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Mittwoch, 13. November 1935

Nr. 264

Stimmen kam direkt der sozialdemokratischen Par» tei zugute. Aus dieser Entwicklung muß auch anderswo die Lehre gezogen werden. Wir sind zwar kein Agrarland im Ausmaße Dänemarks , haben aber trotzdem mehr als fünf Millionen Menschen, die am Land« leben. Bon diesen sind dreiviertel Millionen landwirtschaftliche Arbeiter, von dem Rest haben 8g Prozent weniger als zehn Hektar Boden. 90 bis 95 Prozent der Landbevölkerung sind daher Proletarier, die der Sozialismus in Rechnung stellen muß. Von diesen Schichten sind weite Kreise unorganisiert. Große Organisatio­nen haben zwar die Agrarpartei, doch befinden sich bei ihnen auch Angehörige städtischer Berufs­schichten, wie etwa die Hausbesitzer bei der tsche­chischen Agrarpartei. Nur ein kleiner Teil ist bei anderen bürgerlichen Parteien und bei den So-1 zialisten aller Schattierungen. Bon dm bürger­lichen Parteien neigen am meisten die ausgespro­chenen Agrarparteien zum Fascismus, die, wie eS aus der von ihnen beeinflußten Gesetzgebung klar ersichtlich ist, ausgesprochene Großgrund- besitzerparteien sind. Wenn nun unlängst Minister Genosse Bechyne in derPritomnost" für die weitere Zusammen­arbeit der Arbeiter und Bauern eingetreten ist, so ist dies zu begrüßen. Doch kann man das Ver­halten der Republikanskä strana mit ihren kapita­listischen Restgutbesitzerinteressen und mit ihrem andauernden Liebäugeln mit dem Henleinfascis- mns nicht übersehen.' Man muß nur einmal lesen, was derVenkov", das Hauptorgan der tschechischen Agrarier, zu den sensationellen Ent­hüllungen im Henleinprozcß gegen die»Prager Presse" zu sagen hatte. In kaum zehn Zeilen Petitdruck, an einer Stelle, wo es nicht auffind­bar ist, berichtete er über diesen Prozeß, der schwerwiegendes Material über die Verbindungen von Henleinleuten mit dem Hakenkreuzregime in Deutschland zutage förderte. Diese Bloßstellung der Henleinleute war gewissen tschechischen Agra­riern sichtlich unangenehm. Und welch köstlicher Genuß ist die Stellungnahme desVenkov" zu der letzten Spionageaffäre, in die zahlreiche Hen- lemjünger verwickelt sind, wie er ihnen das Ar­gument zuschiebt, daß man doch für alle Parlei- angehörige nicht verantwortlich gemacht werden könne und wie er den Henleinleuten väterlich zu- redet, etwa nach der Art:Wer Kinder, was treibt ihr denn!" Mit fäscistischer Solidarität revanchiert sich die Henleinpresse. Noch schöner sind die vor einigen Tagen erfolgten Auslassungen desVenkcv" über die dänischen Wahlen, wobei er seine tieftrauernde Solidarität mit den geschla­genen Agraxfascisten kundgibt und sich zur Be­hauptung aufschwingt, daß die Agrarfascisten die richtigen Bauernvertreter seien. Die Verhältnisse haben sich in der Zeit, da die dänische Partei den Weg zu den Kleinbauern angetreten hat, erheblich geändert. Die langjäh­rige Krise hat die Klassengegensätze am Lande zu­gespitzt, die Massen der Kleinbauern sind gegen die Agrarparteien oppositionell eingestellt. Sie sind einer richtigen Propaganda heute mehr zu­gänglich, als sie er jemals waren. Das ist em Uittstand, der für die sozialistischen Parteien und ihre künftige Agitationsarbeit richtunggebend sein sollt«. Wenn auch die Verhältnisse im deutschen Lager durch den Sieg des sudetendeutschen Fascis­müs etwas anders liegen, so sind keineswegs die Chancen so ungünstig, als vielfach angenommen wird. Die Henleinpartoi muß in das Horn der Großbauevnpolitik der tschechischen Agrarier bla­sen, um sich am Leben zu erhalten, und damit

