pilsudski ernannte Regierung. Bei Zusammenstellung der neuen Regierung ist ein starker Einfluß des Präsidenten der Republik Moscicki zu sehen, und zwar insbesondere in der Ernennung Kwiätkowskis zum Finanzminister. Oberst Beck, der als der beste Techniker in auswärtigen Angelegenheiten angesehen wird, verbleibt auch im neuen Kabinett, doch wurden in seiner Umgebung wichtige Aen- derungen vorgenommen, insbesondere mußte Minister für Handel und Industrie Reichmann, der treu die Absichten Becks erfüllte, G o r e c k i Weichen, der als Präsident der staatlichen volls- wirtschaftlichen Bank die Wichtigkeit fremden Kapitals für Polen anerkennt und wahrscheinlich nichts unternehmen wird, wodurch er das fremde Kapital Polen abwendig machen würde. Ueber- haupt ist die sogenannte Ober st en- gruppe in der neuen Regierung etwas geschwächt. Ministerpräsident Koscialkowski wird in den Bestrebungen der Versöhnung der Ukrainer fortschreiten. Wieder! 1 Millionen Arbeitslose in USA Washington . Das Monatsblatt der amerikanischen Arbeiterföderation betont, daß die Zahl der Arbeitslosen elf Millionen beträgt, sich also wieder erhöht hat, wiewohl im Handel eine Besserung eingetreten ist. Die amerikanischen Arbeiter für die 36*Stunden-Woche Atlantic City . Der Kongreß der amerikani schen Arbeitsföderation genehmigte einstimmig eine Resolution für die Einführung der 36- Stunden-Arbeitswoche. Der Vorsitzende der Föderation Green erklärte, daß dieses Ziel um jeden Preis erreicht werden müsse. Oer Außenhandel im September Prag . Das Statistische Staatsamt veröffentlicht die Ergebnisse des Außenhandels für den Monat Sbptember 1935. Demnach beträgt im reinen Warenverkehr die Einfuhr 626,4(im September des Vorjahres 501.6) Millionen UL, die Ausfuhr 659.6(gegen 752.8) Millionen Kd. Es "gibt sich also rin Aktivum von 33.2 Millionen Kä, während im September 1934 das Aktivum 251.1 Millionen UL betrug. Für die ersten neun Monate ergibt sich folgendes Bild(in Millionen UL): Einfuhr.. Ausfuhr,. Aktivum.. 1935 4.524.5 5.126.5 601.9 1934 4.607.2 5.113.8 506.5 Von Abgeordneten Wenzel Jaksch Das Sterben im Kriege wird höher gewertet, als das Sterben im Frieden. Die Toten der Schlachtfeldern werden in den Zeittmgsspalten und Geschichtsbüchern registriert. Die Heimat setzt ihnen Denkmäler. Das Leid der Mschuldig mit betroffenen Frauen und Kinder greift über Kontinente hinweg den Zeitgenossen ans Herz. Anders ergeht es den Opfern der wirtschaftlichen Krisen und Katastrophen unserer Tage. Ihr schweres Schicksal, ihr heldenmütiges Ringen und — wie so oft!— ihr einsames Sterben spielt sich vor einer völlig abgestumpften Umwelt ab. Ein aussichtsloses Beginnen fast, angesichts ihrer Massentragödie an das menschliche Solidaritätsgefühl ihrer glücklicheren Mitbürger zu appellieren. Und dennoch darf der Aufschrei der an der Krisenfront gegen Hunger«nd Kälte, gegen Hoffnungslosigkeit, seelischen und physischen Untergang Kämpfenden nicht un gehört verhallen. Auch von dieser Front her droht dem Lande«nd der Gesamtheit seiner Bewohner unerhörte Gefahr. Gerade in dem Augenblick, da sich die allgemeine Aufmerksamkeit dem Waffenlärm der Kriegsschauplätze zuzuwenden droht, muß llar und deutlich ausgesprochen werden: Der Feind steht im Norden. Der Hunger in den Grenzgebieten ist der Staatsfeind Nr. 1. Dort blüht auch das schmähliche Handwerk derer, die die Not«nd Oual ihrer Volksgenossen in materiellen«nd politischen Gewinn auszumünzen verstehen. Gegen den Hunger«nd seine Nutznießer mit Einsatz aller Mittel anzukämpfen, ist die wahrhaft nationale Aufgabe vom sudetendeutschen Standpunkte aus und zugleich oberste Staatspflicht. Zwischen zwei Mühlsteinen Es ist schwer, die Eindrücke und Beobachtungen einer Grenzlandreise zwischen Asch und Weipert niederzuschreiüen. Manches muß unausgesprochen bleiben, um den Nationalisten auf beiden Seiten nicht neue Waffen zuzüspielen. Gegenüber einer systematischen Vergiftungsarbeit aber, die alle Ursachen und Folgen der Krise des dcutschböhmischen Exportindustrialismus auf das nationale Geleise schieben will, ist vor allem festzuhalten und anzuprangern, wieDeutsche gegen Deutsche sündigen. Gerade in dem westlichen