Donnerstag, 14. November 1935

15. Jahrgang

Einzelpreis 70 Hetlsr (IntchlleSllch 5 Heller Porto)

IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK- ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung PRAG xiufochova ti TELEFON 5X77. HERAUSGEBERi SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEURi WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER RwAKTEUR, DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

Heute wählt England Ein aufsedecktes Tory-Manöver 14.780.281 Männer und 16.525.24« Frauen können am heutigen Donnerstag ihren Wahlzettel für das Unterhaus abgeben. Das ist eine Million mehr als bei der Wahl 1931. Je­der wählt einen Kandidaten, nicht eine Partei. Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält, auch wenn ihre Summe nicht dir Hälfte aller abgegebenen Plus 1 beträgt. Alle Minder­heiten. und wären sie noch so groß, fallen unter den Tisch. 35 Kandidaten stnd bereits ge­wählt, da sie keinen Gegner hatten. Einige Man­date werden durch die Lehrer«nd einen gewissen Kreis von Absolventen der Universitäten besetzt. Die konservative Regierungspartei, kurzweg Tories genannt, wollte in letzter Stunde einen schlauen Trick anwenden. 1924 hatte sie mit dem gefälschten Sinowjewbrief, der angeblich die britischen Soldaten zur Meuterei aufforderte, großen Erfolg und ebenso gelang es ihr auch 1931 wieder, dir Arbciterrcgierung zu stürzen, indem die Sparbanken auf Geheiß des konservativen Hauptquartiers eine Panik inszenierten. Jetzt wollten sie ein Alarmflugblatt verbreiten, das mit dem Zuruf beginnt:S i e verlieren Ihr Haus und Ihre Baugenossenschaft, wenn der Sozialismus komm t!" Aber dieses Manöver wurde durchkreuzt. Das Flugblatt konnte vomDaily Herald" photographisch wicdergegeben werden und seine Behauptungen sind durch die Zeitung mit ihrer Zweieinhalb­millionenauflage und in allen Labourvcrsamm- lungen der letzten Tage widerlegt worden. Die Labourparty fordert die Rationalisie­rung, d. h. Verstaatlichung des Bodens. Heute noch wie im Mittelalter gehört der größte Teil des britischen Bodens einer Anzahl Adelsfamilien und sonstigen Großgrundbesitzern, die darauf zu­meist Riesrnparks und Jagdgründe unterhalten. So produziert die Landwirtschaft nur einen ge­ringen Teil des Bedarfes, es ist Siedlungs­bewerbern gar nicht möglich, Land zu bekommen «nd die Pächter seufzen unter der Zinslast. Dem Mill die Arbeiterpartei abhelfen und selbstverständ­lich will sie auch die viel zu hohen Mieten der Bolkswohnungen herabsetzen. Ueberall in der kapi­ talistischen Welt sind die kleinsten Wohnungen die relativ teuersten und bei den Hausbesitzern als beste Kapitalsanlage besonders geschätzt. Inwiefern es ist überhaupt moralisch ist, aus der Deckung des unabweislichen Wohnungsbrdürf- nisscs Profit zu ziehen, braucht kaum noch unter­sucht werden. Selbstverständlich hat Labour niemals die Enteignung der KleinhauSbrsitzer gefordert, die in Großbritannien mehr als anderswo einen größeren Anteil an der wohnenden Menschheit haben als sonst wo. Ebensowenig denkt dir Ar­beiterpartei natürlich daran, etwa in Zukunft gegen Kleinhausbesttzer und Baugesellschaften vorzugehcn. * 300 Resultate schon Donnerstag abends Die Wahlbezirke sind durch Agitationslite- ratur aller Art, von Drucksachen, Briefen, Pro­klamationen und Privatbriefen überschwemmt, es werden sogar telephonische Wahlgespräche abge­führt, von denen die Post in diesen Tagen mehrere Millionen verwirklichte. Mit einigen wenigen Ausnahmen hatte der Wahlkampf im ganzen einen ruhigen Verlauf. Bloß die Kandidaten der nationalen labouriftischen Partei und die Natio­nalliberalen mußten in ihren Sitzungen eine starke Opposition überwinden. Mehr als einmal kam es auch zu Raufereien. Macdonald und sein Sohn Malcolm kamen des öfteren gar nicht zu Worte. Di.-Zählung der Stimmzettel nimmt etwa in 300 Bezirken sofort nach Schließung der Wahl­lokale ihren Anfang und die Ergebnisse aus die­sen Bezirken werden bereits Donnerstag um 10 Uhr abends bekannt sein. Der britische Rundfunk wird die Resultate sofort in sein Programm einreihen. In den verstreut liegenden Dorfgemeinden und«Bezirken beginnt die Stimmenzählung erst am Freitag morgens; es ist jedoch anzunehmen, daß am Freitag nachmittags bereits alle Wahlergebnisse mit gewissen kleinen Aus- nahmen bekannt sein werden.

Anti-britischeDemonstrationen

Studenten gegen Sir Samuel Hoare

in Kairo Kairo

. Bei Zusammenstößen mit Studenten wurden 39 Personen, davon 19 Polizisten, ver­letzt. Einige Verletzte haben ernste Verwundun­gen davongetragen. Zu den Zusammenstößen ist es während des Staatsfeier­tages der Unabhängigkeitserklärung gekom­men. Die Studenten demonstrierten gegen Sir Samuel Hoare und feierten den oppositionellen Führer Nahaz Pascha. Schließlich wurden die Fenster des britischen Generalkonsu­lates und die Fenster eines griechischen Kauf­hauses eingeschlagen. Die Polizei gab eine Salve ab, wobei einige Personen verletzt wurden. Die Sicherheitswache stellte mit Hilfe des ägyptischen Militärs die Ruhe wieder her und sorgte vor allem hauptsächlich für die Sicher­heit der ausländischen Gesandtschaften. Auch in der ägyptischen Stadt T a n t a h sind schwere Un­ruhen ausgebrochen. In einem blutigen Straßen­kampf zwischen der Polizei und einer feind­seligen Menge wurden 45 Pölizeibeamte ver­wundet, davon 13 schwer. Die Polizisten er­öffneten das Feuer auf die Angreifer, wobei ein Mann getötet und drei schwer verwun­det wurden. Die Demonstranten steckten einen Polizeikraftwagen und ein Motorrad in Brand. Die ägyptische Regierung fordert in einer Kundgebung das Volk zur Ruhe auf und weist

auf die großen Gefahren hin, denen Aegypten ausgesetzt wäre, wenn die öffentliche Ordnung gestört würde. Die Regierung sei unter allen Umständen entschlossen, die Ordnung aufrecht­zuerhalten. Die Wafd-Partei schürt Rahab Pascha, der Führer der nationali­stischen Wafd-Partei, hielt am Mittwoch nachmit­tags vor 20.000 Anhängern eine flammende Protestrede gegen England«nd die englische Ein­mischung in innere Angelegenheiten Aegyptens . Die Rede gipfelte in der Bekanntgabe einer Ent­schließung, die vier Punkte enthält: Zunächst wird daS ägyptische Bolk aufge- rnfen, jede Zusammenarbeit mit den Engländern einzustellen. Weiters wird der Rücktritt der Regierung als Protest gegen englische Ein­mischung gefordert. Der dritte Punkt besagt, daß die Wafd-Partei der Regierung jede Unter­stützung versagen werde, wenn sie nicht zurücktritt. Schließlich wird jede Regierung abgelehnt, die mit den Engländern zusammenarbeitet. Die Rede Rahab PaschaS wird in den Krei­sen, die nicht der Wafd-Partei angehören, als Anfrufzur Revolution angesehen.

Takasse-Fluß erreicht

Asmara . Die Vorhut des Korps Mara- vigna hat den T a k a s s e-Fluß erreicht. Zahl­reiche feindliche Ansammlungen wurden bei To- gora in der Gegend des Amba Aladschi festgestellt, wodurch bestätigt zu werden scheint, daß sich die Abessinier hier auf den Widerstand vorbereiten. Die Abteilungen des Generals Graziani näherten sich bis auf 100 Kilometer der Stadt Dschidschiga. Die übrigen Abteilungen be­festigen sich in der Umgebung von Makale. Auch von der Südfront wird ein weiteres Vorrücken der italienischen Armee gemeldet. Die Italiener hätten die Stadt D i r e d a u a als Zixl ausersehen, in der sie die eritreische und die Somali-Armee vereinigen wollen. Diese Stadt liegt bekanntlich an der Eisenbahnstrecke Dschibutti Addis Abeba und hat eine französische Besatzung, welche das französische Konsulat und die Eisenbahnstrecke schützt. Die französischen Berichterstatter melden, daß die Besetzung dieses Gebietes eine unerwartete Lage schaffen würde und daß Französisch-Somaliland bedroht wäre, weil es von Abessinien mit Lebensmitteln, hauptsächlich Fleisch, Gemüse und Obst versorgt wird. Die Abessinier konzentrieren in der Um­gebung von Dirrdaua ebenfalls größere Verstär­kungen und wollen in dieser Gegend der Süd­front eine Entscheidungsschlacht liefern. Abessinischen Meldungen auS Addis Abeba zufolge ist der Führer der eritreischen Ein­geborenen mit zahlreichen eingeborenen Soldaten, 1400 Gewehren«nd 26 Maschinengewehren z« den Abessiniern Lbergegangen. Abessinier meiden Segenangriffe Addis Abeba . Dem Vernehmen nach soll sich eine Schlacht am Gheva-Fluß, einem Nebenfluß des Takasse, zwischen Makale«nd Antalo entwickeln. Tie angreifrnden abessinischen Truppen gehören zur Armee des Ras Seium. Sie sollen gute Fortschritte gegen die Italiener zu verzeichnen haben. In der abessinischen Hauptstadt sind 5000 Gewehre neuesten Modells und eine große Menge Arzneien cingrtroffen. In der nächsten Zeit wird eine Sendung von 4000 Gasmasken erwartet. Rach Addis Abeba wurden auch 180 Kisten Ma­terial für Reparaturwerkstätten für Gewehre«nd Maschinengewehre und für vier fahrbare Feld­werkstätten gebracht. Diese Reparaturwerkstät­

ten für die Feldarmee werde« unter der Auf­sicht von drei Europäern, des ehemaligen Inspek­tors der Wiener Polizei Brunrr, eines österrei­chischen Obersten und des Schweizer Leutnants Borgte errichtet werden. * DemPopolo di Roma" zufolge haben die Abessinier an der Nordfront etwas 180.000 Mann, an der Westfront 40.000 und an der Südfront 20.000 Mann konzentriert. Etwa 40.000 Mann bilden Reserven und können nach Bedarf an diesen oder jenen Frontabschnitte» entsendet werden. Guerillakrieg hinter der Front ASmara . Die ständige Beun­ruhigung der linken Flanke deS Korps Santini durch feindliche Gruppen machte eine Säuberungsaktion not­wendig, die gemeinsam von AskariS des KorpS Santini und der Danakil-Kolonne deS Obersten Loxenzi mit dem Ziel der Befreiung der Gegend von Asbi Dera von feindlichen Truppen durchge­führt wurde. Grofie Preissteigerung In Kamelen Die Italiener haben mit der arabischen Re­gierung einen Vertrag abgeschlossen, auf Gruno dessen sie in Arabien 18.000 Kamele für Ost­ afrika ankaufen. Ein Kamel wird von den Ita­lienern mit dem Betrage von 18 Goldpfund be­zahlt werden, trotzdem der normale Preis für ei» Kansel fünf Vapierpfund ausmacht. Die Kamele werden, insoweit sie bereits durch die Italiener angekauft'worden sind, von Denbo aus auf ita­lienische Dampfer gebracht.

Sir Hoare gegen Blockade London . In einer Rede trat Außenminister Sir Samuel Hoare insbesondere gegen die An­träge Lipyd Georges auf, der durch Verhängung der Blockade des Suez-Kanals und der Meerenge von Gibraltar eine Unterbrechung der Verbin­dung' Italiens mit Ostafrika gefordert hat. Hoare fugte hinzu, in einem solchen Falle würde bereits in Europa der Krieg wüten und die Grundlage des Völkerbundes, nämlich die Kol­lektivaktion, vernichtet werden.

Winterhilfe Sozialistische Arbeit für das Sudetendeutschtum Am 31. Oktober hat die Zahl der Arbeits­losen soweit sie bei den öffentlichen Arbeits­vermittlungsämtern gezählt werden 600.000 überschritten. Damit ist das Heer der Arbeitslosen um rund 50.000 höher als im August, dem Mo­nat der geringsten Arbeitslosigkeit im Jahre 1935. Der hereinbrechende Winter läßt leider die Befürchtung aufkommen, daß die Arbeits­losenziffer in den nächsten Wochen wei­ter an st eigen wird und daß wir bis zum Feber, da die Arbeitslosigkeit erfahrungsgemäß den größten Umfang erreicht, vielleicht auf eine Zahl von 800.000 kommen werden. Diese Entwicklung macht die Aufgaben, vor der die verantwortlichen Staatsmänner und öffentlichen Funktionäre stehen, noch größer. Vor allem muß getrachtet werden, daß wir rascher alsbisherdenAnschlußandieWie- derbelebung der We ltwirtschaft finden, die in anderen Ländern viel fortgeschrit­tener ist als bei uns. Mit Recht hat der Minister­präsident in seiner Ansprache an die Koalitions­journalisten als wirtschaftliche Hauptaufgabe der Regierung die Förderung von öffent«, lichen Arbeiten und die B e f e i t i gung der Ausfuhrschwierigkei­ten der Industrie hingesteUt. Wenn diese Bemühungen der Regierung einen Erfolg zeitigen werden, wird das allerdings eine Weile dauern und es mußte daher Vorsorge dafür ge­troffen werden, daß die Armee der Arbeitslosen, der hungernden, seelisch gedrückten und verzivei« selten Menschen im Winter wenigstens eine warme Stube und etwas in den leeren Magen bekommt. So bedeutsam die bisherige Fürsorge für die Arbeitslosen ist, gerade der nahende Win­ter zeigt, daß noch zusätzliche Hilfe geleistet wer­den muß. Für die Arbeitslosen in der Tschechoslowa­kischen Republik ist bisher auf verschiedene Art vorgesorgt worden. Die organisierten Arbeiter be­kommen eine gewerkschaftliche Ar­beitslosenunter st ützung mit einemBeitragdesStaates und es ist ein Verdienst der sozialistischen Mitarbeit in der Koalition, daß seinerzeit die Unterstützungsdauer verlängert und der Staatsbeitrag erhöht worden ist, so daß trotz mancher Verschlechterungen die Unterstützungshöhe und-dauer weit größer ist als beim Eintritt der sozialisttschen Parteien in die Regierung 1929. Für die nichwrganisierten Arbeiter ist durch eine Ernährungsak­tion vorgesorgt, die auch schon mehrere Jahre läuft und deren Einführung dem seinerzeitigen Fürsorgeminister Dr. E z e ch zu danken ist. Schließlich wird auch auf dem Gebiet der pro­duktiven Arbeitslosenfürsorge sehr viel getan, indem der Staat Erleichterungen für die Durchführung der öffentlichen Arbeiten schafft. Wie groß die Fürsorgekätigkeit des Staa­tes für die Arbeitslosen ist, geht daraus hervor, daß hiefür im Voranschlag für 1935 650 Millio­nen KL vorgesehen waren, ein Betrag, der bei aller Berücksichtigung dessen, daß die Not zu groß ist, als daß sie ganz gelindert werden könnte, im­merhin beachtlich ist und als eine Leistung d e r D e m o k r a t i e sich wohl sehen lasM kann. Ueber dieses Maß hinaus aber wird die demokratische Regierung des Landes noch weite­res leisten. Die Winterhilfsaktion betrifft vor allem dieBesitzervonErnäh- rungskarten, welche eine zusätzliche Er­nährungshilfe erhalten, ferner jene Arbeitslosen, die nach dem Genter System unterstützt werden und nicht mehr als 20 KL Staatsbei­trag beziehen und dadurch ost schlechter gestellt waren als die bisherigen Bezieher von Ernährungskarten und endlich erwerbslose Jugendliche, die den dreimonatlichen Ar­beitsnachweis nicht erbringen konnten und die daher jedes Anspruches auf eine Unterstützung aus der Ernährungsaktion verlustig gingen. Die be­sondere Aushilfe wird aus der Zuweisung von Mehl, bzw. Brot, Grau,pen, Kartof­feln, Fett, Zucker und Malzkaffee bestehen und wird diezweiletztenMonate des heurigen und die zwei er st en Monate desnächstenJahres umfassen. Der Betrag, der für diese Aktion ausgeworfen wird, beträgt nicht weniger als 6 0 Millionen, während im vorigen Jahre für die Winterhilfs«