eine Politik unterstützen, die schwere Schäden für das kleine arbeitende Landvolk bringt. Es wäre verfehlt, wenn diese Situation nicht ausgenützt würde. Abex auch im tschechischen Lager kann eS so kommen, daß die Kleinbauern zu den Fascisten abwandern, wenn man sie ihrer Propaganda überläßt. Parteien, wie die fascistischen oder agrari­schen, die für sich Massen mit entgegengesetzten Klaffenintereffen haben wollen, müssen einen gro­ßen Apparat zur Anwendung ihrer demagogischen Mittel besitzen. Gegen diesen Apparat haben wir nichts gleichwertiges zu setzen, darum müssen wir den Massenartikeln der Demagogie den Inhalt unserer Arbeit entgegensetzen, müssen für die Kleinbauern kämpfen. So werden unsere Pro­pagandamöglichkeiten der Aufgabe gewachsen sein Wenn man für die Kleinbauern kämpft und die besonderen Interessen der Kleinbauern stet? in

Prag . Nach sechs Wochen'Streik kam es ver­gangenen Freitag zu Verhandlungen zwischen den Arbeitervertretern und den Vertretern der Firma. Die Verhandlungen wurden im Innen­ministerium bei Anwesenheit des I n n e n- Ministers Dr. Cernh geführt. Die Arbeiterdelegicrten legten Montag in vertrau­licher Sitzung dem Streikausschuß die Vorschläge der Fa. JaneLek vor. Der Streikausschutz, dem noch weitere Vertreter der streikenden Arbeiter­schaft zugezogen wurden, erkannte nach mehr­stündiger Verhandlung mit Einstimmig- k e i t dahin, daß die Vorschläge der Firma JaneLek ungenügend seien und lehnten demgemäß diese Vorschläge a b. Gleichzeitig beschloß aber der erweiterte Streikausschuß, die endgültige Entscheidung der streikenden Arbeiterschaft selbst zu überlassen. DienSkag vormittags traten nun die JaneLekarbciter zur Abstimmung über die von der Firma unterbreiteten Vorschläge zusammen. Wie alle vorhergehenden Manifestationen der kämpfenden Arbeiterschaft, zeichnete sich auch diese Wstimmung durch bewundernswerte Disziplin aus. Die Belegschaft nahm die Referate der Ge« werkschasts selretäre K r a t i n a und K ul­st e i n zur Kenntnis. Die Vorschläge der Firma Jane Lek beweisen, daß die Werkleitung einstweilen noch nicht gesonnen ist, den berechtig» l-n Forderungen der Arbeiter hinlänglich Rech-

Zur Affäre des Dr. Pavlik Wie 7 kämen die Angeklagten zu einem solchen Verteidiger? Herr Dr. Pavlik, gewesener Bürgermeister des urbourgeoisen Stadtviertels Weinberge, Ver­treter derintegral-nationalistischen" Partei Stkibrnhs und Kramäts, ist unter dem Druck der öffentlichen Meinung in der Versenkung ver­schwunden. Die Presse aller Parteirichtungen ver­urteilte einmütig das Verhalten diesesintegra­len Nationalisten", der für einige tausend Kronen die Vertretung zweier Angeklagten übernahm, die unter Anklage s<bwerer Spionage stehen. Herr Dr. Pavlik wurde genötigt, sein Bür­germeisteramt niederzulegen und hat, wie ver­lautet, allerdings zu spät, auch seine Prozeßvoll­macht einem politisch weniger exponierten Kollegen

den Vordergrund rückt, den Kleinbauern ihre ganz anders gerichteten Existenzforderungen ständig vor Augen hält, so wird es in gar nicht so ferner Zeit gelingen, diese Schichten für eine Kampf­gemeinschaft mit der Sozialdemokratie zu gewin­nen. Aus ihr wir- die wahre Arbeiter- und Bauernregierung nach dem dänischen Vorbild her­vorgehen. Die Wahlen vom Mai zeigen auch bei uns, daß die Verluste in den Landorten mit Klein­bauernorganisationen um zehn Prozent geringer sind als die Verluste der Partei im gesamten ReichsMahstab. Nochmals sei betont, daß die Klassengegen­sätze am Lande infolge der von den Agrariern be« triebenen Politik krasser sind als jemals. Die Kleinbauern können in kurzer.Zeit die Reihen der Sozialdemokratie ebenso auffüllen, wie sie zur Beute des FasciSmuS werden können oder in den t deutschen Gebieten geworden find. Sa.

ung zu tragen. Die Firma erklärt sich zwar be­reit,nach den technischen und anderen Mög­lichkeiten" die streikende Arbeiterschaft wieder nnzustellen, doch ist diese Verpflichtung in einer Weise verklausuliert, daß tatsächlich nur die Wie­dereinstellung ungefähr der Hälfte der JaneLekarbeiter klar gewähr­leistet erscheint.(Binnen vier Wochen sollen im ganzen 360 Arbeiter wieder eingestellt werden.) Abgesehen davon, daß der wegen pflichtgemäßer Vertretung seiner Arbeitskameraden von der Firma gemaßregelte Vizevorsihende des Betriebs­ausschusses H o s k a ausgesperrt bleiben soll, versuchte die Firma JaneLek noch.eine Reihe anderer Bedingungen durchzudrücken, die nur als Degradierung der Betriebsausschußmitglieder gewertet werden können und als Versuch, die Tätigkeit deS Betriebsausschusses lahmzulegen. Der erweiterte Streikausschuß überließ, wie erwähnt, die endgültige Entscheidung der Plenar­versammlung der JaneLek-Arbeiterschast. Man kann sagen, daß sich dieser im Pankratzer Gast­hausU Lva" durch Stimmzettel vorgenomme­nen Abstimmung das größte Interesse der Oeffentlichkeit zuwendete. Das Abstimmungs­ergebnis wurde mit Spannung erwartet. Die streikende Arbeiterschaft lehnte die «nznlänglichen Borschläge der Firma JaneLek mit 536 gegen 9 Stimmen ab. Der Kampf geht weiter! rb.

übertragen. In den vielseitigen Pressekommen­taren wird indessen eine höchst bemerkenswerte Tatsache übersehen. Nämlich die Frage,. wie die der Hitlerspionage Angeklagten auf den Gedanken verfallen konnten, ausgerechnet den Herrn Dr. Pavlik zu ihrem Verteidiger zu be­stellen. Das wäre allenfalls begreiflich, wenn Dr. Pavlik ein Verteidiger von hervorragendem Ruf wäre was er nicht ist. Wie in aller Welt ver­fielen also die Angeklagten, unter den mehr als tausend Prager Anwälten, gerade auf Dr. Pavlik, den Exponenten einer ultranationalistischen Rich­tung, den sie doch nach dem chauvinistischen Jar­gon als typischenErbfeind" hätten ansehen müssen?! Wie konnten es die Klienten des Dr. Pavlik überhaupt wagen, ihm eine Vertretung anzutragen, die er seiner nationalistischen Welt-

Iaiictck Ardellcr verharren Im Streik Unzulängiidies Angebot der Firma mit 536 gegen 9 Stimmen nbgelehnt

anschauung gemäß mit Entrüstung hätte zurück­weisen müssen?! Diese Fragen werden in der Oeffentlichkeit viel diskutiert und an diesen Diskussionen dürften die Verkünder des nationalen Chauvinismus keine Freude erleben.

Polnische Agrarier für freundschaftliches Verhältnis mit der Tschechoslowakei Lemberg . Der soeben hier stattgefuNbene Be­zirkskongreß der polnischen Agrarpartei reagierte lebhaft auf die hier von der Regierungspartei ver­anstaltete und künstlich gegen die Tschechoslowakei hevorgerufene Demonstration und nahm folgende Resolution an: 1. Die polnischen Landwirte haben in Ueber- einstimmung mit dem ganzen polnischen Volk den festen Willen, mit dem tschechoslowakischen Volke und Staate in Freundschaft und im Einvernehmen, zu leben. 2. Die polnischen Landwirte sind überzeugt^ daß einzig eine enge Zusammenarbeit zwischen den slawischen Böllern imstande ist, sich vor dem ex« pansiven germansschen Imperialismus zu be­haupten. 3. Die bedauernswerten Ereignisse her letz­ten Zeit an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze find aufgelegt ein Werk von Provokateu­ren, denen an der Verfeindung det brüderlichen Völker gelegen ist, sie sind aber in keiner Hinsicht mit dem Willen sowohl der polnischen als auch der tschechoslowakischen Bevölkerung vereinbar und stehen insbesondere im Gegensatz zu den herzlichen Gefühlen, welche die polnischen und die tschecho­slowakischen Landwirte gegenseitig für einander hegen. Mit Rücksicht daraus sprechen die iw er agrarischen Partei organisierten Landwirte deS Lemberger Bezirkes ihre Verachtung Mer alle Ver­suche der Trübung deS Verhältnisses zwischen den brüderlichen flawischen Völkern^ aus und erllä« ren, daß sie mit allen Kräften eine Festigung der herzlichen Beziehungen zu den tschechoflowakischen Landwirten anstreben werden. Die Abwehrmabnahmen gegen Polen . Wie L. N." melden, sollen in der nächsten Zeit die tschechoflowakischen Konsulate in Krakau und Posen ausgelassen werden. Wie erinnerlich, hat die Warschauer Regierung den beiden Konsuln da? Exequatur entzogen, ohne sachliche Argumente gegen die beiden Beamten Vorbringen zu können. Fafristenkrach kn der Wrstflowakei. Nach den L. N." hat die tschechische Fascistengemeinde ihr Sekretariat in Sillein geschlossen und damit die Bewegung in der westlichen Slowakei liquidiert. Diesem Entschluß gingen schwere Auseinander­setzungen zwischen- den dortigen Faseisten voraus, die damit endeten, daß sieben Hauptführer aus. der Stadt verschwanden, angeblich, um in die italieni­sche Armee als Freiwillige einzutreten. Reue Begünstigungen für die Halbjahres- karten der Geschäftsreisenden. Die Union der Geschäftsreisenden und Vertreter im EinhcitS- verbande der Privatangestellten hat durch ihren Generalsekretär Abg. Robert Klein im Parla­mente einen Antrag Merreicht, wonach die Halb­jahreskarten der Geschäftsreisenden auf den Tschechoslowakischen Staatsbahnen von der 10- prozentigen Fahrkartenabgabe befreit werden sollen. Der Antrag wurde zur Behandlung dem sozialpolitischen und dem Budgetausschusse zu­gewiesen.

11 0«» Lakai Verbekhoven Von Max Hochdorf Es kann nur die Stimme des Kaisers sein", sagte er sich.Keiner ist gewohnt wie Er, geschickt wie Er, sein« Zuhörer zu überrumpeln, sich ihnen aufzudrängen, sie zum Ducken der Köpfe zu zwin­gen, sie glauben zu machen. Er allein bringe die Offenbarung von allem, was auf der Erde die Macht bedeutete. Wie ein Schauspieler im Thea­ter, so schleuderte der Kaiser seine Stimme über die Zuhörer, und die Stimme war wie ein Lasso. Sie strangulierte die Zuhörer, sie preßte ihnen die Luft ab. Der Kaiser, der so mit seiner Stimme spielte, halbierte das Leben seiner Zuhörer,- sie konnten nicht aufkommen gegen ihn, sie mutzten zusammenschrumpfen vor ihm. Manchmal unterbrach der Kaiser seine Sprache durch ein Schweigen. ES war, als ver­gnügte er sich damit, die Zuhörer, die seine Beute waren, für einige Sekunden aus der Schlinge zu läsen. Aber dann zog er die Schling« sofort wieder desto fester zu. DaS war die Sprache des Kaisers. Berbekhoven lauschte und er schreckte zusam­men. Denn er spürte, daß auch er bald dieser Faszination verfallen würde, wenn er sich nicht zum Handeln beeilte. Durch die Barriere der Lakaien, in deren Rücken er sich hielt, wurde er von dem Bankett­saal gettennt. Diese Barriere zu durchbrechen, das wqr die einzige Schwierigkeit, die es noch zu überwinden galt. Zum letztenmal überzeugte er sich davon, daß der geladene Revolver an seiner Brust lag. Er ballte seine Handtatzen zur Faust. Er stieß die Fäuste den Lakaien, die ihm den Weg ver­sperrten, in die Rippen. Schon war er durch«

gebrochen.> Schon hatte er nur noch einen Sprung zu machen. Daß er es nicht vermochte, daß ihm nicht einmal Zeit blieb, einen Schmerzenslaut hervor­zubrüllen und die Freunde und Vettern des Kai­sers aus ihrer Hypnose aufzurütteln, das war allein möglich, weil ein schweres Metalltablett auf seinem Schädel mit der Löwenmähne her­niedersauste. Der königliche Diener, der so sistier gezielt hatte, ermunterte seine Kameraden, sich auf den geschlagenen Riesen zu stürzen, ihn zu knebeln, ihn zu fesseln. So herrlich, so überlegen und erobernd schmetterte die Stimme des Kaisers, daß die Wut der Lakaien die Türe des Bankettsaals nicht durchdrang. Und dieser Friede", sprach der Kaiser,den wir alle wünschen, den Gott uns erhalten möge, der Schirmherr unserer Völker, er ist unerschüt­tert, Im treuen Angedenken an den erhabenen Oheim Eurer Majestät sehen wir, wie vortrefflich Ihr Volk die Tugenden des Bürgerfleißes und der Vaterlandsliebe versteht. Eure Majestät haben eine Erbschaft übernommen, die Sie befähigt, ein­dringlich im Rate der europäischen Nationen mit­zusprechen. Das Königreich Eurer Majestät und das Reich, über das Mein kaiserliches Szepter ge­bietet, sie leben seit Jahrzehnten in treunachbar­licher Freundschaft. Wir wechseln aus, was Wis­senschaft und Künste an unvergänglichen Werten hervorbringen. Mein Reich ist stolz und geehrt dadurch, daß Eure Majestät dem besten Geiste meiner Nation eine so auftichtige Gastfreund- schaft auf Ihrer Weltausstellung einräumten. Die Werte unserer Industrie und die Produkte unse­res in Jahrhunderten zu nationaler und inter­nationaler Geltung gelangten Handwerks haben in Ihrem bewunderungswürdigen Volk stets den angenehmsten und empfänglichsten Abnehmer ge­funden. Das Volk Eurer Majestät kann sich des­sen versichert sein, daß Meine hohe Regierung alles daransetzen wird, um sich dieser Ehre auch

künftighin würdig zu erweisen und der Nation Eurer Majestät alle Achtung zu gewähren, auf die sie ein hiswrischeS Anrecht hat. Wir trinken auf das Wohl Eurer Majestät und auf dach edle Bott, das ungestört daS Glück genießen möge, von einem Monarchen regiert zu werden, in dem Weisheit und Energie der Jugend zu kostbarster Einhett verschmolzen sind." VI. Bevor der Kaiser seinen Besuch beendete, hielt er darauf, noch einmal im'intimsten Kreise mtt dem königlichen Vetter zusammen zu sein. Bei allen den feierlichen Zeremonien, die sich in Erledigung deS offiziellen Programms vollzogen, waren wohl Trinksprüche und Worte der Etikette und der diplomatischen Höflichkeit gewechselt wor­den, aber noch hatten die Monarchen keine Stunde erübrigt, um sich ganz privat einander zu nähern.' Das wollte man jetzt nachholen. Zum Ort der letzten Unterredung bestimmte der Kaiser das Haus seines Gesandten, einen düsteren, veralteten Palast, Mer dem die Melan­cholie ständig brütete. Sie zog sich auch nicht am Tage des kaiserlichen Abschieds zurück. Sie be­mächtigte sich ebenso sehr deS ergrauten Pförtners, der sich im kaiserlichen Dienst ein argwöhnisches und mürrisches Wesen angeeignet hatte, wie des Gesandten selbst, der lieber maroquingebundene Buchraritäten sammelte als komplizierte Mis- sionen. Der Gesandte und der Pförtner blickten mit gleicher Sorge und Nervosität drein, als Lie­feranten und Gärtner das Haus stürmten. Der Kaiser, schon in der kleinen Uniform, und für die Reise gerüstet, durchschritt einen improvisierten Palmenhain. Die Diener des Hauses, aus einer Märchenwelt importierte Günstlinge der Hausherrin, die durch eine fast exotische Prachtliebe verriet, daß sie lieber im Morgenland als im nüchternen Herzen Europas verweilte, bildeten gleich Tempelwächtern auf den Treppen Spalier. Da sie regungslos die mächtigen

Silberleuchter mit den flackernden Kerzen von sich streckten, jeder Lakai nach geheiligter Tradition dressiert und ein Meister der Repräsentation, konnten sich der Kaiser und der junge König dem Eindruck nicht entziehen, daß sie zu einer religiösen Feier eingeladen waren. Deshalb setz­ten sie sich mit besonderer Gemessenheit zu Tisch. Vielleicht hatten sich beide Monarchen die Linie des Gespräches schon zurecht gelegt, aber es fehlte noch daS erlösende Stichwort. Daher taten sie dem Diner Ehr« an, dachten qber, daß es nicht so leicht sein würde, Mer einen gewissen toten Punkt hinwegzukommen. Da machte den ersten Versuch der Kaiser,, der daS große Talent besaß, sich auch dann auf­geräumt und gut gelaunt zu zeigen, wenn er sich uMehaglich fühlte. Welch prachwolle Menschen", sagte der Kaiser,das Bott Eurer Majestät, man sollte glauben, jeder Ihrer Untertanen esse dreimal so viel wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Und die Bärenmützengarden Eurer Majestät» ein Glück, daß wir im tiefen Frieden leben!" Der junge König lächelte und verneigte sich respekwoll. Sein Lächeln war mehr als verbind­lich. Es war das Lächeln eines Mannes, der sich vorgenommen hatte, auf die Untertöne feines Partners zu achten. Er schien nachdenklich und zerstreut und doch wieder aufmerksam. Der junge König erwiderte, und in seiner Art zu sprechen lag ein Zögern und Tasten, als wenn er bedächte, daß er seinem Gast den Appetit mit dem verderben könnte, was er jetzt vorbringen würde. Aber er wagte das Spiel. Es hiett eS sogar für reizvoll, ein wenig grausam wohl, doch warum sollte er nicht nach dm Tagen der Salbung und geschliffenen Würde das Gespräch etwas auf­lockern? So erzählte der junge König von dem eigentümlichen Wahnsinnsanfall seines Lakaien Verbekhovm.^Denken Sie sich, Majestät, der Mann hatte sich eingeredet, daß er Sie erschießen müsse."^Schluß folflt.i