Zipfel der Republik , wo der Sieg der sogenannten Volksgemeinschaft am triumphalsten war, ist der Sinn für soziales Recht und soziale Gerechtigkeit unter den• Deutschen selbst am tiefsten gesunken. A s ch, der Wohnsitz, des sudetendeutschen Messias, hat noch immer eine überdurchschnittliche Industriebeschäftigung und es ist im Zeichen der Volksgemeinschaft ein wahres Paradies der Ausbeutung und des Betriebsterrors gelvorden. Unter den 14.101 Mitgliedern der Krankenkasse Asch verdienen 6024, also 42 Prozent der Arbeiterschaft, nicht einmal hundert Kronen pro Woche. Im Bezirk Asch sind 4770 Arbeitslose registriert. Mit den Nichtgemeldeten dürfte ihre Zahl an 6000 heranreichen. Von gewerkschaftlicher Seite wird dazu erklärt, daß 400 bis 600 Menschen mehr beschäftigt werden könnten, wenn in allen Betrieben der Achtstundentag eingehalten würde. Kn Auch private Kredite betroffen Genf . Der Achtzehnerausschuß der Sanktionenkonferenz beriet Montag vormittag über die Vorschläge des Finanzausschusses und nahm nach längerer Debatte eine Resolution folgenden Wortlautes an: Um den Mitgliedstaaten die Geltendmachung des Artikels 16 des Völlerbundpaftes zu erleichtern, müssen verboten werden: 1. Alle für die italienische Regierung bestimmten Anleihen und jede Ausschreibung von Anleihen, die für Italien bestimmt sind, oder auf Konto der italienischen Regierung gehen. 2. Bank- oder andere für die italienische Regierung bestimmten Kredite und alle Verträge über Anleihen, die bereits laufen und für die italienische Regierung bestimmt sind. 3. Alle für italienische Behörden oder Personen, bzw. Gesellschaften auf italienischem Gebiete bestimmte Anleihen sowie auch jede Ausschreibung ähnlicher Anleihen. 4. Jede Ausgabe von Aktien oder anderen Kapitalien, die für Personen oder Gesellschaften auf italienischem Gebiet bestimuit sind, sowie auch jegliche Ausschreibung von Aktien oder der Handschuybranche, die eine Teillonjunktur hat, wird aber teilweise 60 bis 90 Stunden in der Woche gearbeitet. Der Kampf gegen das Ueber- stundenwesen ist eine problematische Sache, wenn dfr Gem-rkschafter, her vormittag eine Anzeige bei der Behörde überreicht hat, darüber am Nachmittag schon vom Unternehmersekretär zu'. Rede gestellt wird, oder wenn der Gendarm, der die Meldung über eine verbotene Sonntagsarbeit erklärt, zuerst einem Fußballwettspiel beiwohnt, um dann knapp vor der Mittagspause einzuschreiten. Wahr ist, daß viele Anzeigen wegen nichtbewilligter Ueberstunden fruchtlos bleiben, weil sich die betreffenden Arbeiter und Arbeiterinnen unter der Drohung der Hungerpeitsche nicht getrauen, die Mahrheit auszusagen. In solchen Fällen könnte nur eine behördliche Aktiv- kontrolle helfen, weil doch die nächtliche Beleuchtung von Arbeitsstätten und das Essentragen zu ungewohnter Stunde nicht verborgen bleiben können. Die minimalste Forderung der Gewerkschafter ist jedenfalls, daß sie über das Resultat erstatteter Anzeigen von amtswegen unterrichtet werden, wie es vor Jahren üblich war. Noch dringender erscheint ein größerer behördlicher Schutz gegen den vielfach gehandhabten Betriebsterror. Ein gerichtsaktenmäßiger Nachweis ist in den seltensten Fällen zu erbringen, aber die Beweise sind, handgreiflich da: Die besten Gewerkschafter, die überzeugtesten Kapital in Italien oder anderswo, insofern sie für Italien bestimmt sind. 5. Alle Bank- und anderen für Persünen oder Gesellschaften auf italienischem Gebiete bestimmten Kredite«nd die weitere Erfüllung von Verträgen über bereits bestehende Anleihen. 6. Die Ausschreibung von Aktien oder Anleihen auf Grund bereits erfüllter, aber noch nicht beendeter Bertragsverpflichtungen. 7. Die Regierungen sollen die angeführ-, ten Transaktionen verbieten, ob sie nun direkt oder durch Vermittlung von Personen» welcher Rationalität immer, dnrchgeführt werden. In der Aussprache über die wirtschaftlichen Sanktionen hörte der Ausschuß eine ganze Reihe von Delegierten an. Am beachtenswertesten waren die Ausführungen des Vertreters Argenti nien s, der ausführte, daß sich Argentinien in einer ähnlichen Lage befinde wie die Schweiz , weil in Argentinien ' eine große Zahl Italiener angesiedelt ist. Die Resolution wurde einstimmig angenommen, nachdem die Vertreter Ungarns «nd Oesterreichs ihre Vorbehalte vorgebracht hatten. Sozialisten und treuesten Republikaner landen auf der Straße. Für Einschüchterungszwecke genügt ja,ein Hinweis unter vier Augen. Es kann doch kein Zufall sein, daß Arbeiter von demselben Augenblicke an ihr Brot verloren haben, als sie bei der roten Maidemonstration gesehen wurden. Im Jndustriestädtchen Roßbach gibt es eine Fanfarengruppe junger Sozialisten. Wenn aber einer der jungen Aufstecker aus einem dortigen Textilbetrieb mit ausrückt, verliert er seine Arbeit. Nur der Beitritt zum völkischen Turnverein bietet Aussicht auf Begnadigung. Der Roßbacher völkische Turnverein lag vor der Krise so darnieder, daß er nicht einmal Turnstunden halten konnte. Heute zählt er 500 bis 600 Mitglieder und beherrscht den ganzen Oxt. Mitgliedschaft beim Atus oder bei der sozialistischen Jugend bedeutet dauernde Arbeitslosigkeit. Wer die Arbeitsvermittlung für den Großteil der Betriebe faktisch ausübt, dafür einen der wenigen greifbaren Belege: In Has lau wurden durch Anschlag auf der Gemeindetafel sechs Strickerinnen gesucht— zu erfragen bei den Funktionären der sudetendeutschenPar- t e i. Dadurch, daß das Gesetz über die öffentliche Arbeitsvermittlung noch immer verzögert wird, erhalten die völkischen Turnvereine im ganzen Gebiete ein,M ynopol auf die Jugenderziehung. In Roßbach ist eS so weit, daß sich sozialdemokratisch gesinnte Arbeiter und Arbeiterinnen aus Furcht um den Arbeitsplatz nicht mehr ins Arbeiterheim trauen. In einem Jndustrieort des Weiperter Bezirkes schleichen verängstigte Proleten nur mehr spät abends zur Konsumfiliale, damit sie bei dem„Volksverrat" des genossenschaftlichen Einkaufes nicht bemerkt werden. Es würde ermüden, alle erhobenen Einzelfälle aufzuzählen. Sie sollen verwertet werden, qhne daß die Beteiligten Schaden erleiden. Es gibt aber einen Gradmesser dafür, wie die Henlein -Unternehmer die Arbeiterschutzgesetze und das Bürgerrecht des Arbeiters respektieren: Von 78 Betrieben in Asch gibt es noch zwölf aktive Betriebsausschüsie. In der Industriestadt Weipert funktioniert noch ein einziger Betriebsausschuß. Einen Kollektivvertrag kennt nur noch das städtische Elektrizitätswerk. Von den zwölf Betrieben des JndustriestädtchenS F l e i« ß e n im Bezirk Wildstein kennt keiner einen Betriebsausschuß. Kollektivverträge sind dort seit Jahren unbekannt. Zu diesem Kapitel ist in Asch und Graslitz zu erfahren, daß vor Betriebsaus« schußwahlan die Freigewerkschafter solange aussetzen müssen, daß sie das Wahlrecht verlieren. So kommen völkische Betriebserfolge zustande! Fleißen ist überhaupt ein eigenes Kapitel« Die Mehrheit der Unternehmer sind Protestanten. Nach einer gesprengten Versammlung des deutschnationalen Abgeordneten Kallina im Jahre 1933 wurden die Sozialdemokraten und Kommunisten durch Betriebsanschläge geächtet. Zehn Vertrauensmänner sind auf der Strecke geblieben. Ein sehr mildes Gerichtsurteil hat diese Terrorpraxis keineswegs behindert. Nur noch in einem einzigen Betrieb, der einem katholischen Unternehmen gehört, können bekannte Sozialdemokraten unterkommen. Sonst könnte die sozialdemokratische Partei bei der nächsten Gemeindewahl nur Arbeitslose oder Gemaßregelte kandidieren, denn auch jede Arbeiterpolitik in der Gemeinde wird durch Betriebsterror verfolgt. Die Mutter eines Gemeindevertreters, der eine Rechtsvollmacht der Gemeinde gegen einen Unternehmer unterschrieb, wurde entlassen, obwohl sie bereits 46 Jahre im Betrieb war. Ein anderer Gemeindevertreter, der in diesem Streitfall gar nicht mitzustimmen wagte, mußte trotzdem büßen: Seine Frau und seine zwei Töchter wurden entlassen. Ohne gewerkschaftlichen Schuh, ohne die Möglichkeit einer Geltendmachung ihrer sozialpolitischen Rechte müssen die Frauen und Mädels am laufenden Band schuften.„Eine Hundejagd, eine Hetzjagd ist das," sagte eine Textilarbeiterin. Wo früher im Akkord 54 XLstierdient wurden, beträgt jetzt der Rcgielohn am laufendes Kreditsperre gegen Italien
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15 (15.10.1935) 240